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Donnerstag, 4. Mai 2017

DER KAMPF DES HEILIGEN GEORG

Poland : German tanks invading Poland are confronted by gloriously heroic but sadly ineffectual cavalry Date: September 1939 (Mary Evans Picture Library) | Nur für redaktionelle Verwendung., Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.: So stellte die italienische Zeitschrift "La Domenica del Corriere" Ende September 1939 den selbstmörderischen polnischen Angriff dar© picture-alliance / Mary Evans Pi So stellte die italienische Zeitschrift "La Domenica del Corriere" Ende September 1939 den selbstmörderischen polnischen Angriff dar

4. Mai 2017

Die Geschichte von Kavallerie, die 1939 in Polen todesmutig deutsche Panzer attackierte, ist tief in der Erinnerungskultur verankert. Ein deutscher Historiker findet die Wahrheit hinter dem Bild.
Kaum hatte die Wehrmacht am 1. September 1939 mit ihrem Überfall auf Polen begonnen, begann eine merkwürdige Geschichte die Runde zu machen. Polnische Ulanen, leichte Kavallerie also, wären mutig gegen deutsche Panzern gestürmt. Mit angelegten Lanzen hätten sie die stählernen Ungetüme attackiert, die sie aus Pappe wähnten, und ihr Unwissen mit dem Tod bezahlt. Bald berichteten deutsche Propagandaartikel von selbstmörderischer "Kavallerie, mit gezogenem Degen, mit Halali griffen die Polen an". Die internationale Presse griff die blutige Episode auf und verbreitete sie weiter. 20 Jahre später sollte der polnische Regisseur Andrzej Wajda ihr in seinem Film "Lotna" ein cineastisches Denkmal setzen – als Exempel für den heroischen Widerstand der Polen gegen den übermächtigen Gegner.
Der ungleiche Kampf zwischen Panzern und Reitern zählt zu einem "der kraftvollsten und nachhaltigsten Narrative des Panzerkrieges", schreibt der deutsche Historiker Markus Pöhlmann in seiner Potsdamer Habilitationsschrift "Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges". Um immer neue Details erweitert, fand die Geschichte schließlich Eingang in die Erinnerungsliteratur des Krieges, in Verbandsgeschichten und vor allem in die ungemein wirksamen Memoiren des Generals Heinz Guderian, der maßgeblich am Aufbau der deutschen Panzerwaffe mitgewirkt hatte. Von da war es nur noch ein kurzer Schritt in wissenschaftliche Publikationen. Hitler-Biograf Joachim Fest schrieb von "tödlichen Donquichoterien". Und selbst Karl-Heinz Frieser, einer der besten Kenner des Panzerkrieges, erwähnt in seinem hoch gerühmten Buch "Blitzkrieg-Legende", dass Reiter einer polnischen Kavalleriebrigade "mit blankem Säbel deutsche Panzer attackierten".
Obwohl der Panzer das "bedeutendste(s) Waffensystem des Landkrieges im 20. Jahrhundert" war, hat die Geschichtswissenschaft – jenseits populärer und technikaffiner Darstellungen – lange einen Bogen um dieses militärhistorische Thema gemacht. Das will Pöhlmann, Wissenschaftlicher Direktor am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, mit seinem Buch ändern. Entsprechend weit gefasst ist der Rahmen, der sowohl die militärische und technische Entwicklung als auch die symbolische Wirkungsgeschichte dieser Waffe umfasst. Ein Beispiel für seine vielschichtige Analyse bietet Pöhlmanns Entschlüsselung des ungleichen Duells von 1939.
Schon der Ort lässt sich nicht eindeutig lokalisieren. Nachdem in der Zeitschrift "Wehrmacht" am 13. September 1939 von dem "geradezu grotesken Angriff" eines polnischen Ulanenregiments die Rede war, legte eine Propagandaschrift 1940 nach. Danach seien deutsche Panzerspitzen beim Vormarsch im sogenannten Korridor, also zwischen Pommern und Ostpreußen, von polnischer Reiterei angegriffen worden. Auch in die Nähe von Bransk unweit der litauischen Grenze wurde ein ähnlicher Vorgang verlegt. Einem Gefangenen wurde dabei das Zitat untergeschoben: "Das weiß doch jeder, dass ihr immer nur einen richtigen Panzer habt, während die übrigen Attrappen sind."
Nach 1945 wurden Guderians "Erinnerungen eines Soldaten" (1951) zur viel zitierten Autorität. Der Ex-General berichtete von der polnischen Kavalleriebrigade Pomorska, die am 3. September in der Tucheler Heide "in Unkenntnis der Bauart und Wirkung unserer Panzer mit der blanken Waffe attackiert und vernichtende Verluste erlitten" habe. Seitdem finden sich ähnliche Episoden in unterschiedlichen Versionen in den Erinnerungspublikationen einzelner Truppenverbände.
In den Akten deutscher Divisionen, die sich im Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv, in Freiburg erhalten haben, kommt Pöhlmann dem "Kern der Geschichte" auf die Spur. Danach geschah es in den ersten Tagen des Krieges offenbar, dass abgesessene Teile von deutschen Panzertruppen oder ihre infanteristische Begleitung von polnischer Kavallerie angegriffen wurde.
Das geschah aber in gänzlich anderer Form, als es später die Runde machte. So heißt es im Kriegstagebuch der 4. Panzerdivision: "Als Gegner war bisher verstärkte Kavallerie festgestellt, die sehr geschickt und wendig unter Ausnutzung der natürlichen Hindernisse (Wasserläufe und Wald) den hinhaltenden Kampf führte." Und der Chronist der 10. Panzerdivision notierte: "Im Wald- und Ortsgefecht hat sich der Pole als außerordentlich geschickter Gegner erwiesen. Besonders muss die Kampfführung der Kavalleriebrigade Pomorska in der Tucheler Heide anerkannt werden."
Tatsächlich mag es in den ersten Kriegstagen in Polen "merkwürdig hybride Gefechtssituationen" gegeben haben, schreibt Pöhlmann. Aber dabei handelte es sich nicht um unverantwortliche "tödliche Donquichoterien", sondern um zufällige Zusammentreffen. In der Regel gingen polnische Reiter zweckmäßig und effizient gegen die deutschen Panzerspitzen vor, indem sie zu Fuß, durch Feldbefestigungen gedeckt, den Kampf mit ihren Panzerabwehrwaffen aufnahmen. "Erst in der tagespublizistischen und der interessengeleiteten Rede über die Kavallerie löste sich die elektrisierende Geschichte vom Kampf der Reiter gegen die Panzer von den profanen Schilderungen … ab", resümiert Pöhlmann.
Diese geradezu mythische Geschichte gewann ihre nachhaltige Attraktivität durch ihre Ambivalenz. Aus deutscher Perspektive konnte der ungleiche Kampf als Beleg für die militärische Ignoranz des Gegners und die Täuschung der einfachen Soldaten durch eine verantwortungslose Führung gedeutet werden. Aus polnischer Sicht ließ sich das Duell dagegen als heroische Verzweiflungstat interpretieren. Nicht umsonst zitieren Szenen aus Wajdas Film "Lotna" die ikonografische Symbolik, die auf den Kampf des Heiligen Georg mit dem Drachen verweist. Dafür wurden sogar die deutschen Panzer in Dimension und Ausstattung deutlich überhöht. Bei den Kampfwagen, die in Polen zum Einsatz gekommen waren, handelte es sich dagegen zumeist um die Typen I und II, die eher leichten Übungsfahrzeugen glichen.
Wie sehr selbst die deutsche Propaganda noch der Vorstellung von der heldenhaften Kavallerieattacke verhaftet war, kann Pöhlmann mit einem anderen Fund zeigen. Noch 1941 berichtete die Zeitschrift "Die Wehrmacht" stolz, dass auch auf deutscher Seite "in Polen sogar noch regelrechte Attacken geritten wurden".

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