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Samstag, 23. September 2017

ALTER SCHACHTEL IN DER TRUTZBURG BERLIN

"Ein Kanzler sollte nach zwei Amtszeiten abtreten"

SZ.de
Interview von Paul Katzenberger
10. September 2017

Angela Merkel, die verspätete Kanzlerin, die schon viel zu lange bleibt. So sieht es zumindest der Politologe Martin Rupps.
Von Adenauer bis Merkel haben alle deutschen Kanzler ihre Kanzlerschaft verspätet angetreten, sagt der Politologe Martin Rupps. Und sind dann viel zu lang geblieben. Das sei verhängnisvoll.
Während sich Frankreich mit dem 39-jährigen Präsidenten Emmanuel Macron gerade neu zu erfinden versucht, steht Deutschland kurz vor der vierten Amtszeit der 63-jährigen Kanzlerin Angela Merkel. Der Politikwissenschaftler Martin Rupps erkennt darin ein Muster der bundesdeutschen Politik der Nachkriegszeit. In seinem neuen Buch "Kanzlerdämmerung" vertritt er die These, dass alle Amtsinhaber von Konrad Adenauer bis Angela Merkel bereits am Abend ihrer Wahl geistig-politische Auslaufmodelle gewesen seien, die schon lange nicht mehr dem Zeitgeist der Gesellschaft insgesamt entsprachen. Im Gespräch mit der SZ erläutert er, warum er das für eine schwere Beeinträchtigung der politischen Kultur hierzulande hält.
SZ: Sie schreiben, junge Politiker repräsentieren eine Gesellschaft besser als ältere. Außerdem erfordere die Dynamik vieler Themen junge Entscheider. Aber ältere Politiker können doch dafür auf mehr Erfahrung zurückgreifen. Was spricht gegen sie?
Martin Rupps: Für mich spricht vor allem etwas gegen die "Berliner Trutzburg", deren politisches Personal über Jahrzehnte dasselbe bleibt. Diese Kernmannschaft trifft über lange Zeiträume hinweg alle wichtigen Entscheidungen und verhindert das Nachrücken von Nachwuchs-Politikern in höhere Ämter. Junge würden aber für eine gesündere Altersstruktur des politischen Apparates in der Hauptstadt sorgen.
Aber wenn in dieser Trutzburg in der Vergangenheit doch mal einer in jungen Jahren eine steile Karriere hingelegt hat, dann ist er am Schluss oft eher eine Bürde für die betroffene Partei gewesen.
Sie sprechen von Karl-Theodor zu Guttenberg?
Ich könnte auch Jörg Asmussen nennen. Der war mit 42 Jahren Staatssekretär im Finanzministerium. Inzwischen ist seine politische Karriere beendet - wohl auch wegen Selbstüberschätzung. Ein junger Politiker, der kometenhaft aufsteigt, erliegt der Hybris womöglich eher als einer, der erst im höheren Lebensalter in ein Spitzenamt kommt.
Das kann natürlich passieren. Ich würde auch niemals sagen, dass junge Politiker automatisch gut sind und keine Fehler machen. Guttenberg hätte wahrscheinlich ein besseres Krisenmanagement gehabt, wenn er mehr Zeit bekommen hätte, seine Karriere aufzubauen.
Wenn man sich Spitzenpolitiker ansieht, die in westlichen Demokratien sehr jung ins Amt gekommen sind, scheint mir da insgesamt mehr Schatten als Licht zu sein. Uneingeschränkt positiv wird eigentlich nur John F. Kennedy bewertet. Der gilt in der Geschichte der USA heute als großer Präsident, trotz seiner kurzen Amtszeit.
Ich würde sagen: gerade wegen seiner kurzen Amtszeit. Kennedy war schwer krank und hätte seine Präsidentschaft deswegen wahrscheinlich auch ohne das Attentat von Dallas nicht sehr lange ausüben können. Ich bezweifle, dass er die heutige historische Bedeutung hätte, wenn er durch natürlichen Tod, Krankheit oder Auslaufen seiner Amtszeit abgetreten wäre. Wie James Dean ist er durch sein jähes Ende zum Mythos geworden. Aber mir fallen schon noch andere positive Beispiele für jüngere Politiker ein.
Welche denn? Als jung galt auch David Cameron, der aber durch den von ihm maßgeblich verschuldeten Brexit seinem Land schweren Schaden zugefügt haben dürfte. Selbst von dem jungen Präsidenten Barack Obama wird vermutlich wenig bleiben.
Tony Blair zum Beispiel hat die Politik Großbritanniens über einen langen Zeitraum geprägt und dabei ein Bild in der Öffentlichkeit abgegeben, das sich positiv von seinem Vorgänger John Major abhob. Er hat sicher dazu beigetragen, dass jüngere Briten wieder begannen, sich mehr für Politik zu interessieren. Auch Matteo Renzi war für die italienische Politik ein Gewinn. Und Sebastian Kurz geht in Österreich sehr konsequent seinen Weg, ebenso wie Emmanuel Macron in Frankreich.
Sie schreiben, die Bundesrepublik sei eine verspätete Nation, mit Regierungen, die immer zu spät kommen. Ist das überhaupt so schlimm? Immerhin gilt Deutschland inzwischen als eines der reformfähigsten Länder Europas.
Deutschland ist zu Reformen in der Lage, aber diese kommen immer zu spät.
Der Abbau des Sozialstaats durch die Agenda 2010 kam immerhin mehr als ein Jahrzehnt früher als entsprechende Maßnahmen in Frankreich - wenn sie dort überhaupt kommen.
Die Bundesrepublik war mit der Agenda 2010 damals bereits mindestens fünf Jahre zu spät dran. Und dass sich Frankreich mit Reformen schwer tut, hat ganz eigene Gründe. Es ist immer schwer, verschiedene Länder miteinander zu vergleichen, denn überall gibt es besondere lokale Bedingungen. Deswegen würde ich lieber bei Deutschland bleiben, wo sich das Zuspätkommen wie ein roter Faden durch die Nachkriegszeit zieht: Wir haben bei der Ostpolitik ein paar Jahre verloren, weil der CDU-Staat bis zum Ende der Sechzigerjahre angedauert hat, wir sind die Reform der leeren Staatskassen in den Siebzigerjahren zu spät angegangen, weil Willy Brandt als SPD-Kanzler dafür nicht angetreten war. Dass Kohl fünf bis acht Jahre Reformstau verantwortet, steht heute auch nicht mehr in Frage.
Gibt es solche Beharrungskräfte, die Sie anfangs mit dem Schlagwort "Trutzburg Berlin" umschrieben haben, nicht überall? In Frankreich ist der politische Betrieb geprägt von Absolventen der Elite-Uni Ena, die lauter stromlinienförmige Technokraten ausspuckt. In den USA sind Lobbyisten noch einflussreicher als bei uns.
Natürlich existieren Beharrungskräfte länderübergreifend. Die USA haben zwar nicht das Problem wie wir, dass ihr Präsident 16 Jahre lang regieren kann. Dafür gibt es dort andere Schwierigkeiten. Das Zurückdrängen von Beharrungskräften gelingt nur durch einen Systemwechsel, und der müsste in den USA anders aussehen als bei uns.

"Viele sind Merkels überdrüssig"

Sie haben dazu einige konkrete Vorschläge gemacht ...
Zum Beispiel sollte ein Bundeskanzler nach spätestens zwei Amtszeiten abtreten. Für den Bundespräsidenten reichen fünf Jahre im Amt. Denn wenn ich mir die zweiten Amtszeiten von Bundespräsidenten ansehe, ist da nicht mehr viel an Initiative gekommen, also sollte es ein anderer probieren können. Und ich würde dafür votieren, dass ein Abgeordneter wie Wolfgang Schäuble (CDU, Anm. d. Red.) dem Parlament nicht so lange angehören kann. Warum muss der Finanzminister 45 Jahre lang ein Bundestagsmandat in einem Wahlkreis wahrnehmen? Er hat sowieso keine Zeit dafür. Also kann man sagen: Nach vier Wahlperioden hört da jemand spätestens auf. Er würde natürlich versorgt und könnte auch Minister bleiben, wenn er ins Kabinett berufen wurde.
Gerhard Schröder war sogar nach weniger als zwei vollen Legislaturperioden weg. Dann kam schon Angela Merkel, die Ihrer Meinung nach aber ebenfalls eine verspätete Kanzlerin ist.
Natürlich müsste der Systemwechsel umfassender sein, als nur Amtszeiten zu begrenzen. Meine Idee ist, dass wir zum 70. Geburtstag der Bundesrepublik (im Jahr 2019, Anm. d. Red.) einen Expertenrat berufen, der sich überlegt, welche Systemreformen vorgenommen werden sollten. Dem kann man zehn Jahre geben - bis zum 80. Geburtstag. Dann hat die Republik vielleicht an Spielraum zurückgewonnen.
Wie alle Regierungschefs halten Sie auch Gerhard Schröder für einen verspäteten Kanzler. Beleg dafür ist aus Ihrer Sicht das Lambsdorff-Papier von 1982 - benannt nach dem damaligen FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff. Diese neo-liberale Streitschrift bildete 16 Jahre später zumindest zum Teil die Basis des rot-grünen Koalitionsvertrags. Aber war das nicht einfach nur dem Zeitgeist geschuldet? Vom damaligen Hype für die Börse und den freien Markt hätten sich 1998 Jüngere als Schröder und Joschka Fischer von den Grünen wahrscheinlich sogar noch mehr anstecken lassen.
Da bin ich mir nicht sicher. Denn Jüngere hätten möglicherweise noch so etwas wie Ideale und programmatische Vorstellungen gehabt, die Schröder, Fischer und Otto Schily (SPD, Anm. d. Red.) bei ihrem jahrzehntelangen Marsch durch die Institutionen längst verloren hatten. Die hatten so lange um die Macht gekämpft, dass es ihnen am Ende auch nur noch um die Macht ging. Das wofür sie gekämpft hatten, war ja großteils schon gesellschaftliche Realität: Die Gleichstellungsbeauftragten, die Datenschutzbeauftragten, und so weiter, all diese Dinge waren ja schon verwirklicht.
Aber in Ihrem Buch loben Sie doch, dass Rot-Grün Sitten und Gesetze auf dieselbe Höhe gehoben hat. Homosexuelle durften Lebenspartnerschaften eintragen lassen, der Verbraucherschutz wurde rechtlich gestärkt.
Aber der Rest war Fassade: Schröder ist im Kaschmirmantel aufgetreten, aber etwas programmatisch Neues hatte er nicht zu bieten. Deswegen bestand das Regierungsprogramm 1998 aus lauter Schablonen, die man sich irgendwo her geholt hatte. Da hieß es dann, wir machen mal den "Dritten Weg" und der Bodo Hombach (SPD-Politiker und Kanzleramtsminister unter Schröder, Anm. d. Red.) bekam das Schröder-Blair-Papier, aber dann wurde das mal in der Presse verrissen und war nach ein paar Wochen auch wieder weg. Und bei dem Lambsdorff-Papier haben die einfach auch nur gesagt: 'Wir brauchen jetzt mal eine Theorie, eine Unterfütterung.' Da haben ein paar Regierungsberater etwas zusammengefügt, von dem sie glaubten, das es irgendwie zusammenpassen könnte.
Auch wenn Schröder verspätet Kanzler wurde - widerspricht die Länge und der Verlauf seiner Amtszeit nicht Ihrer These? Die besagt ja, dass die Kanzler immer am Anfang ihrer Regentschaft die Initiative ergreifen und am Schluss nur noch dahindämmern. Schröder hingegen brachte zunächst wenig zustande, wie Sie überzeugend darlegen, aber nach seiner Wiederwahl setzte er mit der Agenda 2010 das größte politische Projekt seit der Wiedervereinigung durch.
Bei Schröder läuft diese Historie tatsächlich etwas anders ab. Denn es gibt außer ihm keinen Kanzler, der nach den ersten vier Jahren fast die Macht verloren hätte. Kohl wurde bei seiner ersten Wiederwahl 1987 deutlich bestätigt, ebenso Frau Merkel 2009. Doch Schröders Wiedereinzug ins Kanzleramt war 2002 ernsthaft gefährdet. Er und seine Regierung waren so negativ wahrgenommen worden, dass es Edmund Stoiber (CSU) als Kanzlerkandidat fast gepackt hätte. Nachdem Schröder dann doch knapp wiedergewählt war, stand er vor der Wahl zwischen blind oder taub.
Dabei trat er als "Basta!"-Kanzler doch recht markig auf.
Er wusste, wenn er in der zweiten Legislaturperiode wieder nichts täte, würde er krachend abgewählt. Bei dem, was er machen musste, würden ihm aber die eigenen Leute in den Rücken fallen. Er hat sich dann für die zweite Alternative entschieden und damit seine historische Größe ermöglicht. Schröder ist ja intelligent, insofern hatte er sich das genauso überlegt.
In Frau Merkel scheint sich Ihre Theorie auch in Bezug auf die Amtsdauer zu bestätigen: Als typisches Gewächs des "Bonner Raumschiffs" ist sie Ihrer Meinung nach 2005 ebenfalls zu spät ins Amt gekommen. Und: Sie wird am 24. September vermutlich wieder gewählt, ist also ein typischer Fall von "Kanzlerdämmerung". Haben wir danach die Chance auf einen zeitgemäßen Kanzler?
Ich fürchte nein. Allein das TV-Duell hat doch ein bedrückendes Bild unserer politischen Kultur gezeichnet. Da lässt eine Kanzlerin ohnehin nur ein TV-Duell zu, und das handelt dann zum großen Teil von ihrer Flüchtlingspolitik, die ja nun auch schon wieder etwas zurückliegt. Da fehlte mir die Dynamik, der Humor und die Individualität, die ein jüngerer Akteur rüberbringen könnte. Einem Robert Habeck (Grüne, Anm. d. Red.) oder einer Julia Klöckner (CDU, Anm. d. Red.) würde ich zum Beispiel zutrauen, dass die mal was aufmischen.
Julia Klöckner ist immerhin ein aufsteigender Stern in der Union. Dass sie 2021 die Kanzlerkandidatin der Partei stellen wird, ist wohl nicht ausgeschlossen. Sie wäre dann 48.
Ob es so weit kommt, müssen wir abwarten. Aber eins ist schon richtig: Ich erwarte, dass nach dieser Wahl wieder das stereotype Drehbuch abläuft, das wir schon aus dem Jahr 1961 bei Konrad Adenauer und von 1994 bei Helmut Kohl kennen: Man wird vom Abend des 24. September an nicht die Frage stellen, welcher nächste SPD-Kandidat die Kanzlerin stürzen könnte. Stattdessen wird darüber spekuliert werden, wer in der Union die Kanzlerin ablöst. Viele sind Merkels überdrüssig. Man will diese Erklärungen nicht mehr hören, die keine sind. Wenn Merkel klug ist, dann weiß sie heute schon, wen sie zur Halbzeit ihrer Amtsperiode zur Nachfolgerin bestimmt.


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