Verteidigungsministerin von der Leyens Kasernen-Razzien bringen wenig Erkenntnisse. Die Arbeit des MAD dagegen schon: Der Dienst untersucht seltsame Waffendiebstähle und Kontakte von Franco A. zur Identitären Bewegung.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kommt am 17.05.2017 in Berlin im Paul-Löbe-Haus zur Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages. Der Ausschuss beschäftigt sich mit der Affäre um den terrorverdächtigen Bundeswehrsoldaten Franco A. und den rechtsextremen Umtrieben in der Truppe. Foto: Michael Kappeler/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++© dpa Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kommt am 17.05.2017 in Berlin im Paul-Löbe-Haus zur Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages. Der Ausschuss beschäftigt sich mit der Affäre um den terrorverdächtigen… Das Ergebnis lautet 41. Das ist die Zahl der Wehrmachtsandenken, die bei der von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) angeordneten Durchsuchung sämtlicher Kasernen und Liegenschaften der Bundeswehr gefunden wurden. Die deutschen Streitkräfte unterhalten knapp 400 Standorte, an denen rund 250.000 Mitarbeiter arbeiten.
Wie die Ministerin dem zuständigen Ausschuss des Bundestags am Mittwoch mitteilte, habe man Wandbilder und Münzen mit Wehrmachtsmotiven aufgestöbert. In einem Fall habe es sich dabei nicht um historische Münzen gehandelt. Ein Logistikbataillon habe Gedenkmünzen mit fragwürdigen Motiven eigens prägen lassen und sie zu offiziellen Anlässen verliehen.
Keiner der Funde aber sei so schwerwiegend wie der in der Kaserne in Illkirch gewesen. Dort waren die beiden Offiziere Franco A. und Maximilian T. stationiert, die unter dem Verdacht stehen, aus rechtsextremistischen Motiven einen Anschlag gegen Personen des öffentlichen Lebens geplant zu haben. Weil in Illkirch ein Raum mit Wehrmachtshelmen und Landserbildern ausgeschmückt war, hatte von der Leyen die Razzien an allen Standorten befohlen.
Mit weiteren Details war die Ministerin im Ausschuss zurückhaltend. Was heißt weniger "schwerwiegende" Wandbilder? Zählt auch das abgehängte Wehrmachtsfoto von Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) an der Bundeswehr-Universität Hamburg zu den 41 Fundstücken? Die letzte Rotkreuzflagge des Zweiten Weltkriegs, die in der Nacht auf den 1. Mai 1945 in Berlin geborgen worden war, zuletzt im Bundeswehrkrankenhaus im niedersächsischen Westerstede ausgestellt war und nun entfernt wurde? Dem Bundestag soll nun zeitnah eine präzise Liste vorgelegt werden, hieß es.
Der Erkenntniswert der Durchsuchungen bleibt mithin überschaubar. Einerseits gilt: Wer der Erlasslage der Bundeswehr widersprechende Wehrmachtsandenken beiseiteschaffen wollte, hatte reichlich Gelegenheit dazu. Andererseits stimmt das Wort der Ministerin: "Nicht jede Devotionalie auf der Stube ist Ausdruck einer rechtsextremen Gesinnung. Häufig sind Gedankenlosigkeit oder Unwissen im Spiel." Und häufig auch bewusste Provokation von Soldaten, die sich durch die Razzia unter Generalverdacht gestellt sahen und das Bild des Großvaters in Wehrmachtsuniform abhängten, um das anschließend der Lokalpresse zu stecken.
Tatsächlich lässt sich über Sinn und Verhältnismäßigkeit der Aktion trefflich streiten. Dient der von der Ministerin höchst unglücklich so genannte "Säuberungsprozess", der neben den Durchsuchungen noch die Umbenennung von Kasernennamen und eine Revision des Traditionserlasses sowie der Prinzipien der Inneren Führung umfasst, tatsächlich der "Aufklärung" des Falls Franco A., wie von der Leyen behauptet? Oder haben ihre Kritiker wie Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) recht, der seiner Parteikollegin vorwirft, es sei "absurd", die ganze Bundeswehr unter einen "Wehrmachtsverdacht" zu stellen?
Schulz spricht von "Selbstverteidigungsministerin"
Unbestreitbar hat von der Leyen mit ihrem Vorgehen viel Vertrauen bei ihren Soldaten verspielt – und der politischen Konkurrenz die Gelegenheit eröffnet, sich das zunutze zu machen. So lud sich SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am Mittwoch den Vorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant André Wüstner, ins Willy-Brandt-Haus. Man habe darüber geredet, inwieweit von der Leyen ihrer Führungsverantwortung nachkommt, sagte Schulz nach dem Treffen. Die Erkenntnis: Sie komme ihr nicht nach.
Von der Leyen mache den Eindruck einer "Selbstverteidigungsministerin", die das Ansehen der Truppe beschädige und sich selbst aus der Verantwortung stehle, sagte Schulz. Ihre "mediale Strategie" suche den Eindruck zu erwecken, schuld seien "immer die anderen. Das Schlimmste ist, wenn man in angespannten Situationen den Ausweg darin sucht, dass man ganze Bevölkerungsgruppen, ganze Berufsgruppen unter Generalverdacht stellt."
Der "Kollateralschaden", so Schulz, sei ein Ansehensverlust der Bundeswehr; das Vertrauen der Bevölkerung in die Soldaten nehme ab. Dies sei umso gravierender, als die Bundeswehr als Freiwilligenarmee auf Rekrutierungen angewiesen sei. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. So hatte die "Washington Post" jüngst getitelt: "Das deutsche Militär hat ein Nazi-Problem."
Der Auftritt der Ministerin im Verteidigungsausschuss brachte abseits des politischen Spektakels aber auch neue Erkenntnisse im Fall Franco A. So hat die Bundeswehr nun Disziplinarverfahren gegen zwei frühere Vorgesetzte des mittlerweile inhaftierten Soldaten eingeleitet. Dabei handelt es sich um den Chef des Streitkräfteamts und den damals für Franco A. zuständigen Rechtsberater. Ihnen wird vorgeworfen, Dienstpflichten verletzt zu haben, weil sie 2014 konkrete Hinweise auf die rechtsextreme Gesinnung in einer Masterarbeit von Franco A. nicht an den Militärischen Abschirmdienst (MAD) weiterleiteten.
Bei den eigentlichen Ermittlungen gegen Franco A. und Maximilian T. hat von der Leyen nicht viel zu melden – die werden von der Bundesanwaltschaft geleitet. In der Karlsruher Behörde war man von Beginn an "not amused" darüber, dass das Verteidigungsministerium von einem rechtsextremen Netzwerk in der Bundeswehr raunte. Denn juristisch reichen die Anhaltspunkte für eine kriminelle oder gar terroristische Vereinigung derzeit nicht aus.
Die Bundeswehr unterstützt die Ermittlungen der Bundesanwälte, indem sie das Umfeld von Franco A. und Maximilian T. ausleuchtet. Auch dabei gibt es neue Erkenntnisse, wie der Verteidigungsausschuss erfuhr. So stellte sich bislang die Frage: Haben die beiden festgenommenen Offiziere nur, wie schon länger bekannt, 1000 Schuss Munition beiseitegeschafft – oder auch Waffen? Das Ministerium teilte nun mit, dass 2014 bei einer Schießübung auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr eine Pistole P8 abhandengekommen sei. Ein Teilnehmer der Übung: Oberleutnant Maximilian T. – Zufall?
Bei dem Diebstahl von zwei G36-Sturmgewehren und einer Pistole P8 aus einem Transportpanzer Fuchs auf dem Truppenübungsplatz Munster im Februar 2017 waren zwar weder Maximilian T. noch Franco A. anwesend. Aber ein Student der Bundeswehr-Universität München, der nach Erkenntnissen des Militärischen Abschirmdienstes telefonischen Kontakt zu Franco A. pflegte, soll vor Ort gewesen sein.
Der Soldat steht gemeinsam mit drei weiteren Münchener Studenten wegen möglichen Kontakten zur rechtsextremen "Identitären Bewegung" unter Beobachtung des MAD. Diese Bewegung warnt vor einem "Verlust der eigenen Identität durch Überfremdung" – wie Franco A. in seiner Masterarbeit.
Insgesamt hat der Dienst in diesem Zusammenhang elf Soldaten im Visier, von denen einige auch Kontakte zur Burschenschaft Danubia haben sollen. Im Verfassungsschutzbericht Bayerns von 2015 wird diese Burschenschaft wegen Verbindungen zur rechtsextremen Szene erwähnt. Es wird noch viel Ermittlungsarbeit nötig sein, um mögliche Zusammenhänge belastbar nachweisen zu können. Mit derlei kleinteiligen Fortschritten lässt sich politisch freilich wenig Staat machen.