Kaczynski führt politische Gegner im Gerichtssaal vor
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Sieben Jahre nach dem Flugzeugabsturz von Smolensk wurde nun Ex-Premier
Tusk angezeigt, Ex-Außenminister Sikorski muss als Zeuge aussagen.
Dabei geht es um viel mehr als den Absturz.
Wieder einmal geht es um den Absturz des polnischen Regierungsflugzeugs am 10. April 2010. Damals waren Präsident Lech Kaczynski und 95 weitere Personen bei einem gescheiterten Landeanflug ums Leben gekommen. Sie waren auf dem Weg zu einer wichtigen Gedenkfeier für die polnischen Opfer des sowjetischen Katyn-Massakers von 1940.
Zwar glaubt, Umfragen zufolge, nur eine Minderheit der Polen an einen Anschlag als Ursache für den Absturz. Doch für einen erheblichen Teil der Bevölkerung, keineswegs nur Kaczynski-Anhänger, ist Smolensk zu einem Synonym für Staatsversagen geworden.
Innenpolitischer Grabenkrieg als Element der Katastrophe
Dazu gehörte im Vorfeld auch das unwürdige Spiel im Dreieck zwischen dem damaligen Premierminister Donald Tusk, den Russland zu der Katyn-Gedenkfeier eingeladen hatte, Präsident Kaczynski, der ebenfalls hinfahren wollte, und dem russischen Botschafter in Warschau, Wladimir Grinin, als Vertreter der Gastgeber.
Regierung will alles noch einmal aufrollen
Anzeige
Die Frage der Anklage, ob er diese Europäisierung heute als „gelungen“ ansehe, ließ der Vorsitzende Richter nicht zu, da sie an der Sache vorbeigehe. Immerhin sagte Sikorski, er habe Kaczynski von dessen Sonderbesuch (der zur Tragödie führen sollte) abgeraten.
Was auch immer in diesem von Angehörigen der Absturzopfer angestrengten Prozess herauskommt: Polens nationalkonservative Regierung ist der Meinung, der Absturz müsse noch einmal gründlichst untersucht werden.
„Russen lockten Flugzeug in die Katastrophe“
Alle Opfer sollen bis Ende dieses Jahres exhumiert werden. Der innenpolitische Streit über Smolensk droht immer schärfer zu werden. Nicht zuletzt dadurch, dass Lechs Zwillingsbruder Jaroslaw Chef der Regierungspartei PiS ist.Neben dieser Darstellung äußern polnische Regierungsvertreter neuerdings, sozusagen parallel, einen zweiten Verdacht: Die russischen Fluglotsen sollen das Flugzeug bei der vorherrschenden geringen Sicht vorsätzlich in die Katastrophe „gelockt“ haben.
Anzeige gegen den EU-Ratspräsidenten
Das Motiv für die russische Seite soll demnach gewesen sein, Lech Kaczynski auszuschalten. Der Präsident war seinerzeit in Europa der lautstärkste Warner und Kritiker des russischen Präsidenten (damals zwischenzeitlich Ministerpräsidenten) Wladimir Putin.Polens amtierender Verteidigungsminister Antoni Macierewicz hat jetzt wegen Smolensk auch Anzeige gegen Donald Tusk erstattet, den heutigen EU-Ratspräsidenten. Der Vorwurf: „diplomatischer Verrat“, entsprechend dem in anderen Staaten existierenden Straftatbestand Landesverrat.
In Polen stehen darauf bis zu zehn Jahre Haft. Die Begründung lautet, die Regierung Tusk habe bei der Aufklärung des Absturzes schwere Fehler begangen und sei gegenüber Moskau nachgiebig gewesen.
Warschau gewinnt einen wichtigen Verbündeten
Tusk habe also, heißt es, „seine Pflichten nicht erfüllt“. Er habe die Ermittlungen zur Unglücksursache leichtfertig in die Hände Russlands gegeben. Auch habe Tusk zu wenig unternommen, um die Rückgabe des Flugzeugwracks – eines wichtigen Beweisstücks – an Polen durchzusetzen.Im März konnte Warschau einen Verbündeten gewinnen, der helfen soll, das Wrack zurückzuholen: den Anwalt Luis Moreno Ocampo. Der Argentinier war bis 2012 Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Moreno Ocampo will, wie er der Zeitung „Dziennik“ sagte, „ausschließlich als Experte und Berater im Kontext des internationalen Rechts“ seinen Beitrag zur Smolensk-Aufklärung leisten. Er wolle eine „unabhängige Stellungnahme“ vorlegen.
Der EU-Ratsvorsitzende Tusk wird bald einen Vorgeschmack davon bekommen, wie es ist, in seinem Heimatland im Gerichtssaal zu erscheinen. Ein Verfahren zu einem verwandten Thema läuft nämlich bereits.
Kaczynskis Erzfeind muss vor Gericht erscheinen
Gegenstand ist ein Abkommen von 2013 über die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten Polens und Russlands, bei dem es auch um die Smolensk-Ermittlungen geht. Hierzu soll Tusk als Zeuge gehört werden. Er hat zugesagt, sich am 19. April in Warschau verhören zu lassen. Nichts dürfte Kaczynski so freuen wie der Anblick seines Erzfeinds in einem Gerichtssaal.Die polnische Justiz, die zunehmend unter der Kontrolle der Regierung steht, versucht derzeit einiges, um Tusk in Bedrängnis zu bringen. Auch ein Untersuchungsausschuss im Parlament ist aktiv: Er behandelt eine Affäre um die – wie inzwischen bekannt ist, betrügerischen – Firmen Amber Gold und OLT Express.
Der Sohn des damaligen Regierungschefs, Michal Tusk, hatte kurzzeitig für eine dieser Firmen in untergeordneter Funktion gearbeitet. Der Ausschuss will Tusk Senior und Tusk Junior vernehmen. Wieder ein Anlass, den EU-Ratspräsidenten, der kürzlich gegen den Willen Warschaus in seinem Amt bestätigt wurde, ins Kreuzverhör zu nehmen – und als potenziellen künftigen polnischen Oppositionsführer zu diskreditieren.
https://www.welt.de/politik/ausland/article163626019/Kaczynski-fuehrt-politische-Gegner-im-Gerichtssaal-vor.html
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