ZEIT ONLINE hat eine Chronologie der Ereignisse zusammen gestellt. Sie zeigt, was heute im Fall eines Megabebens im Indischen Ozean anders wäre.
Zu den Uhrzeiten und dem genauen Ablauf der Tsunami-Katastrophe gibt es widersprüchliche Quellen. Wir beziehen uns hier im Wesentlichen auf Angaben aus Nature news, der US-Behörde für Ozeanografie NOAA, der Weltgesundheitsorganisation WHO, sowie auf Daten, die dem GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) vorliegen, das in Indonesien ein Tsunami-Frühwarnsystem aufgebaut hat.

1.59 Uhr (MEZ) – die Erde bebt

Etwa 250 Kilometer süd-südöstlich der indonesischen Stadt Banda Aceh, im Meer vor der Insel Sumatra, erschüttert ein Erdbeben den Meeresboden. Es ist eines der stärksten Beben, das je auf der Welt gemessen wurde. Bis an Land ist es spürbar. Auf Sumatra werden Häuser, Brücken, Strom- und Telefonleitungen zerstört.

2.30 Uhr – Erste Tsunami-Wellen treffen auf die Küste

Eine halbe Stunde später treffen bis zu 20 Meter hohe Wellen auf Sumatras Nordküste und die Nikobaren. Die Menschen ahnen in diesem Moment nichts. In der halben Stunde seit dem Beben hat sie keine Warnung erreicht. Forscher im Tsunami-Frühwarnzentrum von Hawaii (PTWC) – ziemlich am andern Ende der Erde – wissen zu diesem Zeitpunkt bereits von der Schwere des Erdbebens und  versuchen, Behörden in den Küstenstaaten des Indischen Ozeans zu erreichen. Schon acht Minuten nach den Beben hatten ihre Instrumente Alarm geschlagen. Doch weil es in den gefährdeten Regionen am Indischen Ozean keine klaren Ansprechpartner für die ausländischen Forscher gibt, keinen einstudierten Ablaufplan, wie man die Bevölkerung informieren sollte, versickert das Wissen um die heranrollende Gefahr.
Das Wasser strömt bis zu sieben Kilometer ins Landesinnere Sumatras. Viele Menschen wissen nicht einmal, was gerade geschieht, und dass sie ins Landesinnere, nach oben fliehen sollten. Drei Monate später wird die WHO von 121.000 Toten und knapp 114.000 Vermissten berichten
Heute hätte das Warnzentrum in Jakarta, das nach der Katastrophe von 2004 mit deutscher Unterstützung aufgebaut wurde, drei Minuten nach der ersten Erschütterung das Erdbeben registriert, weitere zwei Minuten hätte es gedauert, bis die Rechner eine Tsunami-Warnung ausgegeben hätten. Bis die ganze Warnkette an die Strände und in die Dörfer hinein durchlaufen ist, dauert es mittlerweile nur noch fünf bis zehn Minuten.
Tsunami 2004: Entstehung eines Tsunamis
Entstehung eines Tsunamis © ZEIT ONLINE

3.00 Uhr – Wellen erreichen Thailand und Malaysia

Eine gute Stunde ist seit dem ersten Beben vergangen. Weitere kleinere Beben haben mittlerweile den Indischen Ozean erschüttert. Tsunami-Wellen erreichen die Küsten von Thailand und Malaysia und reißen Tausende Menschen, darunter viele Touristen, mit sich. Mehr als 5.000 Menschen sterben, die meisten in Thailand. Der beliebte Urlaubsort Khao Lak in Thailand wird besonders schwer getroffen. Viele Anwohner und Urlauber sehen regungslos zu, wie sich das Wasser am Strand plötzlich zurückzieht – ein Vorbote der heranrasenden Tsunami-Wellen. Doch sie wissen es nicht zu interpretieren, viele machen noch Fotos, filmen das Naturschauspiel. Minuten später werden sie fortgerissen. 
Mit mehr als einer Stunde Vorlauf hätten die Thailänder mit einem Frühwarnsystem, wie es heute existiert, sicherlich weniger Tote zu beklagen. Die Chancen stünden gut, dass nach einem schweren Beben eine Warnung die Menschen dort genauso schnell erreicht wie in Indonesien.

4.00 Uhr – Wellen erreichen Sri Lanka

Eine Stunde später erreichen die Wellen Sri Lanka, schätzungsweise 30.000 Menschen sterben dort in den Fluten oder an den Folgen der Zerstörung. Myanmar und Bangladesch werden ebenfalls getroffen, aber mit geringeren Folgen: Dort kommen 61 Menschen ums Leben. 
Auch diese Länder werden heute von dem Frühwarnsystem aus Indonesiens Hauptstadt mit Informationen versorgt. Wird in der Zentrale in Jakarta ein Beben registriert, das gefährliche Flutwellen ausgelöst haben könnte, werden spätestens nach zehn Minuten alle Länder um den Indischen Ozean informiert. Es ist dann eine nationale Aufgabe, diese Information an die Bevölkerung weiterzugeben. Das funktioniert zehn Jahre nach dem Sumatra-Beben unterschiedlich gut.

4.30 Uhr – Indien wird getroffen

An der Südostküste Indiens sterben mehr als 9.500 Menschen in Folge des Tsunamis. Heute könnten viele gerettet werden. Indien betreibt inzwischen ein eigenes Tsunami-Frühwarnzentrum namens ITEWS mit Sitz in Hyderabad. Es wurde in Folge des Tsunamis vom zweiten Weihnachtstag 2004 errichtet und 2006 in Betrieb genommen. Anfänglich gab es vor allem bei der Kommunikation an die Bevölkerung Pannen. 

Dreieinhalb Stunden – erst dann erreicht die Welle die Malediven

Als es im Jahr 2012 zu einem Beben der Magnitude 8.2 im Ozean vor Banda Aceh (Indonesien) kam, konnte aber schon acht Minuten später eine Warnung an die Menschen auf den zu Indien zählenden Andamanen-Inseln und die Nikobaren herausgegeben werden. Es folgten zwar nur zu ganz leichte Flutwellen auf das Beben – aber die Warnkette hatte weitgehend funktioniert.

5.21 Uhr – Nachbeben erschüttern die Region

Es kommt immer wieder zu Nachbeben, das stärkste erreicht 7,1 auf der Richter-Skala und ereignet sich in der Nähe der Nikobaren.

5.30 Uhr – die Malediven werden überspült

Wellen überrollen die Malediven. Im Falle eines so schweren Erdbebens wie am zweiten Weihnachtstag 2004 würde auch ein Frühwarnsystem den Menschen auf den Malediven wenig nützen, da es dort kaum Rückzugsmöglichkeiten gibt – die flachen, kleinen Inseln würden komplett überspült. 
Mit einem Vorlauf von mehreren Stunden könnten Teile der Bevölkerung nur mit Hubschrauben und Flugzeugen in Sicherheit gebracht werden. Die Menschen müssten ansonsten auf Hoteldächer und Hochhäuser fliehen und hoffen, dass die Gebäude den Wellen standhalten.

8.15 Uhr – Wellen erreichen Ostafrika

Der Tsunami hat den Indischen Ozean überbrückt und schlägt gegen die ostafrikanische Küste. Fast 300 Menschen sterben in Somalia in den Wassermassen – mehr als sechs Stunden nach dem Megabeben wissen sie nichts von den drohenden Wellen. Und das, obwohl Fernseh- und Radiosender weltweit mittlerweile von den ersten Schäden aus Indonesien, Thailand und Malaysia berichten.
Tsunami: Die nächste große Welle
Klicken Sie auf das Bild, um die Grafik als PDF herunterzuladen.© Gisela Breuer/Dirk Asendorpf
Heute werden die Behörden zehn bis 15 Minuten nach einem Erdbeben vor Sumatra gewarnt und können mit einer Vorlaufzeit von mehr als fünf Stunden entsprechende Maßnahmen einleiten.

Bilanz einer Naturkatastrophe

Am Ende starben in Folge des Tsunami mindestens 230.000 Menschen. Da viele unregistrierte Leichen in Massengräbern bestattet wurden, lässt sich die genaue Zahl nicht bestimmen, sie wird von einigen auf bis zu 280.000 geschätzt. 
Auch viele Touristen starben in den Wellen. 539 Deutsche waren darunter, 13 werden bis heute vermisst. Ausgelöst wurde all das durch das stärkste Erdbeben seit 1964 mit Wellen, die mancherorts zehn Meter und höher reichten. 

Was wäre heute anders?

Frühwarnsysteme gibt es heute in der gesamten Region um den Indischen Ozean. Sie nutzen das weltweite Netz aus GPS-Stationen und Seismometern zur Erdbeben-Registrierung, einige haben zusätzlich Bojen im Meer, die tatsächliche Veränderungen des Meeresspiegels aufzeichnen. Die Daten aus der Natur werden an eine Zentrale gesendet, in der Computer nach derzeitigem Stand der Wissenschaft und unter Berücksichtigung von Simulationsdaten berechnen, wie hoch das Risiko für einen Tsunami ist und wo voraussichtlich wie hohe Wellen aufschlagen werden.  
Allerdings gehört zu einem funktionierenden System auch, dass die Geräte, die warnen sollen – Lautsprecher zum Beispiel – gewartet werden und die Menschen im Ernstfall wissen, was zu tun ist. Was die Vorbereitung auf solche Naturkatastrophen angeht, etwa durch regelmäßige Evakuierungsübungen, das Erstellen von Gefährdungskarten, Aufklärung an den Schulen oder die Bereitstellung von Apps zur Tsunami-Warnung, ist in allen betroffenen Ländern noch viel zu tun. Nicht erreicht zu werden, kann tödlich sein. Das gilt auch heute, zehn Jahre nach dem Beben vor Sumatra.
Die Chronologie entstand mit Unterstützung von Jörn Lauterjung vom GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ). Der Physiker war Projektkoordinator des deutsch-indonesischen Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen Ozean (GITEWS), das 2011 an Indonesien übergeben wurde. 


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