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Dienstag, 24. April 2018

ÜBER DIE ELFTE DEUTSCHE GUTMENSCHENPLAGE


Kai Diekmanns Abrechnung mit den 68ern
Veröffentlicht am 22.10.2007

Der Epochenbruch von 1968 habe in Deutschland eine seltsame Form des Frömmlers in die gesellschaftlichen Schaltzentren gebracht, schreibt "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann in seinem neuen Buch. Auf WELT ONLINE erklärt er, warum er "Gutmenschen" für weltfremd hält und vor ihrem Selbsthass warnt.

In Deutschland ist die Neigung ausgeprägt, die Dinge zweihundertprozentig zu machen. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, verkündeten die konservativen Vordenker zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Der führte das Land in einen Krieg, der nicht zur Genesung der Welt beitrug. Dann jubelte man Hitler zu. Der wollte die Welt vor einer „jüdischen Weltverschwörung“ retten [eigentlich vor einer akuten jüdisch-bolschewistischen Gefahr für ganz Europa, womit er recht hatte; mit der tatsächlichen subversiven jüdischen Weltverschwörung haben wir gegenwärtig zu tun - J. Ch.]. Er zettelte den Zweiten Weltkrieg an, der 50 bis 60 Millionen Menschen das Leben kostete. Nach Niederlage, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder kamen die Achtundsechziger, von denen viele mit dem gleichen Rigorismus Verbrecher wie Mao Tse-tung und Ho Chi Minh anbeteten.

Das war alles vor meiner Zeit. Doch inzwischen hat uns ein neuer Totalitarismus in seinen Bann geschlagen, der nicht weniger Intoleranz produziert: Wir Deutschen wollen die Korrektesten, die Anständigsten, die moralisch Besten sein auf dieser Welt. Dagegen gäbe es eigentlich gar nichts einzuwenden. Wenn es nicht regelmäßig das Gegenteil dessen hervorriefe, was gesunden Menschenverstand ausmacht. Wenn sich unsere Gesellschaft deswegen nicht immer wieder aufwendige Nebenkriegsschauplätze leistete, die nichts mit den wirklichen Herausforderungen dieses Landes zu tun haben.

Man kann Achtundsechzig, also dem Epochenbruch der deutschen Gesellschaft in Richtung Egozentrik, Mittelmaß und Faulheit, vieles vorwerfen. Aber die verhängnisvollste Folge dieser Zeit ist das Aufkommen des Gutmenschen, die säkulare Form des pietistisch-abseitigen Frömmlers: Voll des Glaubens an das Gute im Menschen, unbeirrt von Fakten, ohne Vorstellung von der Welt, dafür mit dem festen Willen, dass das gut Gemeinte auch das Gute sei. Solange dieses Land noch arm war und das Leben hart, war die idealistische Träumerei weniger kein Problem. Heute aber ist der Gutmensch zur Plage geworden. Nach dem „Marsch durch die Institutionen“ sitzen die Eiferer des guten Herzens an gesellschaftlichen Schaltstellen: in Schulen, Behörden, auf Richterbänken, in Politik und Medien. Ihre Weltsicht, vor allem aber ihr Katechismus der Güte und grundsatzfreien Toleranz, bestimmt nun Notenvergabe, Asyl- und Hartz-IV-Verfahren, Urteile und Gesetze – und häufig auch die Berichterstattung.

Woher kommt die altruistische Frömmelei?

Wer auf das Menschenbild unserer Landsleute blickt, die seit Jahrzehnten dieses Land in Politik, Gesellschaft, Medien und Verwaltung wesentlich geprägt haben, kann gelegentlich verzweifeln. Woher kommt diese altruistische Frömmelei an der Grenze zur Selbstverleugnung, der mangelnde Sinn für Konfliktpotenziale und die Interessen des eigenen Landes? Jedes andere Land des Westens, ob England, die Schweiz, Österreich, Italien, die USA oder Kanada, weiß um die Attraktivität seines Lebensstandards und seiner Freiheiten für Bewohner weniger glücklicher Regionen – und dass viele dieser Bewohner, für die Hungersnöte, Epidemien und Kriege tägliche Realität sind, alles tun würden, um in den Genuss dieses Lebens zu kommen.

Sie würden, mag das auch viele Gutmeinende erstaunen, sogar lügen, Papiere fälschen und Verwandtschaften oder Verfolgungen behaupten, die es nicht gibt. Aber statt eines Mindestmaßes an Skepsis herrscht bei denen, die in den Zeiten von Achtundsechzig groß, aber nicht erwachsen wurden, noch immer beliebiger Verständniswahn. Auch der ist ein Erbe von Achtundsechzig – der Wahn der Väter mit verändertem Vorzeichen: Wollte man damals die Welt wahllos totschlagen, will man sie jetzt wahllos umarmen.

Man schämt sich des Deutschseins, kann es aber nicht verleugnen. So wertet man es zumindest ab, indem man anderes hochjubelt: südländische Lebensart, afrikanische Ungezwungenheit, karibisches Laisser-faire. Wirtschaftsminister Glos hat das richtig erkannt, als er vom „Hass auf Deutschland“ sprach, der Grüne und Linke vereine. Tatsächlich lässt sich vieles mit diesem Motiv erklären: die Verachtung der Linken für das „System“ der alten Bundesrepublik; die schäbige Aufwertung kommunistischer Regime; die bewusste Duldung wahlloser Zuwanderung, um, wie eine Politikerin der Alternativen Liste meinte, „den deutschen Bevölkerungsanteil zurückzudrängen“; die lange betriebene Verharmlosung aller Probleme des multikulturellen Zuzugs; die Ablehnung der Wiedervereinigung.

Sehnsucht der Linken nach der Toskana

Noch in Günter Grass' Ausfällen gegen die deutsche Einheit ist dieser Selbsthass zu spüren. Und vielleicht hat die seltsam kapitalistische, grundbesitzfixierte Sehnsucht vieler Linker nach einem Haus in der Toskana oder in Umbrien ebenfalls hier ihren Grund. Nur im Ausland konnte man Frieden machen mit diesem Land – wo man ohnehin als Deutscher erkannt und freundlich begrüßt wurde, war es nicht nötig, innerlich auf Distanz zu gehen.

Die Lust am gutmenschlichen Selbst-Betrug ist ungebrochen. Bei vielen mag das Festhalten an alten Vorurteilen auch biografisch bedingt sein, fürchtet man doch die Korrektur von Lebenslügen; aber bei etlichen ist es blanke Naivität, Unkenntnis und selbst verschuldete Blindheit. Das macht uns für andere Nationen, die ihren Interessen folgen, so unberechenbar; innen- wie gesellschaftspolitisch führt es zu absurden Fehlentscheidungen. Im Eifer unseres humanitären Gefechts schieben wir eine Erkenntnis beiseite: Uneigennütziges Handeln ist kein Wert an sich, „gut gemeint“ allein eben nicht „gut“. Es kommt darauf an, wem der Altruismus dienen soll und wem er tatsächlich nützt. Oder schadet.

Wenn wir überhöhte moralische Standards das politische und gesellschaftliche Handeln bestimmen lassen, machen wir uns etwas vor. Das sollten sich auch die nicht leisten, die keine Verantwortung tragen und die Folgen ihres Unterlassens nicht bedenken müssen. Wenn wir das so zweihundertprozentig berücksichtigen wie vieles andere in Deutschland, machen wir garantiert nichts verkehrt.

Der Autor ist Chefredakteur der „Bild“-Zeitung. Sein Buch „Der große Selbstbetrug“ erscheint diese Woche im Piper-Verlag.

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Über die 10 Plagen in der Vergangenheit kann der Leser unter https://de.wikipedia.org/wiki/Zehn_Plagen nachlesen. Und dies ist die 11. Plage, spezifisch deutsche aber mit verheerenden, politisch destabilisierenden wie gesellschaftlich destruktiven Folgen und tödlichen Auswirkungen in ganz Europa. 

Wir haben das Thema abschließend behandelt im Beitrag unter dem Titel IN SACHEN JÜRGEN HABERMAS et al.
einsehbar in diesem Blog unter dem Link
http://gtvrg.blogspot.de/2015/11/in-sachen-jurgen-habermas-et-al.html sowie gelegentlich hin und wieder in anderen Beiträgen.


Jerzy Chojnowski 
Chairman-GTVRG e.V. 
www.gtvrg.de



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