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Montag, 19. September 2016

DIE SINTFLUT DES 21. JAHRHUNDERTS

Vor fünf Jahren

15. März 2010 10:55; Akt: 15.03.2010 10:55 Print

Der Tsunami - die Sintflut des 21. Jahrhunderts

von Daniel Huber - Kurz vor acht Uhr am Morgen bebte am 26. Dezember 2004 vor der Nordwestküste Sumatras der Meeresboden. Das zweitstärkste Beben der Geschichte löste eine gigantische Flutwelle aus, die über die Küsten des Indischen Ozeans hereinbrach und über 230 000 Menschen tötete. Es war die schlimmste Naturkatastrophe der 00er-Jahre.

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Die Flutwelle traf die meisten Menschen völlig überraschend. Hier in Phuket, Thailand.
Die Flutwelle traf die meisten Menschen völlig überraschend. Hier in Phuket, Thailand. Nicht nur namenlose indonesische Fischerdörfer wurden ausradiert, sondern auch Touristen-Resorts an den paradiesischen Stränden Thailands und Sri Lankas. Die Welle riss alles mit. Wer nicht rechtzeitig fliehen konnte, wurde mitgerissen. Aluthgama, Sri Lanka: Busse und andere Fahrzeuge wurden wie Spielzeuge umhergeworfen. Bei Peraliya an der Südwestküste Sri Lankas riss die Flutwelle einen Zug von den Schienen und tötete allein dort weit mehr als 1000 Menschen. Zerstörte Fischkutter bei Madras, Indien. An der Westküste von Sumatra. Banda Aceh im Norden von Sumatra. Die Provinz Aceh wurde bersonders hart getroffen. Ein Überlebender in Banda Aceh. Satellitenbilder der Provinz Aceh vor (l.) und nach dem Tsunami. Ein Elefant wird bei Aufräumarbeiten in Banda Aceh eingesetzt. Fischerboote bei Galle an der Küste Sri Lankas. Ein Massengrab bei Galle, Sri Lanka. Insgesamt starben mindstens Menschen. Ein Mann steht vor seinem zestörten Haus in Muratuwa, Sri Lanka. Die Flutwelle erreichte sogar die andere Seite des Indischen Ozeans: Zerstörungen im Norden von Somalia. Zerstörte Touristen-Bungalows auf der thailändischen Phi-Phi-Insel. Überlebt: Eine verletzte schwedische Touristin weint in Phuket. Dieser schwedische Junge sucht seine Eltern und Brüder. Viele Kinder wurden schlagartig zu Waisen. Nach dem ersten Schock begann überall die verzweifelte Suche nach Überlebenden. Doch überall boten sich den Helfern grauenhafte Bilder. Viele Tote wurden schnell begraben, wie diese indischen Mädchen, weil die Gefahr von Seuchen bestand. Buddhistische Mönche neben Opfern in Khao Lak Thailand. Viele Leichen wurden verbrannt. Die genaue Anzahl der Toten bleibt unbekannt; viele Vermisste wurden nie mehr gefunden. Die Katastrophe löste eine Welle der Hilfsberreitschaft aus: Ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes lädt auf dem Flughafen Genf Hilfsgüter für Sri Lanka ein. Die Not war gross. In Nechikuppam bei Madras werden Nahrungsgutscheine verteilt. Wieder zu Hause: Eine Schweizer Touristin wird am Flughafen von Zürich von Angehörigen begrüsst.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag zerriss die Nachricht von einem schweren Seebeben im Indischen Ozean die satte Gemütlichkeit der Festtage. Zunächst war nicht klar, was da genau geschehen war, in Südasien, aber mit jedem Bericht stieg die Opferzahl, nahm das Entsetzen zu. Allmählich zeigte sich das Ausmass der Katastrophe; immer neue Bilder und immer mehr verwackelte Videos vermittelten einen Eindruck von der Zerstörungsgewalt des Tsunamis. Und sofort — wie immer, wenn Tod und Zerstörung ferne Länder treffen — war die Frage da, ob unter den Opfern Landsleute zu finden seien. Tatsächlich hatte der Tsunami nicht nur namenlose indonesische Fischerdörfer ausradiert, sondern auch Touristen-Resorts an den paradiesischen Stränden Thailands und Sri Lankas verwüstet. 112 Schweizer, so stellte sich in den folgenden Wochen heraus, waren der Killerwelle zum Opfer gefallen; 109 von ihnen in Thailand. Seit dem Bergsturz von Goldau im Jahre 1806 hatte kein einzelnes Ereignis so viele Schweizer das Leben gekostet.
Gigantischer Bogen der Zerstörung

Das Ausmass der Katastrophe war enorm. Auch wenn es — was die schiere Opferzahl anbelangt — nicht die schlimmste Naturkatastrophe aller Zeiten war, wie oft behauptet wird, so zeigt nur schon die riesige Entfernung zwischen den betroffenen Gebieten, wie gewaltig das Ereignis war: Von Thailand im Osten und Bangladesch im Norden über Sri Lanka bis nach Ostafrika reichte der Bogen der Zerstörung. Am schlimmsten traf es Indonesien mit schätzungsweise über 160 000 Toten, Sri Lanka (über 35 000 Tote) und Indien (über 16 000 Tote). Millionen wurden obdachlos; zahllose Menschen fielen überdies nicht dem Tsunami selbst zum Opfer, sondern dessen Folgen, zum Beispiel verunreinigten Trinkwasserquellen.
Der Tsunami verursachte so viel Leid, dass einzelne Vorfälle, die sonst grosses Aufsehen erregt hätten, völlig darin untergingen. So riss die Flutwelle bei Peraliya an der Südwestküste Sri Lankas einen Zug von den Schienen und tötete allein dort weit mehr als 1000 Menschen — doch dieses grösste Zugsunglück in der Geschichte ist kaum mehr als eine Fussnote in der Geschichte des Tsunami.
Flut der Bilder, Flut der Spenden
Wohl noch nie zuvor war eine Katastrophe von so vielen Kameras festgehalten worden. Da sich das Meer an vielen Stellen zu Beginn zurückgezogen hatte — was der Fall war, wenn zuerst das Wellental die Küste erreichte —, hatten viele Touristen das seltsame Geschehen arglos gefilmt. Manche Videos wurden später in Geräten gefunden, deren Besitzer den Tsunami nicht überlebt hatten. Die Bilder der Flut und der Verwüstungen, die sie angerichtet hatte; die Bilder der Opfer, der Toten und der Überlebenden, lösten eine riesige Welle der Solidarität aus.
Zahlreiche Länder entsandten Hilfskräfte und brachten Hilfsgüter in die Krisenregion. Das Schweizerisches Korps für Humanitäre Hilfe schickte Expertenteams und medizinisches Material; die Schweizerische Rettungsflugwacht Rega flog über 60 Patienten in die Schweiz zurück. Namhafte Beträge wurden gespendet, von Staaten und von Privaten: Allein Deutschland spendete insgesamt über eine Milliarde Euro, davon rund die Hälfte aus privaten Quellen; aus der Schweiz kamen 160 Millionen Euro (knapp 240 Millionen Franken). Immerhin hat das Hilfswerk Caritas international fünf Jahre nach der Katastrophe eine positive Bilanz des Wiederaufbaus gezogen: Den Menschen, die den Tsunami überlebt hätten, gehe es heute mit Sicherheit zu einem grossen Teil besser als davor, sagte der deutsche Caritas-Direktor Oliver Müller kürzlich.
So stark wie 100 Gigatonnen TNT
Ausgelöst wurde die Killerwelle durch ein geologisches Geschehen, das sich 30 Kilometer tief unter dem Meeresboden vor der Nordwestküste der indonesischen Insel Sumatra abspielte. Dort schiebt sich die Indisch-australische Platte langsam unter die Eurasische Platte, wobei immer wieder enorme Spannungen aufgebaut werden, die sich ruckweise lösen. So auch am 26. Dezember 2006, als ein Stück des Meeresbodens wegbrach und damit eine Wassersäule von 30 Kubikilometern in Bewegung versetzte.
Das Seebeben, das mit einer Stärke von 9,0 bis 9,3 von den Geologen als zweit- oder drittstärkstes aufgezeichnetes Beben der Geschichte gewertet wird und eine Energie im Äquivalent von 100 Gigatonnen TNT freisetzte, verschob die Erdachse um 2,5 Zentimeter und drängte die riesige Eurasische Platte für einige Minuten zwei Zentimeter nach Norden. Die Inselgruppe der Nikobaren im Golf von Bengalen wurde dauerhaft um 15 Meter nach Südwesten verschoben.
Die tektonische Bruchzone vor Sumatra ist mit dem grossen Beben vom Dezember 2004 noch nicht zur Ruhe gekommen; Ende September 2009 bebte die Erde auf der indonesischen Insel erneut. Möglicherweise wird es in absehbarer Zeit wieder zu einem schweren Seebeben kommen. Den Geologen zufolge befinden wir uns in dieser Region gerade mitten in einer Erdbeben-Sequenz, in der sich die aufgebaute Spannung zwischen den Platten entlädt, bevor wieder für 100, 200 Jahre Ruhe herrscht. Das letzte Beben in einer solchen Sequenz ist zudem häufig eines der stärkeren. Der nächste Tsunami in Indonesien ist somit nur eine Frage der Zeit.
 www.20min.ch

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