PS. VOR DIESEM HINTERGRUND WIRD ES NUN JEDEM BÜRGER DEUTSCHLANDS UND EINEM JEDEN AUßENSTEHENDEN SONNENKLARKLAR, DASS DIE JETZIGE DISKUSSION ÜBER DIE SOGENANNTE
ERNEUERUNG DER SPD
AN EINE ANDERE ERINNERT, NÄMLICH:
WIE EIN BORDELL IN EIN KLOSTER UMGEWANDELT
WERDEN SOLL UND WELCHES TUGEND-,
KEUSCHEITS- UND UNBEFLECKHEITSZEUGNIS
JENER NONNEN AUSZUSTELLEN WÄRE?
ODER MIT ANDEREN WORTEN NOCH DEUTLICHER:
WELCHE SCHRITTE GEMACHT WERDEN MÜSSEN,
UM DEN NACH GÜLLE STINKENDEN
SPD-SCHWEINESTALL
IN EINEN WOHL DUFTENDEN SCHÖNHEITSSALON UMZUWANDELN?
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Zwei schriftliche Beweisstücke
meiner abgrundtiefen Heuchelei
füge ich hiermit bei.
Martin Schulz Parteivorsitzender der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands
Rede beim SPD-Bundesparteitag in Berlin Berlin, 7. Dezember
2017
Vielen Dank und guten Morgen, liebe Genossinnen und
Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gäste, ein herzliches Willkommen
auch von mir auf diesem Parteitag, auf dem wir es uns zum Ziel gesetzt haben,
unseren Weg nach vorne zu beschreiben. Wir haben viel vor in diesen drei Tagen.
Es ist nicht leicht, hier zu stehen nach so einem Jahr. So ein Jahr habe ich noch
nicht erlebt in meiner politischen Karriere. Zum Jahreswechsel sind wir bei 20
Prozent in den Umfragen gestartet. Dann kam das, was im Land der „Schulz-Hype“
genannt wurde. Dann haben wir drei Landtagswahlen verloren und schließlich im
September das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl eingefahren. Wir
sind wieder da gelandet, wo wir am Jahresanfang gestartet sind: 20,5 Prozent.
Das ist hart; das ist bitter. Ich habe schon manches Auf und Ab in meinem Leben
hinter mir - privat und politisch. Aber so ein Jahr kann man nicht einfach
abschütteln. So ein Jahr steckt einem in den Knochen. Es steckt mir auch in den
Knochen, weil ich weiß, wie enttäuscht, ja wie wütend viele Menschen waren und
sind, die innerhalb und außerhalb unserer Partei so viele Hoffnungen in mich,
so viele Hoffnungen in die SPD gesetzt hatten: Menschen, die sich viele Stunden
engagiert haben, sei es am Infotisch, bei Hausbesuchen, im Netz oder am
Arbeitsplatz und im Freundeskreis. Ich trage als Kanzlerkandidat die
Verantwortung für dieses Wahlergebnis. Am Ende hat es nicht gereicht, und wir
sind hinter dem zurückgeblieben, was möglich gewesen wäre. Und weil ich all das
weiß, bitte ich für diese bittere Niederlage bei allen, die uns ihr Vertrauen
geschenkt und dafür gekämpft haben, dass endlich wieder ein Sozialdemokrat
Bundeskanzler wird, die an uns geglaubt, mit uns gehofft haben, dass wir aus
dem Kanzleramt heraus für ein gerechteres Deutschland und für ein besseres
Europa sorgen würden - bei all diesen Menschen bitte ich für meinen Anteil an
dieser bitteren Niederlage um Entschuldigung. Ich kann die Uhr nicht
zurückdrehen, aber ich möchte als Parteivorsitzender meinen Beitrag dazu
leisten, dass wir es besser machen. Dafür werbe ich heute um Euer Vertrauen.
Wir haben nicht nur diese Bundestagswahl verloren, sondern wir haben die
letzten vier Bundestagswahlen verloren. Wir haben nicht nur dieses Mal 1,7
Millionen Stimmen verloren, sondern 10 Millionen seit 1998 - fast die Hälfte
unserer Wählerschaft. Deshalb wird es nicht genügen, nur auf das Jahr 2017 zu
schauen. Wir müssen schonungslos die letzten 20 Jahre aufarbeiten. Nicht, liebe
Genossinnen und Genossen, um uns in rückwärtsgewandten Debatten zu verlieren,
sondern um aus den Fehlern zu lernen und eine Vision von der Zukunft zu entwickeln,
die wieder begeistert und die Menschen wieder von uns überzeugt. Wir haben es
nicht geschafft, einen Gesamtentwurf für die Zukunft unseres Landes zu
entwickeln. Wir haben es nicht geschafft, die Frage ausreichend zu beantworten:
Wofür steht die Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert? Unser größtes Problem ist,
dass wir unser klares Profil verloren haben. Zwischen den großen Linien in den
Sonntagsreden und dem Klein-Klein in der alltäglichen Politik ist es uns in den
letzten Jahren nicht gelungen, eine Politik anzubieten, die einerseits über den
Tellerrand hinausschaut, die andererseits aber konkret umsetzbar ist. Und
deshalb: Unsere Glaubwürdigkeit holen wir uns zurück, indem wir konkrete
Lösungen anbieten, die aber nicht für sich alleine stehen dürfen, sondern Teil
einer sozialdemokratischen Gesamtstrategie sein müssen. Das ist die Aufgabe der
Erneuerung der Partei, und die beginnt mit diesem Parteitag. Die Erneuerung ist
nicht aufgehoben, weil wir jetzt in der aktuellen Debattenlage sind. Sie ist vielleicht
ein bisschen verzögert. Aber diese Erneuerung der SPD ist der zentrale Auftrag
für den nächsten Parteivorstand und auch für den nächsten Parteivorsitzenden.
Die Sozialdemokratie wurde gegründet als ein Zusammenschluss von Arbeitern, die
als Einzelne gegenüber dem übermächtig werdenden Kapital machtlos waren. Sie
waren ohne Rechte, schutzlos ausgeliefert der Willkür einer sich immer mehr
bereichernden Oberschicht und einem technischen Fortschritt, der sie zu
ersetzen drohte. Diese Leute teilten gemeinsame Werte. Sie schlossen sich
zusammen, um als Einheit stark zu sein, um füreinander einzustehen und sich
ihre Rechte zu erstreiten. Die frühe Arbeiterbewegung war eine
Bildungsbewegung, und sie hatte schon sehr früh erkannt, dass sie sich
international organisieren musste. Das Ergebnis kennt Ihr alle: Das sind so
große Dinge wie der Acht-Stunden-Tag, das Streikrecht, das Frauenwahlrecht, der
Sozialstaat - die ganze Liste der Errungenschaften, die wir erstritten haben.
Das ist die Gründungsgeschichte der Sozialdemokratie. Das ist das Bild, das die
Menschen über Jahrzehnte von uns hatten und zu Recht mit uns verbunden haben -
die Geschichte dieser Erfolge. Und unsere Partei ist immer mit der Zeit
gegangen; wir haben uns verändert und modernisiert. Aber immer war der Gedanke,
dass sich Menschen zusammenschließen, um durch Solidarität eine starke
Gemeinschaft zu bilden und mehr individuelle Freiheit und Gerechtigkeit
herzustellen, weil sie die gleichen Prinzipien und Werte teilen und weil sie
diese Prinzipien und Werte in der Gesellschaft durchsetzen wollen. Immer war
dieser Gedanke die Seele und das Herz unserer Bewegung. Das war der
demokratische Sozialismus. Das ist die Leitidee der sozialdemokratischen
Bewegung. Das ist der Weg, den wir hinter uns haben. Das war der demokratische
Sozialismus - die Leitidee der Sozialdemokratie: Respekt, Toleranz, durch
Gemeinschaft den Einzelnen zu stärken und seine Rechte zu sichern. Einigkeit
macht stark. Und heute geht es darum, diese Prinzipien, diese Werte unter
veränderten Rahmenbedingungen zur Geltung zu bringen. Unser Problem ist, dass
viele Menschen das bei uns nicht mehr erkennen. Sie erkennen nicht mehr, dass
wir eine Bewegung sind. Ich habe, genau wie Ihr, häufig im Wahlkampf erlebt,
dass die Menschen uns nicht mehr als einen Teil von ihnen, nicht mehr als
Vertreter ihrer Anliegen wahrnehmen, sondern als einen Teil des
„Establishments“. Wie oft habe ich gehört: „Ihr da in Brüssel.“ „Ihr da in
Berlin“. „Ihr da in der Landeshauptstadt.“ „Ihr da oben, Ihr interessiert Euch
doch gar nicht für mich.“ Dieser Vertrauensverlust in Politik ist sicher ein
generelles Phänomen. Aber er trifft uns Sozialdemokraten besonders. Er trifft
uns deshalb besonders, weil wir anders sind, weil wir offen sind für die
Zivilgesellschaft, weil wir eben nicht Elite oder die abgehobene Oberschicht
sind, nein, wir sind die sozialdemokratische Bewegung, die für die Menschen,
die uns brauchen, da sein muss - international, national und lokal. Dahin
müssen wir wieder zurück! Das müssen wir wieder deutlich machen. Die SPD muss
die Partei sein, die sich kümmert, vor Ort präsent, ansprechbar und offen ist,
und die dann Lösungen anbietet, die das Leben der Menschen besser machen. Viele
von Euch waren bei den acht Dialogveranstaltungen dabei, die wir durchgeführt
haben. Bei diesen Veranstaltungen habe ich gespürt, wie lebendig unsere Partei
ist und wie viel Lust da ist, sich zu engagieren und mitzumachen. Deshalb hier
an dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle, die dabei waren. Das waren
wunderbare Begegnungen. Und deshalb mein Versprechen an Euch, an diejenigen,
die dabei waren und das organisiert haben: Solche Veranstaltungen machen wir ab
jetzt regelmäßiger. Basis und Parteispitze müssen wieder viel näher
zusammenrücken, als es bisher der Fall war. Ich will, dass wir nahbarer werden.
Deshalb ist der Erneuerungsprozess, den wir schon direkt nach der Wahl
eingeleitet haben und der hoffentlich ab morgen von Lars Klingbeil federführend
in die Hand genommen wird, so wichtig. Entscheidend ist dabei: Wir müssen die
Distanz zwischen oben und unten überbrücken. In der Gesellschaft und in der
Partei. Ich will, dass wir verzahnt sind, besser vernetzt in unserer Partei,
aber auch besser vernetzt mit der Gesellschaft. Dass jeder das Gefühl hat: Bei
der SPD kann ich mitmachen! Da kann ich was bewegen! Und deshalb finde ich es
gut, dass wir unsere Partei vor Ort wieder stark oder noch stärker machen. Die
Ortsvereine sind und bleiben das Herz unserer Partei. Dieses Herz muss
schlagen, für uns, aber vor allem für die Menschen im Land. Deshalb finde ich
den Vorschlag gut, dass wir Mitglieder nicht nur bei Sach-, sondern auch bei
Personalentscheidungen beteiligen. Dafür müssen wir als Partei ein Angebot
formulieren, in unserem Organisationsstatut und, wenn nötig, auch durch die
Änderung des Parteienrechts. Deshalb finde ich es gut, dass Lars Klingbeil
besonders die digitalen Beteiligungsmöglichkeiten verbessern will, die es
leichter machen, trotz Familie und Beruf und zeit- und ortsungebunden ein
bisschen Zeit in die Parteiarbeit zu stecken. Ich bin mir sicher: Wenn wir all
das umsetzen, was Ihr ja auch in dem Leitantrag beschrieben findet, dann, ja,
Genossinnen und Genossen, werden wir moderner und attraktiver. Ja, dann werden
wir auch jünger, weiblicher und vielfältiger. Die Erneuerung unserer Partei
muss das Kernanliegen der nächsten Jahre sein! Aber Teil unserer Erneuerung,
lasst mich das hier so offen sagen, muss auch ein Kulturwandel sein. In den
Wochen nach der Wahl haben wir ein denkbar schlechtes Beispiel, ein denkbar
schlechtes Bild abgegeben. Öffentlich wurde bei uns mehr über Personalfragen
als über Inhalte gestritten. Das darf uns so nie wieder passieren. Die
inhaltliche Auseinandersetzung muss im Vordergrund stehen. Sie muss sichtbarer
werden! Denn wenn der Eindruck entsteht, das Wesen von Politik sei, sich einen
Vorteil zu verschaffen, den anderen auszutricksen und seine eigene Macht
auszubauen, dann ist das gefährlich. Ihr kennt alle die Fernsehserie „House of
Cards“, in der Politik genau so dargestellt wird. Das mag als Entertainment
ganz amüsant sein, aber Fiktion sollte Fiktion bleiben und nicht die Blaupause
der Realität werden. Dieses Politikverständnis passt nicht zu uns. Wer seit
über 150 Jahren für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eintritt, wer die Demokratie
in ihren schwersten Stunden verteidigt hat, wer Arbeitnehmer- und Frauenrechte
erstritten und Minderheiten geschützt hat, wer all das getan hat, der darf
Politik nicht als einen reinen Machtkampf betrachten. Das zerstört das
Politische, Genossinnen und Genossen. Es zerstört auch die Sozialdemokratie!
Politik ist kein Machtspielchen. Politik ist nicht Kampagne. Politik ist auch
kein Kapitel aus einem Public-Relations-Buch. Politik darf nie nur Kampf sein.
Vor allen Dingen darf Politik nicht Intrige sein. Politik ist dafür da, ein
gutes und friedliches Zusammenleben zu organisieren, Orientierung zu geben und
dafür zu sorgen, dass Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen und
gestalten können. Der Wesenskern von Politik - und damit auch von politischen
Parteien - muss die Suche nach den besten Lösungen sein. Das Streben nach einer
besseren und solidarischeren Welt. Das Organisieren des Miteinanders und des
Gemeinwohls. Das und nichts Anderes muss eine sozialdemokratische Partei
machen, jede Woche, jeden einzelnen Tag und jeder Einzelne und jede Einzelne
von uns gemeinsam! Wir müssen auch wieder das respektvolle Streiten lernen!
Streiten der Sache wegen, um die besten Lösungen zu finden und ohne dass es
dabei um Sieg oder Niederlage von Personen geht. Denn es ist Blödsinn, dass
Sachfragen immer auch Machtfragen sind. Von wem lassen wir uns einen solchen
Unsinn eigentlich einreden? Erinnert Euch doch mal: In unseren besten Zeiten
haben wir die großen Debatten für unsere Gesellschaft ausgetragen: Als wir um
die Entspannungspolitik gerungen haben, und wir dafür von den Konservativen als
Vaterlandsverräter beschimpft wurden. Als wir kluge Positionen zur Kernenergie
und zum Umweltschutz suchten, während uns andere Parteien deswegen nur milde
belächelt haben. Ja, auch als wir darüber debattierten und uns entgegen der
öffentlichen Meinung gegen den Irak-Krieg gestemmt haben. Das waren doch
Sternstunden unserer Partei, in großer Kontroverse ausgetragen, aber
stellvertretend für die gesamte Gesellschaft. Das Entscheidende ist: Lasst uns
leidenschaftlich debattieren und auch streiten und uns nicht einreden lassen,
dass diese oder jene Position nur vorgetragen würde aus einem taktischen Motiv
heraus. Viel zu oft waren wir zu mutlos, Entscheidungen in die eine oder in die
andere Richtung zu treffen und haben uns dann auf Formelkompromisse geeinigt,
um des lieben Friedens willen, die uns politisch aber nicht mehr erkennbar
machen. Ich will, dass es in der SPD wieder lebendige Debatten gibt, an deren
Ende dann ein konkreter Vorschlag steht, der durch die kontroverse
Auseinandersetzung besser geworden ist. Debatten, die zum Mitmachen anregen,
die junge Leute begeistern, zur SPD zu kommen, sich zu engagieren! Liebe
Genossinnen und Genossen, der Ort dieser Debatte muss die SPD sein! Lasst uns
zurückkehren zu einer alten Tugend: Jede Meinung, jede Position innerhalb
unserer Partei hat ihren Platz, muss ausgedrückt werden können, muss
respektiert werden können, ohne dass dahinter irgendetwas unterstellt wird.
Lasst uns kontrovers diskutieren und anschließend vereint nach außen unsere
Position tragen. Das ist eine alte Tugend. Diese Kraft müssen wir wieder
entwickeln. Die SPD muss wieder die Partei des Mutes werden. Lasst uns
aufhören, auf Umfragen zu starren oder auf den Zeitgeist. Für den Zustand der
SPD, das müssen wir uns selbst sagen, für unseren Zustand ist nicht Frau Angela
Merkel zuständig, auch nicht die Große Koalition oder der Neoliberalismus und
auch nicht die Medien. Für den Zustand unserer Partei sind wir selbst zuständig.
Und wenn wir zu uns selbst zurückkehren, dann werden wir auch wieder stark.
Aber dazu gehört auch, dass wir gestalten wollen. Wir müssen wieder gestalten
wollen. Lasst mich mal etwas aus dem Godesberger Programm von 1959 zitieren. Es
heißt dort: „Im demokratischen Staat muss sich jede Macht öffentlicher
Kontrolle fügen. Das Interesse der Gesamtheit muss über dem Einzelinteresse
stehen. In der vom Gewinn- und Machtstreben bestimmten Wirtschaft und
Gesellschaft sind Demokratie, soziale Sicherheit und freie Persönlichkeit
gefährdet.“ Was aber ist heute Realität? Global operierende Konzerne wie Apple
hinterziehen Milliarden an Steuern, und der irische Staat macht sich zum
Komplizen. Manche Banken handeln in einer unsagbar verantwortungslosen Weise
mit den Hypotheken von zehntausenden Menschen, ruinieren sie und bringen ganze
Volkswirtschaften ins Wanken. An den Börsen wird auf die Verknappung von
Nahrungsmitteln spekuliert, während weltweit Menschen Hunger leiden.
Großkonzerne verkaufen Wasser als Luxusgut, während fast 850 Millionen Menschen
weltweit keinen Zugang zu sauberem Wasser haben und darüber krank werden.
Solche Auswüchse lassen Menschen den Glauben an die Steuerungskraft von Politik
verlieren. Ein System, das solche Auswüchse zulässt, muss verändert werden. Das
ist die Aufgabe von sozialdemokratischer Politik. Wenn wir der Meinung sind,
dass die Wirtschaft für den Menschen da ist und nicht umgekehrt, dann müssen
wir auch dafür sorgen, dass dieser Grundsatz - und ich erinnere an das
Godesberger Programm - durch den Primat der Politik auch durchgesetzt wird.
Wenn die Freiheit des Marktes Wohlstand und Fortschritt nur für wenige
bedeutet, dann ist das gar keine Freiheit. Deshalb muss die SPD beantworten,
wie unter den Bedingungen der Globalisierung dem demokratischen Willen auf
nationaler, auf europäischer und internationaler Ebene Geltung verschafft
werden kann. Wir müssen uns als die politische Kraft erweisen, die fähig ist,
das Leben der Menschen zum Besseren zu verändern - selbstbestimmt, sicher und
frei. Nur so gewinnen wir Vertrauen zurück. Aber es reicht eben nicht mehr aus,
das nur national zu tun. Der Nationalstaat hat in der globalisierten Welt viel
Gestaltungsmacht verloren. Seien wir so ehrlich, und sagen wir das den
Wählerinnen und Wählern. Vieles, was wir tun müssen, um ihr Leben besser zu
machen, können wir gar nicht mehr im Deutschen Bundestag - auch nicht mehr im
Bundeskanzleramt - machen. Globale Regeln müssen global durchgesetzt werden,
und hierfür brauchen wir Europa. Deshalb müssen wir Europa stärken. Deshalb
sind wir die Europapartei. Und nur Europa kann in dieser Globalisierung die
Regeln durchsetzen, die ihre Auswüchse, die ich beschrieben habe, unter
Kontrolle bringen. Deshalb müssen wir Europa stärken. Nur ein entschlossenes Europa
kann dem Klimawandel effektiv entgegentreten. Nur ein starkes Europa kann die
Plattformgiganten, wie Facebook oder Google, dazu zwingen, unsere Regeln und
Grundrechtestandards zu akzeptieren. Nur ein offenes Europa kann es jungen
Menschen ermöglichen, sich in mehreren Sprachen und Ländern zuhause zu fühlen.
Nur ein solidarisches Europa kann der asozialen Steuerflucht effektiv Grenzen
aufzeigen. Nur ein entschiedenes Europa kann den internationalen Terrorismus
bekämpfen, und nur ein einiges Europa, kann die Herausforderungen der Migration
solidarisch bewältigen. Das alles schaffen wir nicht mehr national. Die
traurige Wahrheit ist aber auch: Europa ist heute in vielen Fragen
handlungsunfähig. Und schlimmer noch: Auch Europa funktioniert eben nicht immer
nur für die Menschen, sondern leider allzu oft eben für die Großkonzerne. Wenn
Unternehmen, die übrigens häufig mit europäischen Geldern subventioniert worden
sind, Standorte nach Osteuropa verlagern, dann ist das Lohndumping auf Kosten
der Belegschaften. Das ist nicht mein Europa. Wenn bei den Brexit-Verhandlungen
ernsthaft gefordert wird, dass Freizügigkeit für Kapital, Waren und
Dienstleistungen gelten soll, nicht aber für Menschen, dann ist das nicht mein
Europa. Wenn Staaten ihre Haushalte nicht ausgleichen können, müssen sie mit
drakonischen Strafen aus Brüssel rechnen. Setzen sie aber die Gewaltenteilung
außer Kraft, dann ist die Kommission machtlos. Das ist ganz sicher nicht mein
Europa. Wenn wir Milliarden für Bankenrettungen mobilisieren können, aber für
Jobs für junge Leute nur Kleckerbeträge zur Verfügung stehen, dann ist das
sicher nicht mein Europa. Ich habe immer für Europa gekämpft - das wisst ihr -
aber ich habe für das solidarische Europa gekämpft, ein Europa, das für die
Menschen da ist. Die europäischen Völker haben sich zusammengeschlossen, weil
sie erkannt haben, dass sie alleine gegenüber bestimmten Entwicklungen machtlos
sind. Ja, sie haben sich auch zusammengeschlossen, weil sie nur durch gelebte
Solidarität gemeinsam stark sind. Das ist das Europa, von dem wir mehr
brauchen. Nicht das Europa der Banken und der multinationalen Konzerne, nicht
das Europa der teilweise absurden Regulierungen! Das brauchen wir auf keinen
Fall. Nein, wir brauchen das Europa der Bürger. Wir brauchen das Europa, das
sich zusammenschließt, weil es durch den Zusammenschluss seine Menschen
schützt. Wir brauchen das Europa, das schützt, das soziale Europa, das
demokratische Europa. Wir brauchen das sozialdemokratische Europa, und genau
dafür treten wir ein. Nur dieses Europa gibt es aktuell nicht, und wir müssen
es schaffen. Wenn wir wollen, dass Europa auch dauerhaft stark bleibt, dann
müssen wir dafür sorgen, dass es handlungsfähig ist und dass es einen spürbaren
Unterschied macht im Leben der Menschen. Wir brauchen kein europäisches
Spardiktat, aber wir brauchen endlich Investitionen in ein Eurozonenbudget, um
Wachstum in der Eurozone zu generieren. Wir brauchen einen europäischen
Finanzminister, der diesen Unterbietungswettbewerb beim Steuerdumping eindämmt
und der endlich der unsäglichen Steuerflucht ein Ende setzt in Europa. Wir
brauchen einen europäischen Rahmen für Mindestlöhne, damit dieses Lohndumping -
ich sprach davon - beendet wird. Europa ist unsere Lebensversicherung. Es ist
die einzige Chance, wie wir im Wettbewerb mit anderen großen Regionen dieser
Erde mithalten können. Und macht Euch doch keine Illusionen: In anderen
Regionen dieser Erde wird anders gedacht als bei uns, und da wird übrigens auch
anders produziert als bei uns. Die haben keine Menschenrechte, die haben kein
Streikrecht, da gibt es nicht die Gewerkschaften, die auf gleicher Augenhöhe
mit dem Kapital agieren könnten. Da gibt es die Kinderarbeit, da gibt es die
hemmungslose Ausbeutung der Ressourcen und der Menschen. Ja, klar produzieren die
billiger als wir. Ja, das ist wohl so. Und da gibt es die klugen Köpfe, die uns
sagen: Ihr müsst so werden, wie die sind. Nein, da bin ich anderer Meinung. Wer
auf unseren Markt in Europa will, den reichsten Markt der Welt, der muss dann
auch unsere Standards akzeptieren. So machen wir Europa zum Schutz für die
Menschen auf diesem Kontinent. Seit 1925 - mit dem Heidelberger Programm -
fordert die SPD die Vereinigten Staaten von Europa. Das bedeutet konkret, dass
wir Europa mindestens in den Bereichen Innere und Äußere Sicherheit, beim
Klimaschutz, bei der Steuer- und Geldpolitik, beim Kampf gegen Steueroasen, bei
der Flüchtlingspolitik und bei der Entwicklungszusammenarbeit die Instrumente
geben müssen, die Europa braucht, um handlungsfähig zu sein. Und deshalb frage
ich Euch: Warum nehmen wir uns eigentlich jetzt nicht vor - hundert Jahre nach
unserem Heidelberger Beschluss; hundert Jahre später - spätestens im Jahre 2025
diese Vereinigten Staaten von Europa verwirklicht zu haben? Ich will, dass es
einen europäischen Verfassungsvertrag gibt, der ein föderales Europa schafft,
das keine Bedrohung für seine Mitgliedsstaaten ist, sondern ihre sinnvolle
Ergänzung. Ein solcher Verfassungsvertrag muss von einem Konvent geschrieben
werden, der die Zivilgesellschaft und die Völker Europas mit einbezieht. Ich
will Euch eines sagen: Wenn wir mit den Menschen diskutieren, dann können wir
sie auch überzeugen, dann können wir sie für diese großartige Idee gewinnen.
Ich habe weniger Angst vor den Menschen als vor mancher taktisch handelnden
Regierungszentrale. Dieser Verfassungsvertrag muss deshalb mit den Menschen
erarbeitet werden. Wenn wir ihn haben, dann muss er in den Mitgliedsstaaten
vorgelegt werden. Wer dann dagegen ist, der geht dann eben aus der Europäischen
Union heraus. Lasst uns endlich den Mut aufbringen, Europa beherzt
voranzubringen! Nicht dieses Drehen an Stellschräubchen! Lasst uns Mut haben!
Europa zu stärken heißt nicht nur, Gestaltungsmacht zurückzugewinnen. Es heißt
auch, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Es geht in den nächsten Jahren - ich
muss das leider hier in dieser Dramatik sagen - um die Zukunft der europäischen
Einigung. Denn obwohl wir gerade in unserem Land sehen, dass die Pro-Europäer
wieder Zuspruch gewinnen, dass Pulse of Europe sich mit Leidenschaft für die
Europäische Union einsetzt, erleben wir auch das Erstarken der Kräfte, die
Europa am liebsten zerschlagen würden. Guckt Euch an, was in Polen passiert, wo
unsere gemeinsamen Grundwerte systematisch untergraben werden und die EU handlungsunfähig
ist, etwas dagegen zu tun! Schaut nach Ungarn! Dieses Land hat uns nicht nur in
der Flüchtlingskrise die Solidarität verweigert. Es schließt jetzt auch große
Deals mit China ab und entfernt sich immer weiter von der Europäischen
Gemeinschaft. Schaut auf die Wahlergebnisse in den Niederlanden, in Frankreich,
in Finnland, in Dänemark, in Österreich und auch bei uns in Deutschland!
Überall erstarken die Rechten und Ultranationalisten, die mit unserer
Vorstellung von freier und offener Gesellschaft nichts am Hut haben, die ihre
Länder am liebsten abschotten wollen und für ein Weltbild stehen, das von
gestern ist. Deshalb sage ich Euch: Wenn wir nicht umsteuern, wenn wir Europa
nicht ganz praktisch und ganz konkret stärken, dann werden diese Kräfte gewinnen.
Wer das ignoriert nach Nachrichten, die wir alle nicht für möglich hielten -
beim Brexit oder bei der Wahl von Trump - der verspielt nachlässig die Zukunft
unseres ganzen Kontinents. Deshalb müssen wir ausloten, wie wir zur besten
Lösung für ein anderes, ein besseres Europa kommen. Ich füge hinzu: Auch wir
als SPD haben eine besondere Verantwortung dafür. Denn weitere vier Jahre
deutsche Europapolitik à la Wolfgang Schäuble kann sich die Europäische Union
weiß Gott nicht leisten! Wir legen Euch heute einen Leitantrag vor, den das
Präsidium und der Parteivorstand einstimmig verabschiedet haben, der genau
dieser Logik folgt und eine Kehrtwende in der Europapolitik einleiten will.
Gerade in der Europapolitik darf es kein „Weiter so!“ mehr geben. Es geht in
unserem Leitantrag um die großen Fragen. Neben Europa ist es vor allem, wie wir
als Partei der Arbeit unserem Anspruch gerecht werden und dafür sorgen, dass im
Zeitalter der Digitalisierung zentrale Errungenschaften erhalten bleiben, dass
Arbeit auch weiterhin Selbsterfüllung, Würde und Zusammenhalt bedeutet. Denn
die Herausforderungen sind da, und die Menschen erwarten zu Recht, dass wir uns
ihrer annehmen. Leiharbeit in Deutschland ist auf einem Höchststand. Fast eine
Million Leiharbeiter gab es 2016 in Deutschland. Der Anteil der befristeten
Stellen ist gestiegen. Fast die Hälfte der neu eingestellten
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat 2016 nur eine befristete Stelle
erhalten. Die soziale Mitte gerät seit Jahren mehr und mehr unter Druck. Unsichere
und schlecht bezahlte Tätigkeiten haben zugenommen. Die Zeitungen sind jeden
Tag voll von Prognosen, wie viele Millionen Arbeitsplätze in den nächsten
Jahren aufgrund von Automatisierung, Algorithmen und Robotik wegfallen. Ich bin
sehr dankbar, dass Ihr, die Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften,
hier seid. Denn das sind die Aufgaben, die wir gemeinsam - Sozialdemokratie und
Gewerkschaften Seit‘ an Seit‘ - anpacken müssen. Gemeinsam müssen wir uns darum
kümmern, dass die Digitalisierung nicht dazu führt, dass Arbeitnehmerrechte
infrage gestellt werden. Deshalb brauchen wir auch im digitalen Zeitalter mehr
- und nicht weniger - betriebliche Mitbestimmung. Gemeinsam müssen wir uns
darum kümmern, dass endlich wieder mehr Menschen nach Tarif bezahlt werden und
verhindern, dass mehr Unternehmen aus den Tarifverträgen flüchten. Das muss man
ganz präzise sagen: Da, wo keine Tarifverträge mehr gelten, herrschen
schlechtere Bedingungen in Bezug auf die Höhe der Löhne, auf die gerechte
Verteilung der Einkommen, die Arbeitsbedingungen oder die Qualifizierung und
Ausbildung. Die soziale Spaltung unserer Gesellschaft beginnt da, wo die
Tarifbindung endet. Gemeinsam müssen wir uns darum kümmern, dass die sogenannte
Digitaldividende der Unternehmen auch bei den Menschen ankommt. Denn wo immer
mehr Arbeit automatisiert wird, dies aber zu Beschäftigungsverlust und
wachsendem Druck auf die sozialen Sicherungssysteme führt, brauchen wir
Antworten. Deswegen sage ich hier ganz klar: Ja, es wird in Zukunft auch wieder
um Verteilungsgerechtigkeit gehen! Wenn die Effizienzgewinne der einen die
Lasten der anderen werden, dann muss es dafür einen Ausgleich geben. Darauf
wird die Sozialdemokratie eine Antwort geben müssen. Und gemeinsam müssen wir
uns darum kümmern, dass der Trend zur Soloselbstständigkeit nicht zu einer
weiteren Prekarisierung der Arbeit führt. Mehr als eine Million Menschen sind
heute in Deutschland selbstständig, Tendenz steigend. Selbstständig zu sein
heißt heute aber nicht mehr, nur Ärztin, Installateur oder Buchhändler zu sein.
Nein, das heißt heute immer häufiger auch Paketbote, Programmierer oder
Fahrerin bei Uber zu sein. Das sind Menschen, die sich nicht aus der Portokasse
selbst absichern können. Wir müssen uns darum kümmern, dass diese Form der
Selbstständigkeit nicht zu einer systematisierten Selbstausbeutung wird! Wir
wollen keine App-gesteuerte Dienstbotengesellschaft. Wir wollen, dass die
Digitalisierung zu mehr individueller Freiheit, zu mehr Chancen und zu mehr
selbstbestimmter Lebensgestaltung führt! Unsere Aufgabe ist es, den Menschen
die Sicherheit zu geben, dass es auch morgen für sie noch eine gute Perspektive
gibt. Klar, garantieren, dass manche Tätigkeiten in der Wirtschaft 4.0 noch
immer existieren werden, können wir nicht. So ehrlich müssen wir schon sein.
Worum wir uns aber kümmern können, ist, dass neue Jobs mit Wachstumskapital für
Start-ups entstehen mit Unterstützung gerade für die kleinen und mittleren
Unternehmen, dass Qualifizierungsangebote vorhanden sind mit dem Ausbau der
Bundesagentur für Arbeit zu einer Agentur für Arbeit und Qualifizierung, mit
einem Chancenkonto, das eine autonome Lebensgestaltung unterstützt. Wir müssen
uns darum kümmern, dass Arbeitnehmerrechte gewahrt bleiben. Deshalb wiederhole
ich das, auch wenn manche, die hier sind, vielleicht gar nicht mehr gerne
hören, was ich im Wahlkampf gesagt habe: Wir brauchen eine Abschaffung der
sachgrundlosen Befristung und eine Eindämmung der prekären Beschäftigung. Wir
müssen uns darum kümmern, dass die unsägliche Ungleichheit zwischen Frauen und
Männern am Arbeitsmarkt endlich beendet wird. Dazu gehört, dass das
Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit endlich umgesetzt wird. Wir müssen uns
darum kümmern, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kein Wunschtraum bleibt,
sondern Normalität wird. Wir müssen uns darum kümmern, dass moderne Regelungen
zur Datensouveränität die Würde des Menschen auch im digitalen Zeitalter
bewahren und dass unsere sozialen Sicherungssysteme Bestand haben. Ich sage das
einmal ganz frei von der Leber: Wir bekommen ja immer um die Ohren gehauen,
unsere Debatte um die sozialen Sicherungssysteme sei ein bisschen antiquiert.
Und diese „Sozialstaatsromantik“, wie man es liest, wenn wir über
Rentenversicherung reden, wenn wir über Krankenversicherung reden. Der Kampf
gegen Altersarmut oder für eine sichere Rente, das ist auch im digitalen
Zeitalter eine hoch moderne Angelegenheit. Das ist nämlich immer erforderlich,
um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir es endlich
schaffen, in der Bildung auf der Höhe der Zeit zu sein. Ein Land mit
Milliardenüberschüssen muss in der Lage sein, die Löcher im Schuldach zu
reparieren und dafür zu sorgen, dass die Toilette funktioniert, dass unsere
Kinder mit den modernsten Mitteln lernen können. Unser Bildungssystem in
Deutschland ist nicht modern, und das muss sich ändern! Wir sind die Partei,
die sich darum kümmern muss, dass jeder und jede mitkommt. Und ja, dazu gehören
eben mehr Lehrerinnen und Lehrer, dazu gehören auch mehr Schulsozialarbeiter,
vor allem in einer Gesellschaft, die immer mehr Integrationsleistungen an die
Schulen delegiert. Deshalb brauchen wir dringend die nationale Bildungsallianz,
die wir im Wahlkampf vorgeschlagen haben. Wir brauchen ein Ende des Kooperationsverbotes.
Wir brauchen die kostenfreie Bildung von der Kita bis zur Universität. Und wir
brauchen - ich wiederhole das - einen Berufsschulpakt. Ich wiederhole es, weil
ich es im Wahlkampf hundertmal gesagt habe, weil es meine tiefe Überzeugung
ist. Wir brauchen deshalb einen Berufsschulpakt, weil wir endlich zeigen
müssen, dass uns berufliche Bildung genauso viel wert ist wie die akademische
Qualifikation! Wir waren immer die Partei der Bildungsreform. Im Zeitalter des
Wissens, in dem wir leben, müssen wir die Partei der Bildungsrevolution werden!
Das alles beschreibt unser Leitantrag. Dafür wird die SPD gebraucht! Nach der
Erneuerung Europas und der Zukunft der Arbeit ist mir eine dritte Frage
besonders wichtig. Was ist unsere Haltung zum Umweltschutz? Diese Frage stellt
sich auch für die SPD immer dringender. Ich möchte Euch ein Erlebnis aus dem
Wahlkampf vortragen, das mich tief aufgewühlt hat. Ich habe mit Manuela
Schwesig gemeinsam das Ozeaneum in Stralsund besucht. Das ist ein wunderbares
Projekt, wo die Artenvielfalt unserer Ozeane und unserer Meere interaktiv
dargestellt wird. Manuela hatte mich eingeladen, dieses fantastische Projekt zu
besuchen. Der Direktor des Ozeaneums hat mich zu einer alten Schildkröte
geführt, ein majestätisches Wesen, das mich in seiner Ruhe und in seiner Kraft
tief beeindruckte. Und dann hat mir der Direktor des Museums erzählt, dass
diese Tiere in den Weltmeeren Plastik essen. Aber sie können Plastik in ihren
Mägen nicht abbauen. Das Ergebnis ist: Diese Tiere haben immer das Gefühl, satt
zu sein. Und weil sie das Gefühl haben, satt zu sein, essen sie nicht mehr und
verhungern elendig. Eine alte Spezies, die älter wird als jeder Mensch, die
Epochen überdauert; diese Spezies geht elendig zugrunde, weil wir Plastik
produzieren und damit die Weltmeere belasten. Nein, wir haben eine
Verantwortung in dieser Welt und ich möchte, dass wir diese ernst nehmen. Die
Natur ist uns eben nicht untertan und wir sind nicht ihre Herrscher. Gerade wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten müssen begreifen, dass wir so unsere
eigenen Lebensgrundlagen zerstören. Das, was wir uns besonders vor Augen halten
müssen, gerade meine Generation, die Generation, die jetzt Verantwortung trägt:
Wenn wir das nicht korrigieren, dann leiden nicht wir darunter, sondern unsere
Kinder und Enkelkinder. Deshalb muss das Umsteuern in der Umweltpolitik dazu
führen, dass ökologische Grundrechte den gleichen Stellenwert bekommen wie
soziale und individuelle Grundrechte. Die Erfüllung des Versprechens, dass wir
der nächsten Generation eine intakte Welt hinterlassen, das ist der Prüfstein
für unsere politische Existenzberechtigung. Der Klimawandel ist die große
Herausforderung unseres Zeitalters. Ich selbst komme aus einer Kohleregion. Ich
habe miterlebt, wie die Steinkohlebergwerke geschlossen wurden und tausende
Kumpel ihre Arbeit verloren. Das sind bittere Momente. Ich habe in meiner Zeit
als Bürgermeister auch erlebt, wie wir es geschafft haben, dass niemand
arbeitslos blieb, weil wir vorausgeplant hatten, weil wir Angebote für die
Beschäftigten und die Regionen machen konnten. Und jetzt stehen wir vor einer
ähnlichen Situation bei der Braunkohle. Die Wahrheit ist doch: Wir wollen die
Klimaziele erreichen. Die Wahrheit ist auch: Das geht einher mit einem Ende der
Kohleverstromung. Das wissen die Menschen in der Lausitz. Die Menschen im
mitteldeutschen und meine Nachbarn im rheinischen Revier wissen das. Diesen
Menschen hilft keine Realitätsverweigerung. Ihnen hilft nur ein
Zukunftskonzept. Aufgabe der Sozialdemokratie ist es nicht, Strukturen der
Vergangenheit zu konservieren. Aufgabe der Sozialdemokratie ist es, eine
Perspektive für die Zukunft zu geben! Deshalb werden wir uns um diese
Perspektiven kümmern! Wir werden uns darum kümmern, dass der Umbau gelingt.
Aber das will ich Euch sagen: Nicht auf Kosten der Versorgungssicherheit. Auch
nicht auf Kosten der Beschäftigten. Ja, dafür brauchen wir
Milliardeninvestitionen in die Netze und Angebote für die Regionen. Wir
Sozialdemokraten können Strukturwandel. Ich kenne das. Ich bin in einem
Strukturwandel geboren. Der Strukturwandel ist auf längere Frist angelegt. Aber
wir wissen, dass so etwas nicht von heute auf morgen geht. Deshalb möchte ich
an Euch appellieren als sozialdemokratische Partei, an alle Beteiligten: Wir müssen
aufhören Umweltschutz gegen Industriepolitik auszuspielen. Beides muss parallel
und zusammengehen. Wir müssen den Klimawandel bewältigen und moderne Industrie
schaffen. Das können nur wir, das kann nur die SPD. Der Mensch steht bei uns im
Mittelpunkt. Wir stehen für ein tolerantes, ein vielfältiges und respektvolles
Miteinander. Das ist auch unser Antrieb bei der Beantwortung der Frage, in
welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Wir haben in diesem Jahr die
Ehe für alle durchgesetzt. Bei allen Misserfolgen dieses Jahres hat es sich
alleine dafür gelohnt, Politik zu machen. Denn wir haben vielen Menschen einen
ganz persönlichen Traum ermöglicht, nämlich den Traum, ihren Partner zu
ehelichen. Ich habe an diesen Tagen erlebt, was das für viele auch meiner
engeren und engsten Freunde bedeutet hat: Endlich ein Ende mit dieser
unsäglichen Diskriminierung in unserem Land. Ich finde, darauf können wir stolz
sein. Das ist nicht selbstverständlich. In vielen Gesellschaften weltweit
findet heute ein Kulturkampf statt, und am schlimmsten - das bedrückt uns,
glaube ich, alle gemeinsam - in dem Land, das lange Zeit als das Vorbild für
eine freie Gesellschaft galt, in den Vereinigten Staaten. Weltweit werden
Minderheiten verunglimpft, Frauen in furchtbarer Weise unterdrückt und
belästigt. Es wird offen gegen bestimmte Ethnien und Religionen Stimmung
gemacht. Eine solche Gesellschaft ist nicht unsere Gesellschaft! Aus aktuellem
Anlass möchte ich etwas zur Sexismus-Debatte der letzten Wochen sagen. Der so
wichtige Online-Aufschrei #metoo hat nur die abscheuliche Spitze eines
Eisberges zum Vorschein gebracht. Ich finde es unerträglich, täglich zu lesen
und zu hören, wie viele Frauen von Sexismus betroffen sind und Opfer von
Belästigung und Gewalt geworden sind. Ich finde es auch unerträglich, dass
viele Männer leise davonkommen und möglicherweise einfach weitermachen. Was
mich wirklich wütend macht ist, dass viele in der Debatte nicht kapieren, dass
das keine strafrechtliche Debatte ist, sondern dass es ein gesamtgesellschaftliches
Fass offensichtlich ohne Boden ist. Die letzten Wochen sollten uns endgültig
vor Augen geführt haben: Sexismus darf in unserer Gesellschaft keinen Platz
haben. Das müssen wir gemeinsam aufarbeiten. Wir müssen zu einem respektvollen
Umgang zwischen Frauen und Männern kommen. Ich will, dass die SPD dazu
beiträgt, dass es diese Debatte eines Tages nicht mehr geben wird. Das muss
unser Ziel sein. Bei uns muss jede und jeder frei und sicher leben können, egal
welchen Geschlechts, egal welcher Hautfarbe, egal mit welchem Familiennamen,
welcher Herkunft oder Religion. Unser Grundgesetz bietet hierfür eine
wunderbare Basis. Unsere Kultur ist seit Jahrhunderten von Vielfalt geprägt.
Das kann man heute auch leicht erkennen, wenn man nur genau hinguckt. Mit Navid
Kermani hat ein in Siegen geborener Sohn iranischer Eltern vor zwei Jahren den
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Wir sehen uns mit Freude die
Filme des Hamburger Regisseurs Fatih Akin an und freuen uns für ihn, aber auch
für unser Land, wenn er bei den Filmfestspielen in Cannes für seine Arbeit
ausgezeichnet wird. Wir haben kluge und engagierte Journalistinnen: Pinar
Atalay, Linda Zervakis und Dunja Hayali. Ja, Kultur lebt von der Vielfalt, und
eine Leitkulturdebatte, wie sie manche bei uns fordern, ist nicht zeitgemäß -
sie ist historischer Unsinn. Eine vielfältige, eine plurale, gleichberechtigte
Gesellschaft ist stärker, weil sie kreativer ist. Sie wird zum Erfolgsmodell,
wenn ein Staat sie selbstbewusst gestaltet und sich darum kümmert, dass
Einigkeit in Vielfalt entsteht. Es ist unsere Aufgabe, das in die Hand zu
nehmen. Das ist unsere Antwort an die Hetzer von rechts, die jetzt auch im
Deutschen Bundestag sitzen. Ihr Parteitag am letzten Wochenende hat gezeigt,
was sie wirklich sind: Sie sind Rechtsradikale und sie sind bejammernswerte
Deutschnationale mit ihrer völkischen Rhetorik. Und wenn es ein Bollwerk gegen
diese Leute gibt, wenn es ein Bollwerk zur Verteidigung der Demokratie gegen
die Hetzer von rechts, gegen die Antisemiten, gegen diese Leute, die die
Zusammenhaltsphilosophie in unserer Gesellschaft ins Gegenteil umkehren wollen
und die Gesellschaft spalten wollen, wenn es ein Modell gibt, wie man die
Demokratie gegen diese Typen schützt, dann kann ich Euch sagen, wie das Modell
heißt: Sozialdemokratische Partei Deutschlands! Wir sind deren Gegner. Wir
kümmern uns darum, dass Menschen in unserem Lande gut zusammenleben. Dazu
brauchen wir natürlich ein Einwanderungsgesetz, damit Menschen geregelt zu uns
kommen können. Dazu brauchen wir Angebote für Sprachkurse. Wir brauchen
Arbeitsangebote, und vor allen Dingen brauchen wir effizientere Verfahren. Für
eine gute Integration sind drei Dinge elementar: Sprache, Arbeit und Freunde.
Und ich möchte aufgrund der aktuellen Debatte noch hinzufügen: Familie! Die ist
für die Integration auch wichtig. Was wir nicht gebrauchen können sind
Debatten, die Menschen mit Migrationshintergrund stigmatisieren, sie ausgrenzen
oder als Sicherheitsrisiko betrachten. Deutschland ist ein Einwanderungsland,
und es wird Zeit, dass wir der Verantwortung, die damit einhergeht, gerecht
werden. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen für ein
realistisches, aber immer offenes und tolerantes Weltbild. Unsere eigene
Geschichte ist doch geprägt von Krieg, Leid, Flucht und Verfolgung. Deshalb ist
eines klar: Das Recht auf Schutz vor Krieg und Verfolgung kennt keine
Obergrenze! Das ist garantiert - in unserer Verfassung, in den internationalen
Verträgen. Aber um all diese Aufgaben zu erledigen und anzupacken, brauchen wir
den starken Staat, besonders in Bezug auf die wichtigen Zukunftsfragen, um
darauf zu reagieren, dass sich zentrale Bereiche unserer Gesellschaft nicht in
die richtige Richtung entwickelt haben, weil sie dem Markt alleine unterworfen wurden.
Das sehen wir doch in den Großstädten, in denen es viel zu wenig bezahlbaren
Wohnraum gibt. Es ist übrigens eine Katastrophe, dass in den Ballungszentren
auch wirklich gut situierte Menschen mit zwei Einkommen zwischenzeitlich ihre
Miete nicht mehr bezahlen können. Das geht nicht! Das liegt aber auch daran,
dass sich der Staat teilweise aus dem geförderten Wohnungsbau zurückgezogen
hat. Wir sehen es übrigens auch bei den Effizienzsteigerungen in Krankenhäusern
oder Pflegeeinrichtungen, wo das Personal bis zur totalen Überlastung
derjenigen, die da arbeiteten und arbeiten, reduziert wurde. Ich erinnere Euch
an den Pfleger, den ich in Moers am Niederrhein getroffen habe. Ich habe ihn
oft während des Wahlkampfes zitiert. Er hat mir gesagt: „Herr Schulz, mein Job
ist etwas für Melancholiker. Wenn ich abends nach Hause gehe, dann weiß ich,
dass ich das, was ich hätte tun müssen, nicht habe tun können, weil mir das
Personal und die Ausstattung dafür fehlen, und dass die Menschen, die hier
sind, die nicht nur ihr Alter, sondern auch ihr Vermögen hierherbringen, nicht
das bekommen haben, was ihnen zusteht.“ Für den und für die, die er pflegt, hat
sich übrigens seit dem Tag und auch seit der Bundestagswahl nichts verbessert.
Wir sehen das bei der Daseinsvorsorge mit Wasser, mit Strom oder beim
Nahverkehr, die nicht privat organisiert sein sollten, sondern als öffentliche
Dienstleistungen. Der Sozialstaat, muss seiner Rolle als Sicherheitsnetz für
ein selbstbestimmtes Leben im 21. Jahrhundert nachkommen können, und es ist
unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Staat das auch kann. Denn die
Realität ist heute oft eine ganz andere: Unser Staat ist häufig
unterfinanziert. Und das ist nicht gottgegeben, das ist die Folge von
politischen Entscheidungen, und das ist auch die Folge einer neoliberalen
Ideologie. Ich meine damit nicht nur offensichtliches Staatsversagen. Ich meine
nicht nur Klassenzimmer, in die es reinregnet. Ich meine nicht nur
Einwohnermeldeämter - die gibt es immer noch - in denen Bürger nicht wie Kunden,
sondern wie Untertanen behandelt werden. Ich meine auch völlig überlastete
Gerichte oder Polizeiwachen, die seit 30 Jahren nicht mehr renoviert wurden.
Deshalb sind wir auch für eine Kehrtwende, für mehr und besser bezahlte
Polizeikräfte und für eine besser ausgestattete Justiz. Die Modernisierung
unseres Gemeinwesens ist eine extrem wichtige Sache, die wir anpacken müssen.
Der Staat muss seiner Schutzfunktion nachkommen können! Das dürfen wir nicht
den Staatsverächtern, diesen Privat-statt-Staat-Fetischisten à la Christian
Lindner überlassen! Unser Staat muss handlungsfähiger werden, er muss besser
werden! Dafür braucht es die SPD! Nachdem die Jamaika-Verhandlungen in
verantwortungsloser Weise und unter Missachtung der Interessen der Bürgerinnen
und Bürger unseres Landes an die Wand gefahren worden sind, sind wir nun
gefordert. Und dabei geht es nicht um die Frage GroKo oder nicht GroKo,
Minderheitsregierung oder nicht Minderheitsregierung, Kenia oder Neuwahlen.
Nein, es geht um die Frage: Wie werden wir unserer Verantwortung, jetzt und
auch der nächsten Generation gegenüber, gerecht? Ja, wir müssen Europa stärken.
Ja, wir müssen uns um die Zukunft der Arbeit im digitalen Zeitalter kümmern.
Ja, wir brauchen eine Bildungsrevolution; denn Bildung und Qualifizierung sind
die Rohstoffe für die Zukunft. Ja, wir müssen die Umwelt schützen und den
Klimawandel begrenzen. Ja, wir müssen den Staat stärken, damit er unsere
sozialen Netze aufrechterhält und die Würde im Alter garantiert. All das
brauchen wir; all das braucht das Land. Und wir müssen uns nun die Frage
stellen: Wie setzen wir das durch? In welcher Form, das muss ausgelotet werden.
Dafür wollen wir ergebnisoffen reden und schauen, zu welchen inhaltlichen
Lösungen wir kommen können. Auf den Inhalt kommt es an, nicht auf die Form. Wir
müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis
nicht regieren wollen! Entscheidend ist, was wir durchsetzen können! Wie ist
eigentlich die Lage, wenn wir sagen: „Wir gehen in keine GroKo“, die Grünen
sagen: „Wir wollen kein Kenia“, die CDU sagt: „Wir machen keine
Minderheitsregierung“ und der Bundespräsident sagt: „Ich will keine Neuwahlen“?
Dann, aber nur dann, stünde unser Land vor einer echten Krise. Vor dieser
Situation stehen wir aber nicht. Denn es gibt verschiedene, gleichwertige Wege,
wie man zur Regierungsbildung in diesem Lande beitragen kann. Unser Leitantrag
ist eine Beschreibung der unterschiedlichen Optionen, über die wir reden
müssen. Lasst uns zuerst sehen, welche Inhalte wir durchsetzen können, und
lasst uns dann entscheiden, in welcher Form wir dies tun. Dieser Leitantrag
kombiniert beides: unsere politischen Inhalte zuerst und keinen Automatismus in
irgendeine Richtung. Ich wiederhole das, weil ich die Debatte kenne: unsere politischen
Inhalte zuerst und keinen Automatismus in irgendeine Richtung! Für dieses
Vorgehen gebe ich Euch meine Garantie. Und deshalb bitte ich Euch um Zustimmung
zu diesem Leitantrag, der keine Option vom Tisch nimmt, der uns alle Wege
offenhält, um ein Maximum an sozialdemokratischer Politik durchzusetzen. Wer in
den letzten Tagen und Wochen die Zeitungen gelesen hat, der konnte den Eindruck
gewinnen, der Satz „erst das Land, dann die Partei“ gilt nur für die
Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Richtig ist aber doch vielmehr: Wenn
die soziale Demokratie in diesem Land und unsere Partei es nicht schaffen,
stark zu sein, wenn die Idee der Solidarität, der Gleichberechtigung, der
Toleranz, des demokratischen Respekts vor dem Individuum untergeht oder immer
weiter geschwächt wird, dann geht es auch dem Land schlecht. Die Erneuerung der
SPD dient dem Land. Und die Erneuerung der SPD kann nicht gegen die Interessen
des Landes ausgespielt werden - so wenig, wie die Interessen des Landes und die
staatspolitische Verantwortung gegen die Interessen der Partei ausgespielt
werden können. Der Erneuerungsprozess der SPD, organisatorisch und politisch,
wird weitergehen, und er muss weitergehen. Denn wir haben eine
Führungsverantwortung als Sozialdemokraten in Deutschland und in Europa und in
unserer sozialdemokratischen Parteienfamilie. Nein, wir dürfen uns das nicht
einreden. Nicht erst das Land, dann die Partei. Auch nicht umgekehrt, wie bei
Herrn Lindner: Erst die Partei, und das Land ist uns egal. Nein, eine starke Partei,
eine starke SPD, ist notwendig, um Deutschland stark zu machen, und ein starkes
Deutschland ist notwendig, um Europa stark zu machen! Dafür, will ich Politik
machen: für eine starke SPD und für ein starkes Land! Dafür bewerbe ich mich
erneut um den Vorsitz unserer Partei. Ein Parteivorsitzender der SPD darf nie
gewählt werden, nur weil es keine Alternativen zu geben scheint. Ein
Parteivorsitzender der SPD darf auch nie gewählt werden, weil er erst vor ein
paar Monaten mit 100 Prozent gewählt worden ist. Ein Parteivorsitzender der SPD
darf auch nie gewählt werden als Ergebnis irgendeines Deals, nach dem Motto
zwei links, zwei rechts, und einen fallen lassen. Wir sind die SPD, eine stolze
Partei, und das aus gutem Grund. Wir sind es unserem Selbstverständnis, unserem
Land und unserer Geschichte schuldig, dass wir mit offenem Visier, mit klarem
Blick, mit kühlem Verstand, mit Herz und Leidenschaft unser Land und die
Erneuerung unserer Partei voranbringen. Und genau deshalb bewerbe ich mich um
das Amt des Parteivorsitzenden: Weil ich weiß, warum die SPD gerade in diesen
Zeiten gebraucht wird. Weil ich spüre, für wen die SPD eintreten muss, und weil
ich auf diese Menschen zugehen will und es auch kann. Ja, ich sage das: Auch,
weil es in mir brennt und ich mehr Menschen überzeugen möchte, bei uns
mitzumachen und bei diesem Neuaufbau anzupacken. Darum möchte ich mich als
Parteivorsitzender kümmern. Deshalb: Ich werbe um Euer Vertrauen. Dabei geht es
um sehr, sehr viel. Das hier ist nicht irgendein Parteitag. Wir alle tragen
große Verantwortung. Ich bin mir dieser Verantwortung bewusst. Ich weiß: Ihr
seid Euch dieser Verantwortung ebenso bewusst. Ich bin nicht verzagt vor der
großen Aufgabe, die wir zu bewältigen haben. Wir haben in diesem Jahr 30.000
neue Mitglieder aufgenommen, und wir haben Hunderttausende erfahrene
Genossinnen und Genossen in unseren Reihen. Es gibt eine RePolitisierung in
unserer Gesellschaft mit großartigen Menschen, die sich engagieren. Es gibt ein
Bedürfnis nach glaubwürdiger und guter Politik, nach solider Arbeit und
authentischem Auftreten, so wie Stephan Weil und die niedersächsische SPD es
gezeigt haben. So kann man Wahlen gewinnen! Sicher ist, nicht ich oder Andrea
Nahles oder wir alle hier oben auf der Vorstandstribüne, nicht wir alleine
werden diese Aufgabe bewältigen. Aber wir zusammen, die Parteiführung Seit´ an
Seit´ mit allen Mitgliedern und mit ausgestreckter Hand zu allen, die mit uns
für Respekt, Würde und Solidarität in der Gesellschaft kämpfen wollen, mit
denen zusammen können wir das hinbekommen. Nein, ich bin mir sicher: Wir werden
es hinbekommen. Deshalb lasst uns zusammen aufbrechen. Einigkeit macht stark.
Für Deutschland, für Europa und für eine bessere Welt. Vielen Dank für Eure
Aufmerksamkeit.
https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Reden/20171207_Rede_Schulz.pdf
Rede des designierten
Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands Martin Schulz Beim außerordentlichen Bundesparteitag der SPD
am 19.
März 2017 - es gilt das gesprochene Wort
- Liebe Genossinnen und Genossen!
Liebe Freundinnen und Freunde! Verehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Danke
für diesen überschwänglichen Empfang. Jeder spürt es, hier im Saal, genauso wie
im Land: Die SPD ist wieder da! Wir sind wieder da! Das ist eine gute Nachricht
für die Menschen im Lande, in Deutschland. Das ist eine gute Nachricht für
Deutschland, eine gute Nachricht für Europa und eine gute Nachricht für die
Demokratie. Liebe Genossinnen und Genossen, ich bewerbe mich heute um den
Parteivorsitz der ältesten Partei in diesem Lande. Ich bewerbe mich um den
Vorsitz einer 153 Jahre alten Partei, die - Sigmar Gabriel hat das gerade in
beeindruckender Weise gesagt - im Gegensatz zu anderen Parteien nie ihren Namen
ändern musste und die trotzdem oder vielleicht gerade deshalb Kaiserreich, Kriege,
Diktaturen überlebt hat und die die Demokratie in Ostund in Westdeutschland mit
aufgebaut hat. Ich bewerbe mich um den Vorsitz der Partei, die die Demokratie
erstritten, die das Frauenwahlrecht erkämpft, die sich den Nationalsozialisten
in den Weg gestellt hat und dafür einen hohen Blutzoll zahlen musste. Ich
bewerbe mich um den Vorsitz einer Partei, die in der DDR verboten war, die
unter Willy Brandt in den 70er-Jahren das deutsche Bildungssystem fundamental
reformiert und zukunftsfest gemacht hat, die dem Terrorismus der 70er-Jahre die
Stirn geboten hat, ohne dabei die Liberalität in unserem Lande aufzugeben, die
unser Land vor der Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Krieg im Irak
bewahrt hat, einer Partei, die endlich auch den Mindestlohn in Deutschland
eingeführt hat. Ich könnte das fortführen, und die Aufzählung ist nicht
abschließend. Aber generell, kann man eines sagen: Wann immer die Freiheit in
Deutschland bedroht oder Reformen notwendig waren, wenn es darum ging, gleiche
Rechte für Mann und Frau oder für Minderheiten zu erstreiten, wenn es darum
ging, die Gewerkschaftsrechte zu verteidigen oder die betriebliche
Mitbestimmung auszubauen, wenn die Familien gestärkt und die Chancengleichheit
verbessert wurden, wenn es galt, den sozialen Frieden herzustellen, dann musste
das unsere stolze Partei hinbekommen. Dann musste das die SPD tun. Ich freue
mich sehr, dass in den letzten Wochen 13.000 neue Mitglieder zu uns gekommen
sind - Menschen, die zu einem großen Teil wieder den Weg zu uns zurückgefunden
haben, und viele, viele junge Menschen, die dafür brennen, dass wir dieses Land
gemeinsam besser machen. Euer Enthusiasmus, liebe Genossinnen und Genossen, die
ihr neu in die Partei gekommen seid - wir spüren das heute hier in diesem Saal
-, steckt uns alle an und wird uns in den nächsten Monaten begeistern. Meine
Botschaft an die jungen Männer und Frauen, die zu uns gekommen sind, ist die:
Ihr seid nun Teil einer Familie, einer Familie, die sich darum kümmert, dass in
ihrem Viertel, in ihrer Gemeinde, in ihrer Stadt, in ihrem Land, im ganzen
Land, ja, auf dem ganzen Kontinent die Dinge zum Besseren gewendet werden. Der
mutige Kampf für Freiheit, für Gerechtigkeit und für Demokratie wird in
Deutschland seit 150 Jahren symbolisiert durch diese drei Buchstaben: S - P -
D! Ich muss zugeben - auch nach der Rede von Sigmar Gabriel -, dass es mir in
diesen Tagen und auch in den Stunden schwerfällt, zu fassen, was geschieht,
wenn ihr mich denn heute wählt. Ihr kennt mich und wisst, woher ich komme: Ich
bin das fünfte Kind einfacher und sehr anständiger Leute. Ich bin 1955 in
Nordrhein-Westfalen im Dreiländereck zwischen Deutschland, Belgien und den
Niederlanden geboren. Diese Region hat mich zutiefst geprägt. Meine Mutter war
Hausfrau, mein Vater Polizist. Ich selbst war echt faul in der Schule und hatte
als junger Mann nichts als Fußball im Kopf. Als das mit der Fußballkarriere
nicht geklappt hat und ich die Schule geschmissen hatte, habe ich in meinem
Leben die Orientierung verloren. Fast wäre alles in meinem Leben
schiefgegangen. Aber dann habe ich eine zweite Chance bekommen dank meiner
Familie, dank meiner Freunde und auch dank der Jusos in meiner Heimat, so wie
jeder, der ins Stolpern gerät oder aus der Bahn geworfen wird, eine zweite
Chance bekommen sollte. Meine zweite Chance war: Ich habe mich in Bücher
reingefressen, habe eine Ausbildung als Buchhändler gemacht. Ich habe mich
politisch engagiert: bei den Jusos, später im Stadtrat. Ich bin schließlich mit
jungen Jahren Bürgermeister geworden. In dieser Funktion bin ich zweimal
wiedergewählt worden. Ich habe eine kleine Buchhandlung gegründet, die es heute
noch gibt, die von einer früheren Auszubildenden übernommen worden ist, und die
sie heute immer noch erfolgreich führt. Ich bin dann ins Europaparlament gewechselt.
Ich war dort zweiundzwanzigeinhalb Jahre Abgeordneter. Ich war acht Jahre
Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion und in den letzten fünf Jahren
der Präsident des Europäischen Parlaments. Ich habe in diesem Amt versucht,
Europa demokratischer, effektiver und sichtbarer zu machen und vor allen Dingen
eines: zu jeder Zeit klare Kante gegen diejenigen zu zeigen, die dieses
Einigungswerk abwickeln wollen! Die finden in mir einen energischen Gegner. Nun
stehe ich hier vor euch: ein Mann aus Würselen, meiner Heimat, zu der ich
stehe, ein Mann aus einfachen Verhältnissen, und ich bewerbe mich um ein Amt,
das vor mir Menschen innehatten wie zum Beispiel • August Bebel, der
Arbeiterkaiser, der sich gegen die Bismarck‘schen Sozialistengesetze stemmte und
die SPD zur Volkspartei machte, • Otto Wels, der Aug’ in Aug’ mit Hitler im
Reichstag dem Diktator ins Gesicht schleuderte: „Freiheit und Leben kann man
uns nehmen - unsere Ehre nicht“, • Kurt Schumacher, der von den Nazis im KZ
gefoltert und gequält wurde und der trotz massiver Beeinträchtigungen mit einer
eisernen Disziplin und oft unter schweren Schmerzen engagiert beim Aufbau eines
demokratischen Deutschlands mitgeholfen hat, • Willy Brandt, ein
Jahrhundertpolitiker, der - selbst verfolgt! - für die deutsche Nation auf die
Knie fiel und für die Verbrechen der Nazis um Verzeihung bat und der für seine
Entspannungspolitik mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde; wie viele
andere hier bin ich wegen Willy in die SPD gegangen, ich habe ihn bewundert und
habe vor allen Dingen bewundert, wie er bis an sein Lebensende nicht nur für
unser Land, sondern auch für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung und die
globale Armutsbekämpfung bis zum letzten Atemzug gestritten hat; • Hans-Jochen
Vogel, der in Zeiten des RAF-Terrorismus persönlich bedroht war, der die
Frauenquote in unserer Partei eingeführt hat und der bis heute für uns alle ein
guter und weiser Ratgeber ist; Hans-Jochen, auch ich möchte dir an dieser
Stelle, weil du ja am Fernseher sitzt und unseren Parteitag mitverfolgst, meine
herzlichen Grüße und meinen Dank für deine wunderbare Botschaft übermitteln; •
Gerhard Schröder, Genossinnen und Genossen, der sich von ganz unten bis zum
Regierungschef hochgerackert hat und dabei niemals seine Herkunft vergaß, der
Deutschland so reformierte, dass wir alle noch heute davon profitieren und der
- anders als manche, die heute Verantwortung in diesem Land tragen - ein
mutiges „Nein“ gegen den Irak-Krieg im Namen unserer Partei und im Namen
Deutschlands ausgesprochen hat, • und wie Sigmar Gabriel, der Vizekanzler und
Außenminister, der nach Willy Brandt der am längsten amtierende Vorsitzende der
SPD war, stolzer Vater dreier Töchter und mein enger und guter Freund. Lieber
Sigmar, dass du deinen eigenen Ehrgeiz zurückgestellt hast, dass du für einen
anderen - für mich in diesem Fall - Platz gemacht hast, weil du davon überzeugt
warst, dass das besser für das Land und besser für die Partei sein würde, ist
eine große politische, aber vor allen Dingen eine große menschliche Leistung,
die zeigt, was für ein besonderer Charakter du bist. Dich weiter an meiner
Seite zu wissen, macht mich stark, macht uns stark, macht die SPD stark. Dein
Handeln und unser Miteinander sind vor allen Dingen eines: Es ist
sozialdemokratisch! Ich danke dir von ganzem Herzen! Ich bewerbe mich also um
ein Amt, das diese großartigen Menschen vor mir innehatten. Ihr könnt mir
glauben: In diesen Stunden und Tagen bin ich demütig, sehr sogar! Wenn diese
Rede vorbei sein wird, wenn wir gewählt und entschieden haben werden, dann,
Genossinnen und Genossen, wollen wir loslegen. Denn wenn wir nicht dafür
sorgen, dass es in diesem Land gerechter zugeht, dann wird das niemand anderes
machen. Wer in diesem Land hart arbeitet - sei es als Selbstständiger oder als
Arbeitnehmer oder als Arbeitnehmerin -, wer sich engagiert, wer für die Eltern
oder für die Kinder da ist, wer sich in diesem Land abrackert und an die Regeln
hält, der hat unseren Respekt verdient. Ich habe diesen Respekt vor der
Lebensleistung der Menschen in unserem Land. Es ist die Sozialdemokratische
Partei Deutschlands, die dafür sorgen muss, dass jeder einzelne Mensch, jeder
Mann, jedes Kind, jede Frau im Mittelpunkt unseres Denkens und im Mittelpunkt
unseres Handelns stehen. Ich möchte, dass der einzelne Mensch Respekt bekommt.
Dazu gehört natürlich, dass wir endlich Schluss machen mit dem Lohngefälle in
Deutschland, dass wir gleichen Lohn für gleiche Arbeit zahlen. Es ist doch ein
Skandal, dass wir das noch jeden Tag fordern müssen. Das unerträgliche
Lohngefälle zwischen Männern und Frauen muss aufhören! Deshalb bleiben wir hart
bei der Forderung: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort, für Männer
und für Frauen, gleichermaßen in Ost und in West. Dafür werden wir in den
nächsten sechs Monaten kämpfen, und das werden wir in diesem Lande gemeinsam
mit den Gewerkschaften durchsetzen. Ich freue mich, dass die Gewerkschaften mit
ihren Vorsitzenden bei uns vertreten sind und dass sie in so großer Zahl heute
bei uns sind. Was Sigmar Gabriel begonnen hat, das will ich fortsetzen im engen
Schulterschluss mit euch, den Vertreterinnen und Vertretern der Gewerkschaften.
Liebe Genossinnen und Genossen, das ist kein Scherz: „Wann wir schreiten Seit’
an Seit’“ heißt, dass die sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften
Seit’ an Seit’ für mehr Gerechtigkeit in diesem Land schreiten. Wir wollen
loslegen und gleichen Lohn für gleiche Arbeit erreichen. Aber ich bin auch
einig mit den Polizistinnen und Polizisten in Deutschland, die wir mehr
unterstützen müssen, damit sie die Alltagskriminalität wirksamer bekämpfen
können, etwa bei Wohnungseinbrüchen, die das Unsicherheitsgefühl der Menschen
verstärken. Wir müssen auch die Feuerwehr und die Rettungskräfte stärker
unterstützen, die, die jeden Tag unterwegs sind, um Menschenleben zu retten,
und dabei leider immer häufiger selbst in Gefahr geraten. Diese Menschen, die
für unsere Sicherheit, für unseren Schutz, oft auch für unser Überleben im
Einsatz sind, haben mehr Respekt und unseren besonderen Schutz verdient. Ich
finde es daher gut, liebe Genossinnen und Genossen, dass Heiko Maas ein
entsprechendes Gesetz vorgelegt hat, damit Angriffe auf Polizisten,
Feuerwehrleute und Rettungsdienste härter bestraft werden. Auf meiner Reise
habe ich mit Feuerwehrleuten, mit Rettungsdiensten, mit Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten gesprochen, und ich kann nicht verstehen, dass wir als
Gesellschaft zulassen, dass Leute, die zu einem Rettungseinsatz fahren, dort
behindert werden. Das zeigt: Wir brauchen mehr Zusammenhalt und wieder mehr
Respekt in dieser Gesellschaft. Das ist das, wofür wir streiten müssen. Wir
wollen die Rente sicher machen und dafür sorgen, dass die, die ein ganzes Leben
lang gearbeitet haben, auch im Alter ordentlich und in Würde davon leben
können. Denn es sind doch die Alten gewesen, die Deutschland aufgebaut und zu
dem wunderbaren und lebenswerten Ort gemacht haben, der unser Land heute ist.
Dafür haben sie Dank, Respekt und Anerkennung verdient. Wir wollen in diesem
Land die richtigen Rahmenbedingungen für engagierte Unternehmerinnen und
Unternehmer schaffen, damit sie sich entwickeln und wachsen können und damit so
sichere und gut bezahlte Jobs entstehen. Gerade im Bereich der Digitalisierung
brauchen mittelständische und kleine Unternehmer unsere Hilfe, sei es
infrastrukturell - und hier insbesondere im ländlichen Raum; Sigmar Gabriel hat
zu Recht genau darauf hingewiesen - oder bei der Setzung von Rechtsrahmen, die
sie brauchen als Sicherheit für künftige Geschäftsmodelle und für die Schaffung
von Wachstum und Arbeitsplätzen. Wir wollen die Vereine und die
zivilgesellschaftlich Engagierten unterstützen, denn sie halten den Laden in
unserer Gesellschaft am Laufen, egal ob sie sich im Stadtteil oder der
Gemeinde, in der Schule, im Sportverein oder in den Kirchen, ob sie sich für
Menschen mit Beeinträchtigungen oder in der Flüchtlingshilfe engagieren. Wir
wollen in Deutschland auch eine kreative und neugierige Atmosphäre erhalten, in
der Kunst und Kultur, damit die kreativ Tätigen, die Menschen, die sich künstlerisch
betätigen, die Kulturschaffenden in unserem Land, die Möglichkeit haben, uns zu
bereichern, uns zum Staunen, zum Zweifeln, zum Nachdenken, zum Reflektieren zu
bringen. Kunst und Kultur gehören in die Mitte der Gesellschaft und sind keine
Randphänomene. Liebe Genossinnen und Genossen, ich werde heute keine
abschließende programmatische Rede halten. Dafür haben wir einen eigenen
Parteitag, den wir Ende Juni in Dortmund abhalten werden. Dort werden wir unser
Regierungsprogramm vorlegen. Ein Regierungsprogramm, das am Ende einer fast
zweijährigen Arbeit stehen wird. Eine Programmarbeit, auf die wir als
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stolz sein können, denn wir haben
Tausende von Menschen einbezogen in diese Programmdiskussion und viele Experten
angehört. Wir sind auch noch dabei, eine Menge von Dingen in den dafür
zuständigen Gremien zu diskutieren. Ich selbst bin seit Ende Januar im Lande
unterwegs. Ich habe unzählige Begegnungen in den letzten Wochen gehabt. Ich
gehe in die Betriebe, in die Bildungsstätten und zu den Menschen nach Hause, um
zuzuhören und zu lernen und daraus die notwendigen Schlüsse auch für unsere
Programmarbeit und für das, was in den nächsten Jahren unsere Schwerpunkte sein
müssen, zu ziehen. Aber eines kann ich schon jetzt vorwegnehmen: Bei unserem
Programm wird es um Gerechtigkeit, um Respekt und um Würde gehen. Und dabei
werden wir für uns werben, für unser Programm. Ich werde mit euch gemeinsam für
die SPD werben, für uns, aber nicht gegen andere kämpfen. Wenn man aus dem
Wahlkampf von Donald Trump und dem, was sich in den Vereinigten Staaten von
Amerika abgespielt hat, eines lernen kann, dann, dass die Verächtlichmachung,
das Arbeiten mit gefälschten Nachrichten und die pauschale Verurteilung ganzer
Gruppen von Menschen in Deutschland keinen Platz haben dürfen. Genossinnen und
Genossen, wir Sozis sind nicht die besseren Menschen, und die anderen
Demokraten in dieser Gesellschaft sind nicht der Feind. Im Gegenteil: Im
Idealfall ist der Wahlkampf eine Sternstunde der Demokratie. Deshalb sage ich
ganz klar: Mit mir wird es keine Herabwürdigung des politischen Wettbewerbers
geben. Wenn andere einen anderen Weg wählen, dann - da bin ich sicher - wird es
am Ende die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler sein, darüber ein Urteil zu
fällen. Liebe Gäste, liebe Freundinnen und Freunde, in unserer Gesellschaft hat
sich etwas verändert, etwas Bedeutendes: Bei vielen Menschen, bei vielen
Familien verschiebt sich der Moment, an dem sie Kinder bekommen, immer weiter
nach hinten. Meine Eltern und meine älteren Geschwister haben ihre Kinder noch
zwischen 20 und 25 Jahren bekommen. Ich selbst und meine Frau, wir haben unsere
Kinder schon mit 30 und 34 Jahren bekommen. Manche bekommen sie mit Mitte 50.
Hierdurch entsteht eine neue Herausforderung: Denn diese Eltern sind - wie wir
alle - beruflich enorm belastet und herausgefordert. Gleichzeitig müssen sie
sich aber noch um ihre Kinder kümmern, die noch zu Hause sind, noch in der
Ausbildung sind, noch zur Uni gehen. Auf der anderen Seite sind die Eltern aber
teilweise schon so alt, dass sie zuwendungs- und zum Teil sogar pflegebedürftig
sind. Diese Art der Dreifachbelastung ist neu, und ich denke, hier im Saal sind
viele, die selbst davon betroffen sind oder jemanden kennen, der in einer solchen
Lebenssituation ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Menschen in solchen
Lebenslagen in die Knie gezwungen werden - weder physisch noch psychisch noch
finanziell. Im Gegenteil: Sie verdienen unsere Unterstützung, die Unterstützung
eines handlungsfähigen Staates und einer solidarischen Gesellschaft. Wenn wir
also in die Schulen, in die Universitäten, in die Kitas investieren, können wir
diese Generation spürbar entlasten. Genauso ist es auf der anderen Seite, wenn
wir in die Pflege investieren. Wenn wir also in die Schulen, in die
Universitäten, in die Kitas investieren, wenn wir auf der anderen Seite in die
Pflege investieren, für mehr Personal, für besser geschultes und besser
ausgebildetes Personal sorgen, das mehr Zeit für die Pflegebedürftigen hat,
wenn wir diese Entlastungen schaffen, dann schaffen wir Entlastungen für diese
Familien. Das wäre eine gute Politik für die Familien in unserem Land. Das sind
Entlastungen für die hart arbeitende Mitte in unserem Land. Deshalb:
Investieren ist was wir in den nächsten Jahren tun müssen. Ich habe auf meinen
Reisen gesehen, dass es in all diesen Bereichen viel zu verbessern gibt - sehr
viel. Das fängt an bei den Schulen. Ich habe Schulen gesehen, die mehr an
Baustellen als an Orte der Lehre erinnern. Das hat mir im Herzen weh getan.
Denn Schulen in einem guten Zustand sind doch auch eine Frage des Respekts, des
Respekts vor den Kindern, die dort lernen. Vor den Eltern und Großeltern, die
das Beste für ihre Kinder und Enkel wollen. Und vor den Lehrkräften, denen wir
doch das Wichtigste anvertrauen, das wir haben: unsere Kinder. Deshalb, liebe
Genossinnen und Genossen: Die Chance, dass man unabhängig von seiner Herkunft,
vom Geldbeutel der Eltern, von seiner Adresse, eine gute und
zukunftsorientierte Bildung bekommt, ist die Zukunftsfrage der Bundesrepublik
Deutschland. Deshalb wollen wir nicht nur darüber sprechen, wie wichtig das
ist, sondern konkrete Maßnahmen beschließen: Wir, die Sozialdemokratische
Partei Deutschlands, wollen, dass Bildung gebührenfrei wird. Und ich füge
hinzu: Von der Kita bis zum Studium und nicht nur bei der Hochschulbildung,
sondern das gilt auch für die berufliche Bildung, für Meister- und
Berufsausbildungskurse. Auch die müssen gebührenfrei sein. Wir wollen, dass es
- für die, die das wünschen - einen Rechtsanspruch auf Plätze an
Ganztagsschulen gibt. Und das fängt schon, liebe Genossinnen und Genossen, ganz
früh an. Das habe ich auf meinen Reisen in Gesprächen mit vielen, vielen
Menschen gehört, und das höre ich übrigens auch in meinem eigenen Stadtviertel,
bei mir zu Hause in Würselen, wenn ich mit meinen Nachbarinnen und Nachbarn
diskutiere. Ich höre dann von vielen Familien, dass für sie die Probleme mit
der Einschulung der Kinder losgehen. Bis dahin waren die Kinder in der Kita, aber
auf einmal stehen sie mittags vor der Tür - ohne Mittagessen und mit einem
Ranzen voller Hausaufgaben. Auch deshalb: Für die, die es wollen, wollen wir
einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule einführen. Genau
das ist im Interesse der Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Eltern und von
mehr Chancengleichheit der Kinder. Wir wollen, dass Bildung inklusiv ist; denn
Bildung bedeutet Würde - egal, ob jemand beeinträchtigt ist oder nicht. Wir
wollen, dass der Bund sich an der Sanierung und Modernisierung der Schulen
beteiligt. Und wir wollen, dass der Bund die Länder bei der Schulsozialarbeit
nachhaltig unterstützt, über die Mittel hinaus, die wir der Union schon
abgetrotzt haben. Denn die familiären und sozialen Probleme - das wissen wir
doch alle - landen in den Schulen. Deshalb müssen sie auch dort angegangen
werden, und zwar nicht nur von Lehrerinnen und Lehrern - die haben mit der
pädagogischen Betreuung genug zu tun. Das, liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Gäste, was ich aufgezählt habe, kostet Geld. Es sind Investitionen in die
Köpfe, in die Zukunft unserer Kinder, in die Aus- und Weiterbildung der
Menschen und vor allem auch in die Infrastruktur, die wir brauchen, wenn wir
weiterhin ein ökonomischer Champion in Europa und in der Welt sein wollen. Es
sind Investitionen in die Zukunft unseres Landes, mit denen wir gleichzeitig
mehr Gerechtigkeit schaffen und wirtschaftlichen Fortschritt erst ermöglichen.
Was aber macht die Union? - Ganz eindeutig ist das nicht, weil sich weder CDU
und CSU noch die CDU intern einig sind. Aber einiges von dem, was sie vorhaben,
deutet sich bereits an. Ein alter Wahlkampfschlager wird aufgewärmt - und ich
meine nicht „Freiheit statt Sozialismus“ - das kommt bestimmt auch noch - ich
meine den alten Wahlkampfschlager der Steuersenkung. Die Union verspricht die
Abschaffung des Solidaritätszuschlags: das sind 20 Milliarden Euro
Staatseinnahmen weniger pro Jahr. Dann verspricht der Finanzminister
Steuersenkungen im Wert von 15 Milliarden Euro. Das sind gewaltige strukturelle
Mindereinnahmen. Auf der anderen Seite kündigt sein Parlamentarischer
Staatssekretär an - Sigmar hat darauf hingewiesen -, dass der Rüstungsetat
jährlich um 20 Milliarden Euro erhöht und zugleich bei den Sozialausgaben
weniger ausgegeben werden soll. Das ist das Wahlgeschenkprogramm der CDU/CSU
und das sind Milliarden, die für wichtige Zukunftsinvestitionen fehlen würden.
Sehr gut, dass es nicht dazu kommen wird, liebe Genossinnen und Genossen! Diese
Pläne sind extrem ungerecht, sie sind ökonomisch unvernünftig und sie spalten
unsere Gesellschaft. Nach unzähligen Gesprächen auf meinen Reisen kann ich
sagen: Mir ist wichtig, dass wir vor allem eine Entlastung der Familien
hinbekommen, dadurch dass wir die Bildung gebührenfrei machen und dass wir Geld
in die Hand nehmen, um eine vernünftige Bildungsinfrastruktur aufzubauen. Das
ist extrem wichtig. Aber wenn ich davon spreche, wie wir die Familien
unterstützen, geht es mir noch um etwas Weiteres: Denn Familie bedeutet auch:
gemeinsame Zeit. Gemeinsame Zeit, für die angesichts der gewachsenen
Anforderungen an jeden Einzelnen im Arbeitsleben oft kein Raum mehr vorhanden
ist. Deshalb müssen wir eine Antwort dafür finden, wie die Familien mit der
Dreifachbelastung „Erziehung der Kinder, Betreuung der Eltern und Erfolg im
Beruf“ fertig werden, wie sie das hinbekommen können. Damit sprechen wir also
über das Thema Zeit. Konkret darüber, wie wir eine größere Flexibilität
ermöglichen, um die genannten Anforderungen unter einen Hut zu bekommen. Das
ist einer der Gründe, warum wir die Union bei dem Thema „Recht von Teilzeit
wieder in Vollzeit zurückzukehren“ so drängen, mit uns gemeinsame Sache zu
machen. Und ich bin zuversichtlich, dass wir das absehbar noch in dieser
Wahlperiode hinbekommen werden. Und darüber hinaus habe ich mit unserer
großartigen Familienministerin Manuela Schwesig ein Konzept der
Familienarbeitszeit diskutiert, durch das Familien bestärkt werden sollen. Wir
brauchen eine Familienarbeitszeit. Dieses Konzept wird Manuela Schwesig für unsere
Partei in den nächsten Wochen vorstellen. Liebe Genossinnen und Genossen, zum
Respekt gehört auch, dass wir nicht zulassen, dass ältere Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer trotz hoher Qualifizierung Angst haben müssen, aus dem
Arbeitsmarkt zu fallen. Daher habe ich mit Andrea Nahles und Olaf Scholz
darüber nachgedacht, wie wir das verhindern können. Denn wer beispielsweise
heute mit 55 arbeitslos wird, der hat dann unter Umständen noch zwölf Jahre zu
arbeiten. Das sind oft hochqualifizierte Männer und Frauen, deren Berufsbilder
sich mit der Zeit geändert haben. Diese Leute dürfen wir doch nicht einfach so
aufgeben. Deshalb haben wir vorgeschlagen, unsere Arbeitsmarktpolitik
weiterzuentwickeln. Worum geht es dabei? Es geht nicht, Genossinnen und Genossen,
um Vergangenheitsbewältigung oder um eine Debatte, die 14 Jahre her ist. Nein,
es geht um eine zukunftsgerichtete Fortschreibung unserer Reformpolitik. Einen
entscheidenden Schritt haben wir dabei in dieser Wahlperiode bereits umgesetzt.
Auch wenn sich die Union dagegen gewehrt hat und so mancher LobbyVerband den
Untergang des Abendlandes prognostiziert hatte: Wir haben den Mindestlohn
eingeführt und so Hunderttausenden ein besseres Einkommen und damit auch eine
bessere Rente ermöglicht. Und nun machen wir einen weiteren wichtigen
Reformschritt, der Deutschland zukunftsfähiger und ein Stück gerechter macht:
Denn hatten wir zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts fünf Millionen
Arbeitslose, so herrscht heute zum Teil ein dramatischer Facharbeitermangel.
Deshalb müssen wir in einer sich rasch wandelnden Arbeitswelt für die Menschen,
die herausgefallen sind, wieder den Anschluss an den Arbeitsmarkt über die
Qualifizierung ermöglichen. Das sind Fragen des Respekts und der ökonomischen
Vernunft. Deshalb werden wir die Bundesagentur für Arbeit zu einer Agentur für
Arbeit und Qualifizierung weiterentwickeln, damit sie stärker
Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose im Auge hat. Das ist gut für die
betroffenen Arbeitnehmer, aber das ist auch gut für die betroffenen Unternehmen,
die händeringend nach Fachkräften suchen. Mit einem Wort: Diese Initiative ist
gut für Deutschland insgesamt! Und nun, liebe Genossinnen und Genossen, uns
vorzuwerfen, wir würden damit ein Frühverrentungsprogramm etablieren, ist schon
einigermaßen absurd. Wer sollte eigentlich daran ein Interesse haben?
Deutschland leidet unter einem Facharbeitermangel und deshalb ist die
Qualifizierung und Weiterbildung ein Innovationsprogramm für die Bundesrepublik
Deutschland. Lasst es mich in aller Klarheit sagen, auch an die Adresse all
derjenigen, die für sich so großen ökonomischen Sachverstand reklamieren: Die
Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland hängt nicht von
der Länge des Bezugs des Arbeitslosengeldes ab, sondern von der Qualifizierung
der Menschen. Da muss investiert werden. Wir werden weitere Konkretisierungen
bei unserem Programmprozess vornehmen. Die Befristung von Arbeitsverträgen ohne
sachlichen Grund, muss auf den Prüfstand gestellt werden. Und gemeinsam mit den
Gewerkschaften werden wir klarstellen: Der Missbrauch von Leiharbeit ist so
wenig akzeptabel, wie die Behinderung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
die Betriebsräte gründen wollen. Und ebenso wollen wir die Mitbestimmung bei
Weiterbildungsfragen ausbauen. Das sind Fragen der Gerechtigkeit. Alle die
Maßnahmen, die ich skizziert habe, sind Zeichen einer solidarischen und
intakten Gesellschaft. Einer Gesellschaft, in der sich die Menschen gegenseitig
helfen und in der wir in Gemeinschaft stark sind. Es ist das Gegenteil von dem,
was der ökonomische Mainstream in den letzten Jahrzehnten versucht hat, uns
einzubläuen, nämlich dass: „Wenn jeder für sich selbst sorgt, ist am Ende für
alle gesorgt “. Diese Logik hat sich zu einem Deregulierungswahn
weiterentwickelt, der durch seine Staatsverachtung zwischenzeitlich sogar
demokratiegefährdend geworden ist. Denn wenn bei der Polizei, bei Schulen, bei
der notwendigen Instandhaltung der Infrastruktur nicht die notwendigen Mittel
zur Verfügung stehen, dann verlieren die Menschen das Vertrauen in unser
Gemeinwesen. Weil Sicherheit, faire Bildungschancen und eine funktionierende
Infrastruktur wesentliche Gerechtigkeitsfragen sind. Es ist doch klar, Reiche
können sich einen schwachen Staat leisten, denn sie kaufen sich ihre Bildung,
sie kaufen sich ihre Sicherheit im Zweifel privat und im Zweifel leben sie auch
in Parallelwelten, die über eine eigene funktionierende Infrastruktur verfügen.
Es ist aber eine gemeinschaftliche Aufgabe, diese öffentlichen Güter zur
Verfügung zu stellen und zwar nicht nur in den Ballungsräumen und Metropolen,
sondern überall im Lande und insbesondere im ländlichen Raum, in den Dörfern
und den kleinen Städten. Deswegen reise ich auch so viel in die kleinen Städte.
Ich gehe in die Regionen, in die Fläche und nicht nur in die Ballungsräume, und
höre mir die Probleme der Menschen sehr genau an. Ich schaue mir vor Ort an,
was notwendig ist. Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste, die
Staatsverächter, die Privat-Statt-Staat-Propagandisten bei den Neoliberalen
müssen wieder eins lernen: „Soziale Gerechtigkeit“ ist kein Begriff aus dem
Lehrbuch des Klassenkampfes, sondern sie ist eine grundlegende Bedingung für
eine freie und fortschrittliche Gesellschaft. Für ein Gemeinwesen, in dem
wieder alle ihre Chance bekommen und respektiert werden. Liebe Genossinnen und
Genossen, lasst mich Meinhard Miegel zitieren, einen konservativen Ökonom, der
wahrlich nicht im Verdacht steht, ein Klassenkämpfer oder ein Sozi zu sein. Der
in dieser Woche in der wahrlich nicht linken Tageszeitung Die Welt geschrieben
hat: Ich zitiere Meinhard Miegel: „Während beachtliche Teile der Bevölkerung
schon seit Langem Einschränkungen hinnehmen müssen, ist es einer Minderheit
bisher nicht nur gelungen, sich diesem Trend zu entziehen, sondern sie hat im
Gegenteil ihren Vorsprung in mitunter geradezu obszöner Weise ausgebaut. Was
von dieser Minderheit an Einkommen und Vermögen zusammengetragen wird, geht
weit über das hinaus, was in der bekannten Geschichte als sittlich und
gemeinschaftsverträglich angesehen worden ist. … Wenn diese Frage nicht
überzeugend beantwortet werden kann, erzeugt sie Spannungen, die
zerstörerischen Kräften Auftrieb geben und schlimmstenfalls zu einem blutigen
Zusammenbruch der Gesellschaft führen kann.“ So weit das Zitat eines
konservativen Ökonomen in der Bundesrepublik Deutschland. Genau aus diesem
Grund müssen wir Gerechtigkeit in diesem Land herstellen, Gerechtigkeit, Würde
und ein neues Miteinander. Ich bin davon überzeugt, liebe Freundinnen und
Freunde, dass eine Gesellschaft gerechter ist, in der soziale Sicherheit
existiert. Eine Gesellschaft, in der soziale Sicherheit existiert, ist auch
widerstandsfähiger, nicht so anfällig für die einfachen Botschaften der
Verführer, die inzwischen ja weltweit ihr Unwesen treiben. Denn wenn man die
Nachrichten sieht, sieht man täglich, dass unsere Demokratie, unsere Art zu
leben zunehmend unter Druck gerät. Da ist einerseits die Herausforderung durch
den internationalen Terrorismus. Menschenverachtende Mörder, die die Religion als
falsche Rechtfertigung für ihr zynisches Geschäft missbrauchen. Diese Leute
wollen unsere Gesellschaften destabilisieren, indem sie Bomben werfen und Angst
und Schrecken verbreiten. Weltweit sind tausende Unschuldige diesen Verbrechern
zum Opfer gefallen, viele Muslime darunter, vor allem aber Frauen, Kinder und
Alte. Der sogenannte Islamische Staat hat diesen Krieg nach Europa getragen,
indem er hier bei uns und in anderen Ländern Europas furchtbare Anschläge
begangen hat. Hier darf es kein Pardon geben. Und wir werden beweisen, dass
unsere Demokratie wehrhaft ist und sich zu verteidigen weiß, ohne dass wir
dabei unsere Freiheit und unsere Offenheit aufgeben. Dabei setzt
sozialdemokratische Sicherheitspolitik nicht nur auf den Ausbau der
Sicherheitsbehörden und auf das Strafrecht - das sicherlich auch -, sondern wir
wollen auch präventiv tätig sein. Denn die meisten Täter - das müssen wir
einfach zur Kenntnis nehmen - sind junge Menschen, die sich bei uns
radikalisiert haben. Das ist eine Herausforderung, der wir uns alle stellen
müssen, und hier sind auch die Religionsgemeinschaften, die Schulen, die
Familien gefragt, aufmerksam darauf zu achten, wenn sich junge Menschen in die
Hände dieser gewissenlosen Verbrecher begeben. Wir sind ein Land, liebe Genossinnen
und Genossen, mit einer auf starken Grundrechten aufgebauten Verfassung. Wer
die ersten 20 Artikel unseres Grundgesetzes liest, der hat eine fantastische
Anleitung, wie ein friedliches und ein respektvolles Zusammenleben, das den
Zusammenhalt der Gesellschaft und zugleich die Grundrechte eines jeden
Einzelnen garantiert, möglich ist. Wer aber unter dem Deckmantel der
Religionsfreiheit, die garantiert ist - auch in diesen 20 Artikeln -, auf der
anderen Seite elementare Grundrechte unserer Verfassung infrage stellt – und
ich zitiere einmal ein solches Grundrecht: Art. 3 Abs. 2 unseres Grundgesetzes:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Wer diese unveräußerliche Garantie
infrage stellt, hat nicht nur den energischen Widerstand der Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten zu erwarten - er hat in diesem Lande keinen Platz und
nichts verloren. Eine andere große Herausforderung für unsere Demokratie sind
allerdings auch und in zunehmendem Maße die unbelehrbaren Rechten, die
Nationalisten und Populisten, denen eine freie und tolerante Gesellschaft ein
Dorn im Auge ist. Sie beschimpfen die freie Presse, sie lehnen
Minderheitenrechte ab, sind gegen Vegetarier genauso wie gegen Feministinnen,
sie haben den Islam oder Europa zum Hauptgegner erklärt. Und diese Leute
reklamieren dabei, das Volk zu sein. Liebe Genossinnen und Genossen, was für
ein Zynismus; denn der Ruf „Wir sind das Volk“ war ein Freiheitsfanal der
mutigen Ostdeutschen, die damit eine Diktatur zum Einsturz gebracht haben und
die so erst die Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit für Millionen Menschen
in Ostdeutschland erkämpft haben. Die AfD in Deutschland hat genauso wie die
nationale Front in Frankreich oder die Rechtsextremen in den Niederlanden eine
Rhetorik der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts, und wir alle wissen, wohin
dies unser Land und unseren Kontinent gebracht hat. Es muss uns alarmieren,
wenn ein Politiker dieser Partei, ein Landtagsabgeordneter in Thüringen, das
Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin als ein „Mahnmal der
Schande“ bezeichnet. Und wenn dieser Mensch eine 180-Grad-Wende in unserer
Erinnerungskultur fordert. Dieser Antidemokrat wird bei der AfD nicht
rausgeschmissen - nein, er wird deshalb nicht rausgeschmissen, weil sie ihn
brauchen, um den rechten Rand in ihrer Partei zu bedienen. Liebe Genossinnen
und Genossen, das ist eine Alternative für Deutschland? Nein, das ist eine
Schande für die Bundesrepublik! Dieselbe Partei schließt die freie Presse von
ihren Versammlungen aus. Wer aber sagt: „Informationen bekommt nur, wer
schreibt, was ich will!“, wer Medienvertreter als „Lügenpresse“ stigmatisiert,
wenn sie das nicht tun, der, Genossinnen und Genossen, legt die Axt an die
Wurzeln der Demokratie. Liebe Genossinnen und Genossen, hier sind hunderte
Journalistinnen und Journalisten. Dieser Parteitag steht zu Recht unter einer
enormen medialen Aufmerksamkeit. Die Männer und Frauen, die hier über uns
berichten, die schreiben, die kommentieren, die kritisch hinterfragen, die
analysieren, haben nicht nur das Recht dazu, nein, es ist unsere Pflicht, dafür
zu sorgen, dass sie es tun können. Eine freie und unabhängige
Berichterstattung, ein kritisches Hinterfragen derjenigen, die die Macht haben,
oder derjenigen, die die sie anstreben, ist ein elementarer Bestandteil einer
demokratischen Gesellschaft. Klar ist das schwer, der Umgang mit den Medien.
Aber ich wiederhole: Deren Arbeit ist für die Demokratie von elementarer
Bedeutung. Wer die freie Berichterstattung als „Lügenpresse“ bezeichnet, wer
selektiv mit Medien umgeht, legt die Axt an die Wurzel der Demokratie - ob er
der Präsident der Vereinigten Staaten ist oder ob er bei einer
Pegida-Demonstration mitläuft. Beides ist nicht akzeptabel! Angesichts der
genannten Bedrohungen ist es an der Zeit, für die Freiheit und die Demokratie
aufzustehen. Für unsere Gesellschaft aufzustehen. Mich hat sehr beeindruckt,
wie nach der Wahl in den Vereinigten Staaten zum Beispiel Hunderttausende - und
weltweit sogar Millionen - Frauen gegen Donald Trump demonstriert und dadurch
seine frauenfeindlichen, demokratiefeindlichen und rassistischen Äußerungen
zurückgewiesen haben. Mich hat übrigens beeindruckt, dass viele Künstlerinnen
und Künstler dabei waren und damit dem Unbehagen von Millionen eine Stimme
verliehen haben. Aber wir brauchen nicht in die USA zu fahren, um den Versuch
zu beobachten, wie in westlichen Staaten das Rad der Freiheit zurückgedreht
werden soll. Schaut in die Türkei, schaut nach Ungarn, schaut nach Polen:
Medien werden malträtiert, die Opposition wird behindert oder unterdrückt, und
Kunst und Kultur werden beschnitten. Das sind Entwicklungen, gegen die wir uns
wehren müssen. Ich habe als Präsident des Europaparlaments viel Erfahrung
machen müssen, wie diese Feinde der Freiheit arbeiten. Jeden Tag versuchen sie,
die rote Linie ein Stück weiter nach vorne zu schieben, jeden Tag einen kleinen
Tabubruch mehr. Ich habe wiederholt Sanktionen gegen diese bösartigen Zyniker
verhängt und musste teilweise - übrigens ohne zu zögern - auch Leute und
Abgeordnete aus dem Plenarsaal schmeißen. Ich füge hinzu, dass ich als
Vorsitzender unserer Partei daran anknüpfen werde. Ich sage, ich glaube, im
Namen aller, die hier sind: Ihr, die Feinde der Freiheit und der Demokratie,
ihr, die ihr jeden Tag versucht, ein Stück mehr die Tabus zu brechen, ihr, die
ihr jeden Tag ein Stück frecher gegen unsere Demokratie werdet, ihr habt in der
SPD den entschiedensten Gegner, den man in diesem Land haben kann! Liebe
Genossinnen und Genossen, die Antwort auf diese globalen Unsicherheiten heißt:
Europa. Deshalb sage ich: Lieber Sigmar, danke für das, was du als
Außenminister dieses Landes hier über Europa gesagt hast! Ich füge eines zu
dem, was Sigmar Gabriel gesagt hat, für mich persönlich hinzu: Mit mir wird es
kein Europa-Bashing geben. Mit mir wird es kein Schlechtreden Europas geben.
Wer meint, deutsche Interessen von einem starken Europa trennen zu können, oder
wer gar versucht, das eine gegen das andere auszuspielen, der ist nicht nur
geschichtsvergessen, sondern der verspielt die Zukunftschancen der nächsten
Generation. Denn die Idee der Kooperation der Völker über Grenzen hinweg, dass
sie sich für Frieden, für Freiheit, für unsere gemeinsame Sicherheit und für
den Wohlstand der Menschen zusammenschließen, das ist die Idee von Europa.
Welche Bedeutung dieses Europa für Deutschland hat, hat Willy Brandt 1971
treffender als jeder andere formuliert. Ich zitiere Willy: „Durch Europa kehrt
Deutschland heim zu sich selbst und den aufbauenden Kräften seiner Geschichte.“
Deshalb, Genossinnen und Genossen, weil Willy das so beschrieben hat - wir
kehren durch Europa heim zu uns selbst, zu den aufbauenden Kräften unserer
Geschichte -, ist die Einladung in dieses Europa, die uns unsere Nachbarn nach
dem Ende des Zweiten Weltkrieges aussprachen, das größte Geschenk, das die
Bundesrepublik in ihrer noch jungen Geschichte erhalten hat. Die Belgier, die
Luxemburger, die Niederländer, die Franzosen und die Italiener - Länder, in
denen der Nazi-Terror schlimmste Verbrechen angerichtet hat, in denen Menschen
verschleppt, ermordet, gefoltert, jüdische Gemeinden ausgerottet worden waren
und die Länder zerstört und in Schutt und Asche gelegt waren - luden die
Bundesrepublik Deutschland Anfang der 1950er-Jahre ein, Mitglied der
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu werden. Das war fünf Jahre
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Das waren Männer und Frauen, die
Bitteres erlitten hatten und trotzdem sagten: Wenn dieser Kontinent jemals
Frieden haben will, dann brauchen wir ein demokratisches Deutschland! - Sie überwanden
alle Hindernisse, alle Vorurteile, alle Ablehnung. Ich habe eingangs erwähnt:
Ich bin im deutsch-niederländischen Grenzgebiet aufgewachsen. Das war nicht
immer einfach. Diejenigen, die für den Ausgleich mit Deutschland warben, hatten
nicht immer sofort die Unterstützung ihrer Völker, weil gefragt wurde: Warum
jetzt mit denen? Die waren doch gerade erst hier und haben hier alles zerstört!
- Trotzdem sagten die: Den Deutschen muss es gelingen, eine eigene Demokratie
aufzubauen. - Das gelang. Die Bundesrepublik Deutschland nahm diese Einladung
an und baute eine der modernsten und freiheitlichsten Demokratien in Europa
auf, die nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit 1990 den Artikel 23
in ihre Verfassung schrieb, der uns Deutsche verpflichtet, an der Vertiefung
der europäischen Einigung als Verfassungsauftrag mitzuwirken. Europa wurde in
diesem Geist von Deutschland mit geschaffen. Aber dieses Europa ermöglichte dem
deutschen Volk auch, erhobenen Hauptes in die demokratische Völkerfamilie zurückkehren
zu können. Ein deutscher Bundeskanzler hat eine zentrale Verpflichtung,
Deutschland in Europa stark zu halten und durch ein starkes Deutschland Europa
stark zu halten; denn beides gehört untrennbar zusammen. Europa wurde auf dem
Geist der Kooperation, des Dialoges, des gegenseitigen Respekts und der
Solidarität aufgebaut. Diesen Geist gilt es weiß Gott wiederzubeleben. Es gilt
ihn insbesondere im Umgang mit den Flüchtlingen, die nach Europa kommen
wiederzubeleben. Es ist doch ganz klar, dass wir diese enorme Herausforderung
nur in der Gemeinschaft aller europäischen Völker und Nationen lösen können und
ganz sicher nicht durch nationalstaatliche Alleingänge. Deshalb will ich mich
auch dafür einsetzen: für klarere Absprachen unter den europäischen Staaten,
aber auch - und das sage ich in aller Offenheit - für eine konsequentere Linie
gegenüber den Ländern, die von Europa enorm profitieren und Solidarität
bekommen, aber, wenn es um die Solidarität mit Flüchtlingen geht, „Nein, danke“
sagen. Das ist nicht akzeptabel. Liebe Genossinnen und Genossen, die USA und
die Türkei sind weiterhin wichtige Partner für Deutschland und für Europa.
Natürlich muss ein deutscher Regierungschef mit dem amerikanischen oder dem
türkischen Präsidenten reden; jawohl. Denn der Dialog ist das Wichtigste, und
den Dialog nicht abbrechen zu lassen, muss immer unsere erste Wahl sein. Aber
eins, liebe Leute, gibt es auch: Ich erinnere mich an einen deutschen
Bundeskanzler, der einem amerikanischen Präsidenten in klaren Worten gesagt hat,
was nicht geht: Es war Gerhard Schröder, ein großer Sozialdemokrat, der mit
seinem Nein zum IrakKrieg eine historische Tat begangen hat, auf die ganz
Deutschland stolz sein kann. Ein deutscher Kanzler kann also durchaus - bei
allen notwendigen diplomatischen Gepflogenheiten - in so gewichtigen Fragen
eine klare Haltung zeigen. Nein, er kann es nicht nur, ein deutscher
Bundeskanzler muss diese klare Haltung zeigen, wenn es um die Verteidigung
unserer grundlegenden Werte geht. Und deshalb lasst mich auch einige klare
Worte an den türkischen Präsidenten richten: Wir werden es nicht hinnehmen,
dass unsere türkischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger gegeneinander
ausgespielt werden. Wir dürfen auch nicht hinnehmen, dass sie durch
Nazi-Vergleiche gegen andere deutsche Mitbürger aufgehetzt werden. Das gilt
übrigens nicht nur für Deutschland, das gilt auch für andere Länder in Europa.
Wer versucht, Menschen gegeneinander aufzuhetzen, dem muss Einhalt geboten
werden. Deshalb muss man auch Herrn Erdogan mit klaren Worten sagen, dass das
so nicht geht. Und man darf ihn auch darauf hinweisen, dass seine Strategie
früher oder später scheitern wird. Die Türkei ist so gespalten wie seit
Jahrzehnten nicht mehr. In dieser Situation muss es doch auch in diesem Lande
darum gehen, das Land zu einen und die Menschen zusammenzuführen. Das ist doch
die eigentliche Aufgabe eines Staatsoberhauptes: sein Volk zusammenzuführen und
die Menschen zu einen. Und das ist die Botschaft, die wir an ihn richten
sollten, die Botschaft, die wir nach Ankara schicken sollten: Wir wollen eine
faire, eine sachliche Auseinandersetzung, aber wir wollen nicht, dass Menschen
gegeneinander aufgehetzt werden, weder in Ihrem Land noch bei uns. Liebe
Genossinnen und Genossen, eine klare Haltung einzunehmen, ist für uns im
Vergleich zu unseren Vorfahren doch viel einfacher. Wir haben eine lebendige
Zivilgesellschaft. Wir wissen, wenn es um klare Kante und klare Haltung geht,
die Mehrheit der Menschen hinter uns. Wir wissen sie hinter uns, wenn es darum
geht, unsere Werte, unsere Prinzipien mit Leben zu erfüllen. Hunderttausende in
diesem Land setzen sich tagtäglich für die Gemeinschaft ein, haben Flüchtlinge
unterstützt oder engagieren sich in Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen.
Tausende kämpfen in vielen Initiativen gegen die neuen Rechten, oder sie
engagieren sich ganz einfach im Sportverein oder in ihrem Viertel oder in
irgendeiner kleinen Organisation, in der Menschen zusammenkommen. Was wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten leisten müssen, ist mit einem Satz zu
beschreiben: Wir müssen der Bündnispartner dieser Menschen sein. Genossinnen
und Genossen, die Menschen in diesem Lande müssen eins spüren: Mein Leben, mein
Engagement, das Schicksal meiner Familie, das Schicksal meiner Frau, das
Schicksal meines Mannes, meines Partners, meiner Partnerin, das Schicksal
meiner Kinder, meiner Eltern, auch das meiner Kolleginnen und Kollegen, der
Freundinnen und Freunde, jedes einzelne Schicksal zählt, jedes ist wichtig. Für
die Kinder gilt, was Hannelore Kraft sagt: Kein Kind zurücklassen. Jedes Kind
ist ein wertvoller Teil unserer Gemeinschaft und unserer Gesellschaft. Jeder
Mann, jede Frau muss eins spüren: dass es nicht mehr so sein darf, wie es uns
oft entgegenschallt: Ich halte mich an die Regeln. Ich leiste meinen Beitrag im
Beruf und auch darüber hinaus, in der Gemeinschaft, im Verein, in der Partei,
in der Gewerkschaft, egal wo - aber ich zähle doch für euch überhaupt nichts.
Ihr interessiert euch doch für mich nicht, für mein Schicksal. Ich bin euch doch
egal. Dieses verbreitete Gefühl ist gefährlich für die Demokratie. Wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind wie keine andere Partei
aufgefordert, diesen Menschen zu sagen: Nein, am Anfang eines jeden Handelns,
eines jeden Denkens, eines jeden Konzepts, einer jeden Entscheidungsfindung in
unserer Partei steht eine Überlegung: Wie machen wir, die SPD, mit dem, was wir
tun, das Leben genau dieser Menschen jeden Tag ein kleines Stück besser? Wenn
die Menschen spüren, die meinen das ernst, und wenn wir es ernst meinen - und
das tun wir -, dann gewinnen wir auch das Vertrauen der Menschen in die
Demokratie und in unsere Partei zurück, und dann, Genossinnen und Genossen,
gewinnen wir auch die Bundestagswahl. Davon bin ich fest überzeugt. Ich, liebe
Genossinnen und Genossen, werbe um euer Vertrauen. Wir haben viel vor mit
unserer Partei, und ich weiß genau: Das geht nur gemeinsam - mit euch, mit den
Delegierten, mit den Hunderttausenden Mitgliedern unserer Partei. Ich brauche
euch alle, ihr, die ihr in den Kommunalvertretungen, in den Landtagen oder im
Bundestag arbeitet, ihr, Genossinnen und Genossen, die ihr in den Ortsvereinen
und Abteilungen eure Abende opfert, eure Freizeit, um etwas für die
Gemeinschaft zu tun, vor allen Dingen ihr, Genossinnen und Genossen, die ihr am
Samstag mit dem Tapeziertisch vor dem Supermarkt steht und mit den Leuten über
den besten Weg für unser Land streitet - und glaubt mir, ich weiß, was für
starke Nerven man dort manchmal haben muss -, ihr, die ihr in den sozialen
Medien für eine tolerante Debatte kämpft und die ihr uns mit euren kreativen
und fantasievollen Beiträgen zurzeit so viel Spaß bereitet: Ich brauche eure
Unterstützung, und ich bitte euch um euer Vertrauen. Nicht nur heute; ich bitte
um euer Vertrauen ab heute und solange ich dieses Amt, so ihr mich denn wählen
wollt, ausübe. Lasst mich eines hinzufügen: Ich trete an, um der
Parteivorsitzende dieser stolzen Partei zu werden. Ich bewerbe mich zugleich
darum, euer Kanzlerkandidat zu werden. Ich trete mit einem klaren Anspruch an.
Wir alle gemeinsam wollen, dass Anke Rehlinger am kommenden Sonntag die nächste
Ministerpräsidentin des Saarlandes wird. Wir wollen, dass Torsten Albig seine
erfolgreiche Arbeit als Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein
fortsetzen kann. Und wir wollen, dass mein Heimatbundesland, das wunderbare
Nordrhein-Westfalen, weiterhin von seiner starken Ministerpräsidentin Hannelore
Kraft geführt wird. Wir wollen, dass die SPD die stärkste politische Kraft nach
der Bundestagswahl wird, damit sie das Mandat bekommt, dieses Land besser und
gerechter zu machen und den Menschen den Respekt entgegenzubringen, den die
Menschen verdienen. Und ich will, liebe Genossinnen und Genossen, der nächste
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden. Herzlichen Dank und Glück
auf!