Powered By Blogger

Montag, 6. Januar 2025

SCHNELLE BESTIMMUNG DER ERDBEBENMAGNITUDE



 Geophysical Research Letters

Schnelle Bestimmung des Me für starke bis große flache Erdbeben

Erstveröffentlichung:31. Mai 2008
 
Zitate: 12

Abstrakt

[1] Wir schlagen ein neues schnelles Verfahren zur Bestimmung der Energiegröße Me für flache Erdbeben aus breitbandigen teleseismischen P-Wellen-Signalen im Entfernungsbereich von 20°–98° vor. Um diese Aufgabe zu erfüllen, berechnen wir spektrale Amplitudenabklingfunktionen für verschiedene Zeiträume unter Verwendung numerischer Simulationen auf Basis des Referenz-Erdmodells AK135Q. Mit Hilfe dieser Funktionen korrigieren wir die Spektren der teleseismischen Aufzeichnungen um die Ausbreitungspfadeffekte und berechnen die abgestrahlte seismische Energie S und damit Me . Wir verwenden kumulative P-Wellen-Fenster zur Simulation eines Echtzeit- oder nahezu Echtzeit-Verfahrens und testen es für 61 flache Erdbeben. Die Ergebnisse zeigen, dass unser Ansatz eine schnelle und zuverlässige Me -Bestimmung innerhalb von 7–15 Minuten nach dem Erdbebenursprungszeitpunkt ermöglicht und sich daher für die Implementierung in Schnellreaktionssystemen eignet.

1. Einleitung

[2] Die Ereignismagnitude als Maß für die „Erdbebengröße“ ist ein Parameter von grundlegender Bedeutung zur Charakterisierung seismischer Ereignisse und muss innerhalb kurzer Zeit nach dem Entstehungszeitpunkt des Erdbebens (OT) verfügbar sein, um das Schadenpotenzial einzuschätzen und schnelle Reaktionsmaßnahmen zu steuern. In den letzten Jahrzehnten wurden viele Magnitudenskalen entwickelt, die oftmals ein bestimmtes Merkmal des Erdbebenprozesses betonen und daher eine unterschiedliche Bedeutung haben. Die Energiemagnitude Me ist mit einem genau definierten physikalischen Parameter der seismischen Quelle verknüpft, nämlich der abgestrahlten seismischen Energie S . Die von einem Erdbeben in Form seismischer Wellen abgestrahlte Energie konzentriert sich um die Eckfrequenz des Quellenspektrums, weshalb Me zur Beschreibung des Schadenpotenzials von Erdbeben besser geeignet ist als die Momentenmagnitude Mw [ Boatwright und Choy , 1986 ; Bormann et al. , 2002 ; Choy und Kirby , 2004 ]. Mw hängt mit der Niederfrequenzasymptote des Quellenspektrums zusammen und beschreibt den gesamten tektonischen Effekt der seismischen Quelle, während Me über einen größeren Frequenzbereich des Quellenspektrums berechnet wird, der eher mit den für den technischen Bereich interessanten Frequenzen zusammenhängt.

[3] Da Me ein besserer Schätzer des Schüttelschadenspotenzials ist, muss ein schnelles und robustes Verfahren entwickelt werden, das für die Implementierung in Schnellreaktionssystemen geeignet ist, um Me kurz nach OT zu bestimmen. In dieser Studie beschreiben wir ein neues Verfahren zur Bestimmung von Me für flache Erdbeben unter Verwendung von breitbandigen teleseismischen Aufzeichnungen von P-Wellen im Entfernungsbereich von 20°–98°. Die Korrektur der Wellenausbreitungseffekte erfolgt mithilfe von spektralen Amplitudenabklingfunktionen, die aus der numerischen Simulation von Green'schen Funktionen abgeleitet wurden, und Me wird für kumulative P-Wellenfenster bis zur Ankunft der S-Welle berechnet. Wir zeigen, dass unser Verfahren flexibel ist und in der Lage ist, Me selbst für große Erdbeben wie das Sumatra-Erdbeben vom 26. Dezember 2004 schnell und robust zu bestimmen. Wir haben 61 Erdbeben (Quellparameter sind in Tabelle 1 aufgeführt ) im Mw- Bereich von 6,0–9,3 analysiert und dabei Aufzeichnungen von Breitbandstationen verwendet, die von globalen Netzwerken (GEOFON, IRIS, GEOSCOPE) sowie regionalen Netzwerken verwaltet werden. Abschließend vergleichen wir unser Me mit dem vom USGS berechneten Me und mit dem von der Harvard University ermittelten Mw .

Tabelle 1. Liste der Erdbebenparameter für die in dieser Arbeit analysierten Ereignisse
DatumZeitLatLonTiefeMw (HRV)REGIONIch (GFZ)Ich (USGS)
102.09.199200:16:0211,74−87,34447.7Nicaragua6,61 ± 0,1716,7 ± 0,078
202.06.199418:17:34−10,48112,84187.8Java6,75 ± 0,1436,5 ± 0,048
309.10.199515:35:5419.06−104,21338,0Mexiko7,51 ± 0,2367,3 ± 0,048
403.12.199518:01:0944,66149,30337.9Kurilen7,44 ± 0,2017,4 ± 0,060
517.02.199605:59:31−0,89136,95338.2Irian Jaya7,79 ± 0,1617,7 ± 0,072
621.02.199612:51:01−9,59−79,59107.5Peru7,20 ± 0,167n / A
716.02.199823:53:2052,72−33,68106.8Nordatlantischer Rücken6,93 ± 0,1137,3 ± 0,066
820.03.199821:08:09−50,01163.11106.7Region Aucklandinseln6,97 ± 0,245n / A
925.03.199803:12:25−62,88149,53348.1Balleny Islands Region8,47 ± 0,2028,8 ± 0,097
1029.11.199814:10:32−2,07124,89337.7Ceram-Meer7,57 ± 0,2088,3 ± 0,068
1117.08.199900:01:3940,7529,86177.6Truthahn7,50 ± 0,3017,7 ± 0,061
1220.09.199917:47:1923,77120,98337.6Taiwan7,42 ± 0,1807,2 ± 0,058
1312.11.199916:57:2040,7631.16197.2Truthahn7,56 ± 0,2567,0 ± 0,082
1404.06.200016:28:26−4,72102.09337.8Südsumatra8,03 ± 0,2278,3 ± 0,064
1517.06.200015:40:4263,97−20,49146.5Island6,77 ± 0,1436,7 ± 0,046
1618.06.200014:44:13−13,8097,45147.9Südlicher Indischer Ozean8,32 ± 0,1948,0 ± 0,046
1721.06.200000:51:4763,98−20,76146.5Island6,91 ± 0,1746,8 ± 0,058
1816.11.200004:54:57−3,98152,17338,0Region New Ireland7,78 ± 0,178n / A
1916.11.200007:42:17−5,23153,10307.8Region New Ireland7,51 ± 0,1707,2 ± 0,041
2017.11.200021:01:56−5,50151,78337.8Region New Britain6,96 ± 0,1496,8 ± 0,064
2115.12.200016:44:4838,4631,35106,0Truthahn7,14 ± 0,2737,0 ± 0,057
2206.12.200017:11:0639,5754,80307,0Turkmenistan6,10 ± 0,1665,4 ± 0,031
2326.01.200103:16:4123.4270,23167.6Südindien7,92 ± 0,2797,6 ± 0,032
2423.06.200120:33:14−16,26−73,64338.4Peru8,04 ± 0,2088,1 ± 0,030
2521.08.200106:52:06−36,96−179,84337.1Neuseeland7,31 ± 0,2057,0 ± 0,070
2608.10.200118:14:2652,59160,32276.5Kamtschatka6,13 ± 0,1386,2 ± 0,045
2714.11.200109:26:1035,9590,54377.8Qinghai7,80 ± 0,2268,1 ± 0,118
2825.03.200214:56:3436,0669,3286.2Hinduksch6,68 ± 0,2106,2 ± 0,090
2908.09.200218:44:24−3,30142,95137.6Region Neuguinea7,68 ± 0,1547,7 ± 0,070
3003.11.200222:12:4163,74−147,69107.9Alaska8,18 ± 0,1828,1 ± 0,088
3121.05.200318:44:2036,963,63126.8Nordalgerien7,04 ± 0,1746,8 ± 0,043
3215.07.200320:27:50−2,5668,30107.5Carlsberg-Grat7,83 ± 0,1457,6 ± 0,057
3325.09.200319:50:0641,81143,91278.3Vor der Küste von Hokkaido7,96 ± 0,2468,0 ± 0,039
3427.09.200311:33:2550,0487,81167.2Südwestsibirien7,57 ± 0,2477,6 ± 0,074
3501.10.200301:03:2550,2187,82106.7Südwestsibirien7,41 ± 0,2727,4 ± 0,064
3617.11.200306:43:0751,15178,65337.7Aleuten7,39 ± 0,1927,3 ± 0,050
3728.09.200415:29:54−52,5228.02106.4Süden Afrikas6,94 ± 0,2806,8 ± 0,132
3809.10.200421:26:5411.42−86,67356.9Nicaragua6,75 ± 0,2656,5 ± 0,026
3908.11.200415:55:0124.10122,54296.3Taiwan6,13 ± 0,1945,7 ± 0,086
4026.12.200400:58:533.3095,98309.3Sumatra8,57 ± 0,1828,5 ± 0,083
4105.02.200504:03:142.2694,99306,0Sumatra5,85 ± 0,243n / A
4222.02.200502:25:2330,7456,83146.4Iran6,65 ± 0,2396,2 ± 0,069
4320.03.200501:53:4233,81130.13106.6Kyushu, Japan6,96 ± 0,2517,0 ± 0,097
4428.03.200516:09:372.0997,11308.6Sumatra8,23 ± 0,1728,3 ± 0,060
4502.04.200512:52:3778,616.10116.2Spitzbergen6,18 ± 0,217n / A
4626.08.200518:16:3314.4252,37256.2Golf von Aden6,49 ± 0,2226,4 ± 0,058
4708.10.200503:50:4134,5473,59267.6Pakistan7,57 ± 0,1637,4 ± 0,054
4805.12.200512:19:55−6,2229,83226.8Tangyika-See6,66 ± 0,1906,4 ± 0,034
4902.01.200606:10:49−60,93−21,58227.4Südliche Sandwichinseln7,68 ± 0,2127,6 ± 0,065
5004.01.200608:32:3228.16−112,12146.6Golf von Kalifornien6,54 ± 0,1926,6 ± 0,048
5108.01.200611:34:5436.3123.21666.8Südgriechenland6,98 ± 0,1326,7 ± 0,030
5214.02.200615:27:2320,82146,18376.3Marianen5,94 ± 0,2396,1 ± 0,077
5322.02.200622:19:08−21,2233,34237,0Mosambik7,28 ± 0,2417,1 ± 0,047
5420.04.200623:25:0260,95167,09227.6Ostsibirien7,33 ± 0,1697,3 ± 0,034
5526.05.200622:53:59−7,96110,45136.4Java6,54 ± 0,2096,8 ± 0,061
5617.07.200608:19:24−9,22107,32347.7Java7,64 ± 0,2477,1 ± 0,079
5715.11.200611:14:1646,68153,22288.3Kurilen7,77 ± 0,2537,8 ± 0,290
5801.12.200614:01:49−8,22118,78246.4Sumbawa6,14 ± 0,1625,9 ± 0,083
5926.12.200612:26:2521,87120,66107,0Taiwan7,44 ± 0,2007,0 ± 0,046
6013.01.200704:23:2346,26154,39188.1Kurilen8,69 ± 0,2058,2 ± 0,055
6121.01.200711:27:451.06126,28227.5Molukkenmeer7,95 ± 0,2177,5 ± 0,056

2. Korrektur der Ausbreitungseffekte

[4] Zu den größten Herausforderungen bei der Berechnung der von einer seismischen Quelle abgestrahlten Energie gehört die Korrektur der geometrischen Ausbreitung und der frequenzabhängigen Dämpfung. Um S aus einem Seismogramm zu berechnen, muss deshalb der Energieverlust der seismischen Wellen während ihrer Ausbreitung berücksichtigt werden. Da unser Verfahren für globale Zentren seismischer Netzwerke gedacht ist, müssen wir zu diesem Zweck spektrale Amplitudenabklingfunktionen für verschiedene Frequenzen berechnen, die auf die gesamte Erde anwendbar sind. Die Berechnung dieser Funktionen erfolgte unter Verwendung des Referenz-Erdmodells AK135Q [ Kennett et al. , 1995 ; Montagner und Kennett , 1996 ] und des Simulationscodes für Greensche Funktionen von Wang [1999] . Der Vorteil synthetischer Seismogramme liegt darin, dass wir, ausgehend von einer bekannten Punktquellenfunktion, alle Ausbreitungseffekte bei verschiedenen Frequenzen berücksichtigen können. Wir haben teleseismische (Quellentiefe 33 km) P-Wellen-Seismogramme in Schritten von 1° im Entfernungsbereich von 20°–35° und in Schritten von 2,5° ab 35° berechnet. Für den Entfernungsbereich von 20°–35° verwenden wir eine dichtere räumliche Abtastung, da die in diesem Bereich beobachteten P-Wellen stark von den erheblichen Geschwindigkeits- und Dämpfungsschwankungen im oberen Erdmantel und in der Übergangszone beeinflusst werden. Die Verwendung von Stationen zwischen 20°–30° ist empirisch gerechtfertigt, da unsere endgültige Me- Bestimmung, die Stationen in diesem Entfernungsbereich einschließt, keine Verzerrung verursacht, gleichzeitig können wir unser Verfahren jedoch früher starten. Aus der simulierten Zeitreihe wurden die Amplitudenabnahmefunktionen wie folgt abgeleitet: Für jede simulierte Entfernung wurden die Fourierspektren der P-Wellenzüge berechnet und dann der spektrale Amplitudenabnahme bei jeder Entfernung in einem bestimmten Zeitraum extrahiert. Wir haben auch den Einfluss verschiedener Phasen (wie PP), die zwischen den ersten P- und S-Wellen eintreffen, auf die Amplitudenabnahmefunktionen untersucht, es wurden jedoch keine signifikanten Änderungen in den Funktionen beobachtet.

[5] Um den Einfluss des Quellmechanismus zu beurteilen, der zur Erzeugung der synthetischen Wellenformen verwendet wurde, simulierten wir für jede Entfernung eine Reihe von Zeitreihen, die sich aus zahlreichen Kombinationen von Fokusparametern ergaben, und berechneten für jede Entfernung den Median sowie das 25. und 75. Perzentil der Amplitudenabklingfunktionen. Die Frequenzabhängigkeit der Amplitudenabklingfunktionen in Abbildung 1 wird dadurch verdeutlicht, dass man sie für Zeiträume zwischen 1 s und 16 s in Schritten von einer Oktave aufzeichnet [ Duda und Yanovskaya , 1993 ]. Wie erwartet zeigt Abbildung 1 deutlich, dass der Amplitudenabnahme bei kürzeren Zeiträumen höher ist und dass der Unterschied zwischen den Funktionen bei längeren Zeiträumen zunehmend kleiner wird, wobei sich die Perzentilbereiche für 8 s und 16 s bereits überlappen.

Details finden Sie in der Bildunterschrift
Spektrale Amplitudenabnahmefunktionen für Zeiträume zwischen 1 s und 16 s in Schritten von einer Oktave. Die durchgezogenen Linien stellen die mittlere spektrale Amplitudenabnahmefunktion für einen bestimmten Zeitraum dar; der schattierte Bereich stellt das 25. und 75. Perzentil dar.

[6] In der Praxis verwenden wir zur Korrektur der von seismischen Stationen aufgezeichneten Geschwindigkeitsspektren die Abklingfunktionen der mittleren Amplitude für Zeiträume zwischen 1 s und 60 s in Schritten von 1/3 einer Oktave, so dass bei der Integration der korrigierten Leistungsgeschwindigkeitsspektren eine ausreichende Anzahl von Frequenzen zur Verfügung steht. Zur Mittelung des Strahlungsmusters der Quelle verwenden wir seismische Stationen, die eine gute azimutale Abdeckung um die Quelle herum gewährleisten. Die Korrektur wird bei 1 s abgeschnitten, da das Q-Modell nur aus Daten des signifikanten Zeitraums zwischen 1 und 3000 s gewonnen wurde ( Montagner und Kennett , 1996 ). Für kürzere Zeiträume sind die Abklingfunktionen nicht verlässlich. Diese untere Periodengrenze bei der Integration bedeutet, dass unser Verfahren derzeit auf Erdbeben mit einer Magnitude über etwa 5,8–6 anwendbar ist, aber es schränkt unsere Energiebestimmung nicht ein, da starke bis sehr schwere Erdbeben Eckfrequenzen haben, die innerhalb des Frequenzbands liegen, auf das die Korrektur angewendet wird. Darüber hinaus zeigte eine detaillierte Analyse des vorliegenden Datensatzes, dass das Signal-Rausch-Verhältnis (SNR) oberhalb von 1 Hz sehr schlecht ist, was die Nutzung derart hoher Frequenzen einschränkt.

3. S und Me- Entschlossenheit

[7] Die in Form elastischer Wellen freigesetzte Energie ist proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit der Bodenbewegung. Nimmt man eine Punktquelle an und mittelt sie über eine Kugeloberfläche um die Quelle, kann S aus der vertikalen Komponente teleseismischer P-Wellen-Aufzeichnungen wie folgt berechnet werden:
Gleichungsbild
wobei α , β und ρ die P-Wellen-Geschwindigkeit, die S-Wellen-Geschwindigkeit bzw. die Dichte an der seismischen Quelle darstellen, f1 und f2 die minimale und maximale Grenzfrequenz der Integration sind, Gleichungsbildf ) das P-Wellen-Geschwindigkeitsspektrum darstellt, G ( f ) das Greensche Funktionsspektrum für die Verschiebung und f die Frequenz [ Haskell , 1964 ; Purcaru und Berckhemer , 1978 ; Boatwright und Choy , 1986 ; Venkataraman und Kanamori , 2004 ]. Nachdem S berechnet wurde, ergibt sich Me aus der folgenden Beziehung [z. B. Bormann et al. , 2002 ]:
Gleichungsbild

[8] Um unser Verfahren für die Implementierung in schnellen Reaktionssystemen anwendbar zu machen und den Einfluss der Rupturdauer zu berücksichtigen, berechnen wir S und Me , beginnend mit einer Fensterlänge von 4 s nach der ersten P-Wellen-Ankunft und erhöhen diese kontinuierlich bis zur S-Wellen-Ankunft (zeitvariable kumulative Energiefenster), was der kumulativen Körperwellenmagnitude von Bormann und Wylegalla [2005] ähnelt . Abbildung 2 illustriert, wie unser Verfahren funktioniert. Für dieses Ereignis mit Mw 6,5 ( Tabelle 1 , Ereignis 17) wird eine stabile S- Bestimmung etwa 30 s nach dem Beginn der P-Welle erreicht. Dieses Zeitfenster wäre lang genug, um die gesamte Rupturdauer abzudecken. Deshalb würde ein längeres Zeitfenster den berechneten S- Wert nicht signifikant erhöhen. Das bedeutet auch, dass unsere Me- Bestimmung vor der S-Wellen-Ankunft erreicht werden kann, wenn die Rupturdauer kürzer ist als das SP-Zeitfenster. Zuverlässige Me -Bestimmungen können bestenfalls etwa 7 Minuten nach OT an Stationen zwischen 20° und 30° verfügbar sein. Dies ist nicht der Fall bei extrem großen Erdbeben, wie etwa dem jüngsten Sumatra-Beben vom 26. Dezember 2004, bei dem die Bruchdauer etwa 500 s betrug [ Ni et al. , 2005 ]. Aber selbst in einem solchen Extremfall hätte unser Verfahren bereits etwa 15 Minuten nach OT ein stabiles Me ergeben können ( Abbildung 3 ), da die größte Energiefreisetzung innerhalb der ersten 250 s des Bruchprozesses stattfand [ Choy und Boatwright , 2007 ]. Daher steht unser Ergebnis in guter Übereinstimmung mit der endgültigen Me -Bestimmung durch den USGS (siehe schwarze Raute in Abbildung 4 ).

Details finden Sie in der Bildunterschrift
Beispiel, das beschreibt, wie das in dieser Arbeit verwendete Verfahren durchgeführt wird. (oben) Die vertikale Geschwindigkeitskomponente eines Erdbebens der Stärke 6,5 in Island ( Tabelle 1 , Ereignis 17), aufgezeichnet an der Station STU. Die theoretischen Ankunftszeiten der P- und S-Wellen sind durch vertikale gestrichelte Linien markiert. (unten) Energie- und Me- Werte für verschiedene kumulative P-Wellen-Fenster.
Details finden Sie in der Bildunterschrift
(links) Karte mit dem Ort des Erdbebens auf Sumatra vom 26. Dezember 2004 (grauer Stern), den Breitbandstationen, die zur Berechnung von Me verwendet wurden (schwarze Dreiecke), und den gestrichelten Kreisen, die die Ankunft der S-Welle nach OT darstellen. (rechts) Me -Bestimmung (GFZ) des Erdbebens auf Sumatra zu verschiedenen Zeitpunkten nach OT. Die Anzahl der Stationen (NS), die zur Berechnung von Me (GFZ) verwendet wurden, wird ebenfalls angezeigt.
Details finden Sie in der Bildunterschrift
(links) Vergleich der Me- (GFZ) und Me- (USGS)-Schätzungen für die in Tabelle 1 aufgeführten Ereignisse , ohne Ereignisse 6, 8, 18, 41 und 45, für die Me (USGS) nicht verfügbar ist. Die durchschnittlichen Me- Werte ±1 Standardabweichung sind dargestellt. (rechts) Vergleich der Me- (GFZ) und Mw- (HRV)-Schätzungen für alle in Tabelle 1 aufgeführten Erdbeben . Die schwarze Raute stellt das Sumatra-Erdbeben vom 26. Dezember 2004 dar.

[9] Als endgültige Me- Werte für die in Tabelle 1 aufgeführten Erdbeben nehmen wir den Durchschnitt der Me -Bestimmungen der einzelnen Stationen. Wir verwendeten Aufzeichnungen mit SNR ≥ 3 in dem Frequenzband, das uns interessiert. Abbildung 4 zeigt den Vergleich unserer Me -Werte ±1 Standardabweichung mit dem vom USGS berechneten Me und dem Mw der Harvard University. Sowohl die Me- (USGS) als auch die Mw -Bestimmungen (HRV) wurden aus der SOPAR-Datenbank ( http://neic.usgs.gov/neis/sopar/ ) abgerufen. Die Abweichungen zwischen Me (GFZ) und Me (USGS) sind relativ gering, obwohl Me (GFZ) für Me < 8 im Durchschnitt 0,17 Magnitudeneinheiten (mu) größer ist als Me (USGS). Dies kann an der Verwendung unterschiedlicher Dämpfungskorrekturen oder Korrekturen für bestimmte Herdmechanismen liegen, die auf die endgültigen Me -Werte (USGS) angewendet wurden, nicht jedoch auf unsere Daten. Außerdem ist das in unserer Analyse verwendete SP-Zeitfenster lang im Vergleich zur Bruchdauer für Me < 8. Die Überschätzung reicht von vernachlässigbar bis zu 0,2 mu im schlimmsten Fall ( Choy und Boatwright , 2007 ). Trotzdem ist unser Me für schnelle Reaktionszwecke genau genug, und eine gründliche Untersuchung der Unterschiede zwischen Me (GFZ) und Me (USGS) wird Gegenstand weiterer Studien sein. Der Vergleich Me (GFZ) und Mw (HRV) zeigt, dass ihr Unterschied bis zu etwa 1 mu betragen kann. Dies liegt an der Empfindlichkeit von Me gegenüber Änderungen des Spannungsabfalls und damit verbundenen Verschiebungen der Eckperiode des Quellenspektrums. Im Gegensatz dazu basiert Mw auf der Annahme eines konstanten Spannungsabfalls und daher eines konstanten S / 0 -Verhältnisses. Globale Ereignisse für unterschiedliche Herdmechanismen zeigen jedoch Spannungsabfallschwankungen von etwa drei Größenordnungen [ Choy und Boatwright , 1995 ; Bormann et al. , 2002 ; Choy und Kirby , 2004 ]. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, sowohl Me als auch Mw zu bestimmen, um das Gefahrenpotenzial eines Erdbebens besser einschätzen zu können.

4. Schlussfolgerungen

[10] Wir präsentieren ein schnelles und robustes Verfahren zur Berechnung von Me in kurzer Zeit nach OT unter Verwendung von P-Wellen teleseismischer Seismogramme im Entfernungsbereich von 20°–98°. Die Korrektur der Ausbreitungspfadeffekte wird durch die Anwendung von spektralen Amplitudenabklingfunktionen für verschiedene Zeiträume erreicht, die mithilfe numerischer Simulationen von Green'schen Funktionen auf Grundlage des Referenz-Erdmodells AK135Q berechnet wurden. Unser Verfahren vermeidet das Problem des Zeitfenstersättigungseffekts bei der Magnitudenbestimmung [ Bormann et al. , 2007 ] und kann in Schnellreaktionssystemen implementiert werden, da es eine genaue Bestimmung von Me innerhalb von Minuten nach Ankunft der ersten P-Welle ermöglicht, selbst bei großen Erdbeben mit sehr langer Bruchdauer, wie etwa dem Erdbeben auf Sumatra vom 26. Dezember 2004. Wir haben unser Verfahren auf 61 aktuelle Erdbeben angewendet und gezeigt, dass unsere Me -Bestimmungen im Durchschnitt recht gut mit den formaleren und genaueren, aber langsameren Me -Bestimmungen des USGS übereinstimmen. Einige noch bestehende Diskrepanzen werden Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Schließlich zeigt der Vergleich von Me (GFZ) mit Mw (HRV), dass diese beiden Magnitudenskalen als Maßeinheiten für zwei unterschiedliche Aspekte der seismischen Quelle zusammen verwendet werden sollten, um das Tsunami- und Erschütterungspotenzial starker und schwerer Erdbeben besser einschätzen zu können.

Danksagung

[11] Dieser Beitrag ist Teil des EU-SAFER-Projektes, Vertrag 036935. Wir danken J. Saul, K. Klinge und S. Sandberg für die Vorbereitung des Datensatzes, D. Bindi für hilfreiche Diskussionen und zwei anonymen Gutachtern für ihre wertvollen Kommentare. K. Fleming hat freundlicherweise unser Englisch verbessert.

https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1029/2008GL033505

Verweise

  • Boatwright, J. und GL Choy ( 1986 ), Teleseismische Schätzungen der Strahlungsenergie von flachen Erdbeben , J. Geophys. Res. , 91 , 2095 – 2112 .
  • Bormann, P. , und K. Wylegalla ( 2005 ), Schnellschätzer der Größe großer Erdbeben , Eos Trans. AGU , 86 ( 46 ), 464 .
  • Bormann, P. , M. Baumbach , G. Bock , H. Grosser , GL Choy und J. Boatwright ( 2002 ), Seismische Quellen und Quellenparameter, in IASPEI New Manual of Seismological Observatory Practice , Bd. 1 , Kap. 3, 1 – 94 , herausgegeben von P. Bormann , GeoForschungsZentrum, Potsdam, Deutschland.
  • Bormann, P. , R. Liu , X. Ren , R. Gutdeutsch , D. Kaiser und S. Castellaro ( 2007 ), Magnituden des Chinese National Network, ihre Beziehung zu den Magnituden von NEIC und Empfehlungen für neue Magnitudenstandards der IASPEI , Bull. Seismol. Soc. Am. , 97 , 114 – 127 , doi: 10.1785/0120060078 .
  • Choy, GL , und J. Boatwright ( 1995 ), Globale Muster der abgestrahlten seismischen Energie und des scheinbaren Stresses , J. Geophys. Res. , 100 , 18,205 – 18,228 .
  • Choy, GL , und J. Boatwright ( 2007 ), Die vom Sumatra-Andaman-Erdbeben vom 26. Dezember 2004 abgestrahlte Energie, geschätzt anhand von 10-minütigen P -Wellen-Fenstern , Bull. Seismol. Soc. Am. , 97 , S18 – S24 .
  • Choy, GL , und S. Kirby ( 2004 ), Scheinbare Spannung Verwerfungsreife und seismische Gefährdung bei Normalverwerfungsbeben in Subduktionszonen , Geophys. J. Int. , 159 , 991–1012 .
  • Duda, SJ , und TB Yanovskaya ( 1993 ), Spektrale Amplituden-Distanz-Kurven für P -Wellen: Auswirkungen von Geschwindigkeit und Q-Verteilung , Tectonophysics , 217 , 255 – 265 .
  • Haskell, N. ( 1964 ), Gesamtenergie und spektrale Energiedichte der elastischen Wellenstrahlung von sich ausbreitenden Verwerfungen , Bull. Seismol. Soc. Am. , 56 , 1811 – 1842 .
  • Kennett, BLN , ER Engdahl und R. Buland ( 1995 ), Beschränkungen der seismischen Geschwindigkeit in der Erde anhand von Laufzeiten , Geophys. J. Int. , 122 , 108 – 124 .
  • Montagner, J.-P. und BLN Kennett ( 1996 ), Wie lassen sich Körperwellen- und Normalmodus-Referenz-Erdmodelle in Einklang bringen? Geophys. J. Int. , 125 , 229 – 248 .
  • Ni, S. , H. Kanamori und D. Helmberger ( 2005 ), Energiestrahlung des Erdbebens auf Sumatra , Nature , 434 , 582 .
  • Purcaru, G. und H. Berckhemer ( 1978 ), Eine Magnitudenskala für sehr große Erdbeben , Tectonophysics , 49 , 189 – 198 .
  • Venkataraman, A. und H. Kanamori ( 2004 ), Auswirkung der Richtwirkung auf die Abschätzung der abgestrahlten seismischen Energie , J. Geophys. Res. , 109 , B04301, doi: 10.1029/2003JB002548 .
  • Wang, R. ( 1999 ), Eine einfache Orthonormalisierungsmethode zur stabilen und effizienten Berechnung von Green'schen Funktionen , Bull. Seismol. Soc. Am. , 89 , 733 – 741 .
  • ***********************************
  • Rainer Olzem
    Diplom-GeologeTimm Reisinger
    Dr. rer. nat. Geowissenschaften
  • Erdbeben - Ursachen und Vorhersage

    Abb. 1: Karte der seismischen Aktivitäten in Europa - (European Seismological Commission)

    Valdivia, 22. Mai 1960, 15:11 Uhr

    Abb. 2: Wirkungsbereiche der großen Erdbeben in Chile von 1906 bis 2010 (sciencedirect.com)

    Die Hilfsmaßnahmen für die stark betroffene Stadt Concepción hatten grade erst begonnen, da erschütterte am frühen Nachmittag des folgenden Tages ein neues heftiges Beben weiter im Süden die Gegend um Valdivia. Eine halbe Stunde später um 15:11 Uhr Ortszeit schließlich folgte das schwerste jemals aufgezeichnete Erdbeben aller Zeiten. Dieses Beben von Valdivia mit der unglaublichen Magnitude von 9,5 – fünfmal stärker als das Erdbeben 2011 in Japan - dauerte vier Minuten und erschütterte Chile zwischen der Stadt Talca und der im Süden gelegenen Insel Chiloé auf einer Strecke von mindestens 1.000 km und einer Breite von 200 km (Abb. 2). In den Tagen nach dem Hauptbeben kam es in der Region zu hunderten schweren Nachbeben, davon elf mit einer Magnitude 6-7.

    Eine Schätzung des Amerikanischen Erdbebendienstes (USGS) geht von 1.655 Todesopfern, 3.000 Verletzten und zwei Millionen Obdachlosen aus. Die relativ kleine Anzahl an Todesopfern ist der geringen Bevölkerungsdichte zu verdanken und den starken Vorbeben, die die Einwohner veranlassten, rechtzeitig ihre Häuser zu verlassen (Abb. 3 und 4).

    Das Beben führte zu einschneidenden Veränderungen der Topografie großer Gebiete rund um die Provinzhauptstadt Valdivia, die Erdkruste brach auf einer Länge von 1.000 Kilometern, ein Krustenblock zwischen dem Kontinentalrand und den Anden wurde nach Westen geschoben und gekippt. Der Versatz auf der Bruchfläche betrug teilweise mehr als 20 m und es wurde eine Energie von mehr als elf Trillionen (11,2×1018) Joule freigesetzt, was zu einer Verschiebung der Erdachse um 3 cm führte.

    Abb. 3:Das Erdbeben von Valdivia legte die Stadt in Schutt und Asche (wissen.de.msn.com)
    Abb. 4: Die Ruinen der Kathedrale von Conceptión nach dem Erdbeben (de.academic.ru)
    Abb. 5: Ankunftszeiten des Tsunamis von 1960 über den Pazifik (in Std.) (Wikipedia)

    Das Beben löste einen Tsunami mit einer Wellenhöhe von 11,5 m aus, der sich über den gesamten Pazifischen Raum ausbreitete und schwere Schäden anrichtete (Abb. 5). In Hawaii, Japan und auf den Philippinen waren Dutzende Todesopfer zu beklagen.

    Die stärksten Beben

    Die Erde ist ein lebendiger Planet. Erdbeben, Erdrutsche, Vulkanausbrüche und Tsunamis als geologische Phänomene sind allgegenwärtig. Jedes Jahr ereignen sich weltweit mehr als 2,5 Millionen Erdbeben, davon 1.500 mit einer Magnitude von 5 und mehr. Täglich sind es 30 bis 40 Erschütterungen von mindestens der Stärke 4. Extrem starke Beben ab einer Stärke von 7 erschüttern die Erde etwa 20-mal im Jahr. Vernichtende Beben mit Stärken größer 9 gibt es etwa alle 10 Jahre.

    Das stärkste je gemessene Beben war das bereits erwähnte Beben von Valdivia mit einer Stärke von 9,5. Es folgt das sogenannte Karfreitagsbeben in Alaska am 27./28.03.1964 mit einer Stärke von 9,2 und einem Tsunami von unglaublichen 67 m Höhe (Abb. 6). Wegen der geringen Besiedlung der Gegend wurden nur 125 Tote registriert.

    Erst danach reiht sich das Weihnachtsbeben von Sumatra am 26.12.2004 mit einer Stärke von 9,1, einem Tsunami von 15 m Höhe und etwa 230.000 Toten ein.

    Das heftigste Erdbeben in Europa war das Beben von Lissabon 1755 (Abb. 7) mit einer Stärke von 8,5 – 9,0 und 70.000 Toten (unterschiedliche Quellen nennen 30.000 bis 100.000 Tote). Lissabon hat es in der Vergangenheit oft getroffen, so auch in den Jahren 1344 und 1531 mit jeweils 30.000 Toten.

    Abb. 6: Tiefe Erdspalten nach dem Großen Beben in Alaska (wikipedia)
    Abb. 7: Zeitgenössisches Flugblatt nach dem Beben von Lissabon (goethezeitportal.de)

    Auch im sizilianischen Messina bebte die Erde oft: 1783 mit der Stärke 6,9 und 30.000 Toten und im Jahr 1908, als das historische Messina-Beben mit einer Stärke von 7,2 und 72.000 bis 110.000 Toten die Region heimsuchte (Abb. 8 und 9).

    In Deutschland gibt es keine Erdbeben solcher Heftigkeit, das bisher stärkste Beben wurde am 18.02.1756 in Düren/NRW mit 6,4 gemessen. Das zweitheftigste Beben mit einer Stärke von 6,1 ereignete sich im süddeutschen Albstadt am 16.11.1911.

    Abb. 8: Auch in Deutschland wurde das Messina-Beben von 1908 registriert (Wikipedia)
    Abb. 9: Alte Ansichtskarte von Messina aus dem Jahr 1908 (ak-ansichtskarten.de)

    Die folgenschwersten Beben

    Abb. 10: Erdbebenfolgen in Tangshan 1976 (craighill.net)

    Erdbeben und deren Folgeerscheinungen verursachen bei weitem die meisten Toten aller Naturereignisse, bisher weltweit viele Millionen.

    Das folgenschwerste Beben war wohl das Erdbeben von Nablus in Palästina am 20.05.1202 (Stärke zwischen 6,8 und 7,5) mit mehr als 1 Million Toten, wobei wahrscheinlich auch die durch die folgenden Hungersnöte und Seuchen Gestorbenen mitgerechnet wurden.

    Es folgen die Beben von Shaanxi/China am 23.01.1556 mit einer Stärke von mehr als 8,0 und 830.000 Todesopfern und Tangshan/China am 28.07.1976 (Abb. 10) mit einer Stärke von 7,4 und inoffiziell 650.000 Toten (offizielle chinesische Angabe 242.000).

    Führt Unkeuschheit zu Erdbeben?

    Abb. 11: Erdbeben: Ursache und Wirkung (NotionsCapital)

    Erdbeben gehören zu den gewaltigsten Katastrophen, die die Menschen treffen können. Sie kommen meist aus heiterem Himmel, völlig überraschend und mit einer ungeheuren Zerstörungskraft. Aber warum bebt die Erde überhaupt?

    Wo unlängst ein deutscher Bischof glasklar erkannte, dass die wilden und zügellosen sechziger Jahre für die Übergriffe katholischer Priester verantwortlich sind, setzt nun ein muslimischer Kollege fröhlich einen drauf. Denn wie iranische Medien berichteten, hat der Kleriker Kazem Sedighi eindeutig erkannt, wieso es zu schweren Erdbeben im Iran kommt: Er hält die zu leicht und unzüchtig bekleideten Frauen für die Ursache, denn:

    »Viele Frauen, die sich nicht angemessen kleiden, verführen junge Männer zur Unkeuschheit und verbreiten Unzucht in der Gesellschaft, was letztendlich zu Erdbeben führt« (pressenet.info) (Abb. 11).

    Oder ist die Gesamt-Menschheit schuld?

    Abb. 13: ... Rudolf Steiner ...

    Für Rudolf Steiner (1861 – 1925) (Abb. 13), österreichischer Philosoph und Esoteriker, waren die Ursachen von Erdbeben spiritueller Natur. Eine Aussage Steiners lautet, dass ein Erdbeben nicht von den davon betroffenen Menschen, sondern immer gesamt-menschheitlich ausgelöst wird. Es sei für uns als Nicht-Betroffene die Aufgabe, diesen Menschen in ihrer Not zu helfen, weil wir dieses Erdbeben alle gemeinsam verschuldet und ausgelöst hätten.

    Erdbeben durch Klimawandel?

    In Zeiten des medialen Klimahypes kommt es zu allerlei Kuriositäten. So mutmaßte Johannes B. Kerner im Frühjahr 2009 in seiner Sendung im ZDF, zu Gast waren Mojib Latif und Sigmar Gabriel, dass die Tsunamikatastrophe von Dezember 2004 ein Zeichen des Klimawandels sei (Abb. 14).

    Herr Kerner ist aber kein Einzelfall. Zum fünfjährigen Jahrestag der Tsunami-Katastrophe mutmaßte die NDR-Moderatorin Inka Schneider in der Sendung “DAS!” mit dem roten Sofa, dass mit dem Scheitern des Kopenhagener Klimagipfels uns derartige Katastrophen wohl häufiger heimsuchen werden.

    Den Vogel abgeschossen hat aber eindeutig der US-Schauspieler Danny Glover (Abb. 15). Über Telefon teilte er mit, dass das Haiti-Erdbeben eine direkte Folge des Klimawandels und des gescheiterten Klimagipfels von Kopenhagen sei (readers-edition.de).

    Abb. 14: ... Johannes B. Kerner, Sigmar Gabriel, Mojib Latif ...
    Abb. 15: ... und Danny Glover

    Was sagen die Geologen?

    Geologen unterscheiden drei grundsätzlich unterschiedliche Arten von Erdbeben: tektonische Beben, vulkanische Beben und Einsturzbeben.

    Tektonische Beben

    Die Erde hat einen schalenförmigen Aufbau mit einer dünnen Kruste von im Mittel etwa 15 km Dicke, dem Erdmantel und dem Erdkern. Die Erdkruste besteht aus mehreren Einzelteilen – riesigen Platten (Abb. 16). Angetrieben durch dynamische Prozesse im Erdmantel, durch sogenannten Konvektionsströme, wandern die Erdplatten langsam auseinander, gegeneinander oder aneinander vorbei. Es sind bis zu 16 Zentimeter im Jahr. Dieses Phänomen nennt man Plattentektonik.

    Abb. 16: Erdbeben treten überwiegend an den Plattenrändern auf (Quelle: BGR)

    Dort, wo die Platten aneinander grenzen, bauen sich gewaltige Spannungen innerhalb des Gesteins auf, wenn sich die Platten in ihrer Bewegung verhaken und verkanten. Wenn die Erdkruste den Spannungen schließlich nicht mehr standhält, wenn also die Spannungen die Scherfestigkeit des Gesteins überschreiten, entladen sich die Spannungen durch ruckartige Bewegungen der Erdkruste und es kommt zu einem tektonischen Beben (Abb. 17 und 18).

    Tektonische Beben machen 90% aller Erdbeben aus. Sie sind die gefährlichste Art von Erdbeben und besitzen zudem die größte Reichweite.

    Abb. 17: Subduktionszone an einer Plattengrenze: Die Küstenregion hebt sich, solange sich die Platten verhaken (Locked). Löst sich die Spannung, sackt die Küstenregion ab und es entsteht ein Erdbeben (Rupture) (Leonard et al)
    Abb. 18: Arten von tektonischen Verwerfungen: Aufschiebung (oben links), Abschiebung (unten links), Horizontalverschiebung (oben rechts) und Kombination von Aufschiebung und Horizontalverschiebung (www2.klett.de)

    Vulkanische Beben

    In vulkanischen Zonen aufsteigendes Magma kann ein lokales vulkanisches Erdbeben auslösen (Abb. 19). Vulkanische Beben setzen viel weniger Energie frei als tektonische Beben und haben nur geringe Reichweiten. Etwa 3% aller Beben sind vulkanischen Ursprungs.

    Abb. 19: Ein Ausbruch des Popocatepetl kündigt sich in der Regel durch vulkanische Beben an (flickriver.com, Ausschnitt)
    Abb. 20: 2010 öffnete sich ein riesiges Karstloch mitten in Guatemala-City und verursachte ein Einsturzbeben (scienceblogs)

    Einsturzbeben

    Einsturzbeben werden durch das Einstürzen von unterirdischen Hohlräumen im Gestein verursacht (Abb. 20), auch durch den Einsturz unterirdischer Hohlräume im Bergbau (Gebirgsschlag). Auch Einsturzbeben setzen weitaus weniger Energie frei als tektonische Beben und haben ebenfalls nur geringe Reichweiten. Sie machen rund 7% aller Erdbeben aus.

    Wie wird die Stärke von Erdbeben gemessen?

    Zur Beschreibung der Stärke von Erdbeben wurden viele unterschiedliche Skalen entwickelt. Grundsätzlich unterscheiden muss man zwischen der Magnitude und der Intensität. Während die Magnitude ein Maß für die bei einem Erdbeben freigesetzte Energie darstellt, beschreibt die Intensität die örtliche Schadenswirkung bzw. die Wahrnehmung durch den Menschen. Ein Erdbeben hat nur eine Magnitude als Maß der seismischen Energie, aber von Ort zu Ort unterschiedliche Intensitäten, die in der Regel mit zunehmender Entfernung vom Erdbebenherd abnehmen.

    Intensität

    Abb. 21: Intensitätsskala nach Medvedev, Sponheuer und Karnik (Wikipedia)
    Abb. 22: Auch schwächere Beben hinterlassen in Ortschaften von Entwicklungsländern oft Trümmerlandschaften

    Zur Bestimmung der Intensität eines Erdbebens wird meist die MSK-Intensitätsskala nach Medvedev, Sponheuer und Karnik (MSK) verwendet, die 12 Stärkegrade benennt (Abb. 21).

    Die Intensität II wird grade noch gespürt, bei der Intensität VI treten erste leichte Gebäudeschäden auf, Intensität X ist allgemein gebäudezerstörend und Intensität XII schließlich tiefgreifend landschaftsverändernd.

    Intensitäten werden nicht gemessen, sondern beruhen auf Beobachtungen. Sie hängen damit sowohl von der Entfernung zum Epizentrum (Abb. 33) als auch vom jeweiligen Baugrund und der Bausubstanz ab (Abb. 22).

    Magnitude

    Abb. 23: Charles Francis Richter

    Die bekannteste Magnitudenskala ist die Richterskala, die 1935 von dem amerikanischen Seismologen Charles Francis Richter (1900 – 1985) (Abb. 23) und dem deutschen Seismologen Beno Gutenberg (1889 – 1960) entwickelt wurde. Zur Bestimmung der Magnitude werden die Bodenbewegungen eines Bebens mit einem Seismometer gemessen.

    Aus dem Seismogramm wird die größte Bodenbewegung abgelesen. Dieser Wert bestimmt, zusammen mit der Entfernung zwischen dem Standort des Seismometers und dem Bebenherd, die Magnitude.

    Die Magnitude eines Erdbebens nach Richter ist definiert als der Logarithmus der größten Auslenkung (in µm), mit der ein Standard-Seismometer (Wood-Anderson Horizontalseismograph) das Erdbeben aus 100 Kilometer Entfernung registrieren würde. Eine Auslenkung von 1 Millimeter entspricht 1000 Mikrometer – der Logarithmus von 1000 ist 3, somit ist der Wert auf der Richterskala 3, sofern das Beben in 100 km Entfernung stattfand.

    Richter hat eine Tabelle aufgestellt, in der man für jede Entfernung einen Wert für die Magnitude ablesen kann.

    Logarithmisch heißt, dass der Zuwachs um eine Magnitudeneinheit (z. B. von 6 auf 7) eine 10-fach größere Bodenbewegung und eine Steigerung der Bebenenergie um das 32-fache bedeutet.

    Ein Erdbeben mit einer Magnitude von 2 - 3 auf der Richterskala ist grade noch spürbar. Da Richter den Nullpunkt der Magnitudenskala willkürlich festgelegt hat, können sehr kleine Beben auch Magnituden kleiner Null haben. In Abb. 24 werden die Magnituden nach Richter und die MSK-Intensitäten kombiniert.

    Abb. 24: Kombination von Richterskala und MSK-Intensitätsskala (wordpress.com)

    Grenzen der Richterskala – die Momentenmagnitude

    Wenn heute irgendwo auf der Welt die Erde bebt, dann registrieren das die Erdbebenstationen weltweit und werten die Daten vollautomatisch aus. Für diese großen Entfernungen aber ist die Richterskala weder gedacht noch geeignet, Richter hat in seiner Tabelle als weiteste Entfernung zwischen Epizentrum des Bebens und Messstation 600 km angegeben.

    Von der Richterskala heißt es, sie sei nach oben offen, was aber nicht stimmt, denn man kann mit den von Richter ausgewählten Messgeräten keine sehr starken Beben erfassen.

    Abb. 25: Magnituden und freigesetzte Energie (wordpress.com)

    Dr. Klaus-G. Hinzen von der Erdbebenstation Bensberg der Uni Köln erklärt das so:

    Das liegt daran, dass die Messgeräte, mit denen Richter die Skala entwickelt hat, nur einen bestimmten Teil der Bodenbewegungen bei einem Erdbeben erfassen können. Und da passiert Folgendes: Die Beben werden stärker und die Zahlenwerte steigen an – aber nur bis etwa 6,5. Darüber hinaus sehen die Seismometer den Rest der Bodenbewegungen nicht mehr und deswegen werden die Zahlenwerte nicht mehr größer.

    Das bedeutet, dass die Richterskala bei einer Magnitude von 6,5 aufhört, ungeachtet der stets wiederholten höheren Magnituden-Angaben nach Richter in den Medien.

    Inzwischen haben Seismologen weitere Skalen entwickelt, die ebenfalls Magnitudenwerte liefern, jedoch auf einer anderen Skala mit Werten größer 6,5.

    Eine der aktuellen Skalen ist die Momentmagnituden-Skala. Um starke Beben exakt messen zu können, sind moderne Seismometer erforderlich, mit denen die gesamte Bandbreite der Bodenbewegungen bei einem Erdbeben erfasst werden kann - kurze, mittlere und lange Wellen.

    Abb. 26: Historischer Seismograph von Palmieri (1855)
    Abb. 27: ... und von Galitzin (1906) (uni.jena)
    Abb. 28: Moderner Seismograph (ucds.edu)
    Abb. 29: Erdbebenstation in Kalifornien (ucds.edu)

    Aber auch die Momentmagnitude ist nur in der Theorie nach oben offen. In der Praxis wird es auf der Erde niemals Werte über 10,6 geben.

    Ein Erdbeben mit der Stärke 10,6 wäre nämlich so stark, dass die gesamte Erdkruste aufbricht.

    Und weil nicht mehr als die gesamte Erdkruste aufbrechen kann, kann es auf der Erde auch keine Erdbeben geben, deren Momentmagnitude stärker als 10,6 ist (Quarks und Co).

    Angeklagt wegen fahrlässiger Tötung

    In Italien stehen nun Geologen vor Gericht, weil sie die Bevölkerung nicht rechtzeitig vor dem Erdbeben von L‘Aquila am 06. April 2009 (Abb. 30) gewarnt hatten:

    Jetzt wird gegen sieben Seismologen und Zivilschutzbeamte ermittelt, alle Mitglieder der Kommission »Grandi Rischi« (Große Risiken), die den nationalen Zivilschutz bei Naturkatastrophen berät. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung. Damit nicht genug: Weil Kommission und Zivilschutz aus ihrer Sicht versagt haben, fordern nun 36 betroffene Familien aus L’Aquila 22,5 Millionen Euro Schadensersatz von der Regierung.

    Abb. 30: Erdbebenfolgen in L'Aquila 2009: Ruine der Kirche San Pietro (6aprile.it)

    Es ist ein Nachbeben der besonderen Art. »So etwas hat es noch nie gegeben – in keinem Land der Welt«, sagt der angeklagte Mauro Dolce, Direktor des Büros für Erdbebenrisiken des nationalen Zivilschutzes. (zeit.online)

    In L'Aquila sitzen nicht nur sechs Erdbebenspezialisten auf der Anklagebank, sondern gewissermaßen alle Seismologen. Die Schockwellen der Anklage verbreiten sich weltweit, mehr als 5.000 Forscher haben einen offenen Brief an Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano unterzeichnet. Die Vorwürfe seien unhaltbar, heißt es. Man wisse schließlich, dass Italien und insbesondere die Abruzzen gefährdet seien. Wenn es zur Katastrophe gekommen sei, dann vor allem aus dem Grund, dass Gebäude nicht erdbebensicher waren.

    Neueste Meldung (22.10.2012): Die Geowissenschaftler wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt!

    Neueste Meldung (11.11.2014): Freispruch in zweiter Instanz

    Kann man Erdbeben vorhersagen?

    Sind die Geologen von L‘Aquila nun zu Recht angeklagt worden? Hätten sie das Erdbeben vorhersehen und die Bevölkerung rechtzeitig warnen müssen?

    Die Antwort ist ja und nein. Dass die Gegend um L’Aquila eine brisante Erdbebenzone ist, wissen die Geologen (Abb. 31). Der gesamte Bereich des Apennin gehört zur höchsten Gefährdungsklasse. Bereits am Vorabend war ein leichtes Beben der Stärke 4,6 im Norden Italiens in der Emilia Romagna spürbar. Und vor dem Hauptbeben der Stärke 5,8 gab es zwei kleinere Beben mit der Stärke 3,5 und 3,9.

    Jedoch ist eine zeitlich und räumlich exakte Vorhersage eines Erdbebens nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht möglich. Die unterschiedlichen bestimmenden Faktoren sind zwar qualitativ weitgehend verstanden, aber aufgrund des komplexen Zusammenspiels ist eine genaue Quantifizierung nicht möglich, sondern nur die Angabe einer Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Erdbebens in einer bestimmten Region.

    Abb. 31: Epizentren und Magnituden von Erdbeben um L'Aquila vom 01.01. bis 31.12.2009 (6aprile.it)
    Abb. 32: Geophysikalische Station zur Erdbebenvorhersage in Vamka/Indien (gujarat.gov.in)

    Erdbeben lassen sich prinzipiell nicht vorhersagen - egal ob sie stark sind oder nicht so stark, so der Geophysiker Gernot Hartmann von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover.Vorhersagen mit Datum und genauer Eingrenzung des Gebietes einen Tag vorher, so dass man noch evakuieren könnte, so was ist nicht möglich. Man kann nur Wahrscheinlichkeiten abschätzen.

    Es gebe verschiedene Wissenschaftlergruppen, die daran arbeiten, zuverlässige Vorhersagen zu treffen. Aber im Augenblick ist wirklich kein Ansatz abzusehen, wie man ein Modell erzeugen kann, das präzise Vorhersagen ermöglicht, sagt Hartmann. Woran man arbeiten kann, ist an der Früherkennung nach einem Erdbeben: Also binnen kürzester Zeit Alarmsysteme zu aktivieren, mit denen wie in Japan Züge angehalten oder Gasleitungen geschlossen werden können.

    Wegen des volkswirtschaftlichen Schadens bei einer großräumigen Evakuierung und wegen eventueller Opfer aufgrund einer möglichen Massenpanik ist eine Frühwarnung der Bevölkerung vor einem Erdbeben nur dann sinnvoll, wenn die Zahl der zu erwartenden Opfer als sehr groß angenommen wird, oder wenn Raum und Zeit des Bebens genau vorausgesagt werden können.

    Und sollte dann trotz Frühwarnung und erfolgter Evakuierung doch kein Beben auftreten, würden mit Sicherheit die Schuldigen gesucht, die diese – im Nachhinein – dann sinnlose und ungeheuer kostenintensive Evakuierungsmaßnahme verursacht haben. Ganz abgesehen davon, dass die Bevölkerung einer nächsten Frühwarnung nicht folgen könnte. Wie man es auch dreht und wendet, die Schuldigen scheinen stets die Seismologen zu sein.

    Vorhersage über Vorläuferphänomene

    Abb. 33: Messfeld der Erdbeben-Warnstation Parkfield/Kalifornien innerhalb des Sankt Andreas-Grabens (Wikipedia - CC-by-sa)

    Weltweit suchen Geophysiker nach verlässlichen Vorhersagetechniken für Erdbeben, um die Folgen für die betroffenen Menschen in Grenzen zu halten (Abb. 33).

    Als Beben-Vorläuferphänomene werden Veränderungen geophysikalisch messbarer Größen angesehen wie plötzlich auftretende Horizontal- und Vertikalbewegungen des Erdbodens, die Häufung von kleineren Vorbeben, Unruhe des erdmagnetischen Feldes, Veränderungen in der Zusammensetzung von Bodengasen und im Grundwasserspiegel von Brunnen. Aber auch ein möglicher Einfluss des Mondes und auffälliges Tierverhalten vor größeren Erdbeben werden in Betracht gezogen.

    Alle diese Vorläuferphänomene variieren jedoch sehr stark in ihrem Zeitverlauf und in ihrer Größenordnung. Der instrumentelle Aufwand, der für eine lückenlose Erfassung aller dieser Phänomene erforderlich wäre, ist logistisch und auch finanziell nicht realisierbar.

    Seit Juli 2000 kreist der Satellit CHAMP um die Erde, um u. a. den Zusammenhang zwischen geophysikalischen Ereignissen und Veränderungen des elektromagnetischen Feldes zu erforschen.

    Seismische Wellen

    Abb. 34: Hypozentrum und Epizentrum (Wikipedia)

    Bei einem Erdbeben wird der unterirdische Erdbebenherd als Hypozentrum und der senkrecht über dem Hypozentrum auf die Erdoberfläche projizierte Punkt eines Bebens als Epizentrum bezeichnet. Das Epizentrum gibt damit die geografische Lage des Erdbebens an (Abb. 34).

    Bei einem Erdbeben breiten sich vom Hypozentrum nach allen Seiten Bodenschwingungen aus, die Erdbebenwellen oder seismischen Wellen.

    An jedem vom Erdbeben beeinflussten Ort treffen dabei zwei Arten von seismischen Wellen ein: die Raumwellen und die Oberflächenwellen.

    Man unterscheidet zwei Arten von Raumwellen: die Primär- oder Kompressionswellen (P-Wellen) und die Sekundär- oder Scherwellen (S-Wellen). An einem vom Bebenherd entfernten Ort kommen mit einer Ausbreitungsgeschwindigkeit je nach Gestein von 5,8 – 13,7 km/s zuerst die P-Wellen an, danach folgen mit 3,2 – 7,3 km/s die S-Wellen. Aus dieser Zeitdifferenz zwischen dem Eintreffen der P- und der S-Wellen kann die Entfernung zum Erdbebenherd errechnet werden.

    Erst danach treffen die Oberflächenwellen ein, die in Rayleigh-Wellen und Love-Wellen unterteilt werden. Die Rayleigh-Wellen verursachen eine rollende Bewegung des Bodens ähnlich wie Meereswellen. Die bei einem Beben gespürten Erschütterungen werden hauptsächlich durch diese energiereichen Rayleigh-Wellen hervorgerufen, deren Amplituden viel größer sind als die der übrigen Wellenarten. Die zerstörerische Wirkung von Erdbeben geht daher weitgehend auf diesen Wellentyp zurück, deren Ausbreitungsgeschwindigkeit etwa 2 – 4 km/s beträgt (Abb. 35).

    Abb. 35: Im Seismogramm sind die unterschiedlichen Laufzeiten der P-, S-, Love- und Rayleighwellen zu erkennen (verändert nach uni-kassel.de)

    Kurzzeitwarnung für Erdbeben

    Abb. 36: Ermittlung der Laufzeitdifferenzen von P- und S-Wellen aus 3 Seismogrammen in unterschiedlicher Entfernung zum Hypozentrum (uni-kassel.de)

    Diese unterschiedlich schnellen Laufzeiten der verschiedenen Erdbebenwellen ermöglichen eine Kurzzeitwarnung über die Stärke eines bereits begonnenen Bebens:

    Berkeley (USA) - Geophysiker greifen nach jedem Strohhalm. Denn jede Idee für eine verlässliche Erdbeben-Vorhersage ist bisher im Sande verlaufen. Nun schlagen amerikanische Wissenschaftler zumindest eine Kurzzeitwarnung über die Stärke eines bereits begonnenen Bebens vor. Besonders starke Beben mit Magnituden über fünf dauern mehrere Sekunden. Werde eine solche gefährliche Erschütterung bereits in der ersten Sekunde erkannt, blieben wenigsten einige Sekunden Vorwarnzeit. Das ist wenig, aber dennoch genug, um Gasleitungen zu sperren oder fahrende Züge abzubremsen. Ihren Ansatz veröffentlichen sie im Fachblatt Nature. (Quelle: Physikportal pro-physik.de).

    In erdbebenreichen Regionen wie Japan und Kalifornien werden die schnellen P-Wellen für eine Erdbebenvorwarnung von wenigen Sekunden bereits genutzt. Doch da harmlose Beben von Starkbeben nicht zu unterscheiden sind, kommt es dort auch zu überflüssigen Fehlalarmen.

    Erdbeben-Vorwarnsystem im Einsatz

    Abb. 37: Vorstellung eines Erdbeben-Vorwarnsystems - Ausschnitt (secty-electronics.de)

    Auch in Deutschland wird an einem effektiven Erdbebenvorwarnsystem auf der Grundlage der Erfassung der P- und S-Wellen gearbeitet (Abb. 37). In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesregierung und dem GeoForschungsZentrum Potsdam wurden bereits Systeme in einigen Regionen der Welt installiert.

    Das System erfasst zunächst die P-Welle. Über die Auswerteelektronik wird diese dann in Bruchteilen einer Sekunde analysiert und beurteilt. Sollte dieser Schwellwert höher sein als der von den Experten geforderte Wert, schlägt das System Alarm.

    Abb. 38: Vorwarn-Sirene (secty-electronics)

    Um ein Höchstmaß an Funktionssicherheit zu gewährleisten, wurden immer mindestens zwei Erdbebendetektoren eingebaut, die dann in einem Netzwerk miteinander kommunizieren.

    Die Bevölkerung wurde in verschiedenen Dörfern an zentraler Stelle über eine Außensirenenanlage in einem Umkreis von 600 bis 800 Metern vor der herannahenden Katastrophe gewarnt (Abb. 38).

    Im Moment bleibt ohne Vorwarnsystem keine Sekunde Zeit, um aktiv zu handeln. Mit dem Warngerät hingegen bleiben zumindest einige Sekunden Zeit, um auf die herannahende Naturkatastrophe zu reagieren und aktive Schutzmaßnahmen einzuleiten und damit die Überlebenschance deutlich zu verbessern. (Quelle: derStandard.at)

    Ein Ausblick

    Abb. 39: Die Geologen wissen zwar, wo starke Beben mit großer Wahrscheinlichkeit auftreten werden: Karte der Erdbebengefährdung für Deutschland (Wikipedia - Störfix)

    Erdbeben werden sich auch in Zukunft wohl nicht exakt vorhersagen lassen. Man wird nicht angeben können, an welcher Stelle und zu welchem Zeitpunkt sich die Spannungen in den tektonischen Platten ruckartig entladen.

    Die Ursache für die gewaltigen Kräfte, die den Boden unter unseren Füßen beben lassen, liegt viele Kilometer unter der Erdoberfläche, für uns weder sichtbar noch messbar.

    Erdbeben unterliegen einer sogenannten «selbst organisierten Kritikalität wie Lawinen und Verkehrsstaus», sagt Robert Geller, Professor für Seismologie an der Uni Tokio.

    Die Geologen wissen zwar, wo starke Beben mit großer Wahrscheinlichkeit auftreten werden (Abb. 39). Wenn aber die Erde bebt, dann stets überraschend, ohne Vorwarnung (Abb. 40). Es gibt zwar erkennbare Ursachen und Risiken, aber keinen Einzelfaktor, der sie auslöst. Das System ist viel zu komplex.

    Für Erdbeben gelten auch Zeitdimensionen, die nicht mit der menschlichen Zeit zu vereinbaren sind. 1.000 Jahre sind für die Geologie ein Wimpernschlag. Eine Prognose mit einer Genauigkeit von 1.000 Jahren wäre im geologischen Sinn präzise, für Menschen dagegen wären schon einige Tage Abweichung inakzeptabel.

    Das beste Instrument, auf das Geophysiker für ihre Berechnungen zurückgreifen können, ist die Statistik. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts werden Erdbeben gemessen, erklärt der Seismologe Lars Ceranna von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (Hannover). Sie werden in einem Katalog zusammengefasst und bilden die Basis für die Berechnung der Wahrscheinlichkeit, mit der in Zukunft in bestimmten Bereichen ein Beben auftritt. (focus.de)

    Wenn man also Erdbeben nicht exakt voraussagen kann, dann ist es unbedingt notwendig, die Häuser in den gefährdeten Gebieten erdbebensicher zu bauen und dabei die Interaktion zwischen Bauwerk und Baugrund zu berücksichtigen sowie umfassende Notfallsysteme zu installieren.

    Nicht Erdbeben töten die Menschen; es sind die einstürzenden Häuser, welche die Leute umbringen.

    Der beste Schutz vor Erdbeben ist die Vorbeugung.

  • Kontakt

  • Diplom-Geologe Rainer Olzem
    Veltmanplatz 10
    D-52062 Aachen

    GSM:0172 - 240 27 30
    Fon: 0241 - 70 17 81 87

    E-Mail:
    olzem@arge-geologie.de
    rt@arge-geologie.de
    Internet:
    www.rainer-olzem.de

    www.arge-geologie.de

    Dr. rer. nat. (Geowissenschaften) Timm Reisinger
    Sigmundstraße 10
    D-52070 Aachen

    E-Mail:
    timm.reisinger@gmx.de
    Internet:
    www.rainer-olzem.de

  • https://www.rainer-olzem.de/252.html

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen