Wie Kaczynski mit Orbán die EU retten will
Der Europarat behandele die Türkei viel besser als Polen, beklagt Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski. Er selbst präsentiert sich als Retter der EU – und fürchtet ausgerechnet den Rechtsruck vieler Länder.
Frage: Herr Kaczynski, Sie und der ungarische Premierminister Viktor Orbán haben davon gesprochen, sich eine "Konterrevolution" zu wünschen. Was meinen Sie damit?Jaroslaw Kaczynski: Ganz Europa steht vor erheblichen Problemen. Politische Korrektheit grenzt unsere Redefreiheit ein ebenso wie Religionsfreiheit, Diskussionsfreiheit und auch Entscheidungsfreiheit. Wir werden Zeugen, wie die Demokratie liquidiert wird.
Wir sind diejenigen, die sich gegen dieses Phänomen wehren – in Polen und in Europa. Deshalb habe ich mit Viktor Orbán von einer Konterrevolution gesprochen, obwohl wir in Polen traditionell lieber von einer Revolution sprechen, die uns hilft, Freiheit zu erlangen.
Frage: Was wollten Sie mit dieser Revolution erreichen?
Kaczynski: Wir müssen in Europa zum Konzept der Nationalstaaten zurückkehren. Denn nur fähige Institutionen können Demokratie, Freiheit und übrigens auch kulturelle Vielfalt garantieren. Eine kulturelle Vereinigung Europas wäre eine gefährliche Entwicklung, denn das bedeutet eine Degradierung.
Andererseits war der Brexit bereits ein schwerer Schlag. Ich glaube, dass Großbritannien zurückkehren wird, wir werden mit ihnen viel stärker sein. Wenn Europa eine globale Supermacht sein will, sollte es auch als solche agieren, ohne dabei seine nationalen kulturellen Identitäten über Bord zu werfen. Das ist möglich. Wir haben dafür in inoffiziellen Gesprächen Vorschläge unterbreitet: wie man Verträge ändern könnte, um die nationalen Staaten zu stärken und Willkür zu beseitigen.
Es müssen die gleichen Standards für alle gelten: Der Europarat behandelt die Türken viel besser und viel freundschaftlicher als Polen. Das ist eine bittere Überraschung: Freundlichkeit gegenüber Ankara, eine brutale Wortwahl gegenüber Warschau.
Frage: Viele europäische Führungspersönlichkeiten wie Jean-Claude Juncker oder Martin Schulz kritisieren Sie auf sehr harte Art und Weise. Wie kann man da einen Kompromiss finden?
Kaczynski: Sie wollen nicht, dass wir uns selbst regieren. Wir sind unbequem, nicht korrekt genug, außerdem ist Polen ein großes Land. Man hat mir gesagt, Ungarn sei klein, deshalb könne man hier ein paar Zugeständnisse machen. Für Polen scheint das nicht zu gelten.
Aber auch wir sind Mitglied der EU und der Nato, unsere Wirtschaft wächst und die Staatskonten sind stabil. Wir sind also nicht mit der Kritik von Juncker und Schulz einverstanden. Wer uns attackiert, wird nichts gewinnen. Polen wird immer Polen bleiben.
Frage: Wie sehen Sie die Zukunft Europas?
Kaczynski: Der Kontinent verändert sich rapide – und, wie ich finde, nicht zum Besseren. Überall werden die Populisten stärker, in Deutschland mit der AfD, in Frankreich mit Marine Le Pen. Ich denke nicht, dass sie die Wahl gewinnt, aber sie ist jung und hat Zeit. Oder sehen Sie sich die Lega Nord an und die populistischen Parteien Skandinaviens.
Ich weiß nicht, wie Europa in sechs Jahren aussehen wird. Die 5-Sterne-Bewegung in Italien überholt die Regierungspartei, eine anti-europäische Partei liegt in Holland in Meinungsumfragen vorne, auch in Griechenland und Spanien sind seltsame anti-europäische Kräfte aufgetaucht. Sie könnten die EU, so wie sie heute ist, zerplatzen lassen. Entweder reformieren wir die EU oder sie kollabiert.
Frage: Viktor Orbán hat bei seinem Flüchtlings-Referendum keine Mehrheit bekommen. Das hat die pro-europäische, multi-ethnische Gesellschaft gestärkt. Wie sehen Sie das?
Kaczynski: Ich denke nicht, dass Orbán verloren hat. Eine Wahlbeteiligung von über 50 Prozent wäre besser gewesen. Unsere Partei ist absolut gegen jede Art von Antisemitismus und Rassismus. Aber ich denke, wenn jemand in einem Land ankommt und dort leben will, muss er die dortigen Regeln respektieren.
Einige europäische Länder, die Flüchtlinge aufnahmen, haben diese Regeln vergessen, und so sind Konflikte entstanden. Ein weiteres Problem ist die Aggressivität der muslimischen Migranten, vor allem Frauen gegenüber.
Frage: Das westliche Europa wirft Polen und Ungarn vor, zu wenig Solidarität zu zeigen. Was sagen Sie dazu?
Kaczynski: Den Druck spüren wir schon, aber wir werden uns dem nicht beugen. Es geht da um Entscheidungen von Angela Merkel. Nur in einem geordneten und stabilen Land wie Deutschland kann man derartige Zufallsentscheidungen treffen. Frau Merkel kann das aber nicht zugeben, ohne einen Rücktritt zu riskieren.
Ein weiterer Grund dafür, alle Flüchtlinge nach Europa einzuladen, ohne die europäischen Partner erst einmal diesbezüglich zu befragen, könnte in der Überzeugung liegen, dass die deutsche Wirtschaft davon profitieren werde. Aber das ist falsch.
Ich halte es außerdem für möglich, dass die Deutschen Großbritannien aus der EU drängen wollten, indem sie das Nein beim Referendum mit Hilfe der Angst vor Migranten unterstützten. Aber das Vereinigte Königreich ist eine zu harte Nuss, um von den Zähnen der Deutschen geknackt werden zu können. Vielleicht wollten die Deutschen einen starken Konkurrenten innerhalb der EU loswerden. Dabei vergessen die EU und Deutschland leicht, dass über eine Million ukrainische Flüchtlinge in Polen willkommen geheißen wurden.
Frage: Wie sehr fürchten Sie eine militärische Provokation von russischer Seite?
Kaczynski: Provokationen und aggressives Verhalten von Russland gibt es ständig. Wenigstens sichern unsere Jagdflugzeuge die Luftverteidigung der baltischen Länder ab. Russland zeigt, dass es sich immer noch nicht an die neue europäische Realität nach 1989/91 angepasst hat. Ich denke, das wird noch lange dauern.
Wir können die Situation nur dann normalisieren, wenn Russland begreift, dass es eine Grenze gibt. Moskau verbraucht alle seine Ressourcen, heute genau wie damals, kurz vor dem Ende der Sowjetunion. Wir erwarten Solidarität, vor allem von der Nato, doch die jetzige Situation ist besser als früher. Wer auch immer neuer Präsident der USA wird, wir werden uns um gute Beziehungen mit ihnen bemühen.
Frage: In Polen protestieren viele Gruppen gegen Ihre politische Haltung: Frauenvereinigungen und Verteidiger der Demokratie. Auch Lech Walesa ist einer Ihrer Gegner. Wie erklären Sie sich das?
Kaczynski: Zunächst einmal darf man Walesa nicht ernst nehmen. Er ist ein Opfer der modernen Zeiten. Er spielte in der Solidarnosc eine führende Rolle, doch das war nur in diesem spezifischen Kampf gegen den Kommunismus möglich und zu Beginn der Umwandlung zur Demokratie.
Danach haben sich seine intellektuellen Defizite, seine Charakterfehler und seine fürchterliche Vergangenheit als größer erwiesen als sein politisches Geschick. Er hat Niederlagen einstecken müssen und sich mehrmals diskreditiert.
Frage: Und was ist mit der neuen Opposition – den Frauen, den Liberalen im Parlament, dem Komitee für die Verteidigung der Demokratie (KOD)?
Kaczynski: Was das Anti-Abtreibungs-Gesetz anbetrifft, so wurde dieses von einer bürgerlichen Organisation vorgeschlagen, nicht von unserer Partei. Meine Partei will sowohl das Leben als auch die Mütter schützen. Die Frauen der Demonstration vom vergangenen Montag haben mich persönlich angegriffen, obwohl ich das Gesetz nicht unterstützt habe. Ein totales Missverständnis. Und letztendlich wurde das Gesetz schließlich abgelehnt, auch mit unseren Stimmen.
Übersetzt aus dem Italienischen von Bettina Schneider
Dieser Text stammt aus der Zeitungskooperation Leading European Newspaper Alliance (LENA). Ihr gehören neben der "Welt" die italienische Zeitung "La Repubblica", "El País" aus Spanien, "Le Soir" aus Belgien, "Le Figaro" aus Frankreich sowie aus der Schweiz "La Tribune de Genève" und "Der Tagesanzeiger" an.
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