• Die Zahl der Teilchen waren so groß, dass die Forscher zunächst an einen Messfehler glaubten.
• Sie fanden 17 verschiedenen Kunststoffarten, darunter Abrieb von Autoreifen, Reste von Zigarettenfiltern und Fasern von Funktionswäsche.
Eigentlich waren die Wissenschaftler mit dem Forschungsschiff Polarstern auf einer Routinemission unterwegs. Messdaten sollten entlang der Framstraße genommen werden, dort, wo das Meereis aus der zentralen Arktis zwischen Spitzbergen und Grönland in den Atlantik treibt. Solche Daten aus dem hohen Norden sind Teil einer seit Jahren laufenden Langzeitbeobachtung des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung in Kiel, besser bekannt als Alfred-Wegener-Institut (AWI). Doch als die Polarforscher Bohrproben aus dem Packeis mit Infrarotlicht bestrahlten und die Reflexionen im Detail untersuchten, kam Erschreckendes zu Tage (Nature Communications).
"Wir hielten die Messwerte zunächst für kaum möglich", sagt Ilka Peeken, die am AWI den Einfluss des Klimawandels auf polare Biotope erforscht. Doch die Zahlen waren real: In den Eisproben fanden die AWI-Forscher ungeheuerliche Mengen Mikroplastik. Eine der Proben enthielt rekordverdächtige 12 000 Kunststoffpartikel in einem einzigen Liter Eis. "Wir waren völlig überrascht von den großen Zahlen", sagt Ilka Peeken.
Obgleich der Plastikgehalt an den beprobten fünf Stellen des arktischen Packeises stark variierte, zeigt sich, dass nicht nur das Meerwasser und der Grund zu einem gigantischen Plastikmülllager verkommen, wie es Wissenschaftler seit Jahren feststellen, sondern auch das Packeis der Arktis. Dieses arbeitet sogar wie eine Art globales Verteilzentrum für Mikroplastik, denn das Eis rund um den Nordpol ist nicht statisch, sondern jede Scholle wandert von verschiedenen Weltgegenden aus langsam in andere Erdteile.
Die Teilchen sind so klein, dass man sie mit bloßem Auge nicht sehen kann
Die Lebensdauer einer Eisscholle im Polarmeer beträgt üblicherweise zwischen zwei und elf Jahren. Indem die AWI-Forscher die Wanderung der Eisschollen zurückverfolgten, konnten sie auf die Ursprünge des Plastiks schließen. Demnach kam vieles davon vermutlich aus dem oft zitierten großen Plastikstrudel im Pazifik über die Beringstraße in den Atlantik. Anderes, insbesondere Lack- und Nylonreste, ist der lokalen Schifffahrt zuzuschreiben, die in den arktischen Gewässern zunimmt.
Als Mikroplastik definieren Forscher Kunststoffteilchen, die zwischen wenigen Tausendstel Millimeter und einem halben Zentimeter groß sind. Diese Partikel kommen in den unterschiedlichsten Formen vor, manche sind Fasern aus Funktionskleidung oder Fischernetzen, anderes besteht aus Kügelchen, wie sie in Kosmetika üblich sind, und wieder andere sind Fetzen von Folien oder Tüten.
Ein großer Teil der kleinen Plastikreste entsteht, wenn größere Müllstücke im Meer langsam zerfallen - oder im arktischen Eis wie in einer Mühle gemahlen werden. Allerdings fließt auch Mikroplastik vom Land aus über die großen Ströme der Welt ins Meer. Letzteres stammt aus allen möglichen Quellen, zum Beispiel, wenn Wäsche aus Kunstfasern gewaschen wird. Auch der Abrieb von Autoreifen landet als Mikroplastik in der Umwelt.
Kleinstlebewesen fressen den für das menschliche Auge unsichtbaren Abfall
Insgesamt fanden die AWI-Forscher 17 verschiedene Kunststofftypen, darunter die in Verpackungen häufigen Kunststoffe Polyethylen und Polypropylen, aber auch Polyester und Cellulose-Acetat, das vermutlich aus Zigarettenfiltern stammt. Mehr als die Hälfte der in der Arktis gefundenen Plastikpartikel waren kleiner als ein Zwanzigstel Millimeter. Es tauchten sogar Partikel von nur elf Mikrometern Größe auf, das ist ein Sechstel des Durchmessers eines menschlichen Haars.
Dieser für das bloße Auge praktisch unsichtbare Abfall kann somit "problemlos von arktischen Kleinstlebewesen wie Wimperntierchen, aber auch Ruderfußkrebsen gefressen werden", betont die AWI-Forscherin Ilka Peeken. Zwar sei noch nicht abschließend geklärt, "inwieweit diese winzigen Kunststoffteilchen den Meeresbewohnern Schaden zufügen oder am Ende sogar Menschen gefährden", so die Wissenschaftlerin, aber besorgniserregend klingt die Sache allemal.
Wenn eine schmelzende Eisscholle das Mikroplastik wieder ins Meerwasser entlässt, siedeln sich häufig Kleinstlebewesen an. Dadurch werden die Partikel schwerer und sinken auf den Grund. Am Meeresboden unter der Framstraße, wo AWI-Forscher seit Jahren ein Tiefsee-Observatorium namens Hausgarten betreiben, wurden in früheren Untersuchungen Konzentrationen von 6500 Plastikteilchen pro Kilogramm Grund gefunden. Auch spanische Forscher fanden im vergangenen Jahr eine alarmierende Konzentration von Plastikresten im arktischen Meerwasser. (SZ, 24. April 2018)
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