AMERIKA AM SCHEIDEWEG
Berliner Zeitung
28. August 2017
Am 26. September 1982 gab es eine Landtagswahl in Hessen.
Willy Brandt (SPD) kommentierte das Ergebnis am Wahlabend in der Bonner Runde
mit der Formulierung, es gebe eine „Mehrheit diesseits der Union“, und deutete
damit erstmals die Möglichkeit einer rot-grünen Zusammenarbeit an, worauf
Helmut Kohl (CDU), sichtlich betroffen, entgegnete, er, Brandt, wolle „eine
andere Republik“.
Ich erinnere mich daran, weil ich gerade ein Buch gelesen
habe, das mir ein wenig gar zu sehr in den Kram passt. Da ist es gut, sich
daran zu erinnern, dass langfristige Entwicklungen eben langfristige sind. Es
kann also sehr viel Zeit vergehen, bis sie nicht nur kenntlich werden, sondern
sich sogar durchsetzen.
Steve Phillips, geboren 1964, in dem Jahr also, in dem
Schluss gemacht wurde mit den Gesetzen zur Rassendiskriminierung,
veröffentlichte vergangenes Jahr ein Buch, das in den USA schnell auf die
Bestsellerlisten kam. Er wirft einen Blick auf die demografische Entwicklung
und kommt zu dem Schluss, den er zum Titel seines Buches macht: „Brown ist the new white“. Es ist keine neue Erkenntnis, dass die
konservativen, weißen, angelsächsischen Protestanten inzwischen in der
Minderheit sind. Phillips weist auf
einen Punkt hin, den man sich vor Augen halten muss, wenn man ein Bild der
zukünftigen Entwicklung haben möchte: „Die Neue Amerikanische Mehrheit nimmt täglich zu. Jeden Tag wächst die
US-Bevölkerung um 8 000 Menschen, fast neunzig Prozent davon sind Farbige.“ 1950
noch waren fast neunzig Prozent der US-Bevölkerung weiß. Das lag nicht
unwesentlich an den strengen Immigrationsgesetzen, die Rassengesetze waren. Heute sind mehr als neunzig Prozent aller
Immigranten farbig. Da sind die nichtregistrierten Einwanderer noch gar
nicht berücksichtigt. Aber, so Phillips, ganz gleichgültig, wie die Debatte
darüber ausgeht, ob sie die US-Staatsbürgerschaft bekommen werden, ihre in den
USA geborenen Kinder werden in jedem Fall US-Bürger und also Wähler werden.
Phillips geht die verschiedenen Gruppen durch. 54 Millionen
US-Bürger, 17 Prozent der Bevölkerung, sind Latinos. 23 Millionen von ihnen
waren 2012 wahlberechtigt. Aber 12 Millionen von ihnen gingen nicht zur Wahl.
Die elf Millionen, die es taten , lieferten Obama 14 Prozent seiner Stimmen.
Die 43 Millionen Afro-Amerikaner – Steve Phillips ist einer von ihnen – sind 13
Prozent der amerikanischen Bevölkerung.
Die Afro-Amerikaner sind die treueste Wählergruppe der
Demokraten. Seit sie frei wählen können, seit 1965 also, haben nie weniger als
83 Prozent demokratische Kandidaten gewählt. 2012, bei der zweiten Obamawahl,
waren es 15 Millionen, also 96 Prozent, die sich für den schwarzen Präsidenten
aussprachen.
Phillips schreibt: „13 Prozent der Bevölkerung der USA sind
Afroamerikaner, aber sie tragen 23 Prozent zu den Wählerstimmen der Demokraten
bei.“ Die Basis der Demokraten ist schwarz. Sie wird auch immer schwärzer
werden. Daran führt kein Weg vorbei.
Die Gruppe der Asiaten ist inzwischen die am schnellsten
wachsende Bevölkerungsgruppe in den USA. Seit 1882 Chinesen die Einreise in die
USA erheblich erschwert wurde bis in die Sechzigerjahre, wurden Asiaten in den
USA systematisch diskriminiert. So sind heute 74 Prozent der in den USA
lebenden Asiaten nicht in den USA geboren. 1965 gab es nur zwei Millionen
Asiaten in den USA. Heute sind es 18 Millionen. Vierzehn Prozent der
Kalifornier sind Asiaten. Nur 6,6 Prozent sind Afro-Amerikaner. Von den 18
Millionen Asiaten sind 9 Millionen wahlberechtigt, fünf Millionen sind als
Wahlbürger registriert und 3,7 Millionen gingen 2012 zur Wahl. Die Asiaten sind
traditionell weniger festgelegt auf die demokratische Partei als Schwarze und
Latinos das sind. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich geändert. 2008
votierten 62 Prozent der asiatischen US-Bürger für Obama. 2012 waren es 73
Prozent. Die asiatischen Wähler sind einen weiten Weg gegangen. 1992 wählten 55
Prozent George W. Bush und 31 Prozent Bill Clinton.
Die Native Americans, die Indianer, machen gerade mal 1,7
Prozent der Bevölkerung aus. Von den 5,2 Millionen sind etwa drei Millionen
wahlberechtigt. Das ist sehr wenig. Betrachtet man aber ihre Verteilung im
Land, so kann man erkennen, dass sie in Bundesstaaten wie zum Beispiel North
Dakota durchaus einen Einfluss haben könnten.
2012 wurden die Senatswahlen dort gerade einmal mit einer
Mehrheit von 2 936 Stimmen entschieden. Da hätten, bei richtigem Wahlkampf, die
50 000 Stimmen der Native Americans entscheidend sein können.
Zuletzt noch ein Blick auf die progressiven Weißen. Eine
schwer zu definierende Gruppe, der man kaum habhaft werden kann. Betrachtet man
die Stimmen für demokratische Kandidaten, so fluktuierten die weißen Stimmen
zwischen einem Hoch von 58 Prozent im Jahre 1964, als Lyndon B. Johnson als
letzter demokratischer Kandidat die Mehrheit der weißen Wähler gewann, und dem
Tief von 32 Prozent im Jahre 1972, als George McGovern gegen den sich zur
Wiederwahl stellenden Richard Nixon verlor. 2012 erhielt Obama 39 Prozent der
weißen Wählerstimmen.
Wer entscheidet, wer Präsident wird, wenn gegen den
bisherigen demografischen Trend nicht entgegengesteuert wird? Die Farbigen, die stündlich mehr werden und
die in den nächsten Jahren werden entscheiden, wer der Präsident der USA wird.
Trumps Erfolg ist eine Antwort auf Obama. Es ist der Versuch
jener Weißen, die ihre Felle wegschwimmen sehen, die Geschichte, die
demografische Entwicklung anzuhalten, ja zurückzudrehen. „Make America great again“ heißt nichts anderes als „Make America
white again“. Das war von Anfang an klar. Dafür stand und steht Donald Trump. Er ist die Verkörperung des Traumes von einem weißen, mächtigen Amerika.
Steve Phillips: Brown ist the New White – How the
demographic revolution has created a New American Majority, The New Press, 249
Seiten, 22 Euro.
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