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Sonntag, 15. November 2015

ERLEBNIS- UND TATSACHENBERICHT

  29. Januar 2005
"Ich ahnte sofort: Das hat mein Vater nicht überlebt"


Jerzy Chojnowski war dabei, als die Flutwelle in Asien seinen Vater in den Tod riß. Der Norderstedter will nun einen detaillierten Bericht gegen das Vergessen veröffentlichen.

Von Michael Schick

Norderstedt. "Wir hatten drei Wochen Paradies und vier Tage die absolute Hölle", sagt Jerzy Chojnowski (52). Die Hölle - das war für den Norderstedter die Flutkatastrophe in Asien. Der Tag, an dem der Tsunami seinen Vater verschlang und lebend nicht wieder hergab. Und die Tage danach, die endlosen Stunden der Spurensuche und Ungewißheit. Erleichterung und Trauer, als der Sohn den Vater fand, getötet von einer Riesenwelle. Konrad Jan Chojnowski, der am 26. Dezember gegen 10 Uhr mit 83 Jahren in Bang Tao auf der Insel Phuket in den gewaltigen Fluten der Andaman-See ums Leben kam, ist das bisher einzige identifizierte Opfer des Seebebens in Schleswig-Holstein.

Noch immer sieht Jerzy Chojnowski die Bilder vor sich. Den Moment, als er seinen Vater auf der Flutwelle an sich vorbei treiben sah, die weiße Mütze aus der Karibik noch auf dem Kopf. Dabei hatte der gebürtige Pole, der 1981 wegen der unsicheren politischen Verhältnisse nach Deutschland übersiedelte, schon am Morgen des Katatstrophentages die drohende Gefahr gespürt: "Als wir im Hotelzimmer saßen, fühlte ich plötzlich Erschütterungen und sah, wie ein Stuhl mit einem Bein immer auf den Steinfußboden schlug", sagt Chojnowski. Sein Vater und dessen Lebensgefährtin Lidia Kruffczyk spürten nichts.

Sie gingen wie immer nach dem Frühstück an den Strand und ließen sich auf den Liegen von der Sonne wärmen. Es war ein heißer Tag, kein Lüftchen wehte, Ruhe vor der Flutwelle. Chojnowski blieb skeptisch. Er arbeitet als selbständiger Umwelt- und Marineberater, steuert als Skipper Segelschiffe für Privatleute. Er kennt die See und beobachtet genau: "Mir fiel der niedrige Wasserstand auf. Am Vortag stand das Wasser viel höher." Binnen Sekunden fielen die Fischerboote trocken. Der Segler erkannte die Gefahr, lief auf seinen Vater und dessen Lebensgefährtin zu und schrie, sie sollten sofort den Strand verlassen. "Lidia begriff den Ernst der Lage und rannte die 40 bis 50 Meter bis zum Hotel. Mein Vater aber begann, ganz in Ruhe die Strandsachen zusammenzupacken", sagt Chojnowski.

Seine Ordnungsliebe wurde ihm zum Verhängnis. Der Sohn rannte weiter auf den Vater zu, brüllte, er solle sofort loslaufen, doch das Tosen des heranstürzenden Meeres war schon zu laut. Die erste Welle hob den Vater einfach hoch, zog ihn mit sich. Auch der Sohn hatte keine Chance gegen den gewaltigen Sog. "Du bist völlig hilflos, kannst nicht schwimmen, dich nicht festhalten. Das Wasser spielt mit dir wie der Wind mit einer Feder", sagt Chojnowski. Mauersteine, scharfkantige Teakholz-Liegen, Äste, Sonnenschirme trieben an ihm vorbei. Er kauerte sich zusammen, um möglichst wenig Angriffsfläche für Verletzungen zu bieten. Chojnowski sauste auf einen Hotelflügel zu, die Welle drückte ihn durch einen Korridor. Hinter zwei Häusern kam er zum Stillstand, rannte zum Hotel und schaffte es vor der zweiten Flutwelle ins Zimmer. "Das Hotel war solide gebaut", sagt Chojnowksi. Nachdem sich der dritte Tsunami ausgetobt hatte, ahnte er: "Das hat mein Vater nicht überlebt."

Er machte sich auf die Suche. Zuerst fand er auf dem Trümmerfeld in der Nähe des Hotels die rechte Sandale und die bunt gepolsterte Strandmatte, die der Vater so gut verschnürt hatte, daß noch fast alle Utensilien drin waren. Im Thalang-Hospital stieß Chojnowski in einem Ordner auf Fotos seines Vaters. Er war nur fünf Stunden nach der Katatstrophe einige Kilometer vom Hotel entfernt in der Kamala-Bucht angespült worden. Der Obduktionsarzt hatte den Leichnam im Hospital untersucht.

In der Nacht zum 30. Dezember ließ der Sohn den Leichnam einäschern, so daß er die sterblichen Überreste auf dem Rückflug mit in die Heimat nehmen konnte. "Diese Umstände sind die einzigen, die unseren großen Schmerz und unsere große Trauer ein wenig lindern. Denn viele der mehr als 200 000 Opfer werden verschollen bleiben", sagt Chojnowski.

Er hat seinen Vater geliebt und sehr geschätzt: "Er war ein gläubiger Mensch, ein Mann mit festen moralischen Prinzipien, politisch interessiert, immer auf dem laufenden und hilfsbereit." Regelmäßig habe er Geld für Hilfsorganisationen gespendet und Pakete nach Polen geschickt. Bei allem Schmerz vergißt Chojnowski die Menschen nicht, die ihm geholfen und ihn getröstet haben.

Doch dabei will es Chojnowski nicht belassen. Er will einen detaillierten Bericht gegen das Vergessen veröffentlichen. "Wir dürfen die Politiker und Wissenschaftler nicht so einfach aus der Verantwortung entlassen", sagt er. Es sei völlig unverständlich, warum Geld für die Landung der Huygens-Sonde auf dem Saturmond Titan ausgegeben werden kann, auf der anderen Seite aber ein Frühwarnsystem für Tsunamis fehlt. Daß sich die Erdplatten bewegen und es zu solchen Beben kommen kann, sei seit langem bekannt. Daß die Verantwortlichen nicht reagiert haben, habe sich nun in "dieser furchtbaren Tragödie" gerächt.

http://www.abendblatt.de/region/norderstedt/article304010/Ich-ahnte-sofort-Das-hat-mein-Vater-nicht-ueberlebt.html



Der angekündigte Erlebnis- und Tatsachenbericht ist in Vorbereitung.

Jerzy Chojnowski
(Tsunami-Opfer und Überlebender/victim & survivor)