Powered By Blogger

Montag, 10. Juli 2017

G20-AUSNAHMEZUSTAND IN HAMBURG

Freie und Hansestadt Hamburg

Senatskanzlei

Olaf Scholz
Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg und Präsident des Senats
Rathausmarkt 1
20095 Hamburg
Büro des Ersten Bürgermeisters
Andreas Meier
Büroleiter
040 42831-2014
040 4273-13954

AUSNAHMEZUSTAND



Sehr geehrter Herr Scholz,

in der Kontroverse rund um den G20-Gipfel stellten wir fest, dass sowohl Merkel im Namen der Bundesregierung als auch Sie als Hamburgs Regierungschef für sich das Recht in Anspruch nahmen, die Stadt in einen Ausnahmezustand für mehrere Tage zu versetzen und somit das normale Leben der Stadtbewohner sogleich die normale Arbeit der Firmen und ihrer Angestellten ohne ihre Einwilligung zu unterbinden. Mit der Veranstaltung des G20-Gipfels haben Sie und Merkel sich beide das Recht genommen, die Staatskasse mit einem dreistelligen Millionenbetrag zu plündern, um denen, die ohnehin in Saus und Braus leben, ihren Aufenthalt hier so sicher und angenehm wie nur irgend möglich zu machen. Um dieses Anliegen zu verwirklichen wurden zur Verstärkung Polizeikräfte und technische Hilfsmittel in großer Anzahl aus anderen Bundesländern und sogar aus dem Ausland nach Hamburg geholt in der Dimension einer halben Armee.

Während die nach Hamburg geholten Welt-Politiker und ihre Begleiter in luxuriösen Hotels und anderswo ihren Aufenthalt genießen durften und die machtgeile am Amtssessel klebende Bundeskanzlerin sich im Wahlkampfmodus mit ihrer leeren und ansonsten nutzlosen Rhetorik profilieren konnte, mussten die Anwohner, Pendler und Besucher im privaten und im beruflichen Bereich unerträgliche und nicht hinnehmbare Hindernisse und Zustände tagelang einfach hinnehmen und stillschweigend akzeptieren. Statt sich um die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu kümmern, amüsierten Sie sich zusammen mit erlesenen Gästen beim Konzert in der Elbphilharmonie, während in Ihrer Stadt marodierende Brandstifter und Plünderer Straßenzüge in Brand steckten und verwüsteten und wehrlose Menschen in Angst und Schrecken versetzten.  Manche von ihnen mussten sogar mit Gefühl der Angst und Ohnmacht um ihr Leib und Leben bangen oder haben um ihr Eigentum fürchten müssen oder haben daran infolge Zerstörungen, Krawallen und schweren Ausschreitungen sogar Schaden genommen. Ihre Belange interessierte niemanden - Sie am wenigsten. Die von Ihnen hochgelobte Polizei schaute dem Geschehen tatenlos zu - dafür gab es Ihrerseits wiederholtes Dankeschön für "heldenhaften Einsatz", drei Tage Extraurlaub, auch für diejenigen, die nicht am Einsatz beteiligt waren sowie Gratis-Konzert in der Elbphilharmonie als auch Tage später Urlaubsreise für viele... paradiesische Zustände). Die massive Präsenz der Polizei und ihr Einsatz waren von Anfang an nicht dafür gedacht, die Bürger der Stadt vor Chaos und Gewaltausbrüchen zu schützen und die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, sondern dienten allein und ausschließlich dem Zweck des Schutzes und der Sicherheit der Gipfelteilnehmer und Gäste. Die Obhutspflicht des Staates dem Bürger gegenüber wurde grob und sträflich verletzt. Denn die Bürger sind für die deutschen arroganten und machtbesessenen Bundes- und Landespolitiker ohne Moral nichts anders und nichts mehr als eine Verfügungsmasse zweiter Klasse. Jene Bürger also, die Sie, Herr Scholz, ins Amt einsetzten, wurden von Ihnen, dem Bürgermeister, verraten und im Stich gelassen. Daran ist klar zu erkennen, wie weit sich die deutschen Berufspolitiker in ihrem gigantomanischen Ego-Treiben nach kommunistischem Muster vom Volk entfernt haben und wie wenig seine Belange sie tatsächlich interessieren.

Dabei war es allen an der verhängnisvollen Entscheidung politisch Beteiligten spätestens seit  Juli 2001 (G8-Gipfel in Genua) wenn nicht sogar schon seit 1999 (Seattle) und dann seit den massiven Ausschreitungen und Eskalation der Gewalt bei den nachfolgenden Gipfeln und politisch brisanten Events bekannt, mit welch gravierenden Folgen zu rechnen ist, wenn in einer Großstadt von welcher Seite auch immer Recht und Ordnung außer Kraft gesetzt werden. Hierzu gab es Prognosen, die für Hamburg genau dieses Szenario antizipierten. Dass durch die Veranstaltung des Gipfels in der direkten Nachbarschaft der linken gewaltbereiten Hamburger Szene sich diese zur Proklamation des Widerstands, zu Gewaltexzessen und zur Eskalation der Gewalt geradezu eingeladen und herausgefordert fühlte, war jedem klar. Offenbar wurden solche einsichtigen Argumente auf dem Scheiterhaufen der Machtbesessenheit und Selbstinszenierung geopfert und die gravierenden Folgen und chaotischen bürgerkriegsähnlichen Zustände von den Verantwortungsträgern, also in erster Linie auch von Ihnen, unverantwortlich und kriminell fahrlässig billigend in Kauf genommen. Nach dem durch Merkel und Konsorten herbeigeführten Kontrollverlust des Staates (Anarchie, rechtsfreier Raum, Recht und Ordnung außer Kraft) im Zuge der von ihnen ausgelösten Massenmigration nach Deutschland erlitt nun die Hansestadt Hamburg unter Ihrer Führung Herr Scholz einen Kontrollverlust - beide sind auf dem Mist deutscher verantwortungsloser Politiker gewachsen und sie stehen dafür, für das des sehenden Auges wider des besseren Wissens ausgelöste Staatsversagen, persönlich in politischer Verantwortung. Vieles deutete bereits vor dem Gipfel hin - als Sie im Vorfeld des Gipfels leichtfertig Ihre unsinnigen verharmlosenden Sicherheitsgarantien abgaben und den Gipfel beschwichtigend mit einer Art des Hafengeburtstags verglichen - dass Sie den Bezug zur Realität verloren haben. Hinzu kommt, um die Worte einer Hamburger FDP-Politikerin zu zitieren, dass Sie durch Ihr skandalös unverantwortliches Vorgehen "Hamburg weltweit blamiert und in Verruf gebracht haben". Der Schaden, den Sie angerichtet haben, ist somit nicht auf Hamburg allein beschränkt. Ein solcher Politiker ist unter solchen unhaltbaren Umständen aufgefordert, von seinem Amt sofort zurückzutreten.

Also ziehen Sie die richtigen Konsequenzen aus Ihrem Versagen, nehmen Sie bitte Ihren Hut und treten Sie von Ihrem Amt zurück. Diesem sind Sie offenbar nicht mehr gewachsen. Übrigens: Nehmen Sie bei dieser Gelegenheit Ihre unfähigen Pappenheimer und Ihre Bundeskanzlerin, die das Hamburger G20-Desaster mitzuverantworten haben, samt Ihrem leeren unglaubwürdigen seichten Gewäsch gleich mit.


Jerzy Chojnowski
Chairman-GTVRG e.V.












Scholz hat Hamburg weltweit in Verruf gebracht und muss Verantwortung für dieses Desaster übernehmen
Nach den Ausschreitungen der letzten zwei Tage sagt die Vorsitzende der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Katja Suding
„Olaf Scholz hat Hamburg weltweit blamiert und in Verruf gebracht. Auf der ganzen Welt fragen sich die Menschen, wie es eine Stadtregierung in Deutschland zulassen kann, dass im Laufe eines weltweit beachteten Gipfels Quartiere verwüstet werden, Autos brennen und bürgerkriegsähnliche Zustände ausbrechen. Olaf Scholz muss für dieses Desaster die Verantwortung übernehmen.  
Scholz hat den G20-Gipfel massiv unterschätzt. Das Sicherheitskonzept der Behörden ist vollkommen gescheitert. Die Sicherheit der Bürger – wie von Olaf Scholz versprochen – war zu großen Teilen nicht garantiert. Wir verlangen, dass er in einer Regierungserklärung ganz konkret dazu Stellung bezieht.
Die Gipfelopfer, deren Geschäfte oder Fahrzeuge vom Mob in Brand gesetzt wurden, müssen jetzt unbürokratische und schnelle Hilfe von Bund und Land erhalten. Es kann nicht sein, dass sie den Preis für das dilettantische Vorgehen des Senats zahlen. Die FDP fordert die sofortige Einrichtung eines Opfer-Hilfefonds.“

TV-Blackout = Informationssperre als probates Mittel der Staatspropaganda und unserer Lügenpresse

10. Juli 2017


Anne Will© NDR/Wolfgang Borrs/NDR Presse und Information Anne Will
Ein Polizist zieht bei "Anne Will" eine bittere G-20-Bilanz: Der Schutz der Hamburger habe zweite Priorität gehabt. Olaf Scholz lehnt einen Rücktritt ab. Als es um Merkels Verantwortung geht, wird der Bildschirm schwarz.
Diese Anne-Will-Sendung wird im Gedächtnis bleiben. Nicht, weil sie einen Meilenstein in der Geschichte der politischen Talkshows darstellte, sondern weil nach etwa einer Viertelstunde plötzlich das Bild weg war – nicht bloß für einen Augenblick, sondern ganze zehn Minuten lang.
Anne Will hatte den Chef des Bundeskanzleramts, Peter Altmaier, gerade nach Angela Merkels Verantwortung für den Polizeieinsatz während des G-20-Gipfels gefragt, da wurde der Bildschirm auf einmal schwarz – und wenig später erschien ein Hinweis: "Bitte entschuldigen Sie die Störung. Es geht gleich weiter."
Auf Twitter tobten sich gleich die Verschwörungstheoretiker und Komiker aus: Hat die Antifa die Übertragung gekappt? Sind die Autonomen schuld? "Wir vermuten erstmal nichts Böses", sagte Anne Will, als das Fernsehbild dann wieder lief.
Kurz darauf teilte die Redaktion per Tweet mit, dass ein "Leitungsproblem" verantwortlich gewesen ist für den Sendeausfall. Die Gäste im Studio hatten in der Zwischenzeit weiter zum Thema "G20-Bilanz – war es das wert?" diskutiert – ohne, dass das fernsehende Publikum davon etwas mitbekam.
Dabei war die Sendung sehr spannend gestartet. Der Hamburger Polizist Jan Reinecke, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), hatte eine bittere Bilanz des Polizeieinsatzes während des G-20-Gipfels gezogen.
"Wir hatten gar keine Chance, die Bürger zu schützen, diese Aufgabe war gar nicht machbar", sagte der Polizist über den Einsatz. Schon lange vor dem Gipfel sei klar gewesen, "dass wir in ein Dilemma geraten, das nicht zu meistern ist".
Reinecke: "Schutz der Bürger nur Priorität zwei"
Das Bundeskriminalamt habe vor dem Gipfel seine Einschätzungen formuliert und an die Politik weitergegeben. Darin sei das, was seit Donnerstagnacht dann in Hamburg passiert ist, im Voraus detailliert beschrieben worden: Dass kleine Gruppen aus der linksextremistischen Szene mit äußerer Gewalt agieren werden, dass sie Polizisten angreifen, dass Autos brennen und Geschäfte "entglast" werden. Für Reinecke waren die Gewaltexzesse des "Schwarzen Blocks" deshalb keine Überraschung – das machte der Polizeigewerkschafter sehr deutlich. "Es ging um Leib und Leben der Beamten", sagte er.
Drei Stunden konnten die Gewalttäter in der Nacht von Freitag auf Samstag so gut wie ohne Gegenwehr von Seiten der Polizei im Hamburger Schanzenviertel wüten. Geschäfte wurden geplündert, die Barrikaden brannten meterhoch direkt neben Wohnhäusern, Menschen wurden bedroht. Viele Anwohner des Schanzenviertels fühlten sich im Stich gelassen. Wurden sie nicht geschützt, weil die Polizei sich darauf konzentrierte, das Konzert in der Elbphilharmonie, das die Staats- und Regierungschefs währenddessen besuchten, zu sichern? Dieser Vorwurf steht seitdem im Raum.
Was Jan Reinecke dazu sagte, untermauert ihn. "Das war so: Der Schutz der Gipfelteilnehmer hatte erste Priorität, die Bürger der Stadt zu schützen, hatte Priorität zwei", behauptete der Polizist.
Olaf Scholz, der wegen den Ausschreitungen schwer unter Druck geratene Hamburger Regierungschef, widersprach. "Das ist nicht meine Einschätzung der Lage", konterte er die Schilderungen des Polizeibeamten. Und: "Das sagt Herr Reinecke. Ich nicht."
Die im Schanzenviertel randalierenden Autonomen hätten den Polizisten eine Falle gestellt, indem sie sich mit Molotowcocktails bewaffnet auf Hausdächern postiert haben – deshalb musste man auf das Eintreffen von Sondereinsatzkommandos warten. Eine Zweiklassenbehandlung habe es allerdings nicht gegeben.
Scholz lehnt Rücktritt als Bürgermeister ab
Anne Will konfrontiert den Ersten Bürgermeister der Stadt Hamburg daraufhin mit einem Zitat seinen Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer: "Wenn es in der Peripherie zu Sachbeschädigungen kommt, müssen wir das teilweise hinnehmen, um einen friedlichen Ablauf des Gipfels zu gewährleisten", hatte Meyer gesagt. Gab es also doch zweierlei Schutz? "Nein, wir haben den Kontrollverlust nicht zugelassen", entgegnete der SPD-Politiker Scholz.
Der Polizist Reinecke (übrigens: genauso wie Scholz ein Sozialdemokrat) blickte meist ungläubig oder schüttelte mit dem Kopf, wenn der Bürgermeister sprach. Redete der Polizist, dann war es andersherum. Der Dissens zwischen den beiden hätte nicht deutlicher zu Tage treten können.
Olaf Scholz wird in den kommenden Tagen sicherlich noch mit mehr heftigem Gegenwind zu rechnen haben. Sowohl Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), wie die CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft forderten ihn bereits zum Rücktritt auf.
Auf die Frage von Anne Will, ob er über einen solchen Rückzug vom Amt bereits nachdenke, antwortete Scholz: "Nein, das tue ich nicht." Und er versprach, dass die Täter, die man in den Krawallnächten fassen konnte, hart bestraft werden.
Peter Altmaier zeigte sich, anders als der Polizist Reinicke, von den Exzessen der Vermummten überrascht. "Ich habe mir einen solchen Ausbruch der Gewalt nicht vorstellen können", sagte der CDU-Politiker – kurz danach brach dann die Übertragung der Sendung ab.

G20 in Hamburg: Altmaier gibt Bürgermeister Scholz Rückendeckung (nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere)



Neuer Inhalt (1): <span style="font-size:13px;">Ein R&uuml;cktritt des Hamburger B&uuml;rgermeisters sei nicht gerechtfertigt, so Altmeier</span>© dpa Ein Rücktritt des Hamburger Bürgermeisters sei nicht gerechtfertigt, so Altmeier Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) hat Forderungen seiner Hamburger Parteikollegen nach einem Rücktritt von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zurückgewiesen. „Ich kann keine Begründung erkennen, warum er zurücktreten sollte“, sagte Altmaier am Montag dem Sender NDR Info.
Für ihn gehe es nach den Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels aktuell nicht um die Frage einer parteipolitischen Auseinandersetzung, sondern um eine „Auseinandersetzung zwischen den Demokraten, die diesen Rechtsstaat verteidigen“, mit radikalen, autonomen, linksextremen Minderheiten, die den Rechtsstaat herausforderten.
Scholz wird vorgeworfen, die Gefahr von Gewalttaten vor dem Gipfel heruntergespielt zu haben. Hamburgs CDU-Fraktionschef André Trepoll hatte am Sonntag von der „größten politischen Fehleinschätzung eines Hamburger Bürgermeisters aller Zeiten“ gesprochen.
SPD-Vize Scholz lehnte am Sonntagabend einen Rücktritt erneut ab. Auf die Frage, ob er über Rücktritt nachdenke, sagte Hamburgs Regierungschef in der ARD-Sendung „Anne Will“: „Nein, das tue ich nicht.“

Scholz räumt ein: "Ja, ich schäme mich"


11. Juli 2017


Bürgermeister Scholz verteidigt die Entscheidung, den Gipfel in Hamburg stattfinden zu lassen. 
• Nach den gewaltsamen Krawallen am Rande des G-20-Gipfels in Hamburg wurde Kritik an Polizei und politisch Verantwortlichen laut.
• Erster Bürgermeister Olaf Scholz schämt sich eigenen Worten zufolge für das Geschehene.
• Rücktrittsforderungen will er nicht nachgeben.
Hamburgs Erster Bürgermeister lehnt nach den G-20-Ausschreitungen einen Rücktritt weiterhin ab. "Diesen Triumph werde ich den gewalttätigen Extremisten nicht gönnen", sagte Olaf Scholz (SPD) demStern in einem Interview. Jetzt gehe es darum, mit aller Konsequenz gegen die Straftäter vorzugehen. "Die Strafen setzen die Gerichte fest", erklärte der Erste Bürgermeister. "Ich hoffe, es werden harte sein."
Nach den gewaltsamen Krawallen am Rande des G-20-Gipfels am 7. und 8. Juli in Hamburg wurde Kritik an Polizei und politisch Verantwortlichen laut. Zu spät habe die Polizei in der Nacht zum Samstag bei Zerstörungen und Plünderungen von Geschäften im Schanzenviertel eingegriffen, hieß es. Einige forderten den Rücktritt von Scholz.
Hamburgs Erster Bürgermeister räumte im Stern ein, dass die Situation, als die Ausschreitungen im Schanzenviertel ihren Höhepunkt erreicht hatten und die Polizei mehrere Stunden lang nicht eingriff, "für uns alle schwer erträglich" gewesen sei. "Ja, ich schäme mich für das, was passiert ist", sagte er dem Magazin.

"Der Staat hat nicht versagt"

Dennoch bestritt Scholz, dass die staatlichen und polizeilichen Behörden die Kontrolle über die Lage verloren hatten. "Der Staat hat nicht versagt." Es seien auch nicht zu wenig Polizisten in der Stadt gewesen. "Die Polizei hat getan, was getan werden konnte, um einen sicheren Ablauf des Gipfels in der Stadt zu gewährleisten", sagte er. Gerade deshalb sei es so sehr bitter, dass man nicht vermeiden konnte, was am Ende passiert sei.
Die Polizei habe es mit skrupellosen und völlig enthemmten Gewalttätern zu tun gehabt. Der Bürgermeister verteidigte die Entscheidung, den Gipfel in Hamburg stattfinden zu lassen. Kurz vor dem Gipfeltreffen habe es noch einmal ein Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Chefs aller Sicherheitsbehörden gegeben. "Niemand von denen hat gewarnt, der Gipfel könne in Hamburg nicht stattfinden", sagte Scholz. Es seien im Gegenteil alle von der Professionalität der Vorbereitungen beeindruckt gewesen.
Es könne nicht sein, dass ein Mob skrupelloser Extremisten bestimme, ob und wo solche Treffen stattfinden, sagte Scholz. "Das dürfen wir uns als Bürgergesellschaft nicht gefallen lassen, der Mob darf nicht gewinnen." Während des Gipfeltreffens der 20 großen Industrie- und Schwellenländer in der Hansestadt hatte es mehrfach schwere Krawalle gegeben. Fast 500 Beamte und Dutzende Demonstranten wurden verletzt.

Scholz gibt Regierungserklärung zu G20-Krawallen ab


12. Juli 2017


Nach den Ausschreitungen beim G20-Gipfel wird Hamburgs Bürgermeister Scholz heute ausführlich Stellung beziehen. Der SPD-Politiker steht seit Tagen unter Druck. Auch in der Berliner Koalition sorgt das Thema für Ärger.
© picture-alliance/dpa/C. Charisius Bis vor Kurzem galt Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (Artikelbild) innerhalb der SPD als Hoffnungsträger für höhere Aufgaben. Nach den schweren Krawallen beim G20-Gipfel in der Hansestadt steht er nun aber massiv unter Druck. In einer Regierungserklärung will das Stadtoberhaupt heute Stellung beziehen. Es wird damit gerechnet, dass sich der SPD-Bundesvize in der Bürgerschaft zu seiner persönlichen Verantwortung und zum Polizeieinsatz während des Gipfels äußert - und sich auch mit der Rolle des autonomen Zentrums Roten Flora befasst. In dessen Umfeld war es während der Gipfeltage zu Plünderungen, Brandstiftungen und anderen schweren Gewalttaten gekommen.
Aus den Reihen der Hamburger Opposition wurde bereits der Rücktritt des Bürgermeisters gefordert. Scholz wird vorgeworfen, er habe die Gefahren unterschätzt, verharmlos und nicht ausreichend für Sicherheit gesorgt. Vor dem G20-Gipfel hatte er den Bürgern eine Sicherheitsgarantie gegeben. Tatsächlich wurden bei schweren Ausschreitungen 476 Polizisten verletzt, Autos gingen in Flammen auf, Straßenzüge wurden verwüstet.
Gabriel attackiert die CDU
Bislang wies Scholz jede Rücktrittsforderung zurück. "Diesen Triumph werde ich den gewalttätigen Extremisten nicht gönnen", sagte er dem Magazin "Stern". Während die Hamburger CDU den Rücktritt forderte, schloss sich die Bundes-CDU dem ausdrücklich nicht an. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) nahm dies zum Anlass, um die CDU zu attackieren. Der frühere SPD-Chef warf der Union vor, ein "doppelzüngiges Schwarze-Peter-Spiel" zu betreiben. Dies sei "infamer und böser Wahlkampf", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Union zeige "ein bisher nicht gekanntes Maß an Verlogenheit". Wer den Rückzug von Scholz fordere, der müsse auch Merkels Rücktritt verlangen. Merkel trage die Verantwortung für die Wahl des Gipfelorts. Sie habe damit das "heimliche Ziel" der Selbstinszenierung kurz vor der Bundestagswahl verfolgt.


"Ich bin froh, dass kein Mensch ums Leben gekommen ist"




Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD)© dpa Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD)
In einer überraschend emotionalen Regierungserklärung hat sich Hamburgs Bürgermeister Scholz für die Gewalt beim G-20-Gipfel entschuldigt. Jetzt dürfe man nicht kapitulieren – sondern müsse entschlossen kämpfen.
Vier Tage nach Ende des G-20-Gipfels hat sich Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) in seiner mit Spannung erwarteten Regierungserklärung entschuldigt. Scholz sagte, es sei trotz aller Vorbereitungen nicht durchweg gelungen, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. "Das Erlebte sitzt uns allen noch in den Knochen", sagte er. "Dafür, dass das geschehen ist, bitte ich die Hamburgerinnen und Hamburger um Entschuldigung."
Er fühle sich als Bürgermeister für die Sicherheit der Hamburger verantwortlich. Im Nachhinein sei klar, dass die Sicherheitsbemühungen nicht gereicht hätten, um einer neuen Dimension der Gewalt Herr zu werden und Straftaten zu vereiteln. "Wir konnten am vergangenen Wochenende erleben, was die geradezu militärisch operierenden Gewalttäter von den bunten Strukturen einer offenen Gesellschaft halten: Sie nutzen Offenheit und Solidarität, solange sie ihnen Deckung geben, zerstören aber alles, was in den Weg kommt, wenn es provokante Bilder schafft oder der persönlichen Bereicherung dient." Er sei "froh, dass kein Mensch ums Leben gekommen ist".
Es dürfe nicht bei Wut und Fassungslosigkeit über die Gewalttaten am Rande des Gipfels bleiben, sagte Scholz: "Wir müssen die Täter bestrafen." Und weiter: "Wir werden uns von Gewalttätern nicht erpressen lassen." Denn es sei zu bedenken: "Was wäre, wenn Salafisten den nächsten Kirchentag bedrohen? Was wäre, wenn Neonazis gegen den Christopher Street Day Randale ankündigen? Sollen wir dann immer klein beigeben und uns der Gewalt beugen?"
Taten nicht verharmlosen
Für Scholz ist klar, wer die Schuld an den Ausschreitungen trägt. "Verantwortlich für die Gewalttaten sind einzig und allein jene Straftäter, die mit einer unglaublichen Rücksichtslosigkeit und massiver krimineller Energie diese schweren Straftaten begangen haben."
Aber zur Wahrheit gehöre auch: "Eine Mitverantwortung trifft auch jene, die – aus welchen Gründen auch immer – solche Taten verharmlosen, Verständnis für zerstörerisches Tun aufbringen und es sogar als politisches Handeln rechtfertigen."
Dazu zähle auch, wer zu Demonstrationen aufrufe und dabei eindeutig auf eine Beteiligung des Schwarzen Blocks ziele. "Ich jedenfalls finde es unerträglich, dass sich sogar Mitglieder der Bürgerschaft bei Demonstrationen mit denen unterhaken, die am Abend vorher ganze Straßenzüge verwüstet haben."
Harte Worte für die Rote Flora
Scholz ging auch auf die Rote Flora ein. Was in den letzten Tagen aus dem linksautonomen Kulturzentrum zu hören gewesen sei, "ist beschämend und menschenverachtend und einer Demokratie nicht würdig". Wer nach den Ausschreitungen völlig unangemessen versuche, zwischen guter und böser Gewalt zu unterscheiden, mache sich mitschuldig und könne sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen. "Und wer davon quatscht, dass man diese Militanz doch bitte nicht in der Schanze, sondern in Pöseldorf oder Blankenese ausleben sollte, der muss sich nicht wundern, wenn man ihn einen geistigen Brandstifter nennt."
Was unter dem Deckmantel des Demonstrationsrechts passiert sei, habe "mit dem Geist des Grundgesetzes und einer friedlichen Protestkultur nichts, aber auch gar nichts zu tun", sagte Scholz weiter. "Wer dagegen daherredet, dass die Polizei mit ihrer klaren Linie die Demokratie gefährdet, der hat vergessen, dass zur Demokratie auch der Rechtsstaat gehört, dessen Regeln nicht beliebig sind."
Lob für "heldenhafte" Polizisten
Gleichzeitig bedankte sich der Erste Bürgermeister bei Polizisten, Rettungskräften und den Hamburgern. "Aufarbeitung sollte getragen sein von Überzeugung, dass sich Polizisten hochprofessionell und heldenhaft eingesetzt haben für unsere Stadt. Die Polizei hat herausragende Arbeit geleistet" – und das "bis zur Erschöpfung".
Zahlreiche Bürger hätten den verletzten Polizisten Zuspruch und Dankbarkeit ausgedrückt, Tausende hätten gleich am Sonntag angepackt, "um die betroffenen Stadtteile von den Spuren der Verwüstungen zu befreien".
Trotzdem sei Scholz davon überzeugt, dass es der Gipfel wert gewesen sei. "Meine Überzeugung bleibt es, dass jedes direkte Gespräch zwischen Regierungen nötig ist. Ich stehe dafür, dass man sich nicht aus der staatspolitischen Verantwortung stehlen darf nur wegen der Herausforderungen, vor denen man dadurch steht."

******************************************* 
Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen sind unter Ausnahmezustand (Begriffsklärung) aufgeführt.
Als Ausnahmezustand wird ein Zustand bezeichnet, in dem die Existenz des Staates oder die Erfüllung von staatlichen Grundfunktionen von einer maßgeblichen Instanz als akut bedroht erachtet werden.
Verwandte Begriffe sind Staatsnotstand, Verfassungsnotstand, Status Necessitatis, Notstandsrecht, Notstandsdiktatur, Kriegsrecht oder Belagerungszustand.

Charakteristika

Um der Bedrohung („Störung der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung“) zu begegnen, werden außerordentliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergriffen. Statt der ordentlichen Verfassung gilt dann eine „Notstandsklausel“.
Die Regelungen des Notstandsrechts können entweder intrakonstitutioneller oder extrakonstitutioneller Art sein. Im ersten Fall sieht die Verfassung selbst vor, dass in Notzeiten von ihr abgewichen werden darf, im zweiten Fall werden zur Behebung eines Notstandes Maßnahmen ergriffen, die nicht in der Verfassung vorgesehen sind. Viele moderne Staatsverfassungen treffen explizite Regelungen für den Fall des Ausnahmezustandes, einige jedoch nicht. So sieht die Schweiz z. B. kein intrakonstitutionelles Notstandsrecht vor. Eine theoretische Frage ist es, ob das extralegale Notstandsrecht auch dann existiert, wenn eine positive Normierung des Ausnahmefalles vorliegt.
Während sich der Ausnahmezustand zunächst auf äußere Gefahren beschränkte – man sprach historisch auch von Belagerungszustand oder Kriegsrecht –, bezogen sich entsprechende Regelungen zunehmend auch auf innere Notlagen, also Aufstände, Bürgerkriege oder Naturkatastrophen. Der Ausnahmezustand emanzipierte sich gewissermaßen von der Kriegssituation, an die er ursprünglich gebunden war, und wurde zunehmend als außergewöhnliche Polizeimaßnahme bei inneren Unruhen und Aufständen angewendet. Zuletzt wurde der Notstandsbegriff sogar auf wirtschaftliche Krisen ausgeweitet, so zum Beispiel in der Weimarer Republik, als Notverordnungen nach dem Notstandsartikel 48 der Weimarer Reichsverfassung zum Zweck der „Sicherung von Wirtschaft und Finanzen“ erlassen wurden.
Im Ausnahmezustand werden zeitweilig die Verfassung oder einzelne ihrer Bestimmungen außer Kraft gesetzt, wobei eine Kompetenzverlagerung von der Legislative auf die Exekutive und – in Bundesstaaten – von den Gliedstaaten auf den Bund stattfindet. Außerdem werden gewisse Grundrechte eingeschränkt oder vorübergehend außer Kraft gesetzt (z. B. Wirtschaftsfreiheit, Pressefreiheit, Postgeheimnis, Schutz der Wohnung). Ein weiteres Merkmal ist der Einsatz der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr im Rahmen des Ausnahmezustands. Häufig wird auch eine Befugnis zu Erlassen oder Notverordnungen erteilt, die Gesetzeskraft haben. Einer der wesentlichen Züge des Ausnahmezustands ist somit die vorübergehende Aufhebung der Gewaltenteilung im Sinne einer effektiven Regierungspraxis. Die Beendigung des Ausnahmezustands erfolgt häufig auf dem Weg eines formellen Gesetzes, das auch die Rechtsfolgen der während des Ausnahmezustandes getroffenen Entscheidungen regelt.
Die Entscheidung über den Ausnahmezustand gilt als staatsleitender Akt.

Begriff

Das Ausnahmerecht, oft in Anlehnung an das römische Recht auch als „Diktatur“ bezeichnet, ist ein Begriff mit einer paradoxen Struktur: Der Schutzgegenstand wird angegriffen, um ihn vor einer Gefahr zu bewahren: „Die Diktatur ist in ihrem innersten Wesen selber eine Verfassungsanomalie. Es ist die eigentümliche Dialektik der Einrichtung, dass sie das, was sie schützen soll, eben um es zu schützen, angreifen ’muss’, folglich auch – im Rahmen des Diktaturzwecks – angreifen darf.“ (Heinrich Triepel).
Darin besteht die Aporie, dass die Sondermaßnahmen, die für die Verteidigung der demokratischen Verfassung in Anspruch genommen werden, dieselben sind, die zu ihrer Zerstörung benutzt werden können:
„Es gibt keine institutionelle Rettung, die garantieren könnte, dass die Vollmachten […] wirklich zu dem Ziel angewandt werden, die Verfassung zu retten. Sicherstellen kann dies allein die Entschlossenheit des Volks, zu überprüfen, ob sie diesem Ziel dienen. […] Die quasidiktatorischen Vorkehrungen der modernen Verfassungssysteme […] können eine wirksame Kontrolle der Machtkonzentration nicht leisten. Daraus folgt, dass alle diese Institutionen Gefahr laufen, sich in totalitäre Systeme zu verwandeln, wenn sich die Bedingungen dafür als günstig erweisen.“
Ausnahmezustand wird daher oft mit dem Begriff des Notstands gleichgesetzt, was auf die „Not“ rekurriert, der nachgesagt wird, sie kenne kein Gesetz: „Si propter necessitatem aliquid fit, illud licite fit: quia quod non est liticium in lege, necessitas facit licitum. Item necessitas legem non habet.“ („Wenn etwas aus Not geschieht, geschieht es legitimerweise, da Not, was nach dem Gesetz nicht legitim ist, legitimiert. Desgleichen gilt: Not kennt kein Gesetz.“) (Gratian) So sagt etwa Clinton Rossiter: „Da die demokratische Regierungsform mit ihrem komplexen Gleichgewicht der Kräfte für ein Funktionieren unter normalen Umständen konzipiert ist, muss die verfassungsmäßige Regierung in Krisenzeiten verändert werden nach Maßgabe des Notwendigen, um die Gefahr zu bannen und den Normalzustand wiederherzustellen.“

Theorie

Dieser Artikel oder nachfolgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen (beispielsweise Einzelnachweisen) ausgestattet. Die fraglichen Angaben werden daher möglicherweise demnächst entfernt. Bitte hilf der Wikipedia, indem du die Angaben recherchierst und gute Belege einfügst.
Eine kanonische Theorie des Ausnahmezustands gibt es im öffentlichen Recht nicht. Erst spät erschienen überhaupt monographische theoretische Auseinandersetzungen mit dem Thema. Eine erste Theorie des Ausnahmezustandes legte Carl Schmitt vor („Die Diktatur“, 1921 und „Politische Theologie“, 1922). Weitere Untersuchungen folgten: Herbert Tingsten („Les pleins pouvoirs“, 1934), Frederick M. Watkins („The Problem of Constitutional Dictatorship“, 1940), Carl J. Friedrich („Constitutional Government and Democracy“, 1941), Clinton L. Rossiter („Constitutional Dictatorship“, 1948). Zuletzt unterzog Giorgio Agamben die entsprechenden theoretischen Ansätze einer Kritik („Ausnahmezustand“, 2004). Arbeiten zum Thema sind heute aber noch immer selten (siehe auch: Peter Blomeyer: Der Notstand in den letzten Jahren von Weimar, 1999).
Das Problem einer Theorie des Ausnahmezustands ist die Frage, wie eine Anomie in die Rechtsordnung eingeschrieben sein kann: „Wenn das Eigentümliche des Ausnahmezustands die (totale oder partielle) Suspendierung der Rechtsordnung ist, wie kann dann eine solche Suspendierung noch in der Rechtsordnung enthalten sein?“ (G. Agamben).
Nach Schmitt erschöpft sich Recht nicht im Gesetz. Die Anwendung des Rechts wird suspendiert, das Gesetz als solches bleibt aber in Kraft. Der Ausnahmezustand scheidet die Norm von ihrer Anwendung, um Letztere zu ermöglichen. Hierin zeigt sich für Schmitt auch die unreduzierbare Differenz von Staat und Recht, da im Ausnahmezustand der Staat bestehen bleibt, während das Recht zurücktritt. Da der Ausnahmezustand nicht Anarchie oder Chaos ist, besteht nach Schmitt im juristischen Sinne immer noch eine Ordnung, wenn auch keine Rechtsordnung. Schmitts Theorie will also eine Verbindung zwischen Ausnahmezustand und Rechtsordnung herstellen. Der Faktor, der es erlaubt, den Ausnahmezustand in der Rechtsordnung zu verankern, sei die Unterscheidung von „pouvoir constituant“ (konstituierende Gewalt) und „pouvoir constitué“ (konstituierte Gewalt) bzw. die Unterscheidung von „Norm“ und „Entscheidung“. Durch den Souverän, der über den Ausnahmezustand entscheiden kann, ist dessen Verankerung in der Rechtsnorm garantiert. Der Souverän steht außerhalb der normal geltenden Rechtsordnung und gehört doch zu ihr, denn er ist zuständig für die Entscheidung, ob die Verfassung in toto suspendiert werden kann. Es ist somit die „topologische Struktur des Ausnahmezustands“, „außerhalb der Rechtsordnung zu stehen und doch zu ihr zu gehören“. Souverän ist nach Schmitts berühmter Definition dabei, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Hierbei ist Souveränität aber als letzte, nicht appellative Entscheidung verstanden und nicht, wie an anderer Stelle, als höchste, nicht abgeleitete Staatsgewalt. Hier laufen bei Schmitt zwei Souveränitätsbegriffe parallel, was sich allein daran zeigt, dass der pouvoir constituant zwar für ihn souverän ist, nicht aber über den Ausnahmezustand entscheiden kann. Dennoch ist es ein souveräner Akt, wenn ein pouvoir constitué per Entscheidung eine Verfassung suspendiert. Was Schmitt hier interessiert, ist dieses Element der Dezision, das sich im Akt der Entscheidung außerhalb der Rechtsordnung stellt und doch an diese gebunden bleibt, da die Wiederherstellung dieser Rechtsordnung einziger Auftrag ist.
Schmitt – und mit ihm auch die späteren Theoretiker – unterschied zwei wesentliche Ausprägungen der Diktatur. Die kommissarische und die souveräne (bei C.J. Friedrich lautet die Unterscheidung etwa „verfassungsmäßige“ und nicht „nichtverfassungsmäßige Diktatur“).
  • Kommissarische Diktatur: Der Diktator ist von rechtlichen Schranken befreit, aber an den Diktaturzweck gebunden, die geltende Verfassung zu verteidigen oder wiederherzustellen (siehe auch Schmitt: „Der Hüter der Verfassung“). Die kommissarische Diktatur hebt die Verfassung in concreto auf, um ihren konkreten Bestand zu schützen. Sie hat die Funktion, einen Zustand zu schaffen, in dem das Recht verwirklicht werden kann: „In seiner absoluten Gestalt ist der Ausnahmezustand dann eingetreten, wenn erst die Situation geschaffen werden muss, in der Rechtssätze gelten können“ (C. Schmitt). Die kommissarische Diktatur ist die typische rechtsstaatliche Regelung des Ausnahmezustands, da sowohl Voraussetzung wie Inhalt der diktatorischen Befugnisse tatbestandsmäßig umschrieben und aufgezählt werden. Im Rechtsstaat werden in Form der Verfassung alle staatlichen Funktionen in Zuständigkeiten abgegrenzt, um die staatliche Allmacht in einem System von Kompetenzen zu regulieren. So kann die Fülle der Staatsgewalt niemals in unvermittelter Konzentration auftreten. Die Diktaturgewalt ist hier also an einen definierten Auftrag (Kommission) gebunden.
  • Souveräne Diktatur: Die souveräne Form der Diktatur äußert sich darin, dass der Diktator nicht an die suspendierte Verfassung gebunden ist, sondern eine neue, präferierte Ordnung etablieren möchte. Hier kann es sich entweder um den souveränen Fürsten handeln, dessen souveräne Macht nie ganz durch die Sphäre der Verfassung eingegrenzt wird, oder – in der demokratischen Variante – durch die verfassunggebende Gewalt (Pouvoir Constituant) einer direkt gewählten Nationalversammlung. Dieser Pouvoir Constituant begründet die äußerste Form des Ausnahmezustands. Auch das Dritte Reich, gestützt auf eine sog. Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, war eine souveräne Diktatur, da die Verfassung zwar formal in Geltung blieb, die Notverordnung aber nie aufgehoben wurde. Damit war das Dritte Reich gewissermaßen ein „Ausnahmezustand in Permanenz“ (Allan Bullock).
Die jüngste theoretische Auseinandersetzung mit dem Ausnahmezustand stammt – im Rahmen des Homo-Sacer-Projekts – von Giorgio Agamben. Er stützt sich auf die vorgenannten Theoretiker, will ihnen aber eine eigene Deutung gegenüberstellen. Für ihn ist die Ausnahme ein Schwellwert der existierenden Rechtsordnung: „In Wahrheit steht der Ausnahmezustand weder außerhalb der Rechtsordnung, noch ist er ihr immanent, und das Problem seiner Definition betrifft genau eine Schwelle oder eine Zone der Unbestimmtheit, in der innen und außen einander nicht ausschließen, sondern sich un-bestimmen. Die Suspendierung der Norm bedeutet nicht ihre Abschaffung, und die Zone der Anomie, die sie einrichtet, ist nicht ohne Bezug zur Rechtsordnung.“ (G. Agamben). Diese Deutung bezieht sich auf das römische Institut des „Justitiums“ – des vorübergehenden „Rechtstillstands“, in dem alle Rechtsorgane ihre Tätigkeit einstellten und es verboten war, private Geschäfte zu tätigen – und radikalisiert damit die bisherigen Theorien des Ausnahmezustandes.
Siehe auch: Brett des Karneades

Geschichte

Römisches Reich

In der römischen Republik gab es allein drei Arten des Ausnahmezustands:
  • Das älteste Mittel war die Diktatur, eine auf ein halbes Jahr befristete Übertragung aller staatlichen Gewalt auf einen Einzigen. In der klassischen Republik wurde sie vor allem dann eingesetzt, wenn beide Konsuln gefallen waren. Nachdem diese Institution von Caesar entfristet und zur persönlichen Machtkonzentration missbraucht worden war, wurde sie abgeschafft.
  • Das senatus consultum ultimum, der „letzte Senatsbeschluss“, wurde erstmals im Jahr 121 v. Chr. gegen Gaius Sempronius Gracchus gefasst: Der Senat beauftragte die Konsuln, alles zu tun, damit der Staat keinen Schaden nehme. Damit wurde das Verbot der Hinrichtung römischer Bürger außer Kraft gesetzt, doch wurde die Legitimität dieses Staatsnotstands von den Popularen stets bestritten.
  • Das zweite Triumvirat, in dem im Jahre 43 v. Chr. Octavian, Marcus Antonius und Marcus Aemilius Lepidus durch ein Gesetz auf zunächst fünf Jahre diktatorische Vollmachten „zur Wiederherstellung des Staates“ zugeschrieben bekamen, diente in Wirklichkeit allein der persönlichen Machtsteigerung der drei Protagonisten in der Endphase der römischen Bürgerkriege. Es war eine verfassungspolitische Verlegenheitslösung, da der eigentliche Ausnahmezustand der römischen Republik, die Diktatur, gerade abgeschafft worden war.

Frühe Neuzeit

In der Frühen Neuzeit wurde der Ausnahmezustand in vielen europäischen Staaten zur Zerschlagung verfassungsmäßiger Ordnungen und zur Aufrichtung des Absolutismus benutzt. Die Könige und Fürsten verwendeten hier den Begriff der „Nezessität“, der unabweislichen Notwendigkeit, ihre absolute Souveränität über die Privilegien der alten Stände durchzusetzen. Dabei hatten sie auch plausible Gründe: Mit der Durchsetzung ihres Gewaltmonopols mit Hilfe der neuen Einrichtung stehender Heere beendeten sie neben dem blutigen Chaos der Religionskriege, wie es sich in Frankreich und im Deutschland des Dreißigjährigen Kriegs gezeigt hatte, gleichzeitig aber auch die noch im Lehnswesen wurzelnden „Libertäten“, die alten Freiheitsrechte der Städte, Ritter und der anderen spätmittelalterlichen Stände.

Deutsches Kaiserreich

In der bismarckschen Reichsverfassung von 1871 hieß es in Art. 68: „Der Kaiser kann, wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiete bedroht ist, einen jeden Teil desselben in Kriegszustand erklären.“ Zur Bestimmung der Modalitäten wurde auf das preußische Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851 verwiesen, nachdem im „Fall eines Aufruhrs […], bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit, der Belagerungszustand sowohl in Kriegs- als in Friedenszeiten erklärt werden“ konnte. Auch ohne diesen Belagerungszustand war die Reichsleitung ermächtigt im Falle des Krieges oder Aufruhrs, bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit eine ganze Reihe von Grundrechten außer Kraft zu setzen. Auf diesen sehr weit gehenden Ausnahmerechten basierten die Gesetze Bismarcks gegen die vermeintlichen Reichsfeinde, nämlich das Jesuitengesetz von 1872 und das Sozialistengesetz von 1878.

Weimarer Republik

Die berühmteste Regelung des Staatsnotstands in der deutschen Geschichte ist der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung. In den frühen Krisenjahren der Weimarer Republik wurde von Reichspräsident Friedrich Ebert auf seiner Grundlage Notverordnungen erlassen, zum großen Teil um echte Krisen zu beheben (zum Teil aber auch, weil die im Reichstag vertretenen Parteien die Verantwortung für unpopuläre Sparmaßnahmen im Zusammenhang mit der Rückkehr zum Goldstandard 1923/1924 scheuten). Eberts Nachfolger Hindenburg versuchte aus dem Notstandsartikel dann ein Instrument der Verfassungsreform zu machen: Er sorgte im März 1930 dafür, dass das Kabinett Hermann Müller (SPD), die letzte Regierung der Weimarer Republik, die sich auf eine parlamentarische Mehrheit stützen konnte, selbst aber bereits auch von den Vollmachten des Artikels 48 Gebrauch gemacht hatte, gestürzt wurde, um unter Heinrich Brüning (Zentrumspartei) ein antiparlamentarisches „Präsidialkabinett“ zu installieren. Da nach Artikel 48 aber der Reichstag die Notverordnungen aufheben durfte und das im Juli 1930 auch tat, löste Hindenburg den Reichstag auf. In der Folge wurden die Nationalsozialisten zweitstärkste Partei, was wiederum Kreditabzüge aus dem Ausland zur Folge hatte, die die beginnende Weltwirtschaftskrise empfindlich verstärkte; Hindenburgs Notverordnungspolitik hatte also den Staatsnotstand mit herbeigeführt, den sie doch vorgab zu bekämpfen. Bis zum Sturz Brünings im Mai 1932 wurde Deutschland mit Notverordnungen regiert, gegen deren Aufhebung die SPD immer stimmte, um eine weitere Radikalisierung bei weiteren Neuwahlen zu verhindern. Dies traf nach Brünings Sturz auch tatsächlich ein, bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932: Von nun an konnte nicht einmal mehr mit dem Artikel 48 regiert werden, da die beiden Randparteien KPD und NSDAP jetzt zusammen die absolute Mehrheit hatten und jede Notverordnung sofort aufheben konnten. Der Staatsnotstand hatte sich noch verschärft.
Pläne, den Reichstag aufzulösen und ihn in diesem echten Fall eines übergesetzlichen Notstands bis zum Abklingen der Wirtschaftskrise nicht wiederwählen zu lassen, lehnte Hindenburg aus Furcht vor dem offenen Verfassungsbruch und einem Bürgerkrieg ab. Stattdessen ernannte er mit Hitler den Führer der stärksten Partei zum Reichskanzler und suspendierte mit der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 wesentliche Bürgerrechte. Hitler nutzte die Verordnung, um im Wahlkampf zur Reichstagswahl am 5. März 1933 seine politischen Gegner zu unterdrücken. Am 24. März setzte der Reichstag gegen die Stimmen der SPD mit dem Ermächtigungsgesetz, das bezeichnenderweise offiziell „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ hieß, die letzten Reste der Weimarer Reichsverfassung faktisch außer Kraft.

Österreich-Ungarn

Am 15. Dezember 1883 wurde der Polizeikonzipist Franz Hlubek von Anton Kammerer und am 25. Januar 1884 der Polizeidetektiv Ferdinand Blöch von Hermann Stellmacher aus politischen Gründen ermordet. Als Reaktion verhängte das Parlament von Cisleithanien am 30. Januar 1884 den Ausnahmezustand über Teile von Wien und die niederösterreichischen von Arbeitern bewohnten Bezirke Korneuburg und 1885 auch über Wiener Neustadt, da eine Ausweitung anarchistischer Tätigkeiten befürchtet wurde.[1] In der Folge wurden der Polizei weitreichende Vollmachten zum Verbot von Zeitschriften und Vereinen (insbesondere sozialistischen) erteilt. Zahlreiche Verhaftungen und Ausweisungen (z. B. von Josef Hybeš) folgten.[2] Der Ausnahmezustand wurde 1890 gelockert, sodass sozialistische Vereinigungen wieder zugelassen wurden, und endete am 8. Juni 1891.[3]

Staaten mit aktuellen Ausnahmezuständen (landesweit)

Frankreich

In Frankreich gilt derzeit ein landesweiter Ausnahmezustand bis zum 15. Juli 2017.[4] Nur Stunden vor dem Anschlag in Nizza am 14. Juli 2016 war verkündet worden, dass der Ausnahmezustand, der am 26. Juli ausgelaufen wäre, nicht mehr verlängert werden solle.[5] Infolge der Geschehnisse in Südfrankreich wurde er stattdessen am 20. Juli um sechs Monate bis Ende Januar 2017 verlängert,[6] sowie zuletzt Mitte Dezember 2016 bis zum 15. Juli 2017.[7]

Türkei

Fünf Tage nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 wurde ein landesweiter Ausnahmezustand für die Dauer von 3 Monaten ausgerufen. Dies war der erste Ausnahmezustand seit Ausrufung der Republik im Jahr 1923.

Vereinigte Staaten von Amerika

Die Vereinigten Staaten erklärten den nationalen Ausnahmezustand als Reaktion auf die Terroranschlägen am 11. September 2001. Die Notstandserklärung wurde seitdem wiederholt vom Präsidenten verlängert.[8][9]

Äthiopien

Nach lang andauernden Protesten gegen die Regierung, rief diese am 9. Oktober 2016 einen sechsmonatigen Ausnahmezustand aus.[10] Die Regierung ließ daraufhin über 1500 Menschen inhaftieren,[11] woraufhin der Unmut in der Bevölkerung anstieg. Der Notstand beschränkt die Bürgerrechte in Äthiopien deutlich.

Aktuell gültige Notstandsbestimmungen

DACHlastige Artikel Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland, Österreich und der Schweiz dar. Hilf mit, die Situation in anderen Staaten zu schildern.

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erwähnt den Begriff Ausnahmezustand nicht explizit. Von 1949 bis 1968 wurde vom Verfassungsgesetzgeber vollständig auf Notstandsgesetze verzichtet. Da entsprechend dem Deutschlandvertrag gewisse Vorrechte der Alliierten in Kraft blieben, welche im Fall eines Notstands die Regierungsgewalt in der Bundesrepublik wieder übernommen hätten, verabschiedete erst die Große Koalition am 24. Juni 1968 gegen den zum Teil militanten Widerstand der APO ein „Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“ („Notstandsgesetze“). Danach können in bestimmten, genau definierten Fällen einer inneren oder äußeren Bedrohung unter anderem die Bundeswehr auch im Innern eingesetzt, die legislativen Funktionen von Bundestag und Bundesrat von dem „Gemeinsamen Ausschuss“ übernommen werden und sogar einige Grundrechte eingeschränkt werden, ohne dass der Rechtsweg offensteht. Kritiker sahen in der Notstandsgesetzgebung eine große Gefahr für die Demokratie.
Im November 2003 hat die Bundesregierung Änderungen im wirtschaftlichen Teil (Wirtschaftssicherstellungsgesetz, WiSiV) der Notstandsgesetze beschlossen, die ohne öffentliche Debatte im Bundestag am 12. August 2004 formell erlassen wurden.

Notbestimmungen der Österreichischen Bundesverfassung

Die Österreichische Bundesverfassung sieht für außerordentliche Umstände – Notbestimmungen der Österreichischen Bundesverfassung – den Einsatz des Österreichischen Bundesheeres, ein Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten, ein Notverordnungsrecht der Landesregierung sowie der Übernahme bestimmter Angelegenheiten der unmittelbaren Bundesverwaltung durch den Landeshauptmann vor.

Notrecht in der Schweiz

Gemäß Art. 185 der schweizerischen Bundesverfassung kann der Bundesrat zur Wahrung der äußeren oder inneren Sicherheit (letzteres wird als Bundesintervention bzw. Bundesexekution bezeichnet) für drei Wochen in eigener Kompetenz bis 4.000 Armee-Angehörige aufbieten. Für eine höhere Anzahl oder einen längeren Einsatz muss das Parlament einberufen werden. Für Einsätze im Innern gilt das Subsidiaritäts-Prinzip: Es muss zunächst versucht werden, die Unruhen mit Hilfe kantonaler Polizeiorgane zu bewältigen.

État d’urgence in Frankreich

In Frankreich kann der Ausnahmezustand (État d’urgence) laut Gesetz vom Präsidenten ausgerufen werden, „für den Fall unmittelbarer Gefahr durch schwere Gefährdungen der öffentlichen Ordnung“ oder „für den Fall von Ereignissen, die durch ihre Art und ihre Schwere den Charakter einer öffentlichen Katastrophe darstellen“. Der Staat kann Ausgangssperren verhängen und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist möglich. Wohnungsdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss sind ebenso möglich wie Hausarrest für Menschen, deren „Aktivität“ als „gefährlich für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung“ angesehen wird. Außerdem können die Behörden Versammlungsverbote verhängen und Konzertsäle sowie Kinos schließen lassen. Der Ausnahmezustand kann zunächst für höchstens zwölf Tage verhängt werden. Eine Verlängerung darüber hinaus muss durch ein Gesetz gebilligt werden. Das Gesetz, das den Ausnahmezustand regelt, wurde 1955 mit Beginn des Algerienkrieges beschlossen. Nach dessen Ende wurde der Ausnahmezustand in Frankreich drei weitere Male verhängt: 1985 im Rahmen der Unruhen durch die Unabhängigkeitsbewegung der zu Frankreich gehörenden Inselgruppe Neukaledonien, nach den Unruhen 2005 und nach den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris.[12]

***************

ZUR ERINNERUNG

G8-Gipfel in Genua 2001


Teilnehmer des G8-Gipfels im Juli 2001
Der G8-Gipfel in Genua war ein Treffen der Gruppe der Acht in der italienischen Stadt Genua. Der insgesamt 27. G8-Gipfel fand vom 18. bis zum 22. Juli 2001 statt. Er wurde von schweren Auseinandersetzungen zwischen der italienischen Polizei und Globalisierungskritikern, bei denen Carlo Giuliani von einem Polizisten erschossen und hunderte Personen verletzt wurden, überschattet. Besondere Aufmerksamkeit erregte der Einsatz von Folter und Misshandlungen seitens der italienischen Sicherheitskräfte. Die juristische Aufarbeitung dauert bis heute an.
Seit dem Gipfel und verstärkt nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 gilt gemäß dem Summit policing der Grundsatz, für G8/G20-Gipfel einen Ort zu wählen, der möglichst abgelegen ist und gut abgesichert werden kann. Laut Tony Blair soll verhindert werden, dass die publizistische Wirkung von Protesten den Gipfel in den Augen der Öffentlichkeit ruiniert.[1]

Hintergrund

Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte die G8 zum Treffen in Genua geladen. Die Staats- und Regierungschefs tagten im zentral gelegenen Palazzo Ducale. Im Vorfeld des Gipfels fand ein Treffen der Finanzminister am 7. Juli sowie eine zweitägige Konferenz der Außenminister statt, beide in Rom. Hauptthema der Konferenz waren Strategien zur Bekämpfung der Armut in der Welt.[2] Im Rahmen des Gipfels wurde der Global Fund to fight AIDS, Tuberculosis and Malaria gestiftet. Die Teilnehmer stimmten in der Aussage überein, dass eine weitere Liberalisierung des Welthandels eine wichtige Maßnahme gegen Armut sei. Kritik äußerte sich an den Vereinigten Staaten, die eine Ratifizierung des Kyoto-Protokolls weiter ablehnten.[3]

Teilnehmer

Staats- bzw. Regierungschefs der G8[4]
Kanada Kanada Jean Chrétien
Frankreich Frankreich Jacques Chirac
Deutschland Deutschland Gerhard Schröder
Italien Italien Silvio Berlusconi
Japan Japan Jun’ichirō Koizumi
Russland Russland Wladimir Putin
Vereinigtes Königreich Vereinigtes Königreich Tony Blair
Vereinigte Staaten Vereinigte Staaten George W. Bush

Gäste

Vertreter folgender Staaten und Organisationen haben an dem Gipfel teilgenommen:[5]

Proteste


Karte mit der Darstellung der Roten und der Gelben Zone in Genua sowie Details einiger Demoverläufe

Demonstranten auf dem Corso Europa, 20. Juli 2001

Brennendes Auto in der Via Montevideo, 20. Juli 2001

Angriff der Polizei auf dem Corso Torino, 20. Juli 2001

Vorbereitungen der Behörden

Aufgrund der Erfahrungen mit früheren organisierten Protesten, vor allem beim zurückliegenden EU-Gipfel in Göteborg im Juni des gleichen Jahres, wurden strenge Maßnahmen ergriffen, um „die Proteste friedlich zu halten“. Italien setzte für die Zeit des Gipfels das Schengener Abkommen außer Kraft und ließ sämtliche Grenzen lückenlos überwachen. In Genua selbst wurden 20.000 Polizisten und Carabinieri zusammengezogen. Minentaucher, Sprengstoffexperten und Terrorspezialisten wurden eingesetzt, zudem wurden Luftabwehrraketen installiert. In der Nähe des Kreuzschiffs European Vision, auf dem auch viele Politiker übernachteten, wurde die Kriegsflotte San Marco installiert.[6]
Eine Maßnahme zur Gewährleistung der Sicherheit der Gipfelteilnehmer war die Einteilung der Stadt in zwei Zonen. Eine rote Zone wurde mit vier Meter Zäunen und Containern abgeriegelt. Sie umfasste den Stadtkern und das gesamte Hafengebiet und war für die Dauer des Gipfels unter keinen Umständen betretbar. Eine weitere, gelbe Zone konnte nur mit eigens von der Stadtverwaltung ausgegebenen Ausweisen (beispielsweise für Anwohner) betreten werden.[7]
Straßen und Autobahnen wurden, teils mit Hilfe von Straßensperren (Checkpoints), kontrolliert; Hafen und Bahnhöfe wurden geschlossen, wie auch der Flughafen, auf dessen Gelände Flugabwehrraketen aufgestellt wurden. Letztere Maßnahme war gegen mögliche terroristische Anschläge gerichtet, vor denen der italienische Geheimdienst mehrfach gewarnt hatte.
Des Weiteren wurden Geräte zur Störung (Jamming) des Mobiltelefonverkehrs in Bereitschaft gehalten und sämtliche Zugänge zur Kanalisation in der Umgebung der roten Zone versiegelt.
In dieser angespannten Situation beschlossen viele Genueser ihre Geschäfte zu schließen und die Stadt zu verlassen.
Im Vorfeld des Gipfels kam es zu zahlreichen Bombenalarmen, dessen Großteil sich jedoch als Fehlmeldung erwies.[8] Eine Briefbombe verletzte einen Carabiniere[9] und eine weitere Bombe die Sekretärin des Journalisten Emilio Fede.[10]
In den Medien und von einigen Politikern wurde vor „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ gewarnt. Die italienische Regierung soll 200 Leichensäcke für den Gipfel bestellt haben. Zudem sei mit Giftgasanschlägen, Raketen-Attacken und Aids-verseuchten Blutbeuteln durch die Demonstranten zu rechnen.[7]
Zudem empfahl die Regierung Berlusconi, die Wäsche wegen des unschönen Bilds nicht aus dem Fenster zu hängen. Dem zum trotz hingen Bewohner der Stadt Unterwäsche auf.[11] Zudem wurden von der Regierung in der roten Zone Zitronen- und Orangenbäumchen aufgestellt und zum Teil mit Früchten geschmückt.[12]
Die italienische Polizei griff gegen die Globalisierungskritiker insgesamt äußerst hart durch, ließ eine große Zahl festnehmen, verletzte viele zum Teil schwer und brachte viele Demonstranten ins Bolzaneto-Gefängnis (siehe auch Bolzaneto-Prozess), in dem es zu Misshandlungen kam.[13]

Demonstrationen und weitere Geschehnisse

Während des Gipfels gab es an mehreren Tagen viele verschiedene Demonstrationen zu verschiedenen Thematiken organisiert von ca. 700 verschiedenen Gruppen. Insgesamt waren weit über 300.000 Menschen in der Stadt um gegen den Gipfel zu demonstrieren.[14] Viele Demonstranten campierten auf zu Zeltplätzen umfunktionierten Parks, während die Tute Bianche im Stadio Carlini im Viertel San Martino campierten.[15] Während des Gipfels gab es mindestens 126 Festnahmen, 500 Verletzte und einen erschossenen Demonstranten.[16] Eine weitere Demonstrantin wurde von einem Panzerwagen überrollt.[17] Die Polizei nahm 600 Demonstranten fest und brachte sie zu Gefangenensammelstellen.[18]

19. Juli

Am Donnerstag protestierten 60.000 Menschen, um für die Rechte von Migranten zu demonstrieren. Die Demonstration bestand aus antirassistischen Gruppen, Gewerkschaftern und kirchlichen Initiativen.[19][20]

20. Juli

Für den Freitag gab es verschiedene Demonstrationen mit unterschiedlichen Konzepten. Darunter waren ein Pink & Silver Block, eine Tute Bianche Demonstration, aber auch ein Treffpunkt für NGO's (wie zum Beispiel ATTAC), ein weiterer Sammelpunkt für die italienische Basisgewerkschaft Cobas und eine Demonstration von Anarchisten.[21]
Am Mittag des 20. Juli eskalierte die Situation in Genua. Der Zug der Tute Bianche und anderer linker Gruppen wurde von der Polizei mit Tränengas attackiert. Viele der 20.000 in einer schmalen Straße eingeschlossenen Menschen versuchten zu flüchten, zahlreiche andere antworteten auf die Angriffe der Carabinieri mit Steinwürfen. Auf der Via Montevideo und der Via Tolemaide wurden Autos angezündet, am Corso Torino brannte ein Einsatzfahrzeug der Carabinieri aus. Bei den Auseinandersetzungen in den Seitenstraßen wurde nahe der Piazza Alimonda der 23-jährige Carlo Giuliani von dem 20-jährigen Carabiniere Mario Placanica durch einen Kopfschuss getötet und von Filippo Cavataio, der am Steuer des Polizeiwagens saß, zweimal überrollt.[22]
Giuliani soll sich zuvor mit einem Feuerlöscher auf die Heckscheibe des Carabinierifahrzeuges zubewegt haben.[23][24][25][26] Von zwei abgegebenen Schüssen traf eine Kugel Giuliani in den Kopf.[27] Die Polizei gab später zu, während der Auseinandersetzungen weitere 15 Schüsse abgegeben zu haben.[28]
Das Sozialforum Genua, das die Protestaktionen koordinierte, forderte nach dem Tod von Carlo Giuliani auf seiner Website einen sofortigen Stopp des Gipfels. Die Polizei müsse abgezogen werden, forderte das Sozialforum weiter. Die deutsche Abteilung des Netzwerkes ATTAC kündigte an, dass am Samstag um 14 Uhr die geplante Großdemonstration in Genua wegen des Todesfalles als Trauermarsch beginnen sollte.[29]

21. Juli

Am Samstag kamen, wohl auch wegen des Todesfalls, 300.000 Menschen in die Stadt, um zu demonstrieren. Die Demonstration brauchte Stunden, um sich komplett aufzustellen. Viele Bewohner der Stadt zeigten sich solidarisch und verteilten Wasser oder spritzten, angesichts der großen Hitze, Wasser auf die Großdemonstration.[30]
Später kam es zu erneuten Auseinandersetzungen am Hafen. Am Piazzale Martin Luther King wurden Autos angezündet und gleichzeitig Banken, Autohäuser und andere Geschäfte verwüstet.[31] Es gab Verletzte und Festnahmen – darunter vier Journalisten.[32]

22. Juli

In der Nacht auf den Sonntag stürmten schwerbewaffnete Polizisten die von der Stadt Genua bereitgestellte Diaz Schule,[33][34] in der neben Indymedia eine Rechtshilfestelle für festgenommene Demonstranten und eine Erste-Hilfe-Station für Verletzte untergebracht waren. Viele Demonstranten ließen sich dort wegen Augen- und Mundreizungen nach dem immensen Tränengaseinsatz verarzten.[35] 60 Menschen mussten verletzt aus dem Gebäude getragen werden. Insgesamt wurden 73 Demonstranten verletzt.[36] 18 Stunden nach dem Überfall wurde der Staatsanwaltschaft der Sachverhalt durch die Polizei mitgeteilt.[37] Später drang die Polizei auch in die gegenüberliegende Pertini Schule ein, wo das Genua Social Forum und das Media Zentrum seinen Sitz hatte.[38] Hier waren das Indymedia-Zentrum und das Radio Gap untergebracht, das noch auf Sendung war als die Stürmung begann.[39] Anschließend kam es in Bolzaneto, in der Kaserne „Nino Bixio“ der mobilen Abteilung der Staatspolizei, zu Folter und antisemitischen Äußerungen gegenüber den festgenommenen Demonstranten.[40][41][42] Zudem wurde der Kontakt zu Anwälten verweigert.[43] Die italienischen Behörden verhängten eine Nachrichtensperre.[44]

23. Juli – 25. Juli

Menschen, die in die Bolzaneto-Kaserne verbracht wurden, markierte die Polizei mit einem roten oder grünen Filzstift. Im Gebäude kam es zu Folterungen der Gefangenen.[45] Die 228 Personen in Untersuchungshaft hatten zunächst weiterhin keinen Kontakt zu Anwälten oder Familienangehörigen. Auch Botschaftsangehörigen wurde der Kontakt verweigert. Die Verhafteten wurden von der Polizei misshandelt und verprügelt. Nach 72 Stunden bekamen die Inhaftierten den ersten Haftprüfungstermin und konnten mit Anwälten Kontakt aufnehmen. 60 Deutsche wurden am 25. Juli abgeschoben, alle Betroffenen erhielten ein 5-jähriges Einreiseverbot nach Italien.[46] Am selben Tag wurde Carlo Giuliani beigesetzt. In Italien kam es in Rom, Bologna, Neapel, Genua, Florenz und Palermo zu größeren Demonstrationen.[47] Ein Teil der Gefangenen wurde in Gefängnisse in Alessandria, Pavia, Vercelli und Voghera verbracht.[48]

Aufarbeitung

In den Tagen nach dem Gipfel fanden in zahlreichen Städten und Ländern auf der Welt Solidaritätsbekundungen statt.[49][50][51] Die deutschen Abgeordneten Annelie Buntenbach und Hans-Christian Ströbele besuchten die Inhaftierten in Italien, um mit ihnen zu sprechen.[52][53] Ströbele verglich die Vorkommnisse in Genua mit denen in ehemaligen südamerikanischen Militärdiktaturen.[54]
Der damalige Innenminister Claudio Scajola äußerte in der Öffentlichkeit, dass die Polizei „ihre Aufgabe würdevoll erfüllt“ habe. Der damalige Vizeminister Gianfranco Fini sagte, dass die Demonstranten bekommen hätten, „was sie verdienten“.[55]
Der Tod von Carlo Giuliani wird in Teilen der globalisierungskritikischen Bewegungen als Mord angesehen. Der Polizist, ein erst 20-jähriger Wehrpflichtiger, berief sich dagegen auf Notwehr und wurde in einem umstrittenen Prozess freigesprochen. Bis heute sind viele Fragen zum genauen Ablauf der Ereignisse offen. So wurde das Projektil, mit dem Giuliani erschossen wurde, nie gefunden bzw. untersucht. Dennoch behauptet die Staatsanwaltschaft, die tödliche Kugel sei von einem fliegenden Stein in der Luft abgeprallt und habe so Giuliani getroffen. Auch bleiben nach Auswertung des umfangreichen Bildmaterials Zweifel an der offiziellen Darstellung. Die Klage der Eltern und einer Schwester Giulianis vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde am 25. August 2009 abgewiesen.[56][57]
Wiederholt wurde der Verdacht geäußert, die Polizei habe verkleidete Beamte in den Schwarzen Block als Provokateure eingeschleust.[58][59] Verschiedene Augenzeugen behaupten, die Polizei sei mit großer Härte gegen friedliche Demonstranten vorgegangen, habe sich aber gegenüber dem Schwarzen Block in auffälliger Weise zurückgehalten.[59]
Die Vorgänge um den G8-Gipfel in Genua wurden von Amnesty International scharf verurteilt. Die internationale Organisation sprach von „massiven Verstößen gegen die Menschenrechte“.[60] Weiterhin sprach Amnesty von der „größten Außerkraftsetzung von demokratischen Rechten in einem westlichen Land nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs“.[61]
Die Ereignisse in der Polizeikaserne und die Gerichtsverfahren veranlassten die britische Zeitung The Guardian zu der Aussage: „Genoa tells us that when the state feels threatened, the rule of law can be suspended. Anywhere.“ (Genua sagt uns, dass, wenn der Staat sich bedroht fühlt, die Herrschaft des Gesetzes außer Kraft gesetzt werden kann – überall.)[62]
Im Jahr 2015 veröffentlichten Medien Bilder, welche den späteren griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras zeigen, wie er am Demonstrationsgeschehen teilnahm.[63]

Gerichtsverfahren

Im September 2001 kam es zu ca. 100 Razzien in ganz Italien, bei denen mindestens 60 Menschen verhaftet wurden.[64] Im Jahr 2002 wurden sechs Mitglieder der Hackergruppe Hi-tech hate verhaftet, da sie während des G8-Gipfels Seiten von Firmen gehackt hatten, darunter auch die G8-Webseite.[65] Im selben Jahr gab es weitere Hausdurchsuchungen und Festnahmen, denen 18 Monate Ermittlungen vorausgegangen waren. Gegen 42 Beschuldigte wurde ein Untersuchungsverfahren eingeleitet, 13 davon wurden nach Anti-Terror-Paragraphen im sogenannten „Cosenza-Verfahren“ angeklagt. Ihnen wurde vorgeworfen, eine „politische Verschwörung“ mit 20.000 Mitgliedern organisiert zu haben. Die Ermittlungen richteten sich damit vor allem gegen die damaligen Disobbedienti.[66]
Im Zusammenhang mit den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua wurden drei Prozesse eröffnet. Im Prozess zu den Vorfällen im Gefängnis Bolzaneto sind 45 zum Großteil hochrangige leitende Polizisten wegen Falschbeurkundung, Körperverletzung und Folterung von Demonstranten angeklagt worden.[67] Am 14. Juli 2008 sind 15 davon wegen brutalen Vorgehens gegen Demonstranten zu Gefängnisstrafen von fünf Monaten bis fünf Jahre verurteilt worden, während 30 Angeklagte freigesprochen wurden.[68] Die Höchststrafe erhielt dabei der für die Sicherheit in dem Gefängnis verantwortliche Beamte Antonio Biagio Gugliotta. Die Hauptverhandlung über polizeiliche Gewalt in der Diaz-Schule, wo viele Globalisierungsgegner übernachteten, drohte wegen besonderer Verjährungsregelungen im italienischen Recht eingestellt zu werden, da in Italien im Unterschied zu anderen europäischen Rechtssystemen die Verjährung durch ein Verfahren nicht gehemmt wird. Allein in dem Lager auf dem Gelände der Schule wurden 73 Demonstranten verletzt.[69][70][71] Der ehemalige Chef der römischen Bereitschaftspolizei, Vincenzo Canterini, äußerte nach seiner Verurteilung dass vor allem Zivilbeamte die Gewalttaten begangen hätten.[72]
Nach Bekanntwerden von Strafforderungen der Staatsanwaltschaft gegen 25 Demonstranten fanden sich am 17. November 2007 zwischen 30.000 und 50.000[73] Menschen in Genua ein, um gegen die Forderungen der Procura di Genova zu protestieren. Der Unmut wurde zum Einen von der unerwartet hohen Strafforderung (in der Summe 225 Jahre Haft für die Angeklagten) wie auch die Unregelmäßigkeiten bei den Prozessen gegen die Sicherheitsorgane und die, sechs Jahre nach den Vorfällen, immer noch ausstehende parlamentarische Untersuchungskommission hervorgerufen. Die Demonstration verlief, entgegen den Befürchtungen der bürgerlichen Presse, friedlich und ohne nennenswerte Zwischenfälle[74]. Insgesamt wurde gegen 39 Demonstranten Anklage wegen „Verwüstung und Plünderung“ erhoben.
Am Donnerstag, dem 17. Juli 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft Genua gegen 28 Polizisten zwischen drei Monaten und fünf Jahren Haft – zusammen knapp 110 Jahre. Für einen weiteren angeklagten Polizisten wurde Freispruch beantragt. Der Polizist, der in einem Nachtlager der Demonstranten zwei Molotowcocktails deponiert haben soll, mit denen die Beamten später eine Provokation durch die Globalisierungskritiker zu belegen versuchten, sollte die fünfjährige Haftstrafe bekommen, so die italienische Nachrichtenagentur ANSA.[75]
13 Polizisten wurden am 14. November 2008 erneut zu Haftstrafen von bis zu vier Jahren verurteilt. Ein Gericht in Genua sah zum Abschluss des dreijährigen Prozesses die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs und der Körperverletzung als erwiesen an. Die verurteilten Polizisten müssen den Opfern zudem Schadensersatz leisten. 16 weitere Angeklagte sprachen die Richter dagegen frei, unter ihnen die drei Hauptverantwortlichen der Ordnungskräfte. In dem Prozess ging es um die Razzia in der Diaz-Schule. Viele der dort untergebrachten Globalisierungskritiker aus Italien und dem Ausland gaben an, sie seien im Schlaf von den Beamten angegriffen und mit äußerster Brutalität zusammengeschlagen worden. Mindestens einer der verurteilten Beamten bestätigte, dass wehrlose Personen geschlagen worden seien. Das Urteil löste im Gericht unter den betroffenen Personen heftige Reaktionen und Proteste aus; der Reporter Mark Covell, der nach dem Überfall der Polizei im Koma lag, sagte es gebe keine Demokratie in Italien.[76][77] Covell, der nach dem Überfall acht gebrochene Rippen, eingeschlagene Zähne und einen Lungenriss hatte, nachdem er außerhalb der Schule zusammengeschlagen wurde, gewann im Jahr 2012 (nach elf Jahren) einen Prozess und bekam 350.000 € Entschädigung.[78] Im Zusammenhang mit dem Angriff sprach Covell von einem versuchten Tötungsversuch.[79]
Am 5. März 2010 stellte ein Berufungsgericht die Schuld der 44 angeklagten Polizisten und Gefängnisbediensteten fest. Ein großer Teil der Anklagepunkte war aber schon verjährt, so dass nur gegen 7 Angeklagte Haftstrafen ausgesprochen wurden. Alle Angeklagten müssen Entschädigungen an die 250 Opfer bezahlen. Das Gericht stellte fest, dass es sich nicht um Einzelfälle gehandelt hat, sondern um systematische Maßnahmen.[80] In einem weiteren Verfahren wurden 25 der 27 Angeklagten, darunter auch die Polizeikommandanten, zu Freiheitsstrafen zwischen drei und fünf Jahren verurteilt.[81] Im selben Jahr stellte die italienische Justiz das Verfahren gegen die nach dem Gipfel inhaftierten Mitglieder der Volxtheaterkarawane ein.[82] Im Jahr 2010 endete auch der Berufungsprozess gegen 20 Mitglieder des süditalienischen Netzwerks Sud Ribelle, die sich mit der Anklage konfrontiert sahen, in Genua eine „politische Verschwörung gegen den Staat“ betrieben zu haben. Die Angeklagten wurden freigesprochen.[83]
Am 27. März 2011 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) rechtskräftig, dass die tödlichen Schüsse des Carabiniere auf Carlo Giuliani nicht menschenrechtswidrig waren. Die Straßburger Richter verneinten einen Verstoß gegen das Recht auf Leben. Das Urteil der Großen Kammer erging mit 13 zu vier Stimmen. Der Polizeibeamte habe sein Leben und das seiner Kollegen angesichts der bewaffneten Angriffe der Demonstranten für gefährdet gehalten. Dabei sei unerheblich, ob die Kugel tatsächlich von einem Stein abgelenkt wurde, wie Forensik-Experten meinten, oder die Waffe direkt auf Guilianis Kopf gerichtet worden sei.[84]
Mitte 2012 wurden 16 Spitzenbeamte der italienischen Polizei durch den Kassationsgerichtshof in Rom wegen des Sturms auf die Diaz-Schule verurteilt. Das Gericht verhängte Freiheitsstrafen zwischen drei Jahren und acht Monaten und fünf Jahren, dazu den Verlust aller öffentlichen Ämter für fünf Jahre. Die Verurteilten müssen die Haftstrafen jedoch aufgrund von in den letzten Jahren ausgesprochenen Strafnachlässen für vor 2006 begangene Verbrechen nicht antreten. Alle müssen jedoch aus dem Polizeidienst ausscheiden. Der Vater von Carlo Giuliani sagte, das Urteil zeige, dass es in Italien „noch einen Hauch von Justiz gibt“.[85][86]
Hohe Strafen verhängte der Kassationsgerichtshof 2012 in Rom für fünf Demonstranten, die unter anderem wegen der Krawalle auf der Via Tolemaide angeklagt waren.[87] Ein Angeklagter muss für 14 Jahre in Haft, drei weitere erhielten Strafen zwischen zehn und zwölfeinhalb Jahren wegen „Beteiligung an den Ausschreitungen“, eine Frau erhielt sechseinhalb Jahre.[88]
2013 beklagte die Präsidentin von Amnesty International Italien, Christine Weise, dass in Italien vieles im Sande verlaufe. Obwohl Italien schon vor 25 Jahren das Abkommen gegen Folter ratifiziert habe, sei Folter immer noch kein Straftatbestand im Strafgesetzbuch. Viele der Verantwortlichen bei Polizei und Ordnungskräften während des G8-Gipfels seien entweder gar nicht verurteilt oder sogar freigesprochen worden.[89]
Im Jahr 2015 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Italien wegen Folter und sprach einem Mann 45.000 Euro Schmerzensgeld zu. Der damals 62-Jährige Arnaldo Cestaro wurde während der Erstürmung der Diaz-Schule von der Polizei geschlagen und getreten.[90] An den Knochenbrüchen die dabei entstanden, leidet der Mann bis heute.[91] Der Gerichtshof verwies auch auf das Urteil des Obersten italienischen Gerichtshofes. Dieser hatte den Polizeieinsatz als Strafaktion, Demütigung und Zufügung von psychischem Leid bezeichnet.[92]

Auswirkungen und Gedenken

Am ersten Jahrestag fanden in Italien Kundgebungen statt. Vom 13.-21. Juli gab es in Genua öffentliche Debatten, Kongresse, Aktionen, Straßentheater, Konzerte und Demonstrationen. Am Todestag von Carlo Giuliani demonstrierten ein Jahr später 150.000 Menschen auf den Straßen von Genua.[93]
Während und nach den Vorkommnissen in Genua 2001 legten die Tute Bianche ihre weißen Overalls ab und wurden im Anschluss des Gipfels zu den Disobbedienti. Während im Jahr 2002 noch das Europäische Sozialforum in Florenz stattfand, zerfiel die große linke Bewegung in Italien in den kommenden Jahren in kleine, auf territoriale Proteste beschränkte Gruppen. Einzig die Partito della Rifondazione Comunista konnte einen kleineren Teil der globalisierungskritischen Bewegung in sich vereinen.[94] Im Laufe der nächsten drei Jahre wurden ca. 7.000 politische Verfahren von der italienischen Staatsanwaltschaft gegen Aktivisten verschiedener sozialer Bewegungen angestrengt.[95]
Carlos Giulianis Mutter Haidi Giuliani trat seit dem Tod ihres Sohnes mehrfach als Gastrednerin auf Diskussionsveranstaltungen in Berlin, London, Madrid, Paris oder Athen auf. Sie engagiert sich in einem Gedenkverein für ihren Sohn und in einem Netzwerk für die Opfer staatlicher Gewalt.[96] Im Jahr 2006 zog sie für die Rifondazione Comunista/Sinistra Europea in den italienischen Senat ein.[97]
30.000 Menschen beteiligten sich 10 Jahre später am 23. Juli 2011 in Genua an einer Demonstration im Andenken an den G8-Gipfel. Aus Sorge vor gewaltsamen Ausschreitungen wurden starke Sicherheitsvorkehrungen ergriffen, der Protestzug wurde unter anderem von Giulianis Eltern geführt.[98]

Film

  • Der Film OP Genua 2001 – Öffentliche Sicherheit und Ordnung (2007) stellt die Dokumentation dieser Aufbereitung dar. Der Film ist eine Erweiterung des Films Recht auf Notwehr von 2005
  • 2011 präsentiert der Regisseur Carlo Augusto Bachschmidt auf den Internationalen Filmfestspielen von Venedig in der Festivalsektion Controcampo Italiano den Dokumentarfilm Black Block, der sich mit den Geschehnissen in Genua auseinandersetzt
  • Diaz – Don’t Clean Up This Blood ist der Titel eines an die Ereignisse angelehnten Spielfilms von Daniele Vicari, der unter anderem die Situation in der Diaz Schule beschreibt. Der Film wurde im Februar 2012 auf der Berlinale in Berlin vorgestellt und wird voraussichtlich im April 2012 veröffentlicht.[100][101]

Literatur

  • Der damalige Sprecher des Sozialforums und Politiker Vittorio Agnoletto veröffentlichte 2011 mit dem Journalisten Lorenzo Guadagnucci 10 Jahre später das Buch L'eclisse della democrazia (Die Sonnenfinsternis der Demokratie). Das Buch ist eine detaillierte Aufarbeitung der Proteste und der Polizeirepression.[102]
  • Buch und Dokumentation: Willi Baer, Karl-Heinz Dellwo (Hrsg.): Die blutigen Tage von Genua- G8-Gipfel, Widerstand und Repression (Bibliothek des Widerstands, Band 17), Hamburg, Laika Verlag 2011, ISBN 978-3-942281-87-4

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen