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Donnerstag, 12. September 2019

HONGKONG KÄMPFT - WESTEN SCHWEIGT




Er ist das Gesicht der Protestbewegung in Hongkong: Joshua Wong wird für seinen Mut, sich der Supermacht China entgegen zu stellen, international gefeiert. Bereits 2014 mobilisierte er als Teenager in der "Regenschirm-Revolution" Hunderttausende Studenten für den Protest gegen den wachsenden Einfluss Pekings und für freie Wahlen in der chinesischen Sonderverwaltungszone. Heute gehen wieder jeden Tag Hunderttausende auf die Straßen, um für die Freiheit und Demokratie zu demonstrieren, die ihnen verwehrt werden.



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Die frühere britische Kronkolonie Hongkong soll seit der Rückgabe 1997 an China mit einem eigenen Grundgesetz nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ autonom regiert werden. Dies ist nicht mehr der Fall. Die sieben Millionen Hongkonger, die unter Chinas Souveränität stehen, genießen nicht mehr solche Rechte wie etwa Meinungs- und Versammlungsfreiheit, sondern – so wie die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik – das Recht auf Polizeiterror, Gehirnwäsche, Unterdrückung Andersdenkender und blanke Willkür des Staatsapparats.

Während Hongkong - die 7-Millionen-Metropole und ehemalige britische Kolonie im Südost Chinas, verwaltet von einer willfährigen Marionette Rotchinas, der Chefadministratorin Carrie Lam - seit Monaten brodelt und brennt und sich im Ausnahmezustand befindet, während die Bevölkerung dort sich durch Massenproteste gegen die Gewaltherrschaft chinesischer Machthaber stalinistischer Prägung aufbäumt und die Werte der Demokratie und Freiheit verteidigt, schauen die Heuchler des Westens, nämlich seine Politiker, schamlos und tatenlos zu und schweigen wie stumme Fische, als sei nichts geschehen. 

Seitdem assoziert man mit Hongkong die Heuchelei der sog. Freien Welt, die im Falle eines Falles diesen Werten den Rücken kehrt. Dies beweist, wie viel dieser amoralischen Saubande diese Werte tatsächlich wert sind. Genauso viel, wie die Werte der Moral, was die Tsunami-Opfer 2004 längst erkannt und leidvoll zu ertragen haben.

In diesem Zusammenhang ist die Rolle Amerikas, des Hüters der Demokratie weltweit, besonders tadelnswert. Es ist zwar schön, im Hong Kong Disneyland  Resort durch den Verkauf vom amerikanischen Kitsch Milliarden zu verdienen, weniger schön allerdings mit keinem einzigen Wort der Hongkonger  Protestbewegung eine politische, moralische und andersweitige Unterstützung zu geben. 


Jerzy Chojnowski
Chairman-GTVRG e.V.

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Joshua Wong:
"Wir werden weitermachen.
Wir haben nichts zu verlieren."


 © Meiko Herrmann für ZEIT Online Joshua Wong vor dem Berliner Tempodrom
In Hongkong werde um die Menschenrechte der ganzen Welt gekämpft, betont Aktivist Joshua Wong im Interview mit ZEIT ONLINE. Weitere Gewalt könne niemand ausschließen.
Der 22-jährige Hongkonger Aktivist Joshua Wong wirbt derzeit in Deutschland um Unterstützung für die Demokratiebewegung in seiner Heimat. Der Beistand des Auslands sei wichtig für den Erfolg der Proteste, sagt Wong. Und argumentiert, dass die Welt ein Eigeninteresse daran haben müsse, Hongkongs Demokratiebewegung beizustehen. Im Anschluss an seinen Besuch in Deutschland will er in die USA weiterreisen.

ZEIT ONLINE: Herr Wong, Ihr Besuch in Deutschland ist von China aufs Härteste verurteilt worden, insbesondere Ihr Treffen mit Außenminister Heiko Maas. Der deutsche Botschafter in Peking wurde einbestellt. Der chinesische Botschafter in Berlin hat Sie als "Anstifter von Gewalt" bezeichnet. Aus Sicht der chinesischen Regierung ist es eine Einmischung in innere Angelegenheiten und respektlos, Sie willkommen zu heißen. Auch einige Beobachter sehen dieses Treffen als unnötige Provokation, die auch den Demonstrierenden in Hongkong nicht helfe. War es das wert?

Joshua Wong: Aus meiner persönlichen Sicht fordert die Bevölkerung von Hongkong lediglich freie Wahlen, eine Reform des Wahlsystems innerhalb des bestehenden Verfassungsrahmens. Wir hoffen, dass wir unsere Regierung selbst wählen können, statt zuzulassen, dass der Regierungschef von Peking ausgesucht wird. Ich glaube, die Welt muss die Demokratisierung in Hongkong unterstützen.
Als die Proteste in den vergangenen Monaten anhielten, als Truppen an der Grenze mobilisiert wurden, da war die internationale Gemeinschaft überaus sensibilisiert und in Sorge, dass so etwas wie das Tiananmen-Massaker in Hongkong passieren könnte. Es ist sehr verständlich, dass die Politik in Deutschland mehr darüber wissen will, was in Hongkong passiert, insbesondere wenn wir Hongkong als eine globale Stadt begreifen. Ich glaube nicht, dass eine kurze Unterhaltung mit dem Außenminister ein Beleg für eine Einmischung ist.

ZEIT ONLINE: Man könnte sagen, solch ein Treffen macht es der chinesischen Regierung einfacher, die Proteste als von westlichen Mächten beeinflusst darzustellen. Für die chinesische Propaganda ist ein solches Treffen eine Steilvorlage. Sie hilft ihr, die Erzählung weiter zu stärken, die sie von Anfang an gestrickt hat, inklusive der Vorwürfe, die Protestierenden würden zu Gewalt anstacheln. 

Wong: Die Demokratisierung in Hongkong sollte nicht bloß eine innere Angelegenheit sein. Wenn wir Hongkong als globales Finanzzentrum sehen, dann ist es wirklich bedeutend, die politische und ökonomische Freiheit Hongkongs zu bewahren. Die Staats- und Regierungschefs beim G7-Gipfel haben ein gemeinsames Statement abgegeben, mit dem sie Existenz und Bedeutung der chinesisch-britischen Erklärung zu Hongkong anerkennen. Das hat einen positiven Einfluss auf die Proteste in Hongkong und ist keine Einmischung. Denn wenn Hongkongs Autonomie von Peking substanziell ausgehöhlt wird, schadet das nicht nur Hongkong selbst, sondern auch der Weltwirtschaft.

ZEIT ONLINE: Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie von Heiko Maas und anderen in Deutschland gehört haben?

Wong: In unseren Gesprächen habe ich sehr deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass Deutschland keine Ausrüstung mehr für die Sicherheitskräfte nach Hongkong exportiert, weil es so die Polizeibrutalität billigt. Ich hoffe auch, dass die deutsche Regierung erkennt, wie wichtig es ist, dass die Europäische Union in Handelsverhandlungen mit China die Menschenrechte verteidigt. Ich glaube, das sollte eine glasklare Forderung sein. China kann mich kritisieren oder mir vorwerfen, ich sei ein Separatist. Aber ich will nur, dass die Menschen überall auf der Welt wissen: Wir bitten lediglich um unsere Grundrechte. Wir hoffen, dass wir das Stimmrecht bekommen, wie es die Menschen in Europa schon seit dem vergangenen Jahrhundert genießen.

ZEIT ONLINE: Es wird allgemein angenommen, dass China nicht gewillt sein wird, Zugeständnisse zu machen. Also, abgesehen von den kleinen Schritten, die Sie erwähnt haben, und unterstützenden Worten: Was können westliche Mächte tatsächlich tun, um Einfluss auf China zu nehmen? Schließlich sagen auch viele Beobachter: Niemand würde zu Hilfe kommen, wenn China die Proteste am Ende gewaltsam niederschlägt.  

Wong: Vor drei Monaten hat niemand damit gerechnet, dass die Hongkonger Regierung das Auslieferungsgesetz zurückziehen würde. Aber dank der Macht des Volkes ist es schließlich passiert. Auch wenn es keinen Grund gibt zu glauben, dass Hongkong nun schnell freie Wahlen bekommt: Unsere Hartnäckigkeit lässt mich optimistisch bleiben. Selbst wenn wir keine Hoffnung haben, was Peking angeht, setzen wir viel Hoffnung in das Volk.
Und angesichts des Handelskriegs zwischen den USA und China, der Präsidentenwahl in Taiwan und den wachsenden Spannungen zwischen China und Deutschland wie auch anderen europäischen Ländern, wird China immer zögerlicher werden, die Proteste in Hongkong niederzuschlagen oder ein Massaker zu verüben.

ZEIT ONLINE: Was die Zugeständnisse der Hongkonger Regierung angeht, war die Rücknahme des Auslieferungsgesetzes erst einmal ein relativ kleiner Schritt …

Wong: Ja, wirklich ein kleiner Schritt.

ZEIT ONLINE: … insbesondere im Vergleich zur Forderung nach freien Wahlen. Schwer vorstellbar, dass China das zulassen würde.

Wong: Vor drei Monaten dachten wir auch noch, es könne gar keinen Spielraum für die Hongkonger oder chinesische Regierung geben, überhaupt einen Kompromiss mit der Bevölkerung von Hongkong einzugehen. Tatsächlich hat Xi Jinping ja noch nie Zugeständnisse an das Volk gemacht, seit er über China und Hongkong herrscht. Auch wenn das also erst einmal ein kleiner Schritt war, ist er doch bemerkenswert. So wie vor drei Jahrzehnten in Deutschland: Wer hätte gedacht, dass die Berliner Mauer fallen würde und die Sowjetunion zusammenbricht? Hoffentlich wird erkannt, dass Hongkong eine globale Stadt ist und wir an der Frontlinie stehen. Wir kämpfen für universelle Werte, nicht für die eines bestimmten Landes, sondern für die der ganzen Welt.

ZEIT ONLINE: Ein Grund, warum Sie um die Welt reisen, ist also, mehr Verständnis für die Situation in Hongkong zu schaffen. China aber sieht Ihre Tour als Provokation. Gibt es von Seiten der Demonstrierenden Raum für eine Deeskalation?

Wong: Tatsächlich hat das prodemokratische Lager der Regierungschefin Carrie Lam eine offene Einladung zum Dialog geschickt. Aber sie hat seit fast drei Monaten jede Form des Dialogs abgelehnt. Ich denke, das zeigt, dass die Hongkonger Regierung nur eine von Peking eingesetzte Stellvertreterregierung ist und nicht vom Volk gewählt wurde.
ZEIT ONLINE: Tatsächlich sieht es so aus, als hätte Carrie Lam selbst fast keinen Spielraum für Zugeständnisse.
Wong: Und sie lehnt jeden Dialog ab. Wir werden mindestens bis zum 1. Oktober, Chinas Nationalfeiertag, weitermachen mit unseren Protesten für freie Wahlen. Wie Peking dann reagieren wird, ist entscheidend.
ZEIT ONLINE: An diesem besonderen Tag wollen Sie China die Party vermiesen?
Wong: Wir hoffen auf eine Massenmobilisierung und friedliche Proteste. Ich bezweifle, dass die Hongkonger Regierung uns eine rechtmäßige Demonstration oder Versammlung erlauben wird. Die Menschen in Hongkong kämpfen seit drei Jahrzehnten für freie Wahlen, schon bevor wir geboren wurden.
Vor der Übertragung der Souveränität hat Peking der Bevölkerung von Hongkong freie Wahlen versprochen, und das ist nicht nur in der Verfassung festgehalten, sondern auch in der chinesisch-britischen Erklärung, die bei den Vereinten Nationen registriert ist, also einen internationalen Vertrag darstellt. Wir alle wissen, dass die politische Krise durch politische Reformen gelöst werden muss.
ZEIT ONLINE: Wenn es um das Ziel freier Wahlen geht: Sehen Sie die Möglichkeit, auf dem Weg dorthin einen kleinen Schritt zu gehen, der die Situation entspannt?

Wong: Wir hoffen sehr darauf, dass eine Kommission eingerichtet wird, um die Polizeibrutalität zu untersuchen. Laut Umfragen unterstützen mehr als 80 Prozent der Bürger von Hongkong diese Forderung. Das wäre ein guter Schritt. Aber unsere Regierung lehnt das ab.
ZEIT ONLINE: Man könnte auch sagen: China lehnt das ab.
Wong: Eine solche Kommission ist der Konsens der Mehrheit der Hongkonger Bürger. Wir warten jetzt auf die Antwort der chinesischen Regierung. Wir werden sehen, ob sie lernen wird, auf unsere Stimme zu hören, wenn die Proteste weitergehen.
Hätten die Proteste etwa im Juli aufgehört, glaube ich nicht, dass das Auslieferungsgesetz zurückgezogen worden wäre. Aber durch die Hartnäckigkeit und Entschlossenheit der Hongkonger Bürger wurde das Gesetz schließlich vor zwei Wochen zurückgezogen. Also werden wir unseren Streik fortsetzen.
ZEIT ONLINE: Sie sind mehrfach inhaftiert worden …
Wong: Dreimal.
ZEIT ONLINE: … zuletzt vor Ihrer Abreise nach Deutschland.
Wong: Sie haben mich für 24 Stunden festgehalten.
ZEIT ONLINE: Womit rechnen Sie nach Ihrer Rückkehr?
Wong: Es wäre keine Überraschung, wenn sie mich in Zukunft wieder verhaften würden. Aber wenn sie mich bloß wegen meiner Besuche in Taiwan vergangene Woche, diese Woche in Deutschland und nächste Woche in Washington verhaften würden, würde das doch nur die politische Zensur zeigen und dass die Menschen in Hongkong keine Meinungsfreiheit genießen.
ZEIT ONLINE: Sie sind zum Gesicht einer ansonsten gesichtslosen Bewegung geworden, also einer spontanen Bewegung ohne Anführer. Die Menschen, die auf die Straße gehen, riskieren viel. Ist das Risiko für Sie größer, weil Sie so exponiert sind?

Wong: Ich glaube, die Situation ist ganz anders als vor fünf Jahren. Damals haben sich 200.000 Menschen der Regenschirmbewegung angeschlossen, aber jetzt stehen zwei Millionen Menschen hinter uns. Die Regenschirmbewegung hielt für 79 Tage an, jetzt protestieren wir schon 92 Tage.
Innerhalb dieser Bewegung gibt es niemanden, der zwei Millionen Menschen in Hongkong repräsentieren könnte. Als derjenige, der international Lobbyarbeit betreibt, hoffe ich ein globales Schlaglicht auf die Proteste in Hongkong werfen zu können, nicht auf meinen persönlichen Weg. Die Stimme der Menschen in Hongkong soll gehört werden in der internationalen Gemeinschaft. Das ist die Mission, die ich vorantreiben will.
ZEIT ONLINE: Eine Bewegung ohne Anführer bedeutet auch, dass Sie keine Kontrolle darüber haben, was die Leute tun. Einige der Demonstrierenden werden immer wütender.
Wong: Natürlich.
ZEIT ONLINE: Das macht es China leichter, die Demonstrierenden als gewalttätigen Mob zu diffamieren, den niemand unterstützen sollte.
Wong: Ich hoffe, es ganz klar zu machen: Es muss nicht zu Zusammenstößen und Gewalt kommen. Ich lehne selbstverständlich jede Art von Gewalt vonseiten der Demonstrierenden ab. Der einzige Ausweg ist, die Hongkonger Regierung dafür zur Rechenschaft zu ziehen, wie sie mit der politischen Krise umgeht, die Carrie Lam ausgelöst hat. Doch sie versteckt sich bloß hinter den Sicherheitskräften. Sie lehnt jede Form von Dialog ab und hört nicht auf unsere Stimme.
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Besuch in Berlin: Aktivist Wong fordert von Deutschland mehr Härte gegen China


© AP Der Aktivist forderte die Bundesregierung dazu auf, die Proteste in Hongkong auch zum Gegenstand bei den Handelsgesprächen mit China zu machen.
Aktivist Joshua Wong will viel von Berlin: Der 22-Jährige verlangt ein Exportverbot von Polizeiwaffen – und mehr Unterstützung für die Hongkonger Demokratiebewegung.
Deutschland und der Westen dürften angesichts der Proteste in Hongkong „kein Auge zudrücken“. Das ist die Kernbotschaft von Joshua Wong, dem 22-jährigen Aktivisten der Hongkonger Demokratiebewegung, bei seinem Auftritt in Berlin an diesem Mittwoch.
Der Student forderte von Deutschland und anderen westlichen Ländern, keine Waffen mehr an die Polizei in der Finanzmetropole zu liefern, mit denen die Ordnungshüter nach seinen Worten „brutal“ gegen die Demonstranten vorgehen. „Taten sagen mehr als Worte“, so der Aktivist. Wong kündigte an, dass die Proteste weiter gehen würden, bis die Bevölkerung in Hongkong in freien Wahlen selbst über ihr Schicksal bestimmen könnte.
Neben dem Exportverbot von Polizeiwaffen – Wong nannte unter anderem Wasserwerfer aus deutscher Produktion – forderte der Aktivist, dass die Proteste in Hongkong auch zum Thema in den laufenden Handelsgesprächen gemacht werden sollten. „Deutschland sollte China direkt mit Menschrechtsverletzungen konfrontieren“, sagte Wong.

Der Student befindet sich seit Montag in Berlin und traf unter anderem mit Außenminister Heiko Maas zusammen. Obwohl ein Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel nicht geplant ist, bedankte sich Wong bei der deutschen Regierungschefin, dass sie ihre Sorge über die Lage in Hongkong bei ihrer China-Reise vergangene Woche angesprochen habe. China hat indes das Treffen mit Maas scharf verurteilt. Der chinesische Botschafter in Berlin kündigte an, noch an diesem Mittwochnachmittag dazu Stellung zu nehmen.
Dass die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam den umstrittenen Gesetzentwurf für Auslieferungen nach China inzwischen zurückgezogen hatte, bezeichnete Wong als „taktische Maßnahme“, um die Lage vor Chinas Nationalfeiertag am 1. Oktober zu beruhigen.
„Hongkong ist das neue Berlin im neuen Kalten Krieg“
„Das reicht aber bei Weitem nicht aus“, betonte der Kopf der Demokratiebewegung Demosisto und forderte den chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf, die nun schon seit drei Monaten andauernde Krise in der Sonderverwaltungszone durch politische Reformen zu lösen.
Die ehemalige britische Kronkolonie Hongkong wurde 1997 mit der Zusage zurück an China übergeben, dass dort in den nächsten 50 Jahren die Regel „Ein Land, zwei Systeme“ gelten sollte. Nach Meinung von Wong hält sich Peking jedoch nicht an diese Zusage und missachtet die im Hongkonger Grundgesetz garantierten politischen Freiheiten.
„Hongkong ist das neue Berlin im neuen Kalten Krieg“, sagte Wong und bezeichnete seine Heimat als „Frontstadt“ in der globalen Auseinandersetzung des Westens mit China. Er widersprach jedoch Behauptungen, wonach die Demokratiebewegung in Hongkong durch ausländische Mächte unterstützt werde.
„Die Menschen in Hongkong sind unabhängig“, sagte der Aktivist. Wong reist diese Woche weiter in die USA, wo er unter anderem mit dem republikanischen US-Senator und China-Kritiker Marco Rubio zusammentreffen will. (Handelsblatt)

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Franka Lu ist eine chinesische Journalistin und Unternehmerin. Sie arbeitet in China und Deutschland. In dieser ZEIT-ONLINE-Serie berichtet sie kritisch über Leben, Kultur und Alltag in China. Um ihr berufliches und privates Umfeld zu schützen, schreibt sie unter einem Pseudonym.

Hongkong brodelt, wie ein kleiner Vulkan am Rande eines riesigen Imperiums. Keiner von uns hat das, was hier geschieht, vorausgesehen. Wir, das sind Festland- wie Hongkong-Chinesen gleichermaßen, und zwar unabhängig von der sozialen Schicht. Auch die mächtige Regierung hat es nicht kommen sehen. Was wir gerade erleben, sind heftige Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Erinnerungen, Emotionen, Kräften und Absichten, und die friedliche Seite ist dabei, zu verlieren. So wie es jetzt aussieht, werden die ohnehin bedrohten Kräfte der Demokratie und des Rechtsstaats in Hongkong drastisch geschwächt werden. Und die Welt wird teuer bezahlen für den Verlust Hongkongs, ganz ähnlich wie im Fall des Kriegs in Syrien. Sterben würde die letzte Hoffnung auf Demokratie in China, und zwar für die nächsten Jahrzehnte.
Um die Vehemenz und Bedeutung der Proteste in Hongkong besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die vielen perfiden kleinen Schritte der Machthaber, die die Demokratiebewegung erst provoziert haben. Die schwelende Wut brach sich Bahn im März mit dem öffentlichen Widerstand gegen das von der Regierung Hongkongs vorgeschlagene Auslieferungsgesetz. Es geht dabei um ein Verfahren für die bislang nicht gesetzlich geregelte Überführung von Flüchtlingen nach Taiwan, nach Festlandchina und Macau. Wenn das Gesetz durchkommen sollte, könnten Bürger Hongkongs wie Ausländer, die sich in der Stadt aufhalten, für Gerichtsprozesse nach Festlandchina überführt werden, also in ein Rechtssystem unter politischer Kontrolle. Damit wäre Hongkongs seit dem 19. Jahrhundert andauernde Geschichte als sicherer Hafen für chinesische Exilanten auf der Flucht vor Krieg, Hungersnot und politischer Verfolgung offiziell beendet.  

Bis zu zwei Millionen Demonstranten gingen seit März auf die Straße. Friedliche, ordnungsliebende, höfliche Bürger, die auf dem Weg nach Hause noch den Müll wegräumten. Wie das Rote Meer öffnete sich die Menge, um die Ambulanz durchzulassen, und schloss sich hinter ihr wieder.
Hongkongs Regierung zeigte sich zunächst entschieden bis stur, dann gab es zögerliche Gesten der Kompromissbereitschaft angesichts des Protests. Die Frustration wuchs, Menschen begingen Suizid als ultimativen Protest, trotz vieler Versuche der Demonstranten, das zu verhindern. Am 12. Juni verletzte die Polizei 81 Demonstranten – und die Regierung verweigerte die Untersuchung der Vorfälle. Aus der Konfrontation von Demonstranten und Polizei erwuchsen Feindseligkeit und Hass. Es wurde gewalttätig, und die Dinge nahmen eine bösartige, finstere Wendung.

Am 21. Juli attackierte im U-Bahnhof von Yuen Long eine bewaffnete Gruppe von Gangstern in weißen Hemden die Demonstranten, U-Bahn-Passagiere und Journalisten. Die Polizei erschien mit einer halben Stunde Verspätung. Niemand wurde festgenommen. Lokale Medien zeigten später ein Video, auf dem man Polizisten auf dem Revier im Gespräch mit den Weißhemden sah. Die Protestierenden waren wütend, die Demonstrationen eskalierten. Angestellte, Studierende und Ladenbesitzer begannen mit einem Streik, forderten eine "Bewegung der Nichtzusammenarbeit" und blockierten öffentliche Verkehrsmittel. Die Protestierenden stellten fünf Forderungen auf: die Zurücknahme des geplanten Auslieferungsgesetzes; die Zurücknahme der Anklage gegen die von der Polizei festgenommenen Protestierenden; das Ende der Bezeichnung der Demokratiebewegung als "Aufständische"; Untersuchung der Vorfälle von Polizeigewalt; Einführung eines wirklich demokratischen Wahlrechts.
Seit der Übergabe Hongkongs von Großbritannien an China im Jahr 1997 haben die Bürger und die Demokratiebewegung der Sonderverwaltungszone immer wieder die Erosion ihres Autonomiestatus bekämpft. Vieles, was seitdem geschah, hatte Demonstrationen in großem Umfang zur Folge. In dem Sturm, der sich gerade ereignet, setzen sich diese Kämpfe fort.

Was in den vergangenen 15 Jahren geschah
Im Jahr 2003 hat die Regierung von Hongkong ein Gesetz eingeführt, das subversive Akte gegen die chinesische Regierung verbietet – und sich leicht zur Verfolgung politischer Dissidentinnen und Dissidenten missbrauchen lässt. Es kam zu heftigen Protesten.
Im Jahr 2007 entschied China, dass die allgemeine Wahl des Regierungschefs beziehungsweise der Regierungschefin nicht vor 2017 eingeführt werden könne, und dass nicht alle Abgeordneten durch Wahl bestimmt werden sollten. Einige würden von Wirtschaft und Handel bestimmt. Diese sind jedoch sehr viel leichter von China beeinflussbar. 2010 kam es deshalb zu heftigen Protesten.
Im Jahr 2014 bestimmte Peking, dass die Bewohner Hongkongs zwar 2017 ihren Regierungschef wählen dürfen, allerdings nur aus einem von Peking gebilligten Kandidatenkreis. Daraufhin kam es zur sogenannten Regenschirmrevolution. Peking bewegte sich keinen Zentimeter. 2017 bestimmte dann ein Komitee aus 1.200 Personen, das von den Pro-Peking-Eliten dominiert war, Carrie Lam zur Regierungschefin. Die Demonstrationen setzten sich fort.
Aufgrund der erstarkenden Kontrolle durch Peking ereigneten sich auch außerhalb der Legislative beunruhigende Dinge. 2012 versuchte die Regierung, die Geschichtslehrbücher der Schulen zu ändern, im Sinne der "moralischen und nationalen Erziehung", gab dieses Vorhaben allerdings nach heftigen Protesten auf; 2014 attackierten zwei Männer den früheren Chefredakteur der wichtigsten Hongkonger Tageszeitung Ming Pao mit Hackmessern und verletzten ihn schwer; 2014/15 lehnte die Universität Hongkong einen Demokratiebefürworter als Vizepräsidenten ab und wählte an seiner Stelle einen hoch umstrittenen Kandidaten; 2015/16 wurden fünf Angestellte und der Besitzer einer unabhängigen Buchhandlung festgenommen oder entführt und zu einem öffentlichen "Geständnis" ihrer "Verbrechen" im chinesischen Fernsehen gezwungen. Der Buchladen hatte Bücher im Angebot, die in Festlandchina verboten sind, am besten verkauften sich die über die Korruption und das Privatleben der chinesischen Führung. Allein durch Investitionen in Hongkonger Medien ist der 

Einfluss Festlandchinas über die Jahre stark gewachsen.
China hat es in Hongkong mit subtiler Bewusstseinskontrolle versucht, aber auch mit blutiger Gewalt gegen die Redefreiheit agiert. Verständlicherweise sind Furcht, Wut und Misstrauen gewachsen. Nicht einmal die Hoffnungsvollsten und Naivsten glauben noch daran, dass sich Peking an seine eigene Losung "Ein Land, zwei Systeme" halten wird. "Das ist unsere letzte Chance", murmelte eine Demonstrantin am Flughafen von Hongkong. Ihre traurigen Sätze wurden von einer Journalistin auf Facebook verbreitet. Leider entwickelt sich die Angelegenheit in eine Richtung, vor der sich die friedlichen Protestierenden fürchten müssen.
Die Triaden, eine im 17. Jahrhundert entstandene Untergrundorganisation, spielen als Agenten der Regierung gegen die Demokratiebewegung eine schmutzige Rolle. Und zwar ziemlich effektiv: Sie werden zur Abschreckung eingesetzt, produzieren Chaos und Spaltung in der Bewegung. Auf einer dezentral organisierten Demonstration, bei der die Protestierenden vermummt sind, kennt keiner den anderen. Als ein freier Journalist, der für ein offizielles chinesisches Medium arbeitet, sich am Flughafen von Hongkong ohne die gelbe Weste, das Erkennungszeichen der Journalisten, in die Menge der Protestierenden mischte, wurde er plötzlich festgehalten und sein Rucksack von Teilnehmern kontrolliert. Warum er? Niemand weiß es. Dann rief er provokant: "Ich bin auf der Seite der Hongkonger Polizei, los, schlagt mich." Er wurde tatsächlich von einigen der Männer attackiert. Andere Demonstranten kamen ihm zu Hilfe. Erst hieß es, er sei ernsthaft verletzt, aber am nächsten Tag war er im Fernsehen zu sehen, mit ein paar Kratzern, aber wohlgemut, als strahlender Held. Als die Fragen zu seinen Beweggründen und nach seiner wahren Identität in den sozialen Medien beharrlicher wurden, verschwand er aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit. All das ist mysteriös, aber Millionen von Festlandchinesen verlangen inzwischen die Niederschlagung der "brutalen Rowdys", der Demonstranten in Hongkong.
Was auch immer dabei genau abgelaufen sein mag: Der Informationskrieg, den Peking in Festlandchina lanciert hat, hat zu einer Spaltung zwischen den Bürgern Hongkongs und denen des Festlands geführt. Die Zensur- und Propagandamaschine läuft seit Juni auf Hochtouren. Konsequent wird jede Information blockiert, die Sympathien mit der Demokratiebewegung wecken könnte. Nicht nur die offiziellen Medien zeigen sich bemüht, ein Hongkong-kritisches Bild durchzusetzen, sondern ebenso alle nicht offiziellen Medienunternehmen, die Influencer der sozialen Medien, Fernseh- und Filmstars, Wissenschaftler, Internetkommentatoren und so weiter.

Demokratie erzeuge nur Chaos
Das Bild, das die orchestrierte Desinformationskampagne zeichnet, ist geschickt aus ein paar Wahrheiten, vielen Lügen und verzerrten Bewertungen zusammengesetzt: Hongkong habe seit der Übergabe an China an strategischer Bedeutung verloren. Die jungen Leute protestierten gegen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und die Älteren nähmen wütend und neidisch den steigenden Reichtum der Festlandchinesen zur Kenntnis, auf die sie lange herabgeblickt haben. Der Westen, angeführt von den USA, habe schon immer versucht, Hongkong als Instrument zu benutzen, um Chaos in China zu stiften und China im globalen Wettbewerb zu schwächen. Die Protestierenden ließen sich entweder auf naive und törichte Weise vom Westen benutzen oder versuchten Hongkong aus eigenem Machtinteresse an den Westen zu verkaufen. Die Demonstrationen und Aufstände zielten auf Hongkongs Unabhängigkeit von China, das sei unter keinen Umständen zu dulden. Demokratie erzeuge nur Chaos und sei zum Scheitern verurteilt. Die Einparteienherrschaft sei die 

Garantie für Wohlstand und Glück.
Geschickt montierte Videos werden in Umlauf gebracht, die zeigen sollen, dass die Demonstrierenden gewalttätig und die Polizisten ohne Schuld sind. Radikale Stimmen und Aktionen der Protestierenden werden übertrieben und weiterverbreitet, während die friedlichen und vernünftigen Forderungen unterdrückt werden. Nur sehr wenige junge Leute kennen Hongkongs zwei Jahrhunderte zurückreichende, ruhmreiche Geschichte als Zufluchtsort für Millionen exilierter Chinesen und als Schutzraum für die traditionelle chinesische Kultur. Hongkongs Bewohner haben während der Kulturrevolution mehr als eine Million hungernder Flüchtlinge gerettet. Bei jeder großen Naturkatastrophe auf dem Festland spenden die Bürger von Hongkong erstaunlich hohe Summen für Hilfsgüter. In diesem Propagandakrieg werden sie jedoch als "undankbare und verzogene Kinder" geschildert, die ihr Vaterland verraten.
Viele Festlandchinesen, die keinen Zugang zu Informationen der Gegenseite haben und seit Langem der nationalistischen Erziehung und der Propaganda gegen demokratische Teilhabe ausgesetzt sind, glauben diese Geschichte aufs Wort. Außerdem gibt es wirklich eine Antifestlandstimmung unter manchen Bewohnern Hongkongs, die die Propaganda der kommunistischen Partei zu belegen scheint. Der seit Jahrzehnten spürbare Neid vieler Festlandchinesen auf die besonderen Privilegien und den 

Wohlstand Hongkongs nimmt jetzt hässliche Formen an.
Das ist der Grund für das geradezu tsunamiartige Aufbranden nationalistischer Erregung der chinesischen Bürger über die Demonstranten in Hongkong. Neben dem scheinbar objektiven Ruf nach der "Herrschaft des Rechts" und "Vaterlandsliebe" wurden die chinesischen und internationalen sozialen Medien mit obszönen Flüchen und bösartigen Verleumdungen geflutet. Die Demonstranten wurden als "Abfalljugend 废青" oder "gelbe Leichen 黄尸" beschimpft. Aber auch die mit mehr Anstand und weniger nationalistischer Rhetorik, darunter viele relativ erfolgreiche Angehörige der Mittelschicht, halten "Stabilität" für einen zentralen Wert und sind sehr argwöhnisch, was die Absichten des Westens angeht.
Eine neue, unerwartete "Internetarmee" treibt die Leute um. Jugendliche Fans von Filmstars eilen ihren vermeintlich verunglimpften patriotischen Idolen zu Hilfe und überschwemmen die sozialen Medien mit geradezu roboterhaft identischen Kommentaren, die mit Herzen und Blumen dekoriert sind, um so ihre Liebe zu China, genauer gesagt zur Regierung in Peking, und ihre Verachtung der Demonstranten zu bekunden. "iZhong" oder "liebe China", ein halb englischer, halb in der latinisierten Umschrift Pinyin gefasster Ausdruck, den diese Fans geprägt haben, ist inmitten von Emojis, Hasskommentaren, Spott und Prahlerei omnipräsent. "China hat den längsten Tunnel der Welt." "China hat einen Quantencomputer." "Dein Dad ist das große China." "Unterstützt die Militärparade zum 70. Jubiläum der Volksrepublik."

Umzingelt von Roten Garden
In diesem Unwetter der nationalistischen Gefühle, die sich gegen die Demokratiebewegung richten, gehen deren Sympathisanten auf dem Festland unter. Es ist das eine, von der mächtigen Zensurmaschine der Zensur unterdrückt zu werden. Es ist aber noch einmal etwas ganz anderes, sich von aggressiven, selbstgefälligen, gewalttätigen und glühend nationalistischen Äußerungen von Freundinnen und Freunden, Nachbarinnen, Kollegen, Geschäftspartnern, Eltern und Töchtern, Lehrern und Studentinnen umzingelt zu sehen. "Ich habe Angst …" "Ich fühle mich von den Roten Garden umringt." Solche Sätze bekommen nur die verlässlichsten Freunde von Betroffenen in den sozialen Medien zu lesen. Manch einer hat Angst, dass die Volksbefreiungsarmee in Hongkong das Tiananmen-Massaker wiederholen könnte, aber das ist wohl eher unwahrscheinlich. Ein "Massaker" sieht heute anders aus. "Der 4. Juni von heute besteht darin, eine große Niederschlagung in eine große Zahl scheinbar kleiner Ereignisse aufzuteilen … Es gibt kein 'Endergebnis' ... Man spielt die Regionen und die Ethnien und Gruppen gegeneinander aus, sodass sie sich gegenseitig niederschlagen … Man stachelt die verschiedenen Gruppen zum Hass an." So schreibt es ein chinesischer Wissenschaftler.
Einige Demonstranten hatten die Hoffnung, dass ihnen die internationale Gemeinschaft zur Seite springen würde. Würden die USA vielleicht mit der Beendigung der Vorzugskonditionen drohen, die seit dem US-Hongkong-Policy-Act von 1992 gelten? Das bleibt vermutlich ein frommer Wunsch. Donald Trump hat Xi Jinping als "großen Führer" gepriesen, "der von seinem Volk sehr respektiert wird". "Ein guter Mann", der "das Hongkong-Problem rasch und auf menschliche Weise lösen wird".
In Hongkong sehen wir das Sinnbild unserer Zeit: den Aufstieg von autoritärer Herrschaft und glühendem Nationalismus sowie die isolierten, verzweifelten Kämpfe dagegen. Hongkong wird nie wieder sein, was es war. Die Niederlage der Demokratiebewegung wäre ein gravierender Rückschlag für die Demokratiebewegungen in diesem Jahrhundert – der Prager Frühling unserer Epoche.
Übersetzung: Robert Meyer








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