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Montag, 23. Oktober 2017

PISSSTRACKGERADE IN DEN EUROBANKROTT GETRIEBEN

Ökonomen warnen vor Billionenrisiko für Deutschland

23. Oktober 2017

© picture alliance Hans-Werner Sinn https://www.microsoft-ice.com/amp/document/editor/AAtUw1v
Am Donnerstag kommen Europas Zentralbanker zu einem historischen Treffen zusammen. Im Kleingedruckten verbirgt sich ein Thema, das es in sich hat: Was wird aus den Bundesbank-Krediten an die Euro-Krisenländer?
Kurz vor der viel beachteten nächsten Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag werden die Risiken der ultralockeren Geldpolitik für Deutschland immer stärker offenbar. Wie aus neuesten Daten hervorgeht, haben die Ungleichgewichte im Zahlungssystem der europäischen Notenbanken mit dem sperrigen Namen Target2 im September einen neuen Rekord erreicht.
Der deutsche Target-Saldo ist auf 879 Milliarden Euro geklettert. Damit streben die Forderungen der Bundesbank an das Eurosystem langsam aber sicher auf die Billionen-Marke zu. Umgekehrt haben die Verbindlichkeiten der Italiener an das Eurosystem ebenfalls einen Rekord erreicht: Sie lagen zuletzt bei gut 423 Milliarden Euro. Spanien steht mit 378 Milliarden Euro in der Kreide, Portugal mit 79 Milliarden Euro.
Kredite an Krisenstaaten ohne Parlamentsbeschluss
Die Target-Forderungen stellen unbesicherte Kredite der Bundesbank an die Zentralbanken vor allem der südlichen Länder dar. Das Euro-System eröffnet damit die Möglichkeit, dass die stabilen Euro-Staaten den kriselnden Euro-Staaten Geld leihen – und zwar ohne Spar- und Reformauflagen und auch ohne parlamentarischen Beschluss. Und genau das ruft bei vielen Ökonomen tiefe Besorgnis hervor. Einige fordern sogar, die Kredite abzusichern. Viele nationale Notenbanken horten Gold-Bestände, die dafür verwendet werden könnten.
"Die Target-Salden sind extrem gefährlich", sagt der ehemalige Ifo-Chef Hans-Werner Sinn der WELT. Die Bundesbank würde über den Target-Mechanismus eine Umschuldung für die Krisenländer vornehmen. "Die Forderungen werden wir nie einlösen können", sagt Sinn. Der jüngste starke Anstieg der Target-Salden ist auf den umfangreichen Aufkauf von Staatsanleihen durch die nationalen Notenbanken der Euro-Staaten zurückzuführen, die diese im Rahmen des EZB-Ankaufprogramms durchführen.
Logik der Anleihenkäufe lässt Target-Saldo anschwellen
Oftmals werden die Papiere ausländischen Investoren oder Banken abgekauft. Die haben ihr Referenzkonto im Euroraum in der Regel bei der Bundesbank in Frankfurt. Wenn die italienische Notenbank von einer japanischen Versicherung italienische Staatsanleihen kauft, zahlt die Bundesbank das Geld an den Verkäufer. Statt das Geld von der italienischen Notenbank zu erhalten, verbuchen beide Notenbanken eine Target-Forderung oder -Verbindlichkeit.
"Die heutigen Target-Salden spiegeln zwar keine Kapitalflucht wie zu Zeiten der Euro-Krise, sind aber auch nicht völlig unbedenklich", sagt Jörg Krämer von der Commerzbank. "Es ist ein deutliches Zeichen von Misstrauen gegenüber den Peripherieländern, wenn ausländische Institutionen ihre Konten noch immer bei der Bundesbank halten, obwohl es die Währungsunion schon seit 18 Jahren gibt."
"Die Euro-Krise ist nach wie vor ungelöst"
Ähnlich sieht das Lüder Gerkens, Vorsitzender beim Centrum für Europäische Politik, der Denkfabrik der Stiftung Ordnungspolitik. Für ihn sind die Target-Salden ein Gradmesser für die Spannungen im Euroraum: "Der jetzige erneute Anstieg zeigt deutlich, dass die Euro-Krise nach wie vor ungelöst ist", kritisiert er. "Es stellt sich allen Ernstes die Frage, ob Länder wie Italien überhaupt noch Zugang zum Kapitalmarkt hätten, wenn es die Anleihekäufe der EZB nicht gäbe."
Die neuesten Target-Zahlen kommen für den EZB-Chef Mario Draghi zur Unzeit. Das derzeitige Anleihenkaufprogramm läuft offizielle zum Jahresende aus. Auf der Zinssitzung am Donnerstag muss er mit seinen 24 Kollegen im EZB-Rat darüber befinden, wie es im kommenden Jahr weitergeht. Explodierende Target-Forderungen spielen den Anhängern einer weniger freigebigen Geldpolitik in die Hände.
Bald eine Billion Euro hoch – und trotzdem ohne Sicherheiten
"Die deutschen Forderungen könnten durchaus auf eine Billion Euro steigen", warnt Gerken. Viel werde davon abhängen, in welchem Umfang die EZB-Anleihekäufe im nächsten Jahr fortgesetzt werden. Für den Chefvolkswirt der BayernLB, Jürgen Michels, spielt neben der Höhe der EZB-Käufe auch die Situation in den Peripherieländern eine Rolle. "Die Verschärfung des Konflikts um Katalonien und steigende Unsicherheiten im Vorfeld der Wahlen in Italien könnten ein Katalysator für die deutschen Target-Forderungen sein", sagt Michels, der es ebenfalls für möglich hält, dass das Saldo die Billionen-Marke erreicht. Damit würden die Risiken für die Bundesbank weiter steigen.
Nach Ansicht von Sinn, der das Target-Risiko als ester thematisiert hatte, bekommt Deutschland Währungsbehörde eine derzeit unverzinsliche Forderung gegen das Eurosystem, die sie nie fällig stellen kann. Er hält den Wert der Forderungen in der Bundesbank-Bilanz für fragwürdig. "Private Unternehmen würden einen solchen Forderungstitel abschreiben und mit einem Erinnerungswert von einem Euro in der Bilanz stehen lassen."
US-Zentralbankdistrikte mussten in Gold tilgen
Sinn spricht sich dafür aus, die Forderungen nicht nur zu besichern, sondern auch nach einem festen Plan zu tilgen, zum Beispiel mit Edelmetall: "In den USA gab es bis 1975 die Goldtilgung zwischen den zwölf Distriktzentralbanken des Fed-Systems, obwohl dort alles in einem gemeinsamen Bundesstaat stattfand." Heute müsse in den USA durch die Hergabe marktfähiger verzinster Anlagen getilgt werden: "In Europa haben wir ein System, wo man in Deutschland kaufen kann, was man will, um dann anschreiben zu lassen, ohne dass der Inhaber des Ladens Zinsen verlangen oder den Betrag fällig stellen kann."
Auch Gerken spricht sich dafür aus, für die Euro-Zone einen Ausgleich nach amerikanischem Vorbild einzuführen. Doch hält er einen Systemwechsel für wenig wahrscheinlich. "Für Euro-Staaten mit hohen Target-Verbindlichkeiten ist das gar nicht leistbar und politisch auch nicht durchsetzbar."
Verbindlichkeiten überragen Edelmetallreserven bei weitem
Tatsächlich sind die Target-Verbindlichkeiten den Goldreserven Schuldner-Staaten weit enteilt. Italiens Goldschatz ist gerade mal gut 85 Milliarden Euro wert, damit ließe sich nur ein Fünftel der italienischen Target-Verbindlichkeiten abdecken. Spaniens Deckung läge gerade mal drei Prozent betragen, die Griechenlands sechs Prozent. Commerzbanker Krämer spricht sich trotzdem für eine teilweise Golddeckung aus. Sollten einzelne Länder aus der Währungsunion ausscheiden, würden sie ihre Verbindlichkeiten wohl nicht mehr bedienen. Den restlichen Mitgliedsländern entständen Verluste.
Die Bundesbank müsste dann gut ein Viertel der Verluste tragen. "Zerbräche die gesamte Währungsunion könnte die Bundesbank wohl ihre gesamten Target-Forderungen abschreiben. Natürlich gehe ich nicht von einem Zerfall der Währungsunion aus, aber das Risiko ist nicht gleich Null", sagt Krämer.
BayernLB-Mann Michel hat eine andere Idee. Der jüngste Anstieg der Target-Bilanzen ist in großem Maße ein Ergebnis der ultra-lockeren Geldpolitik der EZB. Für zielführender als eine Gold-Besicherung hält er daher einen Wechsel in der Geldpolitik. 

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