Während sich Politiker bei uns gegenseitig mit "Faschisten" und "Linksfaschisten" oder ähnlichen Vokabeln bewerfen und beschimpfen, wäre es angemessen zumindest in Erinnerung zu bringen, was gewöhnlich unter dem Begriff des Faschismus verstanden wird und was eigentlich Faschismus historisch gesehen bedeutete und bewirkte. Es versteht sich von selbst, dass der in Europa entstandene Faschismus nicht einfach plötzlich vom Himmel fiel, sondern seine historisch erklärbaren Gründe hatte. Und für alle, die die Geschichte Europas des letzten Jahrhunderts besser kennen als ein durchschnittlicher von der linken Propaganda und jüdischer Lügenpresse gehirngewaschener Bürger, ist klar, dass der Faschismus weder in Italien unter Mussolini noch in Deutschland unter Hitler sondern in Russland unter Lenin seinen Anfang nahm. Dieser von der judeobolschewistischen Ideologie getriebene verbrecherische Rote Faschismus, sprich Linksfaschismus im bald entstandenen Sowjetreich und anderswo, getragen von Nachfolgern und Nachahmern Lenins und ihren Schergen, sollte sich als ein wahres menschenfressendes blutrünstiges Monster erweisen. Es hat für schätzungsweise 150 Millionen seiner Opfer die Hölle auf Erden bereitet und die größten Massenverbrechen in der Menschheitsgeschichte begangen: den Roten Holokaust.
Jerzy Chojnowski
Chairman-GTVRG e.V.
www.gtvrg.de
PS. Alle deutschen Politiker, Journalisten der Lügenpresse und geistig verwirrten Fernsehtalkshows-Teilnehmer werden hiermit auf das Godwins Gesetz verwiesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Godwin%E2%80%99s_law
bevor es zur Sache geht.
PS. Alle deutschen Politiker, Journalisten der Lügenpresse und geistig verwirrten Fernsehtalkshows-Teilnehmer werden hiermit auf das Godwins Gesetz verwiesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Godwin%E2%80%99s_law
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Godwin’s law
Godwin’s Law (englisch für ‚Godwins Gesetz‘) ist ein Begriff aus der Internetkultur, der von dem Rechtsanwalt und Sachbuchautor Mike Godwin 1990 geprägt wurde. Es besagt, dass im Verlaufe längerer Diskussionen, beispielsweise in Usenet-Newsgroups, mit zunehmender Dauer die Wahrscheinlichkeit, dass jemand einen Nazi-Vergleich einbringt, sich dem Wert Eins annähert. Ähnlich wie Murphys Gesetz enthält es eine ironische oder auch sarkastische Dimension.
Grundlegendes
Auf Englisch lautet die Regel:
“As an online discussion grows longer, the probability of a comparison involving Nazis or Hitler approaches one.”
„Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit den Nazis oder Hitler dem Wert Eins an.“
– Mike Godwin[1]
Wie fast alle „Usenet-Gesetze“ ist auch Godwin’s Law kein naturwissenschaftliches Gesetz. Mike Godwin zielte auf die ironische Verspottung unangemessener Vergleiche. Ein Beispiel dafür fand sich am 12. August 2019 in seinem Twitter-Account.[2]
Daher handelt es sich bei Godwin’s Law um ein rhetorisches Mittel, das man in Diskussionen einsetzen kann, um auf die Unangemessenheit von Hitler- oder Nazi-Vergleichen hinzuweisen.[3]
Als informelle Maßeinheit ist in Frankreich mindestens seit 2005[4] der Point Godwin ‚Godwinpunkt‘ nachzuweisen, ein Wortspiel, da französisch point sowohl ‚Punkt‘ als auch ‚Argument‘ bezeichnen kann. Points Godwin werden typischerweise mit einer Perforation[5] zum Ausschneiden vom Bildschirm[6] angeboten oder überreicht.
Ursprung und Interpretation
Als das vermeintliche Gesetz in den frühen 1990ern bekannt wurde, war Godwin juristischer Berater der Electronic Frontier Foundation. Weil Godwin den im Usenet weitverbreiteten Diskussionsstil, seine Diskussionsgegner mit Nazivergleichen zu diskreditieren, unlogisch und anstößig fand, richtete er das Gesetz als ein Gegen-Mem ein. Sein Ziel war es nicht, Diskussionen zu beenden, sondern Diskussionsteilnehmer dafür zu sensibilisieren, ob ein Vergleich mit den Nationalsozialisten oder Hitler angemessen oder bloß eine rhetorische Übertreibung ist.[7]
Richard Sexton behauptet, dass das Gesetz eine Formalisierung seines Postings vom 16. Oktober 1989 sei:
“You can tell when a USENET discussion is getting old when one of the participents [sic!] drags out Hitler and the Nazis.”
„Eine alternde Usenet-Diskussion erkennt man daran, dass einer der Teilnehmer Hitler und die Nazis auftischt.“
– Richard Sexton[8]
Teilweise wird diese Interpretation angewendet, ohne zu überprüfen, ob der Nazi-Vergleich im Kontext legitim sein könnte.[9] Zudem wird oftmals der Autor des Vergleiches zum „Verlierer“ der Diskussion erklärt.[10] Der Text von Godwin’s Law sagt jedoch weder aus, dass ein solcher Vergleich bedeute, dass die Diskussion vorbei sei, noch besagt er, dass der Verlierer gefunden sei.
Zu unterscheiden ist Godwin’s Law von dem in der Philosophie verwendeten Begriff Reductio ad Hitlerum, der für den unzulässigen Umkehrschluss steht, etwas zu verteufeln, nur weil Hitler oder andere Nationalsozialisten es gut fanden.
Reductio ad Hitlerum
Als reductio ad Hitlerum (lateinisch „Rückführung auf Hitler“) wird ein vermeidbarer, jedoch rhetorisch oft eingesetzter Fehlschluss bezeichnet: Eine Ansicht soll dadurch widerlegt werden, dass diese von einer moralisch unhaltbaren Person, insbesondere von Adolf Hitler, geteilt wird. Die Bezeichnung und Beschreibung gehen auf Leo Strauss zurück.[1] In der rhetorischen Praxis wird dies fälschlich wie eine reductio ad absurdum behandelt. Eine verwandte, allgemeinere Form ist die Association fallacy.
Einordnung
Der zugrunde liegende Fehlschluss ist ein Spezialfall des non sequitur (lat. „es folgt nicht“). Im Englischen wird er auch als guilt by association (Schuld durch Zugehörigkeit) oder allgemeiner als association fallacy (Assoziationsfehlschluss) bezeichnet. Die Herleitung geschieht wie folgt:
Adolf Hitler ist schlecht. | |
Adolf Hitler vertritt die Ansicht X. | |
Ansicht X ist schlecht. |
Die ersten beiden Aussagen können für sich genommen wahre Tatsachen darstellen. Die Schlussfolgerung ist jedoch ungültig, da sie durch die Prämissen nicht logisch hergeleitet wird. Die Gültigkeit einer Aussage wird nicht durch negativ besetzte, aber letztlich irrelevante Eigenschaften der Person beeinflusst, die sie tätigt. Die Falsifikation einer Aussage mithilfe der reductio ad Hitlerum ist aus diesem Grund unzulässig.
Wird mit der reductio ad Hitlerum versucht, die negativen Assoziationen zur Person Adolf Hitlers auch auf die Person des Streitgegners zu übertragen und ihn so in Misskredit zu bringen, handelt es sich zusätzlich um ein argumentum ad hominem.
Beispiel
Jemand setzt sich für den Tierschutz ein. Ein anderer lehnt dies mit der alleinigen Begründung ab, dass auch Adolf Hitler sich für den Tierschutz eingesetzt habe.[2]
An diesem Beispiel wird deutlich, dass eine von den meisten Menschen als negativ empfundene Person durchaus Ansichten vertreten kann, die überwiegend als positiv empfunden werden. Der zugrunde liegende Fehlschluss wird umso deutlicher, je größer die Diskrepanz zwischen diesen beiden Faktoren ist. Die reductio ad Hitlerum ist daher am effektivsten, wenn die abzulehnende Ansicht möglichst negativ besetzt ist, etwa aufgrund fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz.
Kontext
Die Phrase wurde von Strauss im Rahmen einer Diskussion über die Thesen des Soziologen Max Weber eingebracht, der sich im Werturteilsstreit dafür eingesetzt hatte, dass Sozialwissenschaften dem Ideal einer Objektivität nachstreben, sodass im Kontext der Wissenschaft auf Wertaussagen und Empfehlungen, insbesondere Vorgaben für die Politik, verzichtet werden sollte.
Dieser Ansatz von Weber führt laut Strauss mit Notwendigkeit zum Nihilismus oder zu der Ansicht, dass vor dem Urteil des Verstandes jede Auffassung – wie schlecht, gemein oder verrückt auch immer – so legitim ist wie jede andere Auffassung. Laut Strauss sah Weber die westliche Zivilisation vor der Alternative, sich entweder spirituell zu erneuern und zu alten Werten zurückzukehren oder aber einer mechanischen Versteinerung unter einer Hülle krampfartigen Selbstbewusstseins anheimzufallen. Eine Entscheidung zwischen diesen Alternativen habe Weber als ein Wert- oder Glaubensurteil empfunden und darum vom Standpunkt der Vernunft aus abgelehnt. Strauss kritisiert an diesem Ansatz, dass dann das Leben eines geistlosen Spezialisten oder herzlosen Lüstlings genauso verteidigt werden könne wie eine von Amos oder Sokrates empfohlene Lebensführung.
Weber habe diese Konsequenzen vor sich selbst verheimlicht, behauptet Strauss und möchte ergründen, warum. Hierzu müsse man den Gedanken Webers Schritt für Schritt folgen und gelange so unvermeidlich an einen Punkt, jenseits dessen die Überlegungen von Hitler überschattet würden. Strauss gibt aber nun zu bedenken, dass eine Ansicht nicht alleine deshalb abzulehnen sei, weil auch Hitler sie vertreten hat:
“Unfortunately, it does not go without saying that in our examination we must avoid the fallacy that in the last decades has frequently been used as a substitute for the reductio ad absurdum: the reductio ad Hitlerum. A view is not refuted by the fact that it happens to have been shared by Hitler.”
„Unglücklicherweise ist es notwendig, darauf hinzuweisen, dass man in unserer Untersuchung den Fehlschluss vermeiden muss, der in den letzten Jahrzehnten häufig gezogen worden ist, als ein Ersatz für die reductio ad absurdum: Die reductio ad Hitlerum. Eine Ansicht wird nicht widerlegt durch die Tatsache, dass sie zufällig von Hitler geteilt worden ist.“
– Leo Strauss: Natural Right and History, 1953[1]
Es kann allerdings in Frage gestellt werden, inwiefern der Gedanke Webers hier korrekt wiedergegeben wird. Tatsächlich ging Weber etwa in Wissenschaft als Beruf davon aus, dass Wissenschaftler sich gerade außerhalb der Wissenschaft an gesellschaftlich relevanten Debatten beteiligen können – als Mitglieder dieser Gesellschaft. Zudem ist es der Wissenschaft bei aller Enthaltung von Bewertungen nach wie vor freigestellt, die Plausibilität und Faktizität der Aussagen anderer zu überprüfen, ohne das Ergebnis moralisch zu bewerten. Weber hatte eher die Gefahr einer Instrumentalisierung der Wissenschaft im Auge und die Gefahr, dass sich Forschung und Publikation im direkten Zusammenhang mit einer politischen Agenda angreifbar machen.[3]
Faschismus
Faschismus war zunächst die Eigenbezeichnung einer politischen Bewegung, die unter Führung von Benito Mussolini in Italien von 1922 bis 1943/45 die beherrschende politische Macht war und ein diktatorisches Regierungssystem errichtete (siehe Italienischer Faschismus).
Ab den 1920er Jahren wurde der Begriff für alle extrem nationalistischen, nach dem Führerprinzip organisierten antiliberalen und antimarxistischen Bewegungen, Ideologien oder Herrschaftssysteme verwendet, die seit dem Ersten Weltkrieg die parlamentarischen Demokratien abzulösen suchten. Die Verallgemeinerung des Faschismus-Begriffs von einer zeitlich und national begrenzten Eigenbezeichnung zur Gattungsbezeichnung einer bestimmten Herrschaftsart ist umstritten, besonders für den deutschen NS-Staat. Mit der Beschreibung und Erklärung des Faschismus beschäftigt sich die Faschismustheorie. Mit Neofaschismus bezeichnet man Strömungen und Parteien, die nach 1945 an die Tradition des Faschismus anknüpfen.[1]
Begriff
Der aus dem italienischen Wort für Bund – fascio – abgeleitete Begriff Faschismus wird von Historikern als „gewissermaßen inhaltsleer“ beschrieben, da er „so gut wie nichts über das Wesen dessen aus[sagt], was faschistisch ist oder sein soll“. Darin unterscheide sich dieser Ismus ganz entscheidend von anderen Ismen, wie Konservativismus, Liberalismus oder Sozialismus. „Ein fascio ist ein Verein, ein Bund,“ daher wären Faschisten wörtlich übersetzt „Bündler“ und „Faschismus“ wäre Bündlertum.[2]
Die Etymologie des Wortes fascio wird meist abgeleitet vom lateinischen fasces. Diese Rutenbündel waren Machtsymbole zu Zeiten des Römischen Reiches, die die Liktoren vor den höchsten römischen Beamten, den Konsuln, Prätoren und Diktatoren, hertrugen.[3]
Im 19. Jahrhundert bezeichnete das Wort fascio das Selbstverständnis der italienischen National- und Arbeiterbewegung als revolutionäre Kraft. So symbolisierte das Rutenbündel in der nationalen Bewegung im 19. Jahrhundert die Einheit der Nation, und fascio bezog sich im seit 1870 geeinten Italien auf unabhängige und sogar anarchistische Arbeiterorganisationen.[4]
Der Begriff Fascismo, der um 1900 zum Banner der revolutionären Arbeiterbewegung avanciert war,[5] wurde ab 1919 mit den „Fasci di combattimento“ identifiziert: jene „Kampfbünde“, die Mussolini im März 1919 gründete.[6]
Definition
Eine Definition von „Faschismus“ gestaltet sich als schwierig, da weder der Begriff an sich etwas über sein Wesen aussagt (siehe oben), noch die meisten europäischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit, die im Allgemeinen als faschistisch bezeichnet werden, dieses Wort überhaupt verwendet haben – anders als fast alle kommunistischen Parteien und Regime, die es vorzogen, sich als kommunistisch zu bezeichnen.[7]
Was Faschismus ist oder sein soll, wurde vornehmlich von seinen Gegnern bestimmt, die Theorien des bzw. über den Faschismus entwickelt haben.[8] Seit den 1920er Jahren ist eine intensive Debatte um den Faschismus als umfassenden Gattungsbegriff geführt worden, der nicht nur die von Mussolini geführte Bewegung und Diktatur erklären, sondern ähnliche Organisationen und Regimes in anderen europäischen Staaten kennzeichnen soll. Die empirische Forschung hat dabei vorrangig auf die Identifizierung von strukturellen Kernelementen des Faschismus gezielt.[9]
Ein übergreifender (generischer) Faschismusbegriff, der die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bestehenden Regime in Italien, im NS-Staat und in Japan umfasst, ist in der historischen Forschung umstritten. Einige Historiker wollen den Begriff auf Italien beschränken. Andere wie Bernd Martin halten „Faschismus“ als Gattungsbegriff nur für die „Bewegungsphase“ für sinnvoll:
„Faschismus als übergeordneter Gattungsbegriff eignet sich mithin allenfalls für die Bewegungsphasen der drei genuin entstandenen, gemeinhin so genannten Faschismen in Deutschland, Italien und Japan. Als umfassender Begriff für die Regimephasen trägt der Ausdruck hingegen nicht und kann der völlig unterschiedlichen Herrschaftsabsicherung nicht gerecht werden. Es würde daher der historischen Wirklichkeit wie auch dem historischen Selbstverständnis der damaligen Regime in Berlin, Rom und Tokio besser entsprechen, den abgegriffenen Faschismusbegriff aufzugeben.“
– Bernd Martin[10]
Faschismusforscher wie zum Beispiel Roger Griffin, die von einem generischen Faschismusbegriff ausgehen, zielen auf den ideologischen Kern des Faschismus:
„Da die Definition auf den ideologischen Kern zielt statt auf die konkreten historischen Erscheinungsformen (Führerkult, Paramilitarismus, Politik des Spektakels usw.), mit anderen Worten: da sie Faschismus genau wie andere generische politische Ideologien (Liberalismus, Sozialismus, Konservatismus) behandelt, wird es einsichtig, ein politisches Phänomen auch dann als faschistisch zu betrachten, wenn es nur im embryonalen Zustand im Kopf eines Ideologen und ohne Ausdruck in einer politischen Partei, geschweige denn einer Massenbewegung, existiert. Darüber hinaus mag es sinnvoll sein, eine Form politischer Energie als faschistisch zu erkennen, selbst wenn sie auf die Absicht verzichtet, als parteipolitische und/oder paramilitärische Kraft zu operieren und stattdessen einem Ansatz folgt, der eher mit politischem Quietismus denn mit revolutionärem Fanatismus zu tun zu haben scheint.“
– Roger Griffin[11]
Gegen die Subsumierung des Nationalsozialismus unter den Faschismusbegriff wenden die französische Psychoanalytikerin Janine Chasseguet-Smirgel und der deutsche Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn ein, dass damit dessen Wesenskern, nämlich die Rassepolitik und der Holocaust, aus dem Blickfeld gerückt würde. Das NS-Regime erscheine in dieser Perspektive als „eine ganz banale Diktatur“, nicht anderes als die in Italien, in Francos Spanien oder im Chile Pinochets. Dies rationalisiere das Unfassbare der Judenvernichtung und sei letztlich eine Strategie der Erinnerungsverweigerung und Schuldabwehr.[12]
„Faschismus als übergeordneter Gattungsbegriff eignet sich mithin allenfalls für die Bewegungsphasen der drei genuin entstandenen, gemeinhin so genannten Faschismen in Deutschland, Italien und Japan. Als umfassender Begriff für die Regimephasen trägt der Ausdruck hingegen nicht und kann der völlig unterschiedlichen Herrschaftsabsicherung nicht gerecht werden. Es würde daher der historischen Wirklichkeit wie auch dem historischen Selbstverständnis der damaligen Regime in Berlin, Rom und Tokio besser entsprechen, den abgegriffenen Faschismusbegriff aufzugeben.“
– Bernd Martin[10]
„Da die Definition auf den ideologischen Kern zielt statt auf die konkreten historischen Erscheinungsformen (Führerkult, Paramilitarismus, Politik des Spektakels usw.), mit anderen Worten: da sie Faschismus genau wie andere generische politische Ideologien (Liberalismus, Sozialismus, Konservatismus) behandelt, wird es einsichtig, ein politisches Phänomen auch dann als faschistisch zu betrachten, wenn es nur im embryonalen Zustand im Kopf eines Ideologen und ohne Ausdruck in einer politischen Partei, geschweige denn einer Massenbewegung, existiert. Darüber hinaus mag es sinnvoll sein, eine Form politischer Energie als faschistisch zu erkennen, selbst wenn sie auf die Absicht verzichtet, als parteipolitische und/oder paramilitärische Kraft zu operieren und stattdessen einem Ansatz folgt, der eher mit politischem Quietismus denn mit revolutionärem Fanatismus zu tun zu haben scheint.“
– Roger Griffin[11]
Italien
Mussolini gründete 1915 für Italiens Kriegseintritt die Fasci d’azione rivoluzionaria und bildete am 23. März 1919 aus den Fasci dēi lavoratōri und Fasci siciliani die Bewegung der Fasci italiani di combattimento („Italienischer Kampfverband“), der ein Rutenbündel zu seinem Zeichen machte. Er bestand anfangs überwiegend aus Anhängern des Syndikalismus, einer Weiterentwicklung des Gewerkschafts-Sozialismus, bis Mussolini ihn 1921 scharf gegen Sozialismus und Kommunismus abgrenzte. Damit wurde seine nun Partito Nazionale Fascista (PNF) genannte Partei auch von bürgerlichen Mittelschichten wählbar und von Teilen der katholischen Kirche, des Beamtentums und der Armee Italiens unterstützt.
Mit Hilfe von Paramilitärs, Straßenterror, einem starken Personenkult, Massenpropaganda und dem wirksam inszenierten „Marsch auf Rom“ eroberte Mussolini 1922 das Amt des italienischen Ministerpräsidenten. Er baute dann schrittweise mit einem Ermächtigungsgesetz, Verbot der übrigen Parteien, Aufhebung der Bürgerrechte und Pressefreiheit, Ausbau der Parteimiliz und politischen Morden bis 1925 eine Einparteiendiktatur unter einem von ihm geführten „Großen Faschistischen Rat“ in Italien auf.
1932 legte er die Ideologie seines Staatssystems schriftlich vor (La dottrina del fascismo): Merkmale waren ein extremer Nationalismus, eine durch Krieg angestrebte Großmachtstellung für Italien im Mittelmeerraum, die Betonung des „Willens zur Macht“ (Friedrich Nietzsche), des autoritären Führerprinzips (Vilfredo Pareto), der „direkten Aktion“ als „schöpferischem Gestaltungsprinzip“ (Georges Sorel) und einer totalitären, von einer Geheimpolizei überwachten Verschmelzung von Staat und alleinregierender Partei. Die sozialrevolutionäre Komponente der Aufstiegszeit trat zurück; verordnete Einheitsorganisationen von Arbeitern und Unternehmern sollten Klassenkampf unterbinden.[13] Um neben der Macht auch die Hegemonie im Sinne Antonio Gramscis zu gewinnen, übernahm der Staat auch die Sportbewegung. Hiermit sollten Körperkult, Verherrlichung von Kraft, Männlichkeit, Demonstration der italienischen Überlegenheit in körperbezogenen Aktivitäten wie Sport, Fußball-Weltmeisterschaft und Olympischen Spielen gewonnen werden. Das Comitato Olimpico Nazionale Italiano wurde verstaatlicht und der Spitzensport mit Staatsamateuren international leistungsfähig gemacht.[14]
Als Kennzeichen des Faschismus nach italienischem Vorbild gelten daher voluntaristische und futuristische Politikkonzepte, die den Machtwillen ökonomischen Zwängen vorordnen und die künftige radikale Umgestaltung der Gesellschaft als nationale Bestimmung anstreben,[15] eine offen terroristische und diktatorische Herrschaftsform, die sich als Volkswille ausgibt, mit ausgeprägtem Personenkult[16] und einer starken Ästhetisierung der Politik, die gegensätzliche Interessen und Strömungen überwölben und zusammenhalten soll.
Die faschistische „Neue Ordnung“ Italiens unterschied sich durch ihren Etatismus deutlich vom NS-Regime, indem Mussolinis starker Staat die alten Eliten einband.
Zur Eroberung von Lebensraum (spazio vitale) war das faschistische System auf kriegerische Expansion aufgebaut. Von 1923 bis 1934 führte Italien den zweiten Italienisch-Libyschen Krieg, ab 1935 den Abessinienkrieg, ab 1936 beteiligte es sich am spanischen Bürgerkrieg, 1939 folgte die italienische Besetzung Albaniens, 1940 der Eintritt in den Westfeldzug und der griechisch-italienische Krieg, 1941 die Beteiligung am Balkanfeldzug gegen Jugoslawien und die Kämpfe gegen die Sowjetunion und in Nordafrika.[17] Die italienische Repression in den besetzten Gebieten Afrikas mit der Liquidierung der äthiopischen Intelligenz und des Klerus ist mit dem deutschen Besatzungsterror in Polen vor dem Überfall auf die Sowjetunion vergleichbar.[18] Zur Repression gegen die Untergrundbewegung auf dem Balkan wurde die gleiche Strategie der verbrannten Erde, der ethnischen Säuberungen, der Masseninternierung in italienischen Konzentrationslagern, der Geiselnahme, Geiselerschießung und der italienischen Kolonisation übernommen wie sie zuvor vom italienischen Militär in Afrika praktiziert worden war.[19] Dabei stand für die Faschisten fest, es auf dem Balkan und in italienisch-Ostafrika mit kulturell, wenn nicht auch mit biologisch minderwertigen Rassen zu tun zu haben. Durch diesen Antiafrikanismus und Antislawismus lud sich die Repression auf.[20]
Anfangs war der Faschismus nicht antisemitisch ausgerichtet. Wiederholt lehnte Mussolini in öffentlichen Äußerungen den Rassismus und Antisemitismus der Nationalsozialisten ab, in dem er eine Wiederkehr des „Germanismus“ sah, den er in seiner Jugend stets bekämpft habe.[21] Erst seit Mitte der 1930er Jahre gab es infolge der politischen Koalition Mussolinis mit dem Deutschen Reich antisemitische Agitationen, die dann auch in den Erlass der italienischen Rassengesetze mündete. Diese Politik zielte aber niemals auf Vernichtung der europäischen Juden, sondern auf ihre Entrechtung, Enteignung und Vertreibung.
Überblick der faschistischen Bewegungen in Europa
Die folgenden Tabellen beruhen auf den Forschungsergebnissen der vergleichenden Faschismusforschung und behandeln ausschließlich faschistische Bewegungen, die von dieser überwiegend als solche eingestuft werden.
Land | Partei/ Bewegung | Flagge/ Symbol | Gründung | Grußformel | Regimephase | Anmerkung | |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Italien | Faschisten | 1919 | „Saluto al Duce! – A noi!“ (Gruß dem Führer! – Zu uns!) | 1922–1945 | |||
Deutschland | Nationalsozialisten | 1920 | „Heil Hitler!“ „Sieg Heil!“ | 1933–1945 | |||
Rumänien | Eiserne Garde | 1927 | „Trăiască Garda şi Căpitanul!“ (Es lebe die Garde und der Kapitän!)[22] | 1940–1941 | |||
Kroatien | Ustascha | 1929 | „Za Dom – Spremni!“ (Für die Heimat – Bereit!) | 1941–1945 | |||
Spanien | Falangisten | 1933 | „Arriba España!“ (Vorwärts Spanien!) | 1936–1977 | |||
Ungarn | Pfeilkreuzler | 1935 | „Kitartás!“ (Durchhalten!) | 1944–1945 |
Außereuropäische Staaten
Ägypten (1933–1938)
Die Jungägyptische Partei wurde im Oktober 1933 als eine radikal-nationalistische Gruppierung mit religiöser Orientierung von den 22-jährigen Ahmed Husayn und Fathi Radwan gegründet. Das Ziel der Partei war die Schaffung eines Großreiches durch die Eingliederung des Sudans an Ägyptens, welches die Rolle einer „Führungsmacht sowohl innerhalb der arabischen als auch der islamischen Welt“ einnehmen sollte. Die Partei verfügte mit den sogenannten Grünhemden über eine paramilitärische Organisation. Die Jungägyptische Partei orientierte sich mit dem politischen Machtzuwachs Deutschlands auch am nationalsozialistischen Deutschen Reich, dem Gegner Großbritanniens, und verfolgte ebenfalls die Strategie eines nationalen Kapitalismus. Unter dem Druck der Regierung wurden die Grünhemden im Jahre 1938 verboten.
Brasilien (1932–1938)
Der Brasilianische Integralismus war eine rechtsextreme politische Bewegung in Brasilien, welche sich in der 1932 gegründeten Partei Ação Integralista Brasileira (Integralistische Aktion Brasiliens) formierte. Die Integralisten erlangten unter der Präsidentschaft von Getúlio Vargas zeitweise politischen Einfluss, wurden jedoch mit der Ausrufung des Estado Novo im Jahr 1937 aufgelöst. Ein integralistischer Putschversuch 1938 gegen den Präsidenten scheiterte und führte zur endgültigen Zersplitterung der Bewegung.
Chile (1932–1939)
Die Nationalsozialistische Bewegung Chiles oder auch Nacismo war eine nationalsozialistische Partei in Chile. Obwohl die Partei gemessen an Mitgliederzahlen und Wahlergebnissen immer eine Kleinpartei blieb, war sie nicht unbedeutend, insbesondere wegen eines Putschversuches 1938. Wichtigste Persönlichkeit war der „Jefe“ Jorge González von Marées. Anfang 1939 taufte sich die Partei in Vanguardia Popular Socialista um und distanzierte sich vom Faschismus.
Britisches Mandat Palästina (1930–1933)
Der Revisionistische Maximalismus, der Teil der Brit HaBirionim-Fraktion des Revisionistischen Zionismus war, war eine von Abba Ahimeir, Uri Zvi Greenberg und Joshua Yeivin erdachte Ideologie. Sie verband Faschismus mit Zionismus: Ihr Ziel war es, einen „Judenstaat“ nach dem Vorbild des faschistischen Italien zu gründen. 1933 verhaftete die britische Verwaltung mehrere Mitglieder, einschließlich Ahimeirs und klagte sie des Mordes an Chaim Arlosoroff an. Obwohl freigesprochen, litt das Ansehen der Gruppe unter dieser Anklage, was zu ihrer Isolierung und schließlich zu ihrer Auflösung führte.
Japan (1926–1945)
Der revolutionäre Impuls zahlreicher Theoretiker (wie Kita Ikki oder Takabatake Motoyuki), Gruppierungen und Parteien ab den 1920er Jahren war schwächer als in Europa ausgeprägt und eher auf die Vorherrschaft einer bürokratischen, nichtdemokratischen, konstituellen Monarchie auf Basis traditioneller Werte als auf eine völlig neue Ordnung gerichtet. Die ab 1936 stärksten Gruppen, die nach der Hitlerjugend geschaffene Großjapan-Jugendpartei (大日本青年党, Dai-Nippon Seinen-tō) und die politische Partei Gesellschaft des Östlichen Weges (東方会, Tōhōkai), waren keine faschistischen Bewegungen, kamen aber faschistischen Organisationen am Nächsten.[23] Der japanische Autoritarismus ab 1940 kann eher als ein komplexes Gemenge von Staatsbürokraten, konservativen Wirtschaftsführern und militärischen Prätorianern beschrieben werden.[24]
Die Anfangsperiode der Shōwa-Zeit von 1926 bis 1945, speziell ab dem Angriff auf China 1937, als Faschismus zu bezeichnen ist problematisch. Dennoch wird der Ausdruck Tennō-Faschismus durchaus verwendet.[25] Westliche Wissenschaftler räumen den Unterschieden zu den europäischen Faschismen breiteren Raum ein, modifizieren den Begriff zu „Militär- oder Kaisersystemfaschismus“, oder lehnen ihn – trotz Parallelen hinsichtlich Autoritarismus, Militarismus, imperialen Anspruch und rassischer Ideologie – in Bezug auf Japan als ungeeignet ab. So hält George M. Wilson das Konzept eines „japanischen Faschismus“ für verfehlt, da in Japan keine politische Bewegung die Macht an sich reißen wollte, die formelle verfassungsmäßige Autorität zumindest nach außen intakt geblieben sei und ein gewisses Maß an Pluralismus weiter existiert habe.[26] Gregory J. Kasza verweist auf das Fehlen wesentlicher Elemente des Faschismus, wie einer Einheits- oder Massenpartei oder eines „Führers“, sowie auf die großteils kriegsbedingte Einführung „typisch faschistischer“ Elemente. Die Reihenfolge von „Bewegung – Ideologie – Regime“ des europäischen Faschismus sei in Japan genau in umgekehrter Reihenfolge anzutreffen.[23] Ein Versuch der Etablierung einer Einheitspartei auf Konsensbasis war die Taisei Yokusankai (1940–1945) von Premierminister Konoe Fumimaro, die jedoch von inneren Grabenkämpfen beherrscht war und aus der beispielsweise die Tōhōkai 1941 wieder austrat. Vor der Shūgiin-Wahl 1942 gründete Premierminister Tōjō Hideki die Yokusan Seijikai (翼賛政治会), verbot alle anderen Parteien und nahm alle gewählten Abgeordneten zwangsweise auf.[27]
Südafrika (1939–1952)
Die Ossewabrandwag-Bewegung wurde 1939 von calvinistischen Buren gegründet. Die Organisation war der nationalsozialistischen Regierung in Deutschland gegenüber positiv eingestellt und wandte sich vehement gegen die Teilnahme der Südafrikanischen Union am Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten. Die Mitglieder weigerten sich, am Krieg teilzunehmen, und schikanierten uniformierte Soldaten. Am 1. Februar 1941 kam es in Johannesburg zu einem Gewaltausbruch, bei dem 140 Soldaten durch OB-Mitglieder verletzt wurden. Die Stormjaers („Sturmjäger“) waren der paramilitärische Flügel der Organisation und waren der SA nachempfunden. Diese verübten während des Krieges Sprengstoffanschläge auf Versorgungsleitungen und Bahnstrecken. 1941 hatte die Ossewabrandwag rund 350.000 Mitglieder. Im Dezember 1942 war die Ossewabrandwag durch Präsident Jan Smuts verboten worden; Tausende Mitglieder, unter ihnen der spätere Premierminister Vorster, wurden bis zum Kriegsende in Internierungslagern inhaftiert. Die Gruppierung löste sich 1952 endgültig auf.
Syrien und Libanon (1932–1943)
Die pansyrische Syrische Soziale Nationalistische Partei wurde 1932 von dem griechisch-orthodoxen Journalisten Antun Sa'ada in Beirut gegründet. Der Politikwissenschaftler Gilbert Achcar bezeichnete sie als „ein(en) levantinischen Klon der Nazi-Partei in fast jeder Hinsicht: in ihrer politischen Ideologie, einschließlich der Aufklärungsfeindlichkeit, und ihrer geographisch-rassisch-nationalistischen Theorie mit pseudowissenschaftlichem Anstrich ebenso wie in der Organisationsstruktur und im Führerkult. Sogar die Parteifahne in Rot und Schwarz mit einer vierzackigen Schraube anstelle des Hakenkreuzes ist der Nazi-Fahne nachempfunden.“ Nachdem die Bewegung von Deutschland bei einem geplanten Putschversuch 1935 nicht unterstützt wurde, distanzierte sich diese allmählich vom Nationalsozialismus und Sa'ada emigrierte schließlich 1938 nach Südamerika.
Im Libanon wurde außerdem 1936 die Kata’ib von Pierre Gemayel gegründet und war von der spanischen Falange inspiriert. Die ursprünglichen Uniformen beinhalteten die Braunhemden. Die Partei nahm im libanesischen Kampf um die Unabhängigkeit von Frankreich teil, welche 1943 erreicht wurde.
Vereinigte Staaten von Amerika (1933–1939)
1933 ursprünglich als Friends of New Germany von Heinz Spanknöbel in Chicago gegründet, entwickelte sich der Amerikadeutsche Bund zur größten nationalsozialistischen Organisation in den USA. Der Amerikadeutsche Bund bekannte sich zur idiosynkratischen „Verfassung, der Fahne, und einem von weißen Nichtjuden gelenkten, wahrhaft freien Amerika“. Er verfolgte mehrere Ziele, darunter den Kampf gegen den von Samuel Untermyer initiierten, jüdischen Warenboykott NS-Deutschlands, die Bildung einer Urzelle für eine neue US-Armee im Kampf gegen den Kommunismus und die Übernahme von den Teilen der NS-Wirtschaft, die man zur Wiederherstellung nach der Weltwirtschaftskrise für sinnvoll hielt. Der Bund war nach dem Führerprinzip unter dem „Bundesführer“ als „historischer Persönlichkeit“ organisiert. Nach der NS-Vorstellung, dass Blut wichtiger ist als Staatsbürgerschaft oder Geburtsort, waren alle Deutschamerikaner, die man „Deutsche in Amerika“ nannte, somit dem „Vaterland“ verbunden. Adaptiert wurden u. a. der Hitlergruß, Blut-und-Ehre-Gürtel, Hakenkreuz-Fahnen. Im Jahr 1939 wurde Bund-Führer Fritz Kuhn wegen Unterschlagung von Geldern seiner Organisation und Steuerhinterziehung zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Ihm folgten für jeweils kurze Zeit mehrere neue Bund-Führer. Die Organisation löste sich in der Folgezeit auf.
Abgeleitete Begriffe
Mit dem angehängten Suffix -faschismus wurden verschiedene abwertende Begriffe wie Islamfaschismus, Linksfaschismus und Ökofaschismus geprägt.
Siehe auch
Literatur
- Vergleichende Faschismusforschung
- Arnd Bauerkämper: Der Faschismus in Europa 1918–1945. Reclam, Stuttgart 2006, ISBN 3-15-017049-4.
- Jerzy W. Borejsza: Schulen des Hasses. Faschistische Systeme in Europa. Fischer TB, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-596-60160-6.
- Francis L. Carsten: Der Aufstieg des Faschismus in Europa. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1968.
- Roger Griffin, Matthew Feldman (Hrsg.): Fascism. Critical Concepts in Political Science. Fünf Bände. Routledge, London 2004.
- Armin Heinen: Erscheinungsformen des europäischen Faschismus. In: Christof Dipper, Lutz Klinkhammer, Alexander Nützenadel: Europäische Sozialgeschichte. Festschrift für Wolfgang Schieder. (= Historische Forschungen; Bd. 68) Duncker & Humblot, Berlin 2000, ISBN 3-428-09843-9, S. 3–20.
- Philip Morgan: Fascism in Europe, 1919–1945. Routledge, New York 2003, ISBN 978-0-415-16942-4.
- Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. Action française, italienischer Faschismus, Nationalsozialismus. Piper, München 1984, ISBN 3-492-10365-0.
- Robert Paxton: Anatomie des Faschismus. DVA, München 2006, ISBN 3-421-05913-6.
- Stanley G. Payne: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung. Propyläen, Berlin 2001, ISBN 3-549-07148-5.
- Werner Röhr: Faschismusforschung im Spiegel der Kritik., Aurora, Berlin 2014, ISBN 978-3-359-02536-8.
- Reactionary Nationalists, Fascists and Dictatorships in the Twentieth Century. Hrsg. Ismael Saz, Zira Box, Toni Morant, Julian Sanz; Palgrave, 2019.
- Thomas Schlemmer / Hans Woller (Hrsg.): Der Faschismus in Europa. Wege der Forschung. de Gruyter/Oldenbourg, München 2014, ISBN 978-3-486-77843-4.
- Wolfgang Wippermann: Europäischer Faschismus im Vergleich (1922–1982). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-518-11245-7.
- Wolfgang Wippermann: Faschismus. Eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Primus, Darmstadt 2009, ISBN 3-89678-367-X.
- Einzelstaaten
- Aufarbeitung
- Friedrich Hacker: Das Faschismus-Syndrom. Analyse eines aktuellen Phänomens. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/M. 1992, ISBN 3-596-10775-X.
- Konrad Hecker: Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung. GegenStandpunkt, München 1996, ISBN 3-929211-02-5.
- Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hrsg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945. Fischer, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-596-15219-4.
Linksfaschismus
Linksfaschismus (auch Linker bzw. Roter Faschismus oder Rot-Faschismus) ist ein politischer Kampfbegriff ohne einheitliche Bedeutung. Meist soll er realsozialistische Staaten, linksgerichtete Politik oder Ideologie als „Faschismus“, seltener auch Antikapitalismus faschistisch genannter Staaten oder Gruppen als „links“ bewerten. Die Politikwissenschaft verwendet den Begriff, anders als den Faschismusbegriff, nicht zur Beschreibung einer Ideologie oder Gesellschaftsordnung.
Italienische Demokraten bezeichneten damit seit 1926 den Stalinismus als eine mit dem damaligen italienischen Faschismus vergleichbare Diktatur. Vertreter der SPD bezeichneten die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) seit etwa 1929 als „rotlackierte Faschisten“; umgekehrt kategorisierten Kommunisten die Sozialdemokratie als „Rotfaschismus“ oder „Sozialfaschismus“.
Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas warnte 1967 vor einem „linken Faschismus“ der APO, der eine Gewalteskalation fördern und rechtfertigen könne. Obwohl er dieses Urteil später zurückzog, diente der Begriff in der Bundesrepublik Deutschland meist zur Diffamierung linksgerichteter Gruppen und Parteien.[1] Er soll die von ihnen vertretene Politik, die sich oft als Antifaschismus legitimiert, ihrerseits als faschistisch, also antidemokratisch und gewaltorientiert, angreifen und delegitimieren. Er hat sich dabei zu einem beliebig eingesetzten Stereotyp entwickelt.[2] Das Wort wird ähnlich wie die Begriffe Anarchismus und Linksextremismus von Politikern, Behörden und Medien häufig mit Chaos, Gewalt, Terror und Kriminalität assoziiert. „Linksfaschisten“ werden als Gefahr für die innere Sicherheit dargestellt und so diffamiert.[3]
Linksfaschismus (auch Linker bzw. Roter Faschismus oder Rot-Faschismus) ist ein politischer Kampfbegriff ohne einheitliche Bedeutung. Meist soll er realsozialistische Staaten, linksgerichtete Politik oder Ideologie als „Faschismus“, seltener auch Antikapitalismus faschistisch genannter Staaten oder Gruppen als „links“ bewerten. Die Politikwissenschaft verwendet den Begriff, anders als den Faschismusbegriff, nicht zur Beschreibung einer Ideologie oder Gesellschaftsordnung.
Italienische Demokraten bezeichneten damit seit 1926 den Stalinismus als eine mit dem damaligen italienischen Faschismus vergleichbare Diktatur. Vertreter der SPD bezeichneten die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) seit etwa 1929 als „rotlackierte Faschisten“; umgekehrt kategorisierten Kommunisten die Sozialdemokratie als „Rotfaschismus“ oder „Sozialfaschismus“.
Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas warnte 1967 vor einem „linken Faschismus“ der APO, der eine Gewalteskalation fördern und rechtfertigen könne. Obwohl er dieses Urteil später zurückzog, diente der Begriff in der Bundesrepublik Deutschland meist zur Diffamierung linksgerichteter Gruppen und Parteien.[1] Er soll die von ihnen vertretene Politik, die sich oft als Antifaschismus legitimiert, ihrerseits als faschistisch, also antidemokratisch und gewaltorientiert, angreifen und delegitimieren. Er hat sich dabei zu einem beliebig eingesetzten Stereotyp entwickelt.[2] Das Wort wird ähnlich wie die Begriffe Anarchismus und Linksextremismus von Politikern, Behörden und Medien häufig mit Chaos, Gewalt, Terror und Kriminalität assoziiert. „Linksfaschisten“ werden als Gefahr für die innere Sicherheit dargestellt und so diffamiert.[3]
Italien
Nach der Machteroberung von Benito Mussolini in Italien bezeichnete der Liberale Giovanni Amendola zunächst die italienischen Faschisten, dann auch die Stalinisten 1925 als „totalitär“ (totalitario): Faschismus und Kommunismus seien eine „totalitäre Reaktion auf Liberalismus und Demokratie“. Diesen als Vorwurf gemeinten Begriff nahm die Führung der Partei der Faschisten Anfang 1926 für ihre Ideologie und Politik in Anspruch. Nun übernahm die gesamte konservativ-liberale Opposition in Italien die These von der strukturellen Ähnlichkeit der beiden Diktaturen. In diesem Zusammenhang schrieb der Führer des Partito Popolare Italiano – einem Vorläufer der späteren „Democrazia Cristiana“ –, Priester Don Luigi Sturzo 1926:[4]
„Insgesamt kann man zwischen Rußland und Italien nur einen einzigen Unterschied feststellen, daß nämlich der Bolschewismus eine kommunistische Diktatur oder ein Linksfaschismus ist und der Faschismus eine konservative Diktatur oder ein Rechtsbolschewismus ist.“
Der Begriff ist also wie „Totalitarismus“ ursprünglich ein polemischer Kampfbegriff, der zwei politische Systeme und ihre Ideologien parallelisiert und als Diktaturen ablehnt.
Die Philosophin Hannah Arendt gab dem Totalitarismusbegriff in ihrem Hauptwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (englisches Original von 1951) ein theoretisches Fundament und beschrieb Ähnlichkeiten des Nationalsozialismus, Stalinismus und ansatzweise des Maoismus. Sie bezeichnete deren Regimes nicht als Faschismus, sondern als „totalitär“, und unterschied Mussolinis Diktatur, den Franquismus und Regierungen der Ostblockstaaten nach Josef Stalins Tod davon.
Nach der Machteroberung von Benito Mussolini in Italien bezeichnete der Liberale Giovanni Amendola zunächst die italienischen Faschisten, dann auch die Stalinisten 1925 als „totalitär“ (totalitario): Faschismus und Kommunismus seien eine „totalitäre Reaktion auf Liberalismus und Demokratie“. Diesen als Vorwurf gemeinten Begriff nahm die Führung der Partei der Faschisten Anfang 1926 für ihre Ideologie und Politik in Anspruch. Nun übernahm die gesamte konservativ-liberale Opposition in Italien die These von der strukturellen Ähnlichkeit der beiden Diktaturen. In diesem Zusammenhang schrieb der Führer des Partito Popolare Italiano – einem Vorläufer der späteren „Democrazia Cristiana“ –, Priester Don Luigi Sturzo 1926:[4]
„Insgesamt kann man zwischen Rußland und Italien nur einen einzigen Unterschied feststellen, daß nämlich der Bolschewismus eine kommunistische Diktatur oder ein Linksfaschismus ist und der Faschismus eine konservative Diktatur oder ein Rechtsbolschewismus ist.“
Der Begriff ist also wie „Totalitarismus“ ursprünglich ein polemischer Kampfbegriff, der zwei politische Systeme und ihre Ideologien parallelisiert und als Diktaturen ablehnt.
Die Philosophin Hannah Arendt gab dem Totalitarismusbegriff in ihrem Hauptwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (englisches Original von 1951) ein theoretisches Fundament und beschrieb Ähnlichkeiten des Nationalsozialismus, Stalinismus und ansatzweise des Maoismus. Sie bezeichnete deren Regimes nicht als Faschismus, sondern als „totalitär“, und unterschied Mussolinis Diktatur, den Franquismus und Regierungen der Ostblockstaaten nach Josef Stalins Tod davon.
Weimarer Republik
1929 übernahm die KPD Stalins Sozialfaschismusthese: Danach galten die Reformisten der gescheiterten Zweiten Internationale, also die westeuropäische, vor allem die deutsche Sozialdemokratie, als „Steigbügelhalter“ des aufkommenden Faschismus. Diese ideologische Einordnung hatte den machtpolitischen Sinn, die Mitgliedsparteien der von Moskau gelenkten Komintern gegenüber ihren Konkurrenten zu stärken und zugleich den gesamteuropäischen Führungsanspruch der KPdSU in der Arbeiterbewegung zu untermauern.[5]
Als Reaktion darauf verstärkte die SPD ihre antikommunistische Haltung. Ihr späterer Vorsitzender Kurt Schumacher erklärte 1930 vor dem Reichsbanner Württemberg:[6]
„Der Weg der leider ziemlich zahlreichen proletarischen Hakenkreuzler geht über die Kommunisten, die in Wirklichkeit nur rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten sind. Beiden ist gemeinsam der Hass gegen die Demokratie und die Vorliebe für Gewalt.“
Dies wurde nach 1945 zum oft zitierten Diktum von den rotlackierten Faschisten verkürzt.[7]
Der antimilitaristische Kommunist Otto Rühle schrieb als Reaktion auf den Hitler-Stalin-Pakt 1939 im mexikanischen Exil einen Aufsatz mit dem Titel Brauner und Roter Faschismus. Er verglich darin die Entwicklungen in Deutschland und Russland seit 1914 und fand in den Diktaturen Adolf Hitlers und Stalins, die er beide als „totalitär“ bezeichnete, eine „verblüffende Übereinstimmung in den Grundanlagen der Systeme – in der Machtdoktrin, dem Autoritätsprinzip, dem Diktaturapparat, der Gleichschaltungsdynamik, den Gewaltmethoden.“[8] Die ökonomische Ursache dafür fand er im „ultraimperialistischen Monopolismus, der zum System des Staatskapitalismus drängt.“ Das Scheitern der Novemberrevolution erklärte er daraus, dass die deutsche Sozialdemokratie ein „Kriegsbündnis mit der Bourgeoisie“ eingegangen sei, das sie nach dem Krieg gegen die Revolutionäre beibehalten habe. Dieses Bündnis habe sie „auf ihre wahre Wesensgrundlage zurückgeführt. Sie war immer nur scheinbar eine sozialistische Bewegung gewesen. […] Sie war und blieb eine kleinbürgerliche Reformpartei der Enttäuschten, Zukurzgekommenen, am kapitalistischen Aufstieg Verhinderten.“ Deshalb habe die SPD-Führung die Sozialisierungsforderungen der Rätebewegung erst abgeschwächt und dann ins Gegenteil verkehrt. Damit habe sie den möglichen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus verhindert und so erst die Morde an den Hauptvertretern des Spartakusbundes, dann den Aufstieg des Nationalsozialismus ermöglicht. In Russland habe Lenin die Revolutionsparole „Alle Macht den Räten“ in einer feudalagrarischen Gesellschaft zur bürokratischen, zentralistischen, von oben nach unten strukturierten Einparteiendiktatur verkehrt und damit Stalin den Weg geebnet.[9] Rühle vertrat damit eine eigenwillige, rätekommunistische Totalitarismustheorie, die nach 1945 vergessen und erst von der Studentenbewegung der 1960er Jahre wiederentdeckt wurde.[10]
1929 übernahm die KPD Stalins Sozialfaschismusthese: Danach galten die Reformisten der gescheiterten Zweiten Internationale, also die westeuropäische, vor allem die deutsche Sozialdemokratie, als „Steigbügelhalter“ des aufkommenden Faschismus. Diese ideologische Einordnung hatte den machtpolitischen Sinn, die Mitgliedsparteien der von Moskau gelenkten Komintern gegenüber ihren Konkurrenten zu stärken und zugleich den gesamteuropäischen Führungsanspruch der KPdSU in der Arbeiterbewegung zu untermauern.[5]
Als Reaktion darauf verstärkte die SPD ihre antikommunistische Haltung. Ihr späterer Vorsitzender Kurt Schumacher erklärte 1930 vor dem Reichsbanner Württemberg:[6]
„Der Weg der leider ziemlich zahlreichen proletarischen Hakenkreuzler geht über die Kommunisten, die in Wirklichkeit nur rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten sind. Beiden ist gemeinsam der Hass gegen die Demokratie und die Vorliebe für Gewalt.“
Dies wurde nach 1945 zum oft zitierten Diktum von den rotlackierten Faschisten verkürzt.[7]
Der antimilitaristische Kommunist Otto Rühle schrieb als Reaktion auf den Hitler-Stalin-Pakt 1939 im mexikanischen Exil einen Aufsatz mit dem Titel Brauner und Roter Faschismus. Er verglich darin die Entwicklungen in Deutschland und Russland seit 1914 und fand in den Diktaturen Adolf Hitlers und Stalins, die er beide als „totalitär“ bezeichnete, eine „verblüffende Übereinstimmung in den Grundanlagen der Systeme – in der Machtdoktrin, dem Autoritätsprinzip, dem Diktaturapparat, der Gleichschaltungsdynamik, den Gewaltmethoden.“[8] Die ökonomische Ursache dafür fand er im „ultraimperialistischen Monopolismus, der zum System des Staatskapitalismus drängt.“ Das Scheitern der Novemberrevolution erklärte er daraus, dass die deutsche Sozialdemokratie ein „Kriegsbündnis mit der Bourgeoisie“ eingegangen sei, das sie nach dem Krieg gegen die Revolutionäre beibehalten habe. Dieses Bündnis habe sie „auf ihre wahre Wesensgrundlage zurückgeführt. Sie war immer nur scheinbar eine sozialistische Bewegung gewesen. […] Sie war und blieb eine kleinbürgerliche Reformpartei der Enttäuschten, Zukurzgekommenen, am kapitalistischen Aufstieg Verhinderten.“ Deshalb habe die SPD-Führung die Sozialisierungsforderungen der Rätebewegung erst abgeschwächt und dann ins Gegenteil verkehrt. Damit habe sie den möglichen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus verhindert und so erst die Morde an den Hauptvertretern des Spartakusbundes, dann den Aufstieg des Nationalsozialismus ermöglicht. In Russland habe Lenin die Revolutionsparole „Alle Macht den Räten“ in einer feudalagrarischen Gesellschaft zur bürokratischen, zentralistischen, von oben nach unten strukturierten Einparteiendiktatur verkehrt und damit Stalin den Weg geebnet.[9] Rühle vertrat damit eine eigenwillige, rätekommunistische Totalitarismustheorie, die nach 1945 vergessen und erst von der Studentenbewegung der 1960er Jahre wiederentdeckt wurde.[10]
Bundesrepublik Deutschland
Jürgen Habermas (1967)
Seit Frühjahr 1967 tauchten Faschismusvorwürfe und -vergleiche in Konflikten zwischen Hochschullehrern und Aktivisten der westdeutschen Studentenbewegung auf. Sie griffen das Selbstverständnis der jeweiligen Adressaten als Antifaschisten an und wirkten daher als Stigma. Universitätsdirektoren bezeichneten Sit-ins als „faschistische Methoden“ (19. April) oder sahen darin „faschistische Züge“. Studenten bezeichneten einen amerikafreundlichen Vortrag Max Horkheimers als „Apologie des Faschismus“ (12. Mai). Horkheimer beschrieb daraufhin in einem Brief seine „Furcht vor der Verwandtschaft dessen, was heute sich kommunistisch nennt, mit faschistischem Terror“. Margherita von Brentano konstatierte am 7. Juni, „Faschismus“ sei in den letzten Monaten zum Schlüsselwort in den aktuellen Konflikten geworden. Radikaldemokratische Studenten hätten Einzelzüge im gegnerischen Verhalten wie auch die Gesamtsituation „faschistisch“ genannt. Der Philosoph Jakob Taubes sprach am selben Tag vom „Gespenst des Faschismus“, weil dieses Wort im öffentlichen Diskurs gefallen sei.[11]
Bei der Demonstration am 2. Juni 1967 in West-Berlin wurde der Student Benno Ohnesorg erschossen. Am 9. Juni wurde er in Hannover beerdigt. Beim anschließenden Kongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes forderte der Studentenführer Rudi Dutschke, Aktionszentren an westdeutschen Hochschulen zu gründen, um die eingetretene Situation rational zu bewältigen. Jürgen Habermas, Soziologe und Philosoph der Frankfurter Schule, erklärte sich daraufhin solidarisch mit den protestierenden Studenten und bezeichnete die Polizeiaktionen in West-Berlin als „Terror“ zur Abschreckung künftiger Proteste, der die Demokratie deutlich einzuschränken drohe. Die Studenten sollten jedoch vorrangig die Gesellschaft gründlich analysieren. Um deren komplexe Strukturen zu verändern, sei direkte Aktion wenig aussichtsreich. Gleichgültigkeit gegenüber bedrohten Bürgerrechten sei ebenso gefährlich wie zielloser Aktionismus. Die Welt sei von Gewalt besessen: „Aber die Befriedigung daran, durch Herausforderung die sublime Gewalt in manifeste Gewalt umzuwandeln, ist masochistisch, keine Befriedigung also, sondern Unterwerfung unter eben jene Gewalt.“
Hans-Jürgen Krahl entgegnete: Habermas habe argumentiert, die Provokation von Gewalt sei faschistisch. Zwinge der übermächtig bewaffnete Staatsapparat die wehrlosen Studenten nicht zur Provokation, etwa mit Tomatenwürfen, weil er ihnen keine andere Möglichkeit lasse? Er plädiere daher für „ritualisierte Formen der Provokation“, um der Öffentlichkeit die Gewaltlosigkeit der Studenten zu zeigen. Darauf reagierte Habermas: „Systematisch betriebene Provokation von Studenten“ sei ein „Spiel mit dem Terror (mit faschistischen Implikationen)“. Dies verstanden die Zuhörer zunächst als Kritik an staatlicher Gewalt, nicht an studentischen Aktionsformen.[12]
Darauf antwortete Dutschke als letzter offizieller Redner: Weil die entwickelten Produktivkräfte des Kapitalismus gegenwärtig die Abschaffung von Hunger, Krieg und Herrschaft materiell ermöglicht hätten, hänge „alles vom bewußten Willen der Menschen ab, ihre schon immer von ihnen gemachte Geschichte endlich bewußt zu machen, sie zu kontrollieren, sie sich zu unterwerfen, das heißt, Professor Habermas, Ihr begriffsloser Objektivismus erschlägt das sich emanzipierende Subjekt.“ Die Studenten sollten die „etablierten Spielregeln dieser unvernünftigen Demokratie“ bewusst durchbrechen und mit passiven Sitzstreiks zeigen, dass sie nicht provozieren, aber sich auch nicht „organisiert abwiegeln“ lassen wollten. Denn anders als von Karl Marx erwartet, tendiere die gegenwärtige ökonomische Entwicklung nicht von selbst zu einem Emanzipationsprozess, so dass die individuelle Tätigkeit Einzelner ein ganz anderes Gewicht erhalte.[13]
Als Dutschke den Saal verlassen hatte, kehrte Habermas an das Rednerpult zurück. Dutschke habe zu seinem Erstaunen nur Sitzstreiks, also „eine Demonstration mit gewaltlosen Mitteln“ vorgeschlagen, dazu aber „eine voluntaristische Ideologie entwickelt, die man im Jahr 1848 utopischen Sozialismus genannt hat und die man unter heutigen Umständen – jedenfalls, ich glaube, Gründe zu haben, diese Terminologie vorzuschlagen – ‚linken Faschismus‘ nennen muss. Es sei denn, daß Herr Dutschke aus dem, was er an Überbau hier entwickelt hat, praktisch keine Konsequenzen zu ziehen wünscht.“ Nach zeitgenössischen Quellen sagte er außerdem: „Ich hätte gern geklärt, ob er nun willentlich die manifeste Gewalt herausgefordert hat nach den kalkulierten Mechanismen, die in diese Gewalt eingebaut sind, und zwar so, daß er das Risiko von Menschenverletzung, um mich vorsichtig auszudrücken, absichtlich einschließt oder nicht.“[14]
Habermas griff hier mit Vorbehalten den Vorwurf auf, den Krahl ihm in den Mund gelegt hatte, um eine Klärung zu erreichen, welche Aktionen Dutschkes theoretisches Konzept implizierte, und die Subversive Aktion im SDS zu isolieren.[15] Er setzte Aktionszentren und Sitzstreiks nicht mit Faschismus gleich, sondern bezog sich auf deren theoretische Begründung, die den gesellschaftlichen Wandel nur vom bewussten Willen der Revolutionäre erwartete. Ebenso hatte Marx den utopischen Sozialismus dafür kritisiert, die ökonomische Entwicklung der Gesellschaft nicht zu berücksichtigen. Habermas teilte also die Annahme Dutschkes, dass sich in Ohnesorgs Erschießung und den bisherigen staatlichen Reaktionen darauf Gewaltstrukturen der gesellschaftlichen Verhältnisse gezeigt hätten. Er fragte aber, ob durch bewusste Provokation solcher Gewalt weitere Opfer in Kauf genommen werden sollten. Er fürchtete, die gewollte Provokation des bürgerlichen Staates mit illegalen Aktionen könne den Faschismus erst erzeugen, der in den Gesellschaftsstrukturen angelegt sei, ohne dass die veränderungsbereiten Kräfte eine Chance zu einer erfolgreichen Revolution hatten. Dahinter stand die marxistische Faschismustheorie der „Kritischen Theorie“, die Faschismus als Folge und latente Bedrohung des scheinbar liberalen Kapitalismus beschrieben hatte.
Dutschke hörte diese Antwort am Folgetag auf einem Tonband und schrieb daraufhin in sein Tagebuch:[16]
„Der Vorwurf reduzierte sich darauf, daß ich, der ich durch Aktionen die sublime Gewalt zwinge, manifest zu werden, bewußt Studenten ‚verheizen‘ wolle… H[abermas] will nicht begreifen, dass allein sorgfältige Aktionen Tote, sowohl f[ür] d[ie] Gegenwart als auch noch mehr f[ür] d[ie] Zukunft ‚vermeiden‘ können. Organisierte Gegengewalt unsererseits ist der größte Schutz, nicht ‚organisierte Abwiegelei‘ à la H[abermas]. Der Vorwurf d[er] ‚voluntaristischen Ideologie‘ ehrt mich.“
Er sah wie viele Studenten die staatliche Gewaltenteilung nach Ohnesorgs Erschießung als nicht funktionsfähig an: Die Opfer würden zu den Tätern gestempelt, der tatsächliche Täter bleibe in Freiheit, die politisch Verantwortlichen blieben in ihren Ämtern. Nach jahrelangen Erfahrungen mit angemeldeten Demonstrationen wollte er die für ihn strukturelle Gewalt der bundesrepublikanischen Gesellschaft durch „organisierte Irregularität“ aufdecken. Die Reaktionen des Staates auf nichtangemeldete und neuartige Aktionsformen sollten der Bevölkerung die herrschenden Unterdrückungsmechanismen bewusst machen, von denen er überzeugt war.[17]
Der Sozialpsychologe Peter Brückner widersprach Habermas auf dem Kongress. Dessen These, provokative Protestformen erzeugten erst die „Möglichkeit zur Unmenschlichkeit“, sei falsch: Die Brutalität der Staatsorgane liege vollständig ausgebildet unter einer sehr dünnen Decke des sozialen Friedens. Viele sogenannte Provokationen seien bloß Mittel, um diese Decke punktuell zu durchstoßen und etwas wegzuziehen, um die Realität darunter zu erkennen.[18]
Schon in einem Aufsatz „Hochschulreform und Protestbewegung“, dann auch in einem Brief an Erich Fried vom 26. Juli 1967 nahm Habermas seinen Vorwurf zurück:[19]
„Ich habe in Hannover vom ‚linken Faschismus‘ in einem klar hypothetischen Zusammenhang gesprochen.“
In einem Brief vom 13. Mai 1968 an C. Grossner schrieb er zudem:[19]
„Erstens habe ich damals nicht gesehen, dass die neuen Formen der Provokation ein sinnvolles, legitimes und sogar notwendiges Mittel sind, um Diskussionen dort, wo sie verweigert werden, zu erzwingen.
Zweitens hatte ich damals Angst vor den irrationalistischen Implikationen eines Vorgehens, das unter dem Topos ‚die Spielregeln brechen‘ eingeführt wurde. Diese Befürchtungen hege ich auch heute noch, daher hat sich die Intention meiner damaligen Bemerkung nicht geändert. Freilich würde ich […] heute […] das Etikett des linken Faschismus vermeiden, und zwar nicht nur, weil dieses Etikett das grobe Missverständnis einer Identifizierung des SDS mit den rechten Studenten Anfang der dreißiger Jahre hervorgerufen hat, sondern weil ich inzwischen überhaupt unsicher geworden bin, ob das eigentliche Neue an den gegenwärtigen Revolten durch geistesgeschichtliche Parallelen getroffen werden kann.
Drittens halte ich nach wie vor Gewaltanwendung in der gegenwärtigen Situation nicht für ein vertretbares Mittel des politischen Kampfes. In einer Lage hingegen, […] deren Unerträglichkeit keineswegs allgemein ins Bewußtsein getreten ist, […] müssen sich die handelnden Subjekte […] inhumane Folgen ihres Handelns moralisch zurechnen lassen.“
In einem am 5. Juni 1968 veröffentlichten Aufsatz stellte Habermas nicht mehr die befürchteten Folgen in den Vordergrund, sondern bejahte die teils neu erfundenen, teils aus anderen Ländern übernommenen Demonstrationsformen der westdeutschen Studenten und Schüler als geeignete Mittel für die Aufklärung der Bevölkerung über gegenwärtige Zustände des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Sie provozierten durch den „virtuellen Charakter eines Spiels“ und der „ironischen Verdopplung“ Abwehrreaktionen und könnten so einen „heilsamen Schock“ und „erstauntes Nachdenken“ erzeugen.[20]
Unter dem Eindruck von Medienberichten und Politikeraussagen gegen „Sympathisanten“ der RAF-Terroristen nahm Habermas kritische Intellektuelle 1977 vor dem Vorwurf des „Linksfaschismus“ in Schutz. Seine Aussage vom 9. Juni 1967 sei eine für deutsche Linke typische Überreaktion aufgrund ihrer besonderen Sensibilität für unbeabsichtigte Gewaltwirkungen von Ideen gewesen.[21]
Seit Frühjahr 1967 tauchten Faschismusvorwürfe und -vergleiche in Konflikten zwischen Hochschullehrern und Aktivisten der westdeutschen Studentenbewegung auf. Sie griffen das Selbstverständnis der jeweiligen Adressaten als Antifaschisten an und wirkten daher als Stigma. Universitätsdirektoren bezeichneten Sit-ins als „faschistische Methoden“ (19. April) oder sahen darin „faschistische Züge“. Studenten bezeichneten einen amerikafreundlichen Vortrag Max Horkheimers als „Apologie des Faschismus“ (12. Mai). Horkheimer beschrieb daraufhin in einem Brief seine „Furcht vor der Verwandtschaft dessen, was heute sich kommunistisch nennt, mit faschistischem Terror“. Margherita von Brentano konstatierte am 7. Juni, „Faschismus“ sei in den letzten Monaten zum Schlüsselwort in den aktuellen Konflikten geworden. Radikaldemokratische Studenten hätten Einzelzüge im gegnerischen Verhalten wie auch die Gesamtsituation „faschistisch“ genannt. Der Philosoph Jakob Taubes sprach am selben Tag vom „Gespenst des Faschismus“, weil dieses Wort im öffentlichen Diskurs gefallen sei.[11]
Bei der Demonstration am 2. Juni 1967 in West-Berlin wurde der Student Benno Ohnesorg erschossen. Am 9. Juni wurde er in Hannover beerdigt. Beim anschließenden Kongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes forderte der Studentenführer Rudi Dutschke, Aktionszentren an westdeutschen Hochschulen zu gründen, um die eingetretene Situation rational zu bewältigen. Jürgen Habermas, Soziologe und Philosoph der Frankfurter Schule, erklärte sich daraufhin solidarisch mit den protestierenden Studenten und bezeichnete die Polizeiaktionen in West-Berlin als „Terror“ zur Abschreckung künftiger Proteste, der die Demokratie deutlich einzuschränken drohe. Die Studenten sollten jedoch vorrangig die Gesellschaft gründlich analysieren. Um deren komplexe Strukturen zu verändern, sei direkte Aktion wenig aussichtsreich. Gleichgültigkeit gegenüber bedrohten Bürgerrechten sei ebenso gefährlich wie zielloser Aktionismus. Die Welt sei von Gewalt besessen: „Aber die Befriedigung daran, durch Herausforderung die sublime Gewalt in manifeste Gewalt umzuwandeln, ist masochistisch, keine Befriedigung also, sondern Unterwerfung unter eben jene Gewalt.“
Hans-Jürgen Krahl entgegnete: Habermas habe argumentiert, die Provokation von Gewalt sei faschistisch. Zwinge der übermächtig bewaffnete Staatsapparat die wehrlosen Studenten nicht zur Provokation, etwa mit Tomatenwürfen, weil er ihnen keine andere Möglichkeit lasse? Er plädiere daher für „ritualisierte Formen der Provokation“, um der Öffentlichkeit die Gewaltlosigkeit der Studenten zu zeigen. Darauf reagierte Habermas: „Systematisch betriebene Provokation von Studenten“ sei ein „Spiel mit dem Terror (mit faschistischen Implikationen)“. Dies verstanden die Zuhörer zunächst als Kritik an staatlicher Gewalt, nicht an studentischen Aktionsformen.[12]
Darauf antwortete Dutschke als letzter offizieller Redner: Weil die entwickelten Produktivkräfte des Kapitalismus gegenwärtig die Abschaffung von Hunger, Krieg und Herrschaft materiell ermöglicht hätten, hänge „alles vom bewußten Willen der Menschen ab, ihre schon immer von ihnen gemachte Geschichte endlich bewußt zu machen, sie zu kontrollieren, sie sich zu unterwerfen, das heißt, Professor Habermas, Ihr begriffsloser Objektivismus erschlägt das sich emanzipierende Subjekt.“ Die Studenten sollten die „etablierten Spielregeln dieser unvernünftigen Demokratie“ bewusst durchbrechen und mit passiven Sitzstreiks zeigen, dass sie nicht provozieren, aber sich auch nicht „organisiert abwiegeln“ lassen wollten. Denn anders als von Karl Marx erwartet, tendiere die gegenwärtige ökonomische Entwicklung nicht von selbst zu einem Emanzipationsprozess, so dass die individuelle Tätigkeit Einzelner ein ganz anderes Gewicht erhalte.[13]
Als Dutschke den Saal verlassen hatte, kehrte Habermas an das Rednerpult zurück. Dutschke habe zu seinem Erstaunen nur Sitzstreiks, also „eine Demonstration mit gewaltlosen Mitteln“ vorgeschlagen, dazu aber „eine voluntaristische Ideologie entwickelt, die man im Jahr 1848 utopischen Sozialismus genannt hat und die man unter heutigen Umständen – jedenfalls, ich glaube, Gründe zu haben, diese Terminologie vorzuschlagen – ‚linken Faschismus‘ nennen muss. Es sei denn, daß Herr Dutschke aus dem, was er an Überbau hier entwickelt hat, praktisch keine Konsequenzen zu ziehen wünscht.“ Nach zeitgenössischen Quellen sagte er außerdem: „Ich hätte gern geklärt, ob er nun willentlich die manifeste Gewalt herausgefordert hat nach den kalkulierten Mechanismen, die in diese Gewalt eingebaut sind, und zwar so, daß er das Risiko von Menschenverletzung, um mich vorsichtig auszudrücken, absichtlich einschließt oder nicht.“[14]
Habermas griff hier mit Vorbehalten den Vorwurf auf, den Krahl ihm in den Mund gelegt hatte, um eine Klärung zu erreichen, welche Aktionen Dutschkes theoretisches Konzept implizierte, und die Subversive Aktion im SDS zu isolieren.[15] Er setzte Aktionszentren und Sitzstreiks nicht mit Faschismus gleich, sondern bezog sich auf deren theoretische Begründung, die den gesellschaftlichen Wandel nur vom bewussten Willen der Revolutionäre erwartete. Ebenso hatte Marx den utopischen Sozialismus dafür kritisiert, die ökonomische Entwicklung der Gesellschaft nicht zu berücksichtigen. Habermas teilte also die Annahme Dutschkes, dass sich in Ohnesorgs Erschießung und den bisherigen staatlichen Reaktionen darauf Gewaltstrukturen der gesellschaftlichen Verhältnisse gezeigt hätten. Er fragte aber, ob durch bewusste Provokation solcher Gewalt weitere Opfer in Kauf genommen werden sollten. Er fürchtete, die gewollte Provokation des bürgerlichen Staates mit illegalen Aktionen könne den Faschismus erst erzeugen, der in den Gesellschaftsstrukturen angelegt sei, ohne dass die veränderungsbereiten Kräfte eine Chance zu einer erfolgreichen Revolution hatten. Dahinter stand die marxistische Faschismustheorie der „Kritischen Theorie“, die Faschismus als Folge und latente Bedrohung des scheinbar liberalen Kapitalismus beschrieben hatte.
Dutschke hörte diese Antwort am Folgetag auf einem Tonband und schrieb daraufhin in sein Tagebuch:[16]
„Der Vorwurf reduzierte sich darauf, daß ich, der ich durch Aktionen die sublime Gewalt zwinge, manifest zu werden, bewußt Studenten ‚verheizen‘ wolle… H[abermas] will nicht begreifen, dass allein sorgfältige Aktionen Tote, sowohl f[ür] d[ie] Gegenwart als auch noch mehr f[ür] d[ie] Zukunft ‚vermeiden‘ können. Organisierte Gegengewalt unsererseits ist der größte Schutz, nicht ‚organisierte Abwiegelei‘ à la H[abermas]. Der Vorwurf d[er] ‚voluntaristischen Ideologie‘ ehrt mich.“
Er sah wie viele Studenten die staatliche Gewaltenteilung nach Ohnesorgs Erschießung als nicht funktionsfähig an: Die Opfer würden zu den Tätern gestempelt, der tatsächliche Täter bleibe in Freiheit, die politisch Verantwortlichen blieben in ihren Ämtern. Nach jahrelangen Erfahrungen mit angemeldeten Demonstrationen wollte er die für ihn strukturelle Gewalt der bundesrepublikanischen Gesellschaft durch „organisierte Irregularität“ aufdecken. Die Reaktionen des Staates auf nichtangemeldete und neuartige Aktionsformen sollten der Bevölkerung die herrschenden Unterdrückungsmechanismen bewusst machen, von denen er überzeugt war.[17]
Der Sozialpsychologe Peter Brückner widersprach Habermas auf dem Kongress. Dessen These, provokative Protestformen erzeugten erst die „Möglichkeit zur Unmenschlichkeit“, sei falsch: Die Brutalität der Staatsorgane liege vollständig ausgebildet unter einer sehr dünnen Decke des sozialen Friedens. Viele sogenannte Provokationen seien bloß Mittel, um diese Decke punktuell zu durchstoßen und etwas wegzuziehen, um die Realität darunter zu erkennen.[18]
Schon in einem Aufsatz „Hochschulreform und Protestbewegung“, dann auch in einem Brief an Erich Fried vom 26. Juli 1967 nahm Habermas seinen Vorwurf zurück:[19]
„Ich habe in Hannover vom ‚linken Faschismus‘ in einem klar hypothetischen Zusammenhang gesprochen.“
In einem Brief vom 13. Mai 1968 an C. Grossner schrieb er zudem:[19]
„Erstens habe ich damals nicht gesehen, dass die neuen Formen der Provokation ein sinnvolles, legitimes und sogar notwendiges Mittel sind, um Diskussionen dort, wo sie verweigert werden, zu erzwingen.
Zweitens hatte ich damals Angst vor den irrationalistischen Implikationen eines Vorgehens, das unter dem Topos ‚die Spielregeln brechen‘ eingeführt wurde. Diese Befürchtungen hege ich auch heute noch, daher hat sich die Intention meiner damaligen Bemerkung nicht geändert. Freilich würde ich […] heute […] das Etikett des linken Faschismus vermeiden, und zwar nicht nur, weil dieses Etikett das grobe Missverständnis einer Identifizierung des SDS mit den rechten Studenten Anfang der dreißiger Jahre hervorgerufen hat, sondern weil ich inzwischen überhaupt unsicher geworden bin, ob das eigentliche Neue an den gegenwärtigen Revolten durch geistesgeschichtliche Parallelen getroffen werden kann.
Drittens halte ich nach wie vor Gewaltanwendung in der gegenwärtigen Situation nicht für ein vertretbares Mittel des politischen Kampfes. In einer Lage hingegen, […] deren Unerträglichkeit keineswegs allgemein ins Bewußtsein getreten ist, […] müssen sich die handelnden Subjekte […] inhumane Folgen ihres Handelns moralisch zurechnen lassen.“
In einem am 5. Juni 1968 veröffentlichten Aufsatz stellte Habermas nicht mehr die befürchteten Folgen in den Vordergrund, sondern bejahte die teils neu erfundenen, teils aus anderen Ländern übernommenen Demonstrationsformen der westdeutschen Studenten und Schüler als geeignete Mittel für die Aufklärung der Bevölkerung über gegenwärtige Zustände des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Sie provozierten durch den „virtuellen Charakter eines Spiels“ und der „ironischen Verdopplung“ Abwehrreaktionen und könnten so einen „heilsamen Schock“ und „erstauntes Nachdenken“ erzeugen.[20]
Unter dem Eindruck von Medienberichten und Politikeraussagen gegen „Sympathisanten“ der RAF-Terroristen nahm Habermas kritische Intellektuelle 1977 vor dem Vorwurf des „Linksfaschismus“ in Schutz. Seine Aussage vom 9. Juni 1967 sei eine für deutsche Linke typische Überreaktion aufgrund ihrer besonderen Sensibilität für unbeabsichtigte Gewaltwirkungen von Ideen gewesen.[21]
Rezeption in der APO
In der Neuen Linken stieß der Faschismusvorwurf von Habermas auf energischen Widerspruch, zumal die Studentenbewegung damals häufig solchen Vorwürfen und Vergleichen ausgesetzt war. So bezeichnete der damalige Direktor der Frankfurter Universität, Walter Rüegg, ein geplantes Go-in von Studenten im November 1967 öffentlich als „Einübung faschistischer Terrormethoden“. Aus diesem Anlass schrieben Studenten und akademische Mitarbeiter der Universität in einem als Flugblatt verbreiteten offenen Brief:[22]
„Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des Linksfaschismus. Gegen die unreflektierte Verwendung derartiger Begriffe, gegen die Diffamierung unbequemer Minderheiten protestieren wir mit aller Entschiedenheit. Ein ehemaliger Bundeskanzler spricht ungeniert in nationalsozialistischem Jargon von ,Entartung'; seine Magnifizenz von faschistischem Terror dort, wo kritische Studenten ihre Lehrer zu rationaler Diskussion provozieren.“
„[…] der Vorwurf des Linksfaschismus ist Ausdruck einer Zerfallsstufe des bürgerlich-liberalen Bewußtseins, das von der fühlbaren Brüchigkeit der Institutionen und Regeln betroffen ist und doch in den sozialistischen Alternativen nur das Ende aller Sicherheit und Freiheit zu entdecken vermag […]. Der Linksfaschismus ist die Projektion der systemimmanenten Faschisierungstendenzen auf leicht diskriminierbare Randgruppen […]. Wer die Sicherheit der Freiheit dem Staat […] überläßt, ist Opfer einer fatalen Illusion: er glaubt an die Existenzfähigkeit einer Demokratie ohne Demokraten.“
Wolfgang Abendroth und Oskar Negt gaben verschiedene Antworten auf den Vorwurf von Habermas 1968 als Buch heraus.[24] Darauf reagierten verschiedene Autoren.[25]
APO-Anhänger griffen den Vorwurf auch in ironischer Form auf. Weil Theodor W. Adorno im Juli 1967 bei einem Vortrag über Goethe nicht über Ohnesorgs Tod diskutieren wollte, entrollten Anwesende ein Spruchband mit dem Satz „Berlins linke Faschisten grüßen Teddy den Klassizisten“.[26] Am 31. Januar 1969 ließ Adorno seinen Doktoranden Hans-Jürgen Krahl und andere Studenten, die im Institut für Sozialforschung einen Raum zum Diskutieren gesucht hatten, von der Polizei festnehmen und stellte Strafantrag gegen Krahl, in dessen Folge dieser wegen Hausfriedensbruchs verurteilt wurde. Herbert Marcuse sagte einen Besuch im Institut deswegen ab und verteidigte die Studenten brieflich gegenüber Adorno auch gegen den Vorwurf des „linken Faschismus“, den er als contradictio in adiecto („Widerspruch in sich“) bezeichnete. Adorno dagegen verteidigte den Begriff. Nach seinem Tod am 6. August 1969 schrieb Krahl in seinem Nachruf: Wie andere kritische Intellektuelle habe Adorno projiziert, „die sozialistische Aktion von links setze das Potenzial des faschistischen Terrors von rechts, das sie bekämpft, überhaupt erst frei. Damit aber ist jede Praxis apriori als blind aktionistisch denunziert.“[27]
2001 in einem Interview meinte der 68er Daniel Cohn-Bendit, linke Studenten hätten damals einen „Mangel an demokratischer Sensibilität“ gezeigt, dessen Erscheinungsform dem „faschistoiden Gebaren“ geähnelt habe. Dass Joschka Fischer mit drei anderen „Straßenkämpfern“ damals einen Polizisten mit Steinen in der Hand verprügelt habe, sei „Linksmachismus“ gewesen. „Unsere Selbstgerechtigkeit, unsere Unfähigkeit zu offenen Diskussionen […] ist ein wahrer wunder Punkt. […] Ich hätte schon viel früher zu dem Polizisten gehen sollen, der bei der Meinhof-Demonstration im Mai 1976 von einem Molotow-Cocktail schwer verletzt wurde.“ Gemeint war Jürgen Weber.[28]
„Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des Linksfaschismus. Gegen die unreflektierte Verwendung derartiger Begriffe, gegen die Diffamierung unbequemer Minderheiten protestieren wir mit aller Entschiedenheit. Ein ehemaliger Bundeskanzler spricht ungeniert in nationalsozialistischem Jargon von ,Entartung'; seine Magnifizenz von faschistischem Terror dort, wo kritische Studenten ihre Lehrer zu rationaler Diskussion provozieren.“
„[…] der Vorwurf des Linksfaschismus ist Ausdruck einer Zerfallsstufe des bürgerlich-liberalen Bewußtseins, das von der fühlbaren Brüchigkeit der Institutionen und Regeln betroffen ist und doch in den sozialistischen Alternativen nur das Ende aller Sicherheit und Freiheit zu entdecken vermag […]. Der Linksfaschismus ist die Projektion der systemimmanenten Faschisierungstendenzen auf leicht diskriminierbare Randgruppen […]. Wer die Sicherheit der Freiheit dem Staat […] überläßt, ist Opfer einer fatalen Illusion: er glaubt an die Existenzfähigkeit einer Demokratie ohne Demokraten.“
Wolfgang Abendroth und Oskar Negt gaben verschiedene Antworten auf den Vorwurf von Habermas 1968 als Buch heraus.[24] Darauf reagierten verschiedene Autoren.[25]
APO-Anhänger griffen den Vorwurf auch in ironischer Form auf. Weil Theodor W. Adorno im Juli 1967 bei einem Vortrag über Goethe nicht über Ohnesorgs Tod diskutieren wollte, entrollten Anwesende ein Spruchband mit dem Satz „Berlins linke Faschisten grüßen Teddy den Klassizisten“.[26] Am 31. Januar 1969 ließ Adorno seinen Doktoranden Hans-Jürgen Krahl und andere Studenten, die im Institut für Sozialforschung einen Raum zum Diskutieren gesucht hatten, von der Polizei festnehmen und stellte Strafantrag gegen Krahl, in dessen Folge dieser wegen Hausfriedensbruchs verurteilt wurde. Herbert Marcuse sagte einen Besuch im Institut deswegen ab und verteidigte die Studenten brieflich gegenüber Adorno auch gegen den Vorwurf des „linken Faschismus“, den er als contradictio in adiecto („Widerspruch in sich“) bezeichnete. Adorno dagegen verteidigte den Begriff. Nach seinem Tod am 6. August 1969 schrieb Krahl in seinem Nachruf: Wie andere kritische Intellektuelle habe Adorno projiziert, „die sozialistische Aktion von links setze das Potenzial des faschistischen Terrors von rechts, das sie bekämpft, überhaupt erst frei. Damit aber ist jede Praxis apriori als blind aktionistisch denunziert.“[27]
2001 in einem Interview meinte der 68er Daniel Cohn-Bendit, linke Studenten hätten damals einen „Mangel an demokratischer Sensibilität“ gezeigt, dessen Erscheinungsform dem „faschistoiden Gebaren“ geähnelt habe. Dass Joschka Fischer mit drei anderen „Straßenkämpfern“ damals einen Polizisten mit Steinen in der Hand verprügelt habe, sei „Linksmachismus“ gewesen. „Unsere Selbstgerechtigkeit, unsere Unfähigkeit zu offenen Diskussionen […] ist ein wahrer wunder Punkt. […] Ich hätte schon viel früher zu dem Polizisten gehen sollen, der bei der Meinhof-Demonstration im Mai 1976 von einem Molotow-Cocktail schwer verletzt wurde.“ Gemeint war Jürgen Weber.[28]
Sonstige Rezeption
In der aufgeheizten Lage nach der Erschießung Ohnesorgs 1967 griffen viele Medienkommentatoren das Schlagwort auf, benutzten es zur Diffamierung der Studentenbewegung und deuteten Dutschkes Konzept als Einladung zu und Inkaufnahme von illegitimer Gewalt gegen Menschen. So bezeichnete die Bildzeitung demonstrierende linksgerichtete Studenten am 3. Juni 1967 als „rote SA“.[29] Chefredakteur Peter Boenisch nannte sie oft „Linksfaschisten“.[30]
Auch Politiker benutzten das Schlagwort oder sinngemäße Vergleiche damals gegen die Studentenbewegung: etwa Franz Josef Strauß (CSU), Rainer Barzel (CDU), Herbert Wehner (SPD) und Heinz Kühn (SPD).[31] Horst Ehmke (SPD) etwa sagte bei einem SPD-Parteitag 1968:[32]
„Soweit sie [die anti-liberale action directe] Diskussionen sprengt, Vorlesungen stört, Zeitungen verbrennt und Fensterscheiben einschlägt, verdient sie durchaus als ‚pseudo-linker Faschismus‘ bezeichnet zu werden. Diese Art von Protest wird an den bestehenden Mängeln unserer Gesellschaft nicht das Geringste ändern. Sie wird vielmehr die Reaktion in diesem Lande stärken, Faschismus nicht ‚herauslocken‘, sondern mitproduzieren.“
Die CDU gab für den Bundestagswahlkampf 1969 einen „Leitfaden für den Umgang mit der APO“ heraus, in dem es zum Stichwort „faschistoid“ hieß:[33]
„Faschistoid ist nach Meinung der Linken unsere Gesellschaft, da sie sich ‚faschistischer‘ Methoden bedient. […] Faschismus aber ist ein politisches System, das auf Gewalt aufbaut und insbesondere gegen die Demokratie gerichtet ist. Insofern sind die Gewaltanwendungen des SDS […] ein klarer Beweis eines linken Faschismus.“
Diese Sicht wird als Reaktion auf Faschismusvorwürfe seitens der 68er-Generation an die Elterngeneration, die die NS-Zeit erlebt hatte, gedeutet:[34]
„Nur allzu gern übernahm man also auf Seiten des ‚Establishments‘ den von Jürgen Habermas missverständlich formulierten und später korrigierten Vorwurf des ‚Linksfaschismus‘, schien dieser doch die eigenen, anti-totalitaristisch formulierten Vorbehalte perfekt auf den Punkt zu bringen. Allgegenwart und Willkür des Faschismusvorwurfs waren die Folge. Avancierte dabei das Adjektiv ‚faschistoid‘ zum Modewort der späten sechziger Jahre, standen sich die Kontrahenten in Sachen grotesker Geschichtsanalogien in Nichts nach.“
Nach Terroranschlägen der RAF sagte der Journalist Gerhard Löwenthal am 12. Januar 1972 im ZDF-Magazin: „Die Sympathisanten des Linksfaschismus, die Bölls und Brückners und all die anderen sogenannten Intellektuellen, sind nicht einen Deut besser, als die geistigen Schrittmacher der Nazis.“[35] Die Aussage griff den Dichter Heinrich Böll, den Sozialpsychologen Peter Brückner und andere an, die vor Hysterie und Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien im Zuge der staatlichen Antiterrormaßnahmen gewarnt hatten, und löste einen anhaltenden Skandal aus.[36] Ein Namensvetter Heinrich Bölls erhielt nach der Sendung viele Drohbriefe und Drohanrufe, durch die er erkrankte.[37]
Joachim Fest warf dem Dramatiker Rainer Werner Fassbinder im März 1976 vor, sein noch nicht aufgeführtes Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod sei antisemitischer Ausdruck eines Linksfaschismus.[38] Fest wurde daraufhin scharf kritisiert: Er habe die politische Linke pauschal mit Faschismus und diesen mit Antisemitismus gleichgesetzt, um so dem bis dahin leeren Vorwurf des Linksfaschismus einen (falschen) Inhalt zu geben. Dies sei eine gezielte Selbst- und Lesertäuschung.[39]
Klaus Farin konstatierte 1997, dass wechselseitige Faschismusvorwürfe zwischen Skinheads und Autonomen ein verbreitetes Kommunikationsmuster seien:[40]
„Immer wiederkehrend, vor allem bei direkten Auseinandersetzungen auf der Straße, ist die Retourkutsche mit demselben Inhalt: dem (Links-)Faschismus-Vorwurf. Beiderseits wird der Begriff in inflationärer Weise gleichbedeutend mit undemokratisch, erpresserisch usw. verwendet. Durch diese schärfste aller Anschuldigungen eskalieren die Konflikte, Endlosdiskussionen und Kurzschlusshandlungen sind die Folge.“
Rechtsextremisten, etwa Angehörige der NPD, und Vertreter der Neuen Rechten benutzen den Begriff seit den 1960er Jahren, besonders seit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990, zur Diffamierung politischer Gegner, so auch für Angehörige demokratischer Parteien.[41] So schrieb etwa Klaus Hornung im Jahr 2000:[42]
„Die (extreme) Linke war schon immer Meister im Besetzen der Begriffe und damit der Köpfe – beginnend mit Marx und Lenin. Der rot-grüne Block in Deutschland und seine willigen Helfer in den Medien haben diese Tradition seit Jahren erfolgreich fortgesetzt. Es ist ihnen gelungen, den eigenen politischen Standpunkt und Willen als den allein „demokratischen“ auszugeben und die Gegner mit den Begriffs-Keulen ‚Faschismus‘, ‚Rassismus‘, ‚Fremdenfeindlichkeit‘ etc. zu belegen und damit a priori aus dem politischen Diskurs auszuschalten. […] Der Linksfaschismus marschiert im Gewand der antifaschistischen Demokratie.“
Thilo Sarrazin bezeichnete Gegner nach einer Absage einer Diskussion um sein Buch Deutschland schafft sich ab laut Bild-Zeitung vom Januar 2011 als „Linksfaschisten“, die freie Meinungsäußerungen verhinderten, und verglich sie diesbezüglich mit nationalsozialistischen Studenten. Dies wies die Technische Universität Berlin als Veranstalter öffentlich zurück.[43]
In der aufgeheizten Lage nach der Erschießung Ohnesorgs 1967 griffen viele Medienkommentatoren das Schlagwort auf, benutzten es zur Diffamierung der Studentenbewegung und deuteten Dutschkes Konzept als Einladung zu und Inkaufnahme von illegitimer Gewalt gegen Menschen. So bezeichnete die Bildzeitung demonstrierende linksgerichtete Studenten am 3. Juni 1967 als „rote SA“.[29] Chefredakteur Peter Boenisch nannte sie oft „Linksfaschisten“.[30]
Auch Politiker benutzten das Schlagwort oder sinngemäße Vergleiche damals gegen die Studentenbewegung: etwa Franz Josef Strauß (CSU), Rainer Barzel (CDU), Herbert Wehner (SPD) und Heinz Kühn (SPD).[31] Horst Ehmke (SPD) etwa sagte bei einem SPD-Parteitag 1968:[32]
„Soweit sie [die anti-liberale action directe] Diskussionen sprengt, Vorlesungen stört, Zeitungen verbrennt und Fensterscheiben einschlägt, verdient sie durchaus als ‚pseudo-linker Faschismus‘ bezeichnet zu werden. Diese Art von Protest wird an den bestehenden Mängeln unserer Gesellschaft nicht das Geringste ändern. Sie wird vielmehr die Reaktion in diesem Lande stärken, Faschismus nicht ‚herauslocken‘, sondern mitproduzieren.“
Die CDU gab für den Bundestagswahlkampf 1969 einen „Leitfaden für den Umgang mit der APO“ heraus, in dem es zum Stichwort „faschistoid“ hieß:[33]
„Faschistoid ist nach Meinung der Linken unsere Gesellschaft, da sie sich ‚faschistischer‘ Methoden bedient. […] Faschismus aber ist ein politisches System, das auf Gewalt aufbaut und insbesondere gegen die Demokratie gerichtet ist. Insofern sind die Gewaltanwendungen des SDS […] ein klarer Beweis eines linken Faschismus.“
Diese Sicht wird als Reaktion auf Faschismusvorwürfe seitens der 68er-Generation an die Elterngeneration, die die NS-Zeit erlebt hatte, gedeutet:[34]
„Nur allzu gern übernahm man also auf Seiten des ‚Establishments‘ den von Jürgen Habermas missverständlich formulierten und später korrigierten Vorwurf des ‚Linksfaschismus‘, schien dieser doch die eigenen, anti-totalitaristisch formulierten Vorbehalte perfekt auf den Punkt zu bringen. Allgegenwart und Willkür des Faschismusvorwurfs waren die Folge. Avancierte dabei das Adjektiv ‚faschistoid‘ zum Modewort der späten sechziger Jahre, standen sich die Kontrahenten in Sachen grotesker Geschichtsanalogien in Nichts nach.“
Nach Terroranschlägen der RAF sagte der Journalist Gerhard Löwenthal am 12. Januar 1972 im ZDF-Magazin: „Die Sympathisanten des Linksfaschismus, die Bölls und Brückners und all die anderen sogenannten Intellektuellen, sind nicht einen Deut besser, als die geistigen Schrittmacher der Nazis.“[35] Die Aussage griff den Dichter Heinrich Böll, den Sozialpsychologen Peter Brückner und andere an, die vor Hysterie und Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien im Zuge der staatlichen Antiterrormaßnahmen gewarnt hatten, und löste einen anhaltenden Skandal aus.[36] Ein Namensvetter Heinrich Bölls erhielt nach der Sendung viele Drohbriefe und Drohanrufe, durch die er erkrankte.[37]
Joachim Fest warf dem Dramatiker Rainer Werner Fassbinder im März 1976 vor, sein noch nicht aufgeführtes Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod sei antisemitischer Ausdruck eines Linksfaschismus.[38] Fest wurde daraufhin scharf kritisiert: Er habe die politische Linke pauschal mit Faschismus und diesen mit Antisemitismus gleichgesetzt, um so dem bis dahin leeren Vorwurf des Linksfaschismus einen (falschen) Inhalt zu geben. Dies sei eine gezielte Selbst- und Lesertäuschung.[39]
Klaus Farin konstatierte 1997, dass wechselseitige Faschismusvorwürfe zwischen Skinheads und Autonomen ein verbreitetes Kommunikationsmuster seien:[40]
„Immer wiederkehrend, vor allem bei direkten Auseinandersetzungen auf der Straße, ist die Retourkutsche mit demselben Inhalt: dem (Links-)Faschismus-Vorwurf. Beiderseits wird der Begriff in inflationärer Weise gleichbedeutend mit undemokratisch, erpresserisch usw. verwendet. Durch diese schärfste aller Anschuldigungen eskalieren die Konflikte, Endlosdiskussionen und Kurzschlusshandlungen sind die Folge.“
Rechtsextremisten, etwa Angehörige der NPD, und Vertreter der Neuen Rechten benutzen den Begriff seit den 1960er Jahren, besonders seit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990, zur Diffamierung politischer Gegner, so auch für Angehörige demokratischer Parteien.[41] So schrieb etwa Klaus Hornung im Jahr 2000:[42]
„Die (extreme) Linke war schon immer Meister im Besetzen der Begriffe und damit der Köpfe – beginnend mit Marx und Lenin. Der rot-grüne Block in Deutschland und seine willigen Helfer in den Medien haben diese Tradition seit Jahren erfolgreich fortgesetzt. Es ist ihnen gelungen, den eigenen politischen Standpunkt und Willen als den allein „demokratischen“ auszugeben und die Gegner mit den Begriffs-Keulen ‚Faschismus‘, ‚Rassismus‘, ‚Fremdenfeindlichkeit‘ etc. zu belegen und damit a priori aus dem politischen Diskurs auszuschalten. […] Der Linksfaschismus marschiert im Gewand der antifaschistischen Demokratie.“
Thilo Sarrazin bezeichnete Gegner nach einer Absage einer Diskussion um sein Buch Deutschland schafft sich ab laut Bild-Zeitung vom Januar 2011 als „Linksfaschisten“, die freie Meinungsäußerungen verhinderten, und verglich sie diesbezüglich mit nationalsozialistischen Studenten. Dies wies die Technische Universität Berlin als Veranstalter öffentlich zurück.[43]
Bezeichnung für Realsozialismus (Peter Sloterdijk)
Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk plädierte 1999, etwa in der Elmauer Rede, mit Begriffen wie „Menschenzucht“ und „Anthropotechnik“ dafür, Keimbahntherapie und pränatale Diagnostik samt Selektion von „fehlerhaften“ Embryonen gesetzlich zum Regelfall zu erheben. Daraufhin bezeichnete Habermas Sloterdijks Rede in einem Privatbrief als „genuin faschistisch“. Sloterdijk antwortete, Habermas versuche, „eine ganze Nation mit seinen linksfaschistischen Agitationen zu bewegen“. Die Kritische Theorie sei „tot“.[44] Die Philosophie solle sich endlich zu einer „kopernikanischen Mobilmachung“ bekennen und eine „ptolemäische Abrüstung“ vornehmen. Er meinte damit das Ablegen von aus seiner Sicht überholten, marxistisch beeinflussten Ideologien, besonders im Bereich der Sozialwissenschaften.[45]
In einem Interview sagte Peter Sloterdijk 2005:[46]
„Dass sich der linke Faschismus als Kommunismus zu präsentieren beliebte, war eine Falle für Moralisten. Mao Tse-tung war nie etwas anderes als ein linksfaschistischer chinesischer Nationalist, der anfangs den Jargon der Moskauer Internationale pflegte. Gegen Maos fröhlichen Exterminismus gehalten, erscheint Hitler wie ein rachitischer Briefträger. Doch man scheut noch immer den Vergleich der Monstren. Das massivste ideologische Manöver des Jahrhunderts bestand ja darin, dass der linke Faschismus nach 1945 den rechten lauthals anklagte, um ja als dessen Opponent zu gelten. In Wahrheit ging es immer nur um Selbstamnestie. Je mehr die Unverzeihlichkeit der Untaten von rechts exponiert wurde, desto mehr verschwanden die der Linken aus der Sichtlinie.“
Sloterdijk bezeichnete „den Linksfaschismus“ 2006 in seinem Werk „Zorn und Zeit“ als „vorherrschendes Sprachspiel“ im Antifaschismus der Nachkriegszeit, des Stalinismus und der Neuen Linken. Er bezog den Begriff auf den gesamten Realsozialismus unter Lenin, Stalin und Mao. Er listete Merkmale auf, die deren Systeme für ihn mit dem Nationalsozialismus vergleichbar machen, darunter ein Führerprinzip, Militarismus, Zentralismus, Kollektivismus, Demokratiefeindlichkeit, Misstrauen gegen Individualismus und Pluralismus, Monopolisierung des öffentlichen Raums und der Medien durch Parteipropaganda, die Aufhebung des neuzeitlichen Tötungsverbots im Dienst der als gut erklärten Sache und weitere.[47]
Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk plädierte 1999, etwa in der Elmauer Rede, mit Begriffen wie „Menschenzucht“ und „Anthropotechnik“ dafür, Keimbahntherapie und pränatale Diagnostik samt Selektion von „fehlerhaften“ Embryonen gesetzlich zum Regelfall zu erheben. Daraufhin bezeichnete Habermas Sloterdijks Rede in einem Privatbrief als „genuin faschistisch“. Sloterdijk antwortete, Habermas versuche, „eine ganze Nation mit seinen linksfaschistischen Agitationen zu bewegen“. Die Kritische Theorie sei „tot“.[44] Die Philosophie solle sich endlich zu einer „kopernikanischen Mobilmachung“ bekennen und eine „ptolemäische Abrüstung“ vornehmen. Er meinte damit das Ablegen von aus seiner Sicht überholten, marxistisch beeinflussten Ideologien, besonders im Bereich der Sozialwissenschaften.[45]
In einem Interview sagte Peter Sloterdijk 2005:[46]
„Dass sich der linke Faschismus als Kommunismus zu präsentieren beliebte, war eine Falle für Moralisten. Mao Tse-tung war nie etwas anderes als ein linksfaschistischer chinesischer Nationalist, der anfangs den Jargon der Moskauer Internationale pflegte. Gegen Maos fröhlichen Exterminismus gehalten, erscheint Hitler wie ein rachitischer Briefträger. Doch man scheut noch immer den Vergleich der Monstren. Das massivste ideologische Manöver des Jahrhunderts bestand ja darin, dass der linke Faschismus nach 1945 den rechten lauthals anklagte, um ja als dessen Opponent zu gelten. In Wahrheit ging es immer nur um Selbstamnestie. Je mehr die Unverzeihlichkeit der Untaten von rechts exponiert wurde, desto mehr verschwanden die der Linken aus der Sichtlinie.“
Sloterdijk bezeichnete „den Linksfaschismus“ 2006 in seinem Werk „Zorn und Zeit“ als „vorherrschendes Sprachspiel“ im Antifaschismus der Nachkriegszeit, des Stalinismus und der Neuen Linken. Er bezog den Begriff auf den gesamten Realsozialismus unter Lenin, Stalin und Mao. Er listete Merkmale auf, die deren Systeme für ihn mit dem Nationalsozialismus vergleichbar machen, darunter ein Führerprinzip, Militarismus, Zentralismus, Kollektivismus, Demokratiefeindlichkeit, Misstrauen gegen Individualismus und Pluralismus, Monopolisierung des öffentlichen Raums und der Medien durch Parteipropaganda, die Aufhebung des neuzeitlichen Tötungsverbots im Dienst der als gut erklärten Sache und weitere.[47]
Bezeichnung für „Nationalen Sozialismus“
Manche Historiker und Politikwissenschaftler haben sozialistische und antikapitalistische Programmpunkte und Ideologiebestandteile faschistischer Gruppen als „Linksfaschismus“ bezeichnet, den Begriff also historisch-analytisch etwa für einen Nationalen Sozialismus verwendet. Peter von Oertzen sah in der völkisch-antikapitalistischen Komponente einen Grundzug des Faschismus überhaupt, der diesen vom Rechtsradikalismus bürgerlicher und reaktionärer Parteien der Weimarer Zeit unterschieden habe.[48]
Johannes Agnoli ordnete den antikapitalistischen Flügel der NSDAP um Otto und Gregor Strasser als Linksfaschismus ein. Adolf Hitler hatte diese Vertreter 1926 entmachtet und ließ sie und weitere innerparteiliche Gegner 1934 im angeblichen Röhm-Putsch ermorden.[49]
Otto-Ernst Schüddekopf benutzte den Begriff für faschistische Bewegungen in Europa nach 1945, die ihm zufolge ernsthaft den Sozialismus anstrebten:[50]
„Die französischen Faschisten Marcel Déat, Eugene Deloncle, Jacques Doriot und Valois kamen vom Sozialismus und waren bestrebt, ihn in einer nationalen Form zu realisieren. Auch im Faschismus Mosleys war die sozialistische Komponente durchaus ernst zu nehmen. Seine an Keynes orientieren wirtschaftspolitischen Auffassungen hatte er in der Labour Party und sogar in der linksgerichteten Independent Labour Party entwickelt. Es ging ihm in erster Linie um die Überwindung der Arbeitslosigkeit und die Schaffung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse.“
So wurden das Programm der Rassemblement National Populaire (RNP) in Frankreich[51] und der Peronismus in Argentinien als Linksfaschismus eingeordnet.[52]
Manche Historiker und Politikwissenschaftler haben sozialistische und antikapitalistische Programmpunkte und Ideologiebestandteile faschistischer Gruppen als „Linksfaschismus“ bezeichnet, den Begriff also historisch-analytisch etwa für einen Nationalen Sozialismus verwendet. Peter von Oertzen sah in der völkisch-antikapitalistischen Komponente einen Grundzug des Faschismus überhaupt, der diesen vom Rechtsradikalismus bürgerlicher und reaktionärer Parteien der Weimarer Zeit unterschieden habe.[48]
Johannes Agnoli ordnete den antikapitalistischen Flügel der NSDAP um Otto und Gregor Strasser als Linksfaschismus ein. Adolf Hitler hatte diese Vertreter 1926 entmachtet und ließ sie und weitere innerparteiliche Gegner 1934 im angeblichen Röhm-Putsch ermorden.[49]
Otto-Ernst Schüddekopf benutzte den Begriff für faschistische Bewegungen in Europa nach 1945, die ihm zufolge ernsthaft den Sozialismus anstrebten:[50]
„Die französischen Faschisten Marcel Déat, Eugene Deloncle, Jacques Doriot und Valois kamen vom Sozialismus und waren bestrebt, ihn in einer nationalen Form zu realisieren. Auch im Faschismus Mosleys war die sozialistische Komponente durchaus ernst zu nehmen. Seine an Keynes orientieren wirtschaftspolitischen Auffassungen hatte er in der Labour Party und sogar in der linksgerichteten Independent Labour Party entwickelt. Es ging ihm in erster Linie um die Überwindung der Arbeitslosigkeit und die Schaffung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse.“
So wurden das Programm der Rassemblement National Populaire (RNP) in Frankreich[51] und der Peronismus in Argentinien als Linksfaschismus eingeordnet.[52]
Vereinigte Staaten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Vor den Halbzeitwahlen 1946 beschimpften Vertreter der Republikaner die Demokratische Partei als red fascists („rote Faschisten“). Dies drückte ihre Ablehnung der Anti-Hitler-Koalition mit der Sowjetunion und der bisherigen Politik Franklin D. Roosevelts im aufkommenden Kalten Krieg aus.[53] Das Blackmailing (öffentliche Denunzieren mit Namenslisten) missliebiger Personen, vielfach von Schwarzen, Künstlern und Intellektuellen, als red fascists verbreitete sich 1947 auch in Fernsehgesellschaften der USA.[54] 1948 war red fascists im McCarthyismus bereits ein gängiger Ausdruck für alle vermuteten Kommunisten und ihre Anhänger in allen gesellschaftlichen Bereichen der USA geworden, etwa in den Gewerkschaften, Universitäten und Medien.[55] Nach der Entmachtung McCarthys 1954 gebrauchte J. Edgar Hoover, der Gründer und langjährige Leiter des FBI, die Begriffe red fascists oder communazis weiterhin für alle Personen, die er für Kommunisten hielt: darunter viele deutsche Antifaschisten, die in der NS-Zeit in die USA geflohen waren.[56]
Der US-amerikanische Soziologe Lewis Samuel Feuer deutete die Neue Linke als left wing fascism und erklärte diesen aus einem Generationenkonflikt.[57] Auch Irving Louis Horowitz kennzeichnete die Studentenbewegung der 1960er Jahre 1970 als neuen, linksgerichteten Faschismus.[58] 1981 beschrieb Horowitz einen gegenwärtigen left-wing fascism als „infantile Unordnung“. Er bezog sich dabei auf den Linksterrorismus, den er als Ergebnis der Ideen der Frankfurter Schule deutete. Der linke habe viel vom rechten Faschismus gelernt, sei aber urban und elitär. In ihm drücke sich ein Klassengegensatz in der Industriegesellschaft aus.[59]
Vor den Halbzeitwahlen 1946 beschimpften Vertreter der Republikaner die Demokratische Partei als red fascists („rote Faschisten“). Dies drückte ihre Ablehnung der Anti-Hitler-Koalition mit der Sowjetunion und der bisherigen Politik Franklin D. Roosevelts im aufkommenden Kalten Krieg aus.[53] Das Blackmailing (öffentliche Denunzieren mit Namenslisten) missliebiger Personen, vielfach von Schwarzen, Künstlern und Intellektuellen, als red fascists verbreitete sich 1947 auch in Fernsehgesellschaften der USA.[54] 1948 war red fascists im McCarthyismus bereits ein gängiger Ausdruck für alle vermuteten Kommunisten und ihre Anhänger in allen gesellschaftlichen Bereichen der USA geworden, etwa in den Gewerkschaften, Universitäten und Medien.[55] Nach der Entmachtung McCarthys 1954 gebrauchte J. Edgar Hoover, der Gründer und langjährige Leiter des FBI, die Begriffe red fascists oder communazis weiterhin für alle Personen, die er für Kommunisten hielt: darunter viele deutsche Antifaschisten, die in der NS-Zeit in die USA geflohen waren.[56]
Der US-amerikanische Soziologe Lewis Samuel Feuer deutete die Neue Linke als left wing fascism und erklärte diesen aus einem Generationenkonflikt.[57] Auch Irving Louis Horowitz kennzeichnete die Studentenbewegung der 1960er Jahre 1970 als neuen, linksgerichteten Faschismus.[58] 1981 beschrieb Horowitz einen gegenwärtigen left-wing fascism als „infantile Unordnung“. Er bezog sich dabei auf den Linksterrorismus, den er als Ergebnis der Ideen der Frankfurter Schule deutete. Der linke habe viel vom rechten Faschismus gelernt, sei aber urban und elitär. In ihm drücke sich ein Klassengegensatz in der Industriegesellschaft aus.[59]
Siehe auch
Literatur
- Julius H. Schoeps, Christopher Dannemann: Die rebellischen Studenten. Elite der Demokratie oder Vorhut eines linken Faschismus? Bechtle, 1968.
- Oskar Negt: Studentischer Protest, Liberalismus, 'Linksfaschismus'. Kursbuch 13, 1968, S. 179–189. In: Oskar Negt: Politik als Protest. Reden und Aufsätze zur antiautoritären Bewegung. Frankfurt am Main 1971
- Oskar Negt, Wolfgang Abendroth (Hrsg.): Die Linke antwortet Jürgen Habermas. Europäische Verlagsanstalt, 1969
- Johannes Agnoli: Zur Faschismusdiskussion: ein Beitrag zur Bestimmung des Verhältnisses von Politik und Ökonomie und der Funktion des heutigen bürgerlichen Staates. Verlag O, 1973, S. 43 ff.
- Ernst Nolte: Studentenbewegung und „Linksfaschismus“. In: Ernst Nolte: Marxismus, Faschismus, Kalter Krieg. Vorträge und Aufsätze 1964–1976. (1977) Deutsche Verlags-Anstalt, Berlin 1985, ISBN 3-421-01824-3, S. 237–252.
- Wolfgang Fritz Haug: „Linksfaschismus“. In: Wolfgang Fritz Haug: Vom hilflosen Antifaschismus zur Gnade der späten Geburt. Argument, Berlin 1987, ISBN 3-88619-309-8
- Wolfgang Kraushaar: Entschlossenheit: Dezisionismus als Denkfigur. In: Die RAF und der linke Terrorismus. Zwei Bände, Hamburger Edition, Hamburg 2006, ISBN 3-936096-65-1, S. 140–156.
- Heidrun Kämper: Aspekte des Demokratiediskurses der späten 1960er Jahre: Konstellationen – Kontexte – Konzepte. Walter de Gruyter, Berlin 2012, ISBN 978-3-11-026342-8, Kapitel 4.2.2 (Stigmatisierung: „Das Gespenst des Faschismus“, S. 84–104)
- Heidrun Kämper: Wörterbuch zum Demokratiediskurs 1967/68. Walter de Gruyter, Berlin 2013, ISBN 3-05-006511-7 (Stichwort Faschismus, S. 409–413 und öfter)
- Julius H. Schoeps, Christopher Dannemann: Die rebellischen Studenten. Elite der Demokratie oder Vorhut eines linken Faschismus? Bechtle, 1968.
- Oskar Negt: Studentischer Protest, Liberalismus, 'Linksfaschismus'. Kursbuch 13, 1968, S. 179–189. In: Oskar Negt: Politik als Protest. Reden und Aufsätze zur antiautoritären Bewegung. Frankfurt am Main 1971
- Oskar Negt, Wolfgang Abendroth (Hrsg.): Die Linke antwortet Jürgen Habermas. Europäische Verlagsanstalt, 1969
- Johannes Agnoli: Zur Faschismusdiskussion: ein Beitrag zur Bestimmung des Verhältnisses von Politik und Ökonomie und der Funktion des heutigen bürgerlichen Staates. Verlag O, 1973, S. 43 ff.
- Ernst Nolte: Studentenbewegung und „Linksfaschismus“. In: Ernst Nolte: Marxismus, Faschismus, Kalter Krieg. Vorträge und Aufsätze 1964–1976. (1977) Deutsche Verlags-Anstalt, Berlin 1985, ISBN 3-421-01824-3, S. 237–252.
- Wolfgang Fritz Haug: „Linksfaschismus“. In: Wolfgang Fritz Haug: Vom hilflosen Antifaschismus zur Gnade der späten Geburt. Argument, Berlin 1987, ISBN 3-88619-309-8
- Wolfgang Kraushaar: Entschlossenheit: Dezisionismus als Denkfigur. In: Die RAF und der linke Terrorismus. Zwei Bände, Hamburger Edition, Hamburg 2006, ISBN 3-936096-65-1, S. 140–156.
- Heidrun Kämper: Aspekte des Demokratiediskurses der späten 1960er Jahre: Konstellationen – Kontexte – Konzepte. Walter de Gruyter, Berlin 2012, ISBN 978-3-11-026342-8, Kapitel 4.2.2 (Stigmatisierung: „Das Gespenst des Faschismus“, S. 84–104)
- Heidrun Kämper: Wörterbuch zum Demokratiediskurs 1967/68. Walter de Gruyter, Berlin 2013, ISBN 3-05-006511-7 (Stichwort Faschismus, S. 409–413 und öfter)
Faschismustheorie
Faschismustheorien sind wissenschaftliche Theorien, die das historische Phänomen des Faschismus in seinen wesentlichen Merkmalen und Ursachen zu beschreiben und zu erklären versuchen. In den Geschichts- und Sozialwissenschaften wurden dazu verschiedene theoretische Ansätze entwickelt, die sich vor allem in der Einschätzung unterscheiden, welche Merkmale faschistischer Bewegungen als charakteristisch beziehungsweise paradigmatisch anzusehen sind, und welche gesellschaftlichen und historischen Faktoren zur Entstehung dieser Bewegungen geführt haben.[1]
Historischer Überblick
Das Gedankengut, das der faschistischen Ideologie und den sie tragenden nationalistischen, kollektivistischen[2] bzw. korporativen Bewegungen zugrunde lag, entwickelte sich im Wesentlichen vor dem Ersten Weltkrieg[3] (Präfaschismus) und begann nach dessen Ende im politischen Raum Wirkung zu entfalten.[4]
Seit den frühen 1920er Jahren wurden – parallel zum Aufstieg des italienischen Faschismus – zahlreiche unterschiedliche Interpretationen und Theorien über das Wesen und die Ursachen des Faschismus entwickelt. Ausgehend von der jeweiligen wissenschaftlichen Perspektive ihrer Verfasser haben diese Theorien entweder soziologische, sozialökonomische oder sozialpsychologische Schwerpunkte. Die frühen Theorieansätze betrachteten die Ideologie und Politik der Partei Benito Mussolinis als bestimmendes Merkmal auch anderer vergleichbarer Bewegungen in Europa. Vor allem den deutschen Nationalsozialismus verstanden sie als extreme Form des Faschismus. Während dieser zwar nur in Italien und Deutschland zu staatlicher Macht gelangte, hat er in den Jahren 1920–1940 auch in vielen anderen europäischen Ländern gesellschaftlich und politisch einflussreiche Bewegungen und Parteien hervorgebracht.[5]
In mehreren Beschlüssen der Kommunistischen Internationale wurde der Faschismus 1924–1935 als „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ definiert (Georgi Dimitroff). Der Sozialfaschismus, gemeint war die Sozialdemokratie, wurde zum weltpolitischen Gegner erklärt, den es vorrangig zu bekämpfen gelte.
Im realsozialistischen Osteuropa des Ostblocks, insbesondere in der DDR, wurden vor allem der Nationalsozialismus, aber auch andere antikommunistische, rechtsautoritäre, und sozialdemokratische Bewegungen oder Parteien als „faschistisch“ oder „faschistoid“ bezeichnet.[6] Auch die Bezeichnung Hitlerfaschismus für die Ideologie und die Zeit des Nationalsozialismus war gebräuchlich, da die Bezeichnung nationalsozialistisch das Wort „sozialistisch“ beinhaltet und man diese Konnotation vermeiden wollte.
Auch der westeuropäische Marxismus betrachtete den Faschismus unter sozioökonomischen Gesichtspunkten als Ausdruck und Folge einer tiefen Krise des Monopolkapitalismus. An einer Klassenanalyse orientierte Ansätze variierten von einer Agententheorie über die These eines sich gegen Bourgeoisie und Proletariat zugleich radikalisierenden Mittelstandes, auch als Folge einer Auflösung der traditionellen Klassenstruktur, bis hin zu der These, der Faschismus sei ein neuer Bonapartismus, der eine Lücke innerhalb der sich neutralisierenden Klassenkräfte ausnutze.
Diese frühen, meist zu einer monokausalen bzw. reduktionistischen Betrachtungsweise tendierenden Faschismustheorien gelten heute als überholt.[7]
In Deutschland gewannen frühzeitig Erklärungsansätze Gewicht, die sich – über Marx hinaus – an der Psychoanalyse Sigmund Freuds orientierten, um u. a. die erstaunliche Fähigkeit faschistischer Bewegungen zur Massenmobilisierung zu erklären (z. B. die „Sexualökonomie“ von Wilhelm Reich). Später untersuchten die Arbeiten der Frankfurter Schule die Anfälligkeit kleinbürgerlicher Schichten für die massenhafte Entwicklung einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur, den „autoritären Charakter“ und damit einhergehend für das Führerprinzip. Dieser – in Deutschland im Wesentlichen in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik entstandene – Sozialcharakter wurde als wesentliche sozialpsychologische Grundlage faschistischer Gesellschaftsstrukturen angesehen.
Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus traten politökonomische Faschismustheorien in den Vordergrund. Hermann Heller, Rudolf Hilferding, Richard Löwenthal, Franz Borkenau und andere legten Faschismusstudien vor, die auch die „Faschisierung“ ganz Europas im Gefolge der nationalsozialistischen Machtergreifung und den darauf folgenden Funktionswandel des Liberalismus analysierten. Eigenständig waren Ernst Fraenkels These vom „Doppelstaat“ und Franz Neumanns These vom totalitären „Nicht-Staat“.
Nach 1945 dominierten in Westeuropa und den USA vor allem die Totalitarismustheorien, die Faschismus und Realsozialismus als wesensähnliche Diktaturen betrachteten. Sie lebten in Form der Thesen von Ernst Nolte („Der Faschismus in seiner Epoche“) in den 1980er Jahren nochmals auf. Die Totalitarismustheorien waren bemüht, die westlichen, parlamentarischen Systeme als anzustrebende Gesellschaftsformen darzustellen und linke und rechte Diktaturen als gleichermaßen davon abweichende Verfehlungen zu präsentieren.
In der westdeutschen Studentenbewegung erlebten neomarxistische Faschismustheorien im Gefolge der Frankfurter Schule eine neue Blütezeit.
Heute stehen in der Faschismusforschung vergleichende soziologische Ansätze im Vordergrund (vergleiche Anmerkung 1).
Definitionen des Faschismusbegriffs
Im Allgemeinen wird Faschismus als historisch-politischer Oberbegriff für verschiedene rechtsgerichtete, antidemokratische Bewegungen oder Diktaturen, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, benutzt.
Wenngleich über die detailreicheren bestimmenden Merkmale und die Entstehungsbedingungen faschistischer Bewegungen bis heute kein Konsens herrscht, wurden in neuerer Zeit doch Definitionen erarbeitet, die wesentliche konstitutive Bestandteile dieser Bewegungen und ihres ideologischen Gedankenguts erfassen.
Im Jahr 2004 formulierte der US-amerikanische Politikwissenschaftler Matthew Lyons folgende Faschismusdefinition:
- „Faschismus ist eine Form rechtsextremer Ideologie, die die Nation oder Rasse als organische Gemeinschaft, die alle anderen Loyalitäten übersteigt, verherrlicht. Er betont einen Mythos von nationaler oder rassischer Wiedergeburt nach einer Periode des Niedergangs und Zerfalls. Zu diesem Zweck ruft Faschismus nach einer ‚spirituellen Revolution‘ gegen Zeichen des moralischen Niedergangs wie Individualismus und Materialismus und zielt darauf, die organische Gemeinschaft von 'andersartigen' Kräften und Gruppen, die sie bedrohen, zu reinigen. Faschismus tendiert dazu, Männlichkeit, Jugend, mystische Einheit und die regenerative Kraft von Gewalt zu verherrlichen. Oft – aber nicht immer – unterstützt er Lehren rassischer Überlegenheit, ethnische Verfolgung, imperialistische Ausdehnung und Völkermord. Faschismus kann gleichzeitig eine Form von Internationalismus annehmen, die entweder auf rassischer oder ideologischer Solidarität über nationale Grenzen hinweg beruht. Normalerweise verschreibt sich Faschismus offener männlicher Vorherrschaft, obwohl er manchmal auch weibliche Solidarität und neue Möglichkeiten für Frauen einer privilegierten Nation oder Rasse unterstützen kann.“[8][9]
In seinem im Jahre 2004 veröffentlichten Buch The Anatomy of Fascism definiert der US-amerikanische Geschichtsprofessor Robert O. Paxton Faschismus so:
- „Faschismus kann definiert werden als eine Form des politischen Verhaltens, das gekennzeichnet ist durch eine obsessive Beschäftigung mit Niedergang, Demütigung oder Opferrolle einer Gemeinschaft und durch kompensatorische Kulte der Einheit, Stärke und Reinheit, wobei eine massenbasierte Partei von entschlossenen nationalistischen Aktivisten in unbequemer, aber effektiver Zusammenarbeit mit traditionellen Eliten demokratische Freiheiten aufgibt und mittels einer als erlösend verklärten Gewalt und ohne ethische oder gesetzliche Beschränkungen Ziele der inneren Säuberung und äußeren Expansion verfolgt.“[10]
Als „faschistoid“ werden Eigenschaften bzw. Haltungen bezeichnet, die faschistische Züge tragen oder dem Faschismus ähnlich sind, meist jedoch in abgeschwächter oder differenzierter Form auftreten. Auch einzelne Bestandteile einer Ideologie bzw. eines politischen Systems werden manchmal als „faschistoid“ bezeichnet. Man spricht dann von „faschistoiden Tendenzen“ des jeweiligen Systems bzw. der betreffenden Ideologie.
Gemeinsame Merkmale faschistischer Bewegungen
Überblick
Jede Bestimmung gemeinsamer Merkmale muss mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden, da es zwischen den einzelnen faschistischen Bewegungen neben auffallenden Gemeinsamkeiten auch mehr oder weniger bedeutsame Unterschiede gab.[11] Die Thematik der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen faschistischen Bewegungen wird umfassend behandelt in Wolfgang Wippermann: Europäischer Faschismus im Vergleich (1922–1982).[12] Über eine präzise, vollständige Definition ist es bisher nicht zu einem wissenschaftlichen Konsens gekommen.[13]
Faschistische Bewegungen weisen jedoch zweifelsfrei eine Reihe von Merkmalen auf, die den einzelnen Strömungen gemeinsam sind. Faschismusforscher betonen in ihren Definitionen und Theorien oft schwerpunktmäßig unterschiedliche dieser charakteristischen Eigenschaften und kommen so zu tendenziell voneinander abweichenden Akzentsetzungen.[14]
In den 1990er Jahren entwickelte der italienische Faschismusforscher Emilio Gentile eine zehn Punkte umfassende Definition des Faschismus, die dessen bestimmende Merkmale einer organisatorischen, einer kulturellen und einer institutionellen Dimension zuordnete:[15]
„Die Definition, die ich vorschlage, beruht auf drei in Verbindung zueinander gesetzten Dimensionen: es handelt sich um die organisatorische, die die soziale Zusammensetzung, die Struktur, den Lebensstil und die Kampfmethoden der Partei betrifft, die kulturelle, in der es um das Menschenbild und die Ideen von Masse und Politik geht, sowie schließlich um die institutionelle Dimension, die den Komplex jener Strukturen und Beziehungen meint, aus denen sich das faschistische Regime ergibt.“
– Emilio Gentile
Nachfolgend sind – orientiert an den von Gentile vorgeschlagenen Dimensionen – einige typische Elemente faschistischer Strömungen dargestellt, wie beispielsweise
- das Führerprinzip,
- der Totalitätsanspruch,
- die am Militär orientierte Parteiorganisation,[16]
- eine kulturstiftende, auf Mythen, Riten und Symbolen basierende, irrationale weltliche Ersatzreligion,
- eine korporative, hierarchische Wirtschaftsorganisation,
- sowie ein totalitäres, in Funktionshierarchien gegliedertes Gesamtmodell der Gesellschaft.
Die folgende Darstellung lehnt sich eng an die wesentlichen Punkte der Definition von Gentile an, die jeweils den genannten drei Dimensionen zugeordnet sind. Soweit nicht anders gekennzeichnet, stammen die wörtlichen Zitate aus dem Abschnitt „Elemente einer Definition des Faschismus“ des genannten Textes.[17]
Organisatorische Dimension
1. „Faschistische Bewegungen sind klassenüberschreitende Massenbewegungen, die zunächst vorwiegend von Männern aus mittelständischen und kleinbürgerlichen Kreisen Zulauf erhalten. Viele von ihnen waren zuvor politisch nicht engagiert, organisieren sich nun jedoch in den nach militaristischem Vorbild angelegten Parteigliederungen. Sie bestimmen ihr Selbstbild bzw. ‚ihre Identität nicht über die gesellschaftliche Hierarchie oder die Klassenherkunft‘, sondern durch die Zugehörigkeit zur faschistischen Bewegung. Sie sehen sich als Vollstrecker einer Mission der nationalen Erneuerung, im Kriegszustand mit den politischen Gegnern; sie wollen das Monopol der politischen Macht und setzen Terrormaßnahmen, parlamentarische Taktik und Kompromisse mit den führenden Schichten ein, um eine neue Ordnung zu errichten, welche die parlamentarische Demokratie zerstört.“
Ideologische bzw. kulturelle Dimension
2. Faschistische Bewegungen generieren „eine Kultur, die auf dem mythischen Denken (…) beruht, (…) auf dem Mythos von der Jugend als geschichtsmächtiger Kraft, auf der Militarisierung der Politik als Modell für (…) die Organisation der Gesellschaft.“
Gentile weist darauf hin, dass die faschistische Ideologie „eher ästhetisch als theoretisch formuliert“ wird, und zwar auf der Grundlage von „Mythen, Riten und Symbolen einer Laienreligion, die dazu dient, die Massen kulturell-sozial zu einer geschlossenen Glaubensgemeinschaft zu formen, deren Ziel die Schaffung eines 'neuen Menschen' ist“. Durch eine Neu- oder Wiedergeburt der Gesellschaft, des Staates und der herrschenden Kultur soll eine Phase der Dekadenz und Degeneration abgelöst werden. Diese Vorstellung von der Entstehung einer neuen Ordnung[18] bezeichnen Gentile und Griffin als Palingenese.
Mit seiner mystisch-irrationalen Weltanschauung (s. auch Politische Religion) und seinen Blut- und Weiheritualen (s. a. Blut-und-Boden-Ideologie) vertritt der Faschismus ein antiaufklärerisches Programm.
Zentraler Bestandteil faschistischer Bewegungen sind deren paramilitärische Organisationen (Squadristen, Sturmabteilung, Kampfbünde, Todesschwadrone). Die Militarisierung durchzieht das gesamte öffentliche Leben bis hinein in die Wirtschaft. Militärische Massenaufmärsche und Großkundgebungen bestimmen das Erscheinungsbild des Faschismus.
3. Faschistische Bewegungen folgen einer „Ideologie von antiideologischem und pragmatischem Charakter, die sich als antimaterialistisch, antiindividualistisch, antiliberal, antidemokratisch, antimarxistisch proklamiert.“ Faschistische Ideologien richten sich gegen materialistische,[19] liberale, marxistische, und konservative Weltanschauungen („faschistische Negation“).[16]
Insbesondere die russische Oktoberrevolution und die Furcht vor einer weiteren Ausbreitung des Kommunismus nach Europa machten sich faschistische Führer zunutze, um mit Liberalen und Konservativen Bündnisse zu schließen.
4. Faschistische Bewegungen haben „eine totalitäre Auffassung vom Primat der Politik, die (…) als ständige Revolution aufgefasst wird; (…) durch den totalitären Staat (soll) die Fusion von Individuum und Masse in der organisch-mystischen Einheit der Nation erreicht werden, die eine ethnische und moralische Gemeinschaft ist, während Maßnahmen der Diskriminierung und Verfolgung gegen alle jene ergriffen werden, die man als außerhalb dieser Gemeinschaft stehend betrachtet, sei es als Feinde des Regimes oder als Angehörige von Rassen, die angeblich minderwertig sind oder zumindest gefährlich für die Integrität der Nation.“
Die Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Kräfte, insbesondere der Medien und des Bildungssystems, verbunden mit radikaler Ausgrenzung bis hin zur Ermordung aller, die sich dieser Gleichschaltung widersetzen, ist ein Charakteristikum faschistischer Regime.
Der von faschistischen Bewegungen vertretene Nationalismus hat eine charakteristische Prägung, in der ein mythisches Ursprungsdenken zum Ausdruck kommt. Die Nation wird als eine organismische Einheit auf der Grundlage des angestammten Lebensraumes und der gleichen Abstammung des eigenen Volkes verstanden (Völkischer Nationalismus) und findet in den vorherrschenden „organischen Metaphern von Verwurzelung und Zugehörigkeit, von Heimat, Boden und Herkunft“ Ausdruck.[20]
Dabei besteht die Vorstellung von Überlegenheit (Superiorität) von Angehörigen der eigenen Rasse, Abstammung und Nationalität gegenüber anderen. In diesem Zusammenhang stehen Antisemitismus und Rassismus, die im deutschen Nationalsozialismus deutlicher als in den italienischen und westeuropäischen Bewegungen hervortraten.[21]
Es besteht ein ausgeprägtes dichotomes Denken in den sich ausschließenden Kategorien Freund/Feind, Wir/die Anderen, höherwertig/minderwertig, besonders mit dem Blick auf das Innere der Gesellschaft. Der innere Feind der faschistischen Gesellschaft spielt dabei mindestens eine ebenso bedeutende Rolle wie der äußere Feind. Er wird als „Volksschädling“, Bedrohung für das eigene „Blut“ etc. ausgemacht. Dazu dient vor allem die eigene Fiktion vom „Juden“, „Semiten“ und der anderen „Rasse“. Von ihnen gelte es, den „Volkskörper“ zu reinigen.
Seit Mussolinis Konzept des stato totalitario durchdrang der faschistische Anspruch alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens bis ins Privatleben. Die Familie hatte mit der Erzeugung von Kindern zum Wachstum der Volksgemeinschaft beizutragen. Das Dritte Reich betrachtete die Familie als „Keimzelle des Staates“. Demokratie, Freiheit, Pluralismus und die Trennung von Staat, Ökonomie und Privatsphäre sieht der Faschismus als Bedrohung dieses „organischen Kollektivismus“ an.
5. Faschistische Bewegungen vertreten „eine Staatsbürgermoral, die von der absoluten Unterordnung des Bürgers unter den Staat ausgeht, von der totalen Hingabe des Individuums an die Nation, von der Disziplin, der Männlichkeit, der Kameradschaft, dem kriegerischen Geist.“
Betont wurden das maskuline Prinzip in männlichem Chauvinismus[22], außerdem Jugendhaftigkeit. Es wurde der Anspruch propagiert, die Jugend und die „wahre“ Männlichkeit zu verkörpern,[23] und es gab einen überproportionalen Anteil „junger Aktivisten“.[24] Krieg und Gewalt wurden ebenso ästhetisiert und verherrlicht wie der Wettkampfsport, der die Hingabe für die Nation symbolisierte und so in weite Teile der sonst unpolitischen Bevölkerung hereinreichte.[25]
Institutionelle Dimension
Nachdem faschistische Bewegungen die Staatsmacht erobert haben, können sie als faschistische Regime bezeichnet werden. Für deren Politik und Staatsorganisation sind charakteristisch
6. „ein Polizeiapparat, der Dissens und Opposition überwacht, kontrolliert und unterdrückt, auch mit dem Rückgriff auf organisierten Terror“. Die autoritären Machtstrukturen des Regimes werden durch Geheimdienst und Geheimpolizei abgesichert, die auch die Anhänger der eigenen Bewegung überwachen und ausspähen. Mit dem Mittel der Einschüchterung wird versucht, politische Opposition bereits im Keim zu ersticken (s. auch Polizeistaat).
7. „eine Einheitspartei, die die Funktion hat, durch ihre eigene Miliz die bewaffnete Verteidigung des Regimes (…) zu gewährleisten; die neuen Führungskader zu stellen und eine 'Befehlsaristokratie' herauszubilden; die Massen im totalitären Staat zu organisieren und sie in einen erzieherischen Prozess der permanenten gläubig-emotionalen Mobilisierung hineinzuziehen; innerhalb des Regimes als Organ der 'fortwährenden Revolution' die Verwirklichung des Mythos vom totalitären Staat in den Institutionen, in der Gesellschaft, in der Mentalität und in den Sitten voranzutreiben.“
Es findet eine andauernde Agitation der gesamten Gesellschaft statt. Im Dienste der Massenmobilisierung werden öffentlicher Raum und Medien zu Propagandazwecken gleichgeschaltet bzw. monopolisiert. Auf das Bildungs- und Erziehungswesen wird massiver Einfluss mit dem Ziel der Indoktrination genommen. Das Rechtswesen wird im Sinne der Prinzipien und Regeln des faschistischen Systems funktionalisiert, und es wird versucht, auch die Wissenschaften dem faschistischen Gedankengut unterzuordnen.
8. „ein politisches System, das auf der Symbiose von Partei und Staat beruht, durch eine Funktionshierarchie geordnet, die von oben ernannt und von der Figur des „Führers“ überragt wird, dem eine charismatische Sakralität eignet und der die Aktivitäten der Partei, des Regimes und des Staates lenkt und koordiniert sowie als oberster und nicht in Frage zu stellender Schiedsrichter bei den Konflikten zwischen den Potentaten des Regimes auftritt“ (Führerprinzip).
9. „eine korporative Wirtschaftsorganisation, welche die Gewerkschaftsfreiheit unterdrückt und den Bereich staatlicher Intervention ausdehnt; gemäß technokratischer Prinzipien und orientiert an Solidaritätsidealen sollen Arbeiter und Bauern als unter der Kontrolle des Regimes willig Mitwirkende einbezogen werden, um so die Macht des korporativen Staates zu vergrößern, wobei das Privateigentum und die Teilung der Gesellschaft in Klassen vorausgesetzt bleiben.“
10. „eine Außenpolitik, die am Erwerb von Macht und der Erlangung nationaler Größe orientiert ist und in eins mit imperialistischer Expansion auf die Schaffung einer neuen Ordnung zielt“.
Theoretiker und Vordenker des Faschismus
- Benito Mussolini (1883–1945) war 1919 der Begründer des italienischen Faschismus. Mussolini kam aus dem syndikalistischen Flügel der Sozialistischen Partei Italiens und war stark von Georges Sorel beeinflusst, weniger von – wie er anfangs behauptete – Vilfredo Pareto. Mit La Dottrina Del Fascismo veröffentlichte Mussolini 1932 seine theoretische Ausarbeitung.
- Robert Michels (1876–1936) war deutscher Soziologe. Michels kam aus der SPD und wurde als Parteiensoziologe bedeutend. Er wechselte nach Italien, wandte sich dem Syndikalismus und später dem Faschismus zu. 1928 errichtete ihm Mussolini einen Lehrstuhl an der Universität Perugia, um die Theorie des Faschismus weiterzuentwickeln.
- Giovanni Gentile (1875–1944) war ein neoidealistischer Philosoph. Er vertrat eine „Aktualismus“ genannte radikale philosophische Richtung, die die absolute Existenz der Dinge verneinte und die Theorie vertrat, sämtliche Erscheinungen würden erst im „reinen Akt“ erzeugt. Gentile war 1922/23 faschistischer Erziehungsminister und setzte eine traditionalistische Schulreform durch, geriet aber nach 1929 wegen seiner radikalen Positionen zunehmend ins Abseits.
- Sergio Panunzio (1886–1944) war ein Theoretiker des Syndikalismus. Er entwickelte nach 1922 einen wichtigen Teil der faschistischen Staatslehre, indem er das Verhältnis von Partei und Staat abzugrenzen versuchte. Panunzio lehrte an der einflussreichen Fakultät für politische Wissenschaft der Universität Perugia.
- Der Jurist Alfredo Rocco (1875–1935) war ursprünglich einflussreicher Vordenker der nationalistischen Bewegung Italiens, die 1923 mit dem Faschismus fusionierte. Rocco wurde während des totalitären Umbaus des italienischen Staates ab 1925 zum Architekten des faschistischen Institutionengefüges. Unter anderem zeichnete er auch für die Verschärfung des Strafrechts verantwortlich.
- Enrico Corradini (1865–1931) war ebenfalls von Haus aus Nationalist. Er vertrat einen entschiedenen Expansionskurs Italiens, das als „proletarische Nation“ gegen die reichen Nationen des Westens kämpfen müsse. Diese im Faschismus später sehr einflussreiche Denkfigur verband sich bei Corradini mit einer leidenschaftlichen Verehrung des antiken Rom.
- Julius Evola (1898–1974) war Kulturphilosoph und entstammte einer katholisch-traditionellen Familie in Rom. Später entwickelte er einen an der Antike ausgerichteten heidnisch-rassistischen „Traditionalismus“. Evola repräsentierte einen reaktionären Teil des Faschismus, der immer wieder in Gegensatz zum modernistischen Flügel geriet, welchen Evola als Entartung des Faschismus kritisierte. Evolas extreme Ansichten blieben aber im Faschismus stets eine Minderheitenposition.
- Oswald Mosley (1896–1980). Mosley stammte aus einer konservativen Tradition, hielt aber das System nicht mehr für reformierbar. Es müsse mit einem neuen Typus von Männern – und auch Frauen – eine neue Ordnung erschaffen werden. Die liberale Phase in Europa sei dagegen dem Untergang geweiht. Dazu waren vor allem eine charismatische Volksmacht, die Partei und militärische Männerbünde gedacht, die sich einem Greater Britain verschreiben.[26]
Marxistische Faschismustheorien
Überblick
Im Umfeld des Marxismus entstanden zahlreiche und sehr unterschiedliche Theorien über den Faschismus. Marxistische Theoretiker (so in Deutschland zuerst Clara Zetkin, 1923) bezeichneten Faschismus als eine terroristische Herrschaftsform des Kapitals.[27] Einige Theoretiker sehen die ökonomische Basis als allein entscheidend an und betrachten den Faschismus als Variante des Kapitalismus in der Krise (vgl. die Dimitroff-These und die Faschismus-Forschung der DDR), in dem die Faschisten lediglich Marionetten der Kapitalisten seien (sogenannte Agententheorien). Stalin geht in seiner Sozialfaschismusthese noch weiter und rechnet selbst die Sozialdemokratie zu den Handlangern des Kapitals. Dagegen räumt Thalheimers Bonapartismus-Theorie der politischen Kraft des Faschismus während einer ökonomischen Sondersituation eine gewisse Eigenständigkeit ein. Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule von Adorno und Horkheimer besinnt sich in ihrer Theorie des autoritären Charakters auf die sozialpsychologischen Grundlagen des Faschismus, verweist aber zugleich auch auf die ökonomische Basis. Diesen engen Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus, den Marxisten annehmen, formulierte Max Horkheimer 1939 in dem apodiktischen Diktum, wer nicht vom Kapitalismus reden wolle, solle vom Faschismus schweigen.
- Abgrenzung des Faschismus vom Bonapartismus
Im Gegensatz zu bürgerlichen Faschismustheorien rechnet der (Neo-)Marxismus nicht alle rechtsgerichteten Diktaturen zum Faschismus. Diktaturen ohne politische Massenbasis – etwa die Militärdiktaturen der 1960er und 1970er Jahre in Lateinamerika – werden nach dem von Marx begründeten Konzept dem Bonapartismus zugerechnet, in dem die Bourgeoisie zwar keinen unmittelbaren politischen Einfluss hat, aber vom Machthaber sozial begünstigt wird.
Stalins Sozialfaschismusthese
Josef Stalins 1924 formulierte Sozialfaschismusthese war offizielle Doktrin der Kommunistischen Internationale (Komintern) zwischen 1928 und 1934, bis sie 1935 von der Dimitroff-These abgelöst wurde. Die Erfahrungen aus den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zu Beginn der Weimarer Republik und die zunehmende Verschärfung der sozialen und politischen Gegensätze führten dazu, dass von der KPD auch die sozialdemokratische Führung als nützliche Büttel des Kapitals verstanden wurde. Daraus resultierte schließlich die Bezeichnung der SPD als „sozialfaschistisch“.
Als soziale Basis des Faschismus nehmen Marxisten auch das Kleinbürgertum an, das befürchte, im Antagonismus von Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse, dem Hauptwiderspruch nach Marx, zerrieben zu werden. Durch die massenhafte ideologische bürgerliche Manipulation wurde seine Furcht vor der Arbeiterklasse und dem krisenbedingten Abstieg in sie und die Abneigung gegen die übermächtige Konkurrenz des Kapitals so zu einer pseudo-antikapitalistischen, objektiv aber arbeiterfeindlichen und damit pro-kapitalistischen Bewegung: dem Faschismus. (Dies traf sich mit nichtmarxistischen soziologischen Analysen, etwa derjenigen Theodor Geigers.) Mit dieser Interpretation lässt sich auch der für den deutschen Faschismus so typische Antisemitismus marxistisch erklären: Er ist damit das falsche Bewusstsein der Kleinbürger, die ihren verständlichen Antikapitalismus weg von der eigentlichen Ursache ihres drohenden Abstiegs in systemverträglicher Weise auf einen Sündenbock richteten.
Die Dimitroff-These
Die für den Marxismus-Leninismus klassisch gewordene Definition lieferte Georgi Dimitroff in einem Beschluss des XIII. Plenums des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale im Dezember 1933, der von einer ähnlichen Formulierung auf dem V. Weltkongress 1924 vorbereitet worden war. Darin wurde der Faschismus als „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ definiert. Diese Definition wurde auf dem VII. Weltkongress der Komintern 1935 wiederholt. Damit war gemeint, dass „bürgerliche Demokratie“ und Faschismus zwei verschiedene Ausprägungen des Kapitalismus seien, diese Herrschaftsformen also auf der gleichen ökonomischen Basis beruhen würden: In dem Moment, in dem der Kapitalismus bedroht sei – etwa durch eine drohende revolutionäre Bewegung, wie in den frühen 1920er Jahren in Italien oder während der Weltwirtschaftskrise in Deutschland – wandele sich die bürgerliche Demokratie (teilweise auch nur als „pseudodemokratische Maske“ verstanden) zur faschistischen Diktatur, die auch mit brutalsten Mitteln die Kapitalverwertung aufrechterhalte. Besonders ziele dazu die faschistische Diktatur auf die Zerschlagung der Arbeiterbewegung mit all ihren Organisationen. In dieser Interpretation waren nun nicht nur die Diktaturen in Italien und Deutschland faschistisch, sondern auch das Sanacja-Regime in Polen, die Diktatur des bulgarischen Königs, die Regierung in Jugoslawien, der österreichischen Ständestaat, die Anhänger Chiang Kai-sheks in China sowie die Betar, eine zionistische Jugendorganisation. Als weltpolitischer Gegner, den es vorrangig zu bekämpfen gelte, wurden 1933 aber nicht diese Regime und Bewegungen, sondern in Aufnahme der stalinschen Sozialfaschismusthese erneut die Sozialdemokratie bezeichnet.[28]
Trotzkis Faschismustheorie
Trotzki argumentierte gegen Stalin und Dimitroff, dass der Faschismus eine organisierte Bewegung des in Zeiten der Krise verzweifelten Kleinbürgertums sei, die sich in Worten gegen die Großbourgeoisie und in Taten gegen die organisierte Arbeiterklasse richtete. In den Jahren 1929 bis 1933 forderte er die deutsche Kommunistische Partei in immer dringenden Appellen dazu auf, die besondere Gefahr des Faschismus ernst zu nehmen und mit der SPD eine gemeinsame Front gegen Hitler aufzubauen. Seine Appelle blieben ungehört.
Thalheimers Bonapartismus-Theorie
August Thalheimer betont in dieser Theorie das Gleichgewicht zwischen den Klassen, welches für ihn die Machtergreifung durch den Faschismus ermöglicht. Im Werk von Marx und Engels gibt es keine eigene Faschismustheorie; der Begriff wurde zu ihrer Zeit noch nicht verwendet. Nach Ansicht mancher Theoretiker, wie beispielsweise August Thalheimer finden sich solche Ansätze aber in Marx’ Darstellung des Bonapartismus. Demnach wären die Faschisten mit ihrem Anhang deklassierter oder von der Deklassierung bedrohter Massen in einer klassenkämpferischen Pattsituation – ähnlich wie Napoléon III. und sein lumpenproletarischer Anhang nach der Februarrevolution 1848 – relativ unabhängig von der Bourgeoisie an die Macht gelangt, obwohl sie objektiv deren Interessen der Verhinderung einer Revolution verträten. Thalheimer definierte Faschismus als „politische Unterwerfung aller Massen, einschließlich der Bourgeoisie selbst, unter die faschistische Staatsmacht bei sozialer Herrschaft der Groß-Bourgeoisie und der Großgrundbesitzer“.[29]
Theorie einer Radikalisierung der Mittelklassen
Eine Erweiterung/Abwandlung der Agententheorie wurde erstmals 1923 von Luigi Salvatorelli vorgenommen, welcher das „humanistische Kleinbürgertum“ aufgrund seiner durch die Zwischenkriegszeit gefährdeten ökonomischen und gesellschaftlichen Position als gleichermaßen gegen Bourgeoisie und Proletariat gerichtete Basis und Motor des Faschismus ansah. Diese Ansichten wurden von Renzo de Felice und Giocchino Volpe[30] unterstützt. Diese Definition deckt sich großteils mit den Analysen des liberalen Soziologen Seymour Martin Lipset, der für dieses Phänomen in den 1950er Jahren den Begriff des „Extremismus der Mitte“ geprägt hat.
Faschismusforschung in der DDR
Die zentralen Thesen der DDR-Faschismusforschung hingen an „der Definition des Faschismus als Resultat und Endstufe einer Spezialform des entwickelten und krisengeschüttelten Kapitalismus.“[31] Die simple Agententheorie wurde dabei zur differenzierteren Monopolgruppentheorie weiterentwickelt, in der der Aufstieg des Nationalsozialismus entweder als Sieg der mit ihm verbündeten Monopolgruppe oder als Ergebnis des Kampfes zwischen verschiedenen Monopolgruppen interpretiert wurde.[32] Im westlichen Ausland wurden diese Erklärungen kritisiert, weil sie Hitlers Machtergreifung auf einen „ganz und gar monokausalen Kaufakt“ reduzierten[33] und die Verhältnisse innerhalb einer „kapitalistischen Gesellschaft auf Aktionen und Optionen der Kapitalisten bzw. der in den Monopolgruppen organisierten Monopolherren“ verkürzten.[34]
Frankfurter Schule: Theorie des autoritären Charakters
Die Theorie des autoritären Charakters der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule von Horkheimer und Adorno beschäftigt sich mit der Frage, warum Teile der Gesellschaft „für faschistische Propaganda oder, allgemeiner, für autoritäre Meinungen“ empfänglich sind. Sie geht davon aus, dass die Empfänglichkeit für solche Meinungen stärker vom Charakter als von bewussten politischen Überzeugungen oder Überlegungen abhängig sind. Diese Einsicht half verstehen, wie es historisch möglich war, dass die Unterstützerfront des Faschismus keineswegs vor der Arbeiterklasse halt machte. Die Gesellschaftstheorie war daher, wenn sie sich der Erklärung des Autoritarismus nicht verschließen wollte, auf Psychologie verwiesen.[35] Unterschieden wird hierbei zwischen einem schwachen Ich und einem starken Ich. Danach ist bei dem schwachen Ich die Fähigkeit zur Selbstreflexion nur gering ausgeprägt. Es nimmt „gesellschaftliche Verhältnisse projektiv“ (Weyand) wahr und neigt somit zu Vorurteilen. Diese Theorie baut auf der Freud'schen Theorie auf: „Sie unterstellt ein spezifisch Historisches, nämlich die Existenz einer patriarchalen familiären Konstellation, in der sich aus dem Konflikt zwischen dem Kind und einem starken, übermächtigen Vater eine sadomasochistische Triebstruktur ausbildet und verfestigt.“ (Weyand) Das gilt ebenso für die freudsche Massenpsychologie, so wie sie von Adorno rezipiert wird. Nach Adorno hat „[d]ie faschistische Agitation ihr Zentrum in der Vorstellung des Führers (…), weil nur dies psychologische Bild die Idee des allmächtigen und drohenden Urvaters wiedererwecken kann.“[36]
Das schwache Ich bildet den widersprüchlichen Wunsch, sowohl Teil der Autorität und des dominanten Kollektivs zu sein, als auch sich dieser Autorität zu unterwerfen. Das „führt gemäß der damaligen Auffassung weiterhin dazu, dass das schwache Ich seine Aggressionen gegen Fremdgruppen richten muss, weil es nicht in der Lage ist, sie gegen Autoritäten der eigenen Gruppe zu richten. Indem das schwache Ich sich zum Mitglied eines geschichtsmächtigen Kollektivs phantasiert, setzt es sich zugleich ins Einverständnis mit der Autorität der eigenen Gruppe. Dieser Mechanismus erklärt, warum das schwache Ich als autoritäres nur auftritt, wenn es sich des heimlichen oder ausgesprochenen Einverständnisses der Autorität der Eigengruppe gewiss sein kann. Es rebelliert, aber es rebelliert konformistisch.“ (Jan Weyand)[37] Mit der konformistischen Rebellion ist eine außerordentliche narzisstische Befriedigung verbunden (Narzissmus der kleinen Differenzen nach Freud).[37][38] Vor diesem Hintergrund schreibt Horkheimer, sei „das Vorurteil des Hasses unverrückbar, weil es dem Subjekt gestattet, schlecht zu sein und sich dabei für gut zu halten.“[39]
Modernisierung und Anti-Modernismus
Verschiedene Theorien interpretieren den Faschismus als gewaltsamen Versuch einer beschleunigten Modernisierung oder gegensätzlich als Revolte gegen die Moderne.
Der Modernisierungsansatz geht auf Franz Borkenau zurück, welcher schon 1933 von der verspäteten und überstürzten Entwicklung des Kapitalismus in Italien und Deutschland aus den Faschismus in der Art einer Entwicklungsdiktatur interpretierte. Faschismus ist dabei für ihn eine immanente Notwendigkeit des industriellen Systems, um vorhandene Störungen – in Italien durch das Übergewicht und die reaktionäre Rolle des Proletariats, in Deutschland durch den Einfluss der Gewerkschaften und die Privilegien der Großlandwirtschaft bedingt – zu beseitigen und das Funktionieren des Staatsapparates sowie des industriellen Fortschritts zu garantieren.[40]
Durch Ralf Dahrendorf wurde dieser Theorieansatz nach 1945 weiter ausgebaut. Nach ihm habe der Nationalsozialismus „die in den Verwerfungen des kaiserlichen Deutschlands verlorengegangene, durch die Wirrnisse der Weimarer Republik aufgehaltene soziale Revolution vollzogen“.[41] Ihr Kern sei „der brutale Bruch mit der Tradition und Stoß in die Modernität“, und Hitler habe die dazu notwendige „Transformation der deutschen Gesellschaft“ bewirkt.[42]
Der dahrendorfsche Modernisierungsansatz hat in der Folge starke Wirkung erzielt. Nach Barrington Moore liefen ökonomische Modernisierung, staatliche Modernisierung und politische Modernisierung (Demokratisierung) auf demokratisch-kapitalistischem Weg mehr oder weniger parallel, während sie auf reaktionärem Wege asynchron vor sich gegangen seien. Der Faschismus kombiniere ebenso wie der Kommunismus ökonomisch und staatlich-bürokratische Modernisierung mit einem diktatorisch politischen System. Er sei als konservativ-reaktionäre Revolution von oben zu sehen.[43] David Schoenbaum, Michael Prinz, Rainer Zitelmann und Ronald Smelser sprachen dem Nationalsozialismus ebenso eine intentionale Modernisierungswirkung zu. So schreibt Zitelmann: „Die Erfahrung des Nationalsozialismus zeigt, dass sich Modernisierung auch in einem diktatorischen System vollziehen kann. […] In seiner (Anm.: Hitlers) Weltanschauung verbinden sich höchst moderne Elemente mit einer entschiedenen Ablehnung des demokratisch-pluralistischen Gesellschaftssystems.“[44]
Auf den Widerspruch zwischen einer bloß oberflächlichen Förderung von Technologie und Modernisierung bei einem generell zugrunde liegenden reaktionären Anti-Modernismus im Faschismus verweisen Umberto Eco und Henry Ashby Turner. So schreibt Eco:
„Traditionalism implies the rejection of modernism. Both Fascists and Nazis worshiped technology, while traditionalist thinkers usually reject it as a negation of traditional spiritual values. However, even though Nazism was proud of its industrial achievements, its praise of modernism was only the surface of an ideology based upon Blood and Earth (Blut und Boden). The rejection of the modern world was disguised as a rebuttal of the capitalistic way of life, but it mainly concerned the rejection of the Spirit of 1789 (and of 1776, of course).[45]“
„Traditionalismus beinhaltet die Ablehnung der Moderne. Sowohl Faschisten als auch Nazis huldigten dem technologischen Fortschritt, während traditionalistische Denker diesen für gewöhnlich als Negation von traditionellen geistigen Werten ablehnen. Jedoch selbst wenn der Nazismus stolz auf seine industriellen Errungenschaften war, war dessen Lob der Moderne nur die Oberfläche einer Ideologie, die auf „Blut und Boden“ basierte. Die Ablehnung der modernen Welt war maskiert als Zurückweisung der kapitalistischen Lebensart, aber sie fußte hauptsächlich auf der Verwerfung des Geistes von 1789 (und natürlich auch von 1776).“
Turner konstatiert zwar auch eine Modernisierung durch den Faschismus, interpretiert diese aber „nur als Mittel zu anti-modernistischen Zwecken“. Er vertritt die Ansicht, „die Nationalsozialisten wollten Industrieprodukte haben, aber keine Industriegesellschaft“. Als Essenz des Faschismus sieht er sogar „eine Revolte gegen die moderne Industriegesellschaft und den Versuch, eine ferne mythische Vergangenheit zurückzuerobern.“[46]
Nationale Sonderwege
Aufgrund der unterschiedlichen Ausprägungen faschistischer Bewegungen in unterschiedlich verfassten Ländern ist vielfach versucht worden, diese als miteinander unvergleichbare Phänomene darzustellen, welche letztlich nur aus nationalspezifischen Sonderentwicklungen gegenüber einem vorgeblichen Normalverlauf erklärt werden könnten. So wurden in recht groben Herleitungen beispielsweise Linien des Autokratismus und der Freiheitsfeindlichkeit von Luther über Friedrich den Großen und die Romantiker bis zum Nationalsozialismus gezogen.[47] Frühe Beispiele hierfür sind Rohan O’Butlers The Roots of National Socialism von 1941, oder William Montgomery McGoverns Buch From Luther to Hitler – The History of Nazi-Fascist Philosophy aus dem Jahr 1946.[48] Helmuth Plessner verweist beispielsweise auf das Problem der verspäteten Nationbildung für Deutschland,[49]
Hans-Ulrich Wehler als Verfechter der Sonderwegs-Theorie beschreibt die Entwicklung des preußisch-dominierten Kaiserreiches bis zum Ende der Weimarer Republik als „eigentümliches Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne“ im Deutschen Reich. Er sieht die Entwicklung des Nationalsozialismus als deutsches Spezifikum. Fritz Stern und George Mosse sehen Ideengeschichte und Kultur des 19. Jahrhunderts als wesentliche Grundlage des deutschen Faschismus. Kritiker der Sonderwegsthese sind Geoff Eley, David Blackbourn, und Jürgen Kocka.
Historiker wie Léon Poliakov, A. J. P. Taylor, und Sir Lewis Bernstein Namier, interpretierten den Nationalsozialismus als das unvermeidliche Resultat der deutschen Geschichte, welches typische Elemente des „deutschen Nationalcharakters“ widerspiegele. Im Gegensatz dazu betonten Historiker wie Friedrich Meinecke, Hans Rothfels, Gerhard Ritter, Pieter Geyl, dass die NS-Zeit wenig Beziehung zur vorhergehenden deutschen Geschichte aufweise.
Hitlerismus
Unter der Bezeichnung „Hitlerismus“ ist die Personalisierung des Nationalsozialismus und die Konstituierung einer für klein gehaltenen Gruppe von Schuldigen im Gegensatz zu einer großen Gruppe von unschuldigen und rehabilitierbaren Deutschen zu verstehen.[50] Vereinzelte personalisierende Faschismusbeschäftigungen fokussieren unter Ausklammerung sozialer und politischer Faktoren auf den „großen, die Geschichte lenkenden Einzelnen“. Eine starke Konzentration auf die Person Hitlers ist in der Faschismusauseinandersetzung von Karl Dietrich Bracher festzustellen. So spricht Bracher von „Hitlers ureigener, totaler Machtergreifung“, „Hitler-Revolution“ und „Hitlers Krieg“.[51] Ebenso schreibt Joachim Fest, in einem „Alleingang“ habe Hitler als „Bewegungszentrum der Welt“ dem Zeitlauf eine „ungeheuere Beschleunigung gegeben und den Weltzustand geändert“. In seiner Person habe „ein Einzelner noch einmal seine stupende Gewalt über den Geschichtsprozess demonstriert.“[52] Auch für Sebastian Haffner ist in seinem Buch Germany: Jekyll and Hyde von 1940 primär die Person Hitlers die Ursache für die Entwicklung in Deutschland. Haffner verstand später unter Hitlerismus die „Synthese von Hitlers spezifisch antisemitischer Theorie und Elementen völkischen Gedankenguts.“[53]
Vansittartismus
Nach dieser nach Robert Vansittart benannten Auffassung lagen die Neigung zu Faschismus und Krieg im Nationalcharakter des deutschen Volkes.
Strukturalismus
Aus der Analyse des Faschismus entwickelten Theoretiker des Strukturalismus und Poststrukturalismus eine Kritik an Geschichtsphilosophien, weil diese Philosophien nach dieser Betrachtung aus der Erfahrung des Faschismus keine gesellschaftskritischen Perspektiven bieten und somit affirmativ wirken. Die Faschismusanalyse dieser Theoretiker verlagert vor diesem Hintergrund den Schwerpunkt ihrer Analyse auf die konkreten Herrschaftstechniken, auf denen der Faschismus basiert. Der Untersuchungsstandpunkt verlagert sich dabei „von der Ebene der Makromächte auf diejenige der Mikromächte. Im Zentrum stehen die Techniken der Disziplinierung und die diskursiven Praktiken der Herrschaft und deren Dekonstruktion.“[54]
Totalitarismus
Die Analyse des italienischen Faschismus wurde im Gefolge von manchen Theoretikern als Prototyp auch auf andere nationalistische Diktaturen in Europa und Lateinamerika angewandt. Wenngleich eine Einordnung der Totalitarismustheorie in das Spektrum der Faschismustheorien durch den Bezug auf den ursprünglichen Faschismus, den italienischen Faschismus, grundsätzlich möglich erscheint, hat sich die Totalitarismustheorie in der wissenschaftlichen Praxis doch vielmehr in Abgrenzung und scharfer Gegensätzlichkeit zur Faschismustheorie entwickelt. Ursächlich hierfür sind unter anderem die unterschiedlichen politischen Standpunkte ihrer jeweiligen Vertreter. Denn sowohl der Faschismus- wie auch der Totalitarismusbegriff haben in ihrer Verwendung "[...] einen Doppelcharakter [...]. Sie sind wissenschaftliche Theorien und politische Kampfbegriffe zugleich."[55] Prägnanten Ausdruck fand dieser Theorie-Dualismus während des Kalten Krieges, als sich das Gegenmodell des Totalitarismus zum Identitätsstabilisator der liberalen westlichen Demokratien entwickelte und der Faschismusbegriff insbesondere in seiner marxistisch inspirierten Lesart eine erneute Hochkonjunktur erlebte. Im Gegensatz zur Faschismustheorie thematisiert die Totalitarismustheorie strukturelle, methodische und formal-ideologische Ähnlichkeiten verschiedener diktatorischer Regierungssysteme, ob sie nun faschistisch oder kommunistisch begründet werden.
Hannah Arendt
Die Totalitarismusthese, die Hannah Arendt in ihrem politischen Hauptwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft entwickelte, stellte ausschließlich die politischen Systeme des Nationalsozialismus und des Stalinismus bis zu Stalins Tod 1953 als totalitär dar. Im Gegensatz zur dominierenden, politikwissenschaftlich geprägten Strömung innerhalb der Totalitarismustheorien, die sich auf den strukturellen und phänomenologischen Systemvergleich konzentriert, hat Arendt sich neben dieser Analyse der "Elemente" auch der Erforschung der "Ursprünge", also der Entstehung totalitärer Regime gewidmet. Ihrer Auffassung nach waren Antisemitismus, Imperialismus, Rassismus und die aufkommende Massengesellschaft Ursachen für die Entstehung der totalitären Terrorherrschaft. Den italienischen Faschismus hatte Arendt, wie auch den Franquismus, von dieser Klassifikation ausgeschlossen.[56] Den Begriff Faschismus verwandte sie nicht zur Charakterisierung des Nationalsozialismus.
Ernst Nolte
Der Historiker Ernst Nolte gab 1963 mit seinem Werk Der Faschismus in seiner Epoche der Geschichtswissenschaft neue Impulse. Nolte verwendete den Begriff Faschismus zum ersten Mal als Epochenbegriff und kennzeichnete damit eine Gruppe politischer Bewegungen im Europa zwischen den Weltkriegen. Nolte definierte Faschismus als „Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie“.[57] Nolte fasst damit nicht nur den deutschen Nationalsozialismus und den italienischen Faschismus Mussolinis, sondern auch die Action française, eine rechtsextreme französische Bewegung zusammen. Damit war er der erste bürgerliche Historiker, der einen umfassenderen Faschismusbegriff benutzte. Faschismus ist für Nolte Kennzeichen der Epoche von 1917 bis 1945: Allein in dieser Zeit wurde die Notwendigkeit gesehen, der Bedrohung durch die Sowjetunion in ihrem Anspruch auf Weltrevolution mit faschistischen Mitteln zu begegnen.
Gegen diese Theorie, welche den Faschismus als politische Reaktion auf den Erfolg des Bolschewismus begreift, wandte sich unter anderem Zeev Sternhell mit seinen Untersuchungen von bereits im Vorfeld der Oktoberrevolution geläufigem präfaschistischem Gedankengut.[58]
Mit Noltes Faschismusbegriff, der sich oft in deutlich verflachter Gestalt durchsetzte, wurde alles unter Faschismus rubriziert, was eine nicht-kommunistische Diktatur im Europa des 20. Jahrhunderts anstrebte oder realisierte. Insbesondere wurde damit der Nationalsozialismus als faschistisch bezeichnet. Es kam schließlich auch dazu, dass faschistisch als eine polemische Bezeichnung für autoritär orientierte Antikommunisten verwendet wurde.
Faschismus als „Politische Religion“
Ähnlich wie die Totalitarismustheorie ist auch das Analysekonzept der Politischen Religion nur bedingt als Bestandteil des faschismustheoretischen Spektrums zu bestimmen, da das Konzept von Beginn seiner Verwendung an nicht nur auf den italienischen Faschismus oder andere als faschistisch bezeichnete Bewegungen und Regime beschränkt blieb, sondern bereits bei Eric Voegelin auch den Stalinismus in die Vergleichsanalyse mit einbezog.[59] Aufgrund der systemdualistischen Prämisse, die je nach Standpunkt zwischen säkular-liberaler Gesellschaft und Politischer Religion oder zwischen ursprünglicher Religion und der Politischen Religion als Ersatzreligion bzw. Religionsersatz unterscheidet, steht das Konzept der Totalitarismustheorie nahe. Daneben existieren in beiden Konzepten Ansätze zur phänomenologischen Betrachtungsweise, die sich der Inszenierungsweise und Formensprache der entsprechenden Regime widmen. Allerdings tendiert das Konzept der politischen Religion insgesamt stärker zu einer historisch-genetischen Betrachtungsweise als die Totalitarismustheorie, weshalb das Verhältnis der beiden wissenschaftlichen Analysen zufolge als "Komplementarität" zu bezeichnen sei.[60] Trotz dieser Einschränkungen hat das Konzept der Politischen Religion nicht nur bei Voegelin seine Relevanz für den Faschismusdiskurs.[61] Auch Hans Maier hat den italienischen Faschismus ausdrücklich in seine Überlegungen zum Begriff der Politischen Religionen einbezogen.[62] Dezidierter bestimmt Emilio Gentile den Faschismus in doppelter Weise als „Politische Religion“ und als Teilgruppe des Totalitarismus. Danach, so Sven Reichardt zum Verständnis von Gentile, „kreierten die Faschisten einen Glauben an die Nation, den Duce und die Partei, wobei diese 'Politische Religion' zur Grundlage der faschistischen Kultur wurde. Es war ein aus seiner Sicht militärischer und revolutionärer Totalitarismus, der 'die Mythen und Werte einer palingenetischen Ideologie' vertrat und die 'sakralisierten Formen einer politischen Religion annahm', um einen Neuen Menschen zu kreieren. Der italienische Faschismus habe diesen Totalitarismus als Erster in die Welt gesetzt, wobei Staat und Partei miteinander verschmolzen.“[63]
Alfred Müller-Armack (1901–1978) veröffentlichte 1948 eine Studie, in der er den Nationalsozialismus religionssoziologisch als Ersatzreligion in einer Zeit des Glaubensabfalls deutete.[64] Allerdings wird die Einordnung des Nationalsozialismus oder anderer Faschismen als Politische Religion innerhalb der Forschung vielfach kritisch gesehen, weil es sich hierbei um einen deduktiv konzipierten Begriff handele, der die Wirklichkeit der entsprechenden Regime überhaupt nicht erfassen würde.[65] Außerdem wird die theoretische Reichweite des Konzepts bisweilen bezweifelt. So hat Hans Günter Hockerts darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung als Politische Religion "sich als Aspektbegriff [eigne], aber nicht als Generalbegriff; sie trifft keinen archimedischen Punkt", der eine Rechtfertigung für die Verwendung als übergeordnetes Erklärungsmodell leisten könnte.[66]
Neuere Faschismustheorien
Generischer Faschismusbegriff
In der vergleichenden Faschismusforschung werden unterschiedliche, sich teilweise widersprechende Aussagen von verschiedenen Vordenkern und Führern festgestellt, auch innerhalb der jeweiligen faschistischen Bewegung. Andererseits finden sich in den verschiedenen faschistischen Bewegungen zahlreiche gleichartige oder ähnliche Prinzipien und Kernaussagen. Diese Kernaussagen und tragenden ideologischen Grundzüge aller faschistischen Bewegungen werden in der Forschung als generischer Faschismus[67] bezeichnet. Für die auf dieser Basis formulierten Definitionen wird versucht, einen Konsens zu finden. Dabei kann Matthew Lyons bereits einen großen Konsens für seine Definition faschistischer Ideologie beanspruchen.[68]
Der Faschismusforscher Roger Griffin zielte bereits 1991, von einem generischen Faschismusbegriff ausgehend, mit seiner Definition auf den ideologischen Kern des Faschismus und definierte diesen als eine populistisch-ultranationalistische und auf eine Neugeburt ausgerichtete Ideologie.[69] Er schloss bewusst periphere Charakteristika einzelner Faschismusspielarten aus und beschrieb einen Idealtypus. Gemäß Griffin ist der „utopische Antrieb“ des Faschismus, das vermeintliche „Problem der Dekadenz“ durch eine „radikale Erneuerung der Nation“ lösen zu wollen. Die Nation wird dabei als „organisches Ganzes“ und als höchstes Prinzip verstanden. Die allumfassende Palingenese der Nation stelle den „mythischen Kern“ der Zukunftsvision des Faschismus dar. So kommt Griffin dazu, „ein politisches Phänomen auch dann als faschistisch zu betrachten, wenn es nur im embryonalen Zustand im Kopf eines Ideologen und ohne Ausdruck in einer politischen Partei, geschweige denn einer Massenbewegung, existiert.“[70] Richard Thurlow meint, dass mit dieser Definition von einem „neuen Konsens“ in der Faschismusforschung die Rede sein könne.[71][72]
Zu den Kritikern eines generischen Faschismusbegriffs zählen vor allem die Vertreter eines Totalitarismuskonzepts. Die französische Psychoanalytikerin Janine Chasseguet-Smirgel und der deutsche Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn lehnen die Subsumption des NS-Regimes unter den Faschismusbegriff ab, weil damit dessen Wesenskern, nämlich die Rassepolitik und der Holocaust, aus dem Blickfeld gerückt würde. Das NS-Regime erscheine in dieser Perspektive als „eine ganz banale Diktatur“, nicht anderes als die in Italien, in Francos Spanien oder im Chile Pinochets. Dies rationalisiere das Unfassbare der Judenvernichtung und sei letztlich eine Strategie der Erinnerungsverweigerung und Schuldabwehr.[73]
Abgrenzung zum Autoritarismus
Eng verbunden mit dem generischen Faschismusbegriff ist das Problem der Abgrenzung von anderen Bewegungs- und Regimetypen. Im Gegensatz zu klassischen, vorwiegend marxistischen Deutungskonzepten hat sich in der jüngeren Faschismusforschung ein differenzierterer Faschismusbegriff entwickelt. Dabei spielt insbesondere die Abgrenzung zum Autoritarismus eine entscheidende Rolle.[74] Während beispielsweise der Franquismus in Spanien und António de Oliveira Salazars Estado Novo in Portugal in marxistischer Lesart üblicherweise als spezifische Phänomene eines allgemeinen Faschismus in Europa interpretiert worden sind, haben jüngere Forschungsarbeiten neben Gemeinsamkeiten auch Unterschiede zwischen diesen und anderen Bewegungen bzw. Regimen herausgearbeitet, die zwar sämtlich als Vertreter eines „autoritären Nationalismus“, nicht aber zwangsläufig auch als Faschismen einzuordnen seien.[75] So war die Falange zwar ihrem Ursprung nach durchaus eine faschistische Bewegung und sie bildete auch das organisatorische Fundament der franquistischen Staatspartei. Als Staatspartei wurde sie aber bereits frühzeitig durch andere Strömungen innerhalb des franquistischen Herrschaftssystems überformt und damit zugleich entmachtet. Insgesamt spielten traditionelle Eliten aus Militär, Kirche und Großgrundbesitz somit eine wesentlich wichtigere Rolle für das Regime in Spanien als die faschistische Bewegung des Landes.[76] Sowohl der „Estado Novo“ als auch Francos Regime in Spanien tragen Züge einer Militärdiktatur und eines autoritären Korporatismus. Ziel dieser Regime sei es gewesen, dass „die traditionale gesellschaftliche Hierarchie konserviert werden sollte“, während faschistische Gruppierungen „für eine Überwindung des Status quo durch eine Mobilisierung deklassierter Gruppen eingetreten seien.“[77] Allerdings sei im Falle Spaniens zumindest für die Frühphase des Regimes bis 1945 eine Einordnung als „semifaschistisch“ möglich.[78]
Literatur
Überblicke
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- Reinhard Opitz: Faschismus und Neofaschismus. Pahl-Rugenstein, Bonn, 1996, ISBN 3-89144-209-2.
- Richard Saage: Faschismustheorien. 4. Auflage. Baden-Baden 1997.
- Bernd A. Weil: Faschismustheorien. Eine vergleichende Übersicht mit Bibliographie. R. G. Fischer, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-88323-528-8.
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- Zeev Sternhell u. a.: Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel zu Mussolini. Hamburger Edition 1999, ISBN 3-930908-53-0.
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- Costanzo Casucci (Hrsg.): Interpretazioni del fascismo. Bologna ²1982 [1961]. Anthologie faschistischer wie antifaschistischer Interpretationen
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- Kurt Pätzold: Faschismus, Rassenwahn, Judenverfolgung. Eine Studie zur politischen Strategie und Taktik des faschistischen deutschen Imperialismus 1933–1935. Berlin 1975.
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Totalitarismus
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Faschismus als „politische Religion“
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- Karl Dietrich Bracher, Leo Valiani (Hrsg.): Faschismus und Nationalsozialismus. Duncker & Humblot, Berlin 1991, ISBN 3-428-07008-9.
- Stefan Breuer: Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich. Darmstadt 2005.
- Sven Reichardt: Neue Wege der vergleichenden Faschismusforschung. In: Mittelweg 36, 2007, H. 1 (PDF)
- jour fixe initiative berlin (Hrsg.): Theorie des Faschismus – Kritik der Gesellschaft. Unrast, Münster 2000, ISBN 3-89771-401-9 Inhaltsverzeichnis und Rezensionen
- Heiko Kauffmann, Helmut Kellershohn, Jobst Paul (Hrsg.): Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt – Analysen rechter Ideologie. Unrast Verlag, Edition DISS, Münster 2005 Rezension
- Ian Kershaw: Der NS-Staat Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick, Reinbek bei Hamburg 1988.
- Juan J. Linz: Some Notes Toward a Comparative Study of Fascism in Sociological Historical Perspective. In: Walter Laqueur (Hrsg.): Fascism: A Reader’s Guide. London 1976.
- Werner Loh, Wolfgang Wippermann (Hrsg.): »Faschismus« – kontrovers. Stuttgart 2002 – Rezension „Was ist Faschismus?“ von Hanna Christiansen (März 2004) bei literaturkritik.de
- Mittelweg 36, 2007, H. 1: Themenheft Faschismus (mit Beiträgen von Emilio Gentile, Michael Mann, Robert O. Paxton, Sven Reichardt)
- Robert O. Paxton: The Anatomy of Fascism. New York 2004; deutsch: Anatomie des Faschismus Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006, ISBN 3-421-05913-6 Rezensionen bei Perlentaucher.de; Rezension von Wolfgang Wippermann (Juni 2006) bei literaturkritik.de.
- Sven Reichardt, Armin Nolzen (Hrsg.): Faschismus in Italien und Deutschland. Studien zu Transfer und Vergleich. Göttingen 2005.
- Sven Reichardt: Was mit dem Faschismus passiert ist. Ein Literaturbericht zur internationalen Faschismusforschung seit 1990. Teil 1. In: NPL 49, 2004.
- Werner Röhr: Faschismusforschung im Spiegel der Kritik, Aurora, Berlin 2014, ISBN 978-3-359-02536-8.
- Robert O. Paxton: Faschismus als Erscheinungsform des Totalitarismus? Verbrecherbande oder Agenten des Kapitalismus – die Interpretationen gehen auseinander, Artikel im „Tagesspiegel“ vom 13. September 2005.
- Hans-Ulrich Thamer, Wolfgang Wippermann: Faschistische und neofaschistische Bewegungen. Probleme empirischer Faschismusforschung. Darmstadt 1977.
- Wolfgang Wippermann: Europäischer Faschismus im Vergleich (1922–1982). Suhrkamp, Frankfurt am Main, 3. Auflage 1991, ISBN 3-518-11245-7; Zusammenfassung
- Wolfgang Wippermann: Zur Analyse des Faschismus. Die sozialistischen und kommunistischen Faschismustheorien 1921–1945. Moritz Diesterweg, Frankfurt am Main 1981.
Weblinks
- Literatur über Faschismustheorie im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Mauro Cerutti: Faschismus. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- „Faschismus und Bürgertum“, Artikel vom 12. Januar 1973 von Klaus-Jürgen Müller in der Zeit zu Kühnls Faschismus-Theorie, dargestellt in dessen Werk Formen bürgerlicher Herrschaft
- „Fascism Anyone?“ Free Inquiry Magazine (2003) Laurence W. Britt beschreibt 14 grundlegende Charakteristika faschistischer Regime (englisch); deutsche Zusammenfassung dieses Artikels
- Fernando Esposito: Faschismus – Begriff und Theorien, Version: 1.0, in: Docupedia Zeitgeschichte, 6. Mai 2016
- https://de.wikipedia.org/wiki/Faschismustheorie
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