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Dienstag, 25. Februar 2020

CORONAVIRUS IN ITALIEN: SCHLAMPEREI UND KOMPETENZGERANGEL IM GESUNDHEITSWESEN

Warum Italien so stark vom Coronavirus betroffen ist

Von Oliver Meiler, Rom 25.Feb.2020 (SZ)
Warum Italien? Nun, da die erste Welle der großen Sorge überstanden ist, fragen sich die Italiener, warum das Coronavirus gerade ihr Land so stark trifft. Im Fernsehen zeigen sie ständig dieselbe Weltkarte mit roten Punkten drauf. Je größer der Punkt ist, desto höher ist die Zahl der bekannten und gemeldeten Infizierten. Rechnet man die Kranken auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess nicht zu Japan, und lässt man die offiziellen Zahlen aus Iran einfach so stehen, dann kommt nach China und Südkorea schon Italien.
Mittlerweile soll es 231 Fälle geben, die allermeisten in den norditalienischen Regionen Lombardei und Veneto, genauer: in und um die Infektionsherde Codogno und Vo'. Sieben Personen sind schon gestorben, alle sieben waren entweder schwer krank, hoch betagt, oder beides, doch alle wurden auch positiv auf Sars-Cov-2 getestet. Damit zählt Italien mehr Ansteckungen und mehr Todesopfer als alle anderen europäischen Länder zusammen.
Warum Italien? Die Zeitung Il Fatto Quotidiano fasst die weit verbreitete Erklärung in eine fette Schlagzeile auf der Titelseite: "Weil wir sie suchen, während andere Länder darauf pfeifen." Doch was nach einer trotzigen Verteidigung klingt, ist in Wahrheit auch das Eingeständnis eines selbst verursachten Problems.
Tatsächlich testeten die Italiener nach den ersten Verdachtsfällen in den betroffenen Zonen "a tappeto", wie sie es nennen, also beinahe flächendeckend - mit Rachenabstrichen. Bei diesen Schnelltests wurden auch Infektionen gefunden, die im Normalfall nie publik geworden wären. Etwa die Hälfte der Personen, die positiv getestet wurden, weisen nur schwache Symptome auf: Sie stehen unter Quarantäne, aber bei sich zuhause. Am Ursprung der schnellen Verbreitung stand offenbar das Krankenhaus von Codogno, wo der sogenannte Patient 1, ein 38-jähriger Forscher und Sportler, zuerst untersucht wurde. "Mattia", wie er in der Presse genannt wird, liegt nun in Pavia auf der Intensivstation.

Die Krankenhäuser tragen eine Mitschuld an der Virusverbreitung. Das entfacht einen politischen Streit.

Mehrere berühmte Virologen im Land halten das Krankenhaus von Codogno für einen "Resonanzkörper", so auch Massimo Andreoni von der römischen Universität Tor Vergata. In sanitären Anlagen finde man alle Bedingungen, Bakterien und Viren, die für Patienten mit schweren Krankheiten gefährlich seien, sagte Andreoni dem Corriere della Sera. Erschwerend kommt hinzu, dass die Italiener zur Gewohnheit haben, auch bei normaler Grippe oder leichten Beschwerden immer gleich Hilfe in den Notaufnahmen der Krankenhäuser zu suchen. Die Wartesäle im "Pronto Soccorso" sind meistens voll.
Auch Italiens Premier Giuseppe Conte sieht in den Zuständen im Krankenhaus von Codogno eine der Hauptursachen für die schnelle Verbreitung des Virus. "Der Infektionsherd hat sich auch deshalb ausgeweitet", sagte Conte im Fernsehen, "weil ein Krankenhaus die angezeigten Vorsichtsmaßnahmen nicht ganz befolgte."
Die Aussage hat eine laute Polemik ausgelöst mit dem Gouverneur der Lombardei, Attilio Fontana von der oppositionellen Rechtspartei Lega. "Unzulässig und verletzend" seien die Worte des Premiers, sagte er. Einer von Fontanas Parteigänger ging noch weiter: "Faschistisch" sei das, Conte möge sich doch ein bisschen ausruhen, wenn er der Aufgabe nicht gewachsen sei.
Der Streit gründet nicht nur auf politischen Animositäten. Es geht dabei auch um eine Strukturfrage: Die Verantwortung für das Gesundheitswesen liegt in Italien bei den Präsidenten der Regionalverwaltungen. Im Fall von nationalen Notständen kollidieren die Kompetenzen ständig. Conte wirft manchen Gouverneuren vor, sie schlügen Alarm ohne Not. So wies er den Präsidenten der zentralitalienischen Region Marken an, die Schließung der Schulen in seinem Kompetenzgebiet wieder aufzuheben: In den Marken gibt es bisher keine bekannten Infektionsfälle. Die Zeitung La Repubblica schreibt über das "Chaos" im Gesundheitswesen: "Manche Verantwortliche folgen dem Herzen, andere dem politischen Opportunismus, noch andere den Ratschlägen von ebenso illustren wie fantasierenden Provinzprofessoren."

Die Frage nach dem Ursprungsanstecker bleibt ungeklärt

Ein weiterer Grund für den italienischen Sonderfall liegt wohl an einer Maßnahme, die man bislang für vorbildlich gehalten hatte: Italien beschloss früh, alle Flüge aus China zu untersagen. Doch wahrscheinlich brachte das nichts, eher im Gegenteil: Womöglich behinderte das die Kontrollen. Statt direkt zu reisen, wählten Passagiere aus China einfach Flüge über Frankfurt, Zürich oder London, wo sie die Maschine wechselten, um nach Mailand und Rom weiterzufliegen. So verlor sich die Spur. Andere europäische Länder folgten dem Rat der Weltgesundheitsorganisation und stellten die ankommenden Passagiere, die ihre Endstation erreicht hatten, zunächst unter Quarantäne. So ließen sich alle systematisch prüfen.
In Italien fragen sie sich unterdessen noch immer, wie das Virus ins Land gekommen sein könnte. Im Norden Italiens leben nicht nur viele Chinesen, es gibt da auch etliche Firmen, große und kleine, die rege mit China handeln und Mitarbeiter regelmäßig auf Geschäftsreise nach China schicken. Hunderte, jede Woche.
Zunächst glaubte man, dass ein 41-jähriger italienischer Manager und Freund von "Mattia" diesen auf seinem Heimurlaub in Codogno angesteckt haben könnte. Sie trafen sich mehrmals. Doch obschon er Erkältungssymptome hatte, stellte sich dann heraus, dass es nur eine herkömmliche Grippe war. Auch alle anderen Fährten zu möglichen Ursprungsansteckern erwiesen sich als falsch. Und so wächst die Unsicherheit im Volk weiter an. Es ist eine ungefähre Sorge, die durch widersprüchliche Informationen genährt wird. Manchmal widersprechen sich auch die Experten in den Fernsehstudios.

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Das Virus sei kaum noch einzudämmen, sagte die WHO am Montag. Und tatsächlich: Jetzt breitet sich der Corona-Erreger auch in Europa stark aus. Besonders betroffen ist Italien. Aber warum eigentlich? 
Zehn italienische Gemeinden sind mittlerweile Sperrzone, Sicherheitskräfte kontrollieren, wer rein und raus darf. Das öffentliche Leben steht mancherorts praktisch still. Schulen, Universitäten und Museen bleiben geschlossen. Die Post wird in vielen Orten nicht mehr zugestellt. Auch der Karneval von Venedig, der bis Dienstag gehen sollte, ist abgesagt. Der italienische Skiverband hat bereits alle seine Veranstaltungen im Land für eine ganze Woche ausgesetzt, Fußballspiele in der Seria A und Europa League finden vor leeren Rängen statt.
Das Coronavirus hat sich in Italien rasend schnell ausgebreitet. Das Land hat mit Abstand die meisten erfassten Fälle in Europa. Aber warum ist Italien so heftig betroffen? Forscher und Medien haben drei Haupt-Gründe ausgemacht.
1. Italien testet mehr als andere Länder
Wie die italienische Tageszeitung "La Repubblica" beobachtet hat, werden in Italien derzeit schlichtweg mehr Menschen auf das Coronavirus getestet als andernorts in Europa. In Frankreich etwa seien bisher 300 Personen entsprechend untersucht worden, in Italien dagegen haben man 3000 Menschen den sogenannten "Teppichtests" unterzogen – massenhaften Rachen-Abstrichen. Oder, wie es die Zeitung "Il Fatto Quotidiano" am Dienstag im Hinblick auf mögliche Infizierte auf ihrer Titelseite salopp zusammenfasst: "Wir suchen sie, andere Länder pfeifen auf sie" 

2. Der unbekannte Patient 0
Angesichts der aktuellen Lage hat Italien einen Sonderberater in Sachen Corona ernannt: Der Arzt Walter Ricciardi ist selbst Mitglied der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und soll der Regierung zur Seite stehen. Er sagte in einem Interview mit der Zeitung "La Stampa", es sei ein schwerer Fehler gewesen, Direktflüge von und nach China einzustellen.
Dadurch seien Passagiere gezwungen gewesen, auf Umsteigeverbindungen auszuweichen – "mit dem Ergebnis, dass niemand weiß, wer und wann tatsächlich aus China angekommen ist", analysierte die Zeitung "La Repubblica". Und das wiederum habe zur Folge gehabt, dass potenzielle Corona-Patienten nicht schnell und einfach hätten identifiziert werden können. Somit sei völlig unklar, wer das Virus nach Italien gebracht habe – der "Patient Null" sei unbekannt.
Im Gegensatz zu Italien seien Deutschland, Frankreich und Großbritannien den Empfehlungen der WHO gefolgt und hätten Direktflüge eben nicht eingestellt. Dadurch sei es leichter gewesen, Erkrankten "zu folgen und sie unter Quarantäne zu stellen", schrieb "La Repubblica". Nur so könnte die Weitergabe des Virus' verhindert werden.
3. Die Rolle der italienischen Krankenhäuser
Eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung der Infektion haben auch die italienischen Krankenhäuser gespielt. Wie der Notfall-Kommissar der Regierung, Angelo Borrelli, im Gespräch mit der Zeitung "Corriere della Sera" sagte, "mangelte [es] an Wissen beim Gesundheitspersonal, die die Symptome des Virus nicht sofort erkennen konnten." Im Krankenhaus in Codogno, wo der erste bekannt gewordene Fall von Covid-19 eingeliefert worden war, infizierten sich demnach mindestens fünf Ärzte und Krankenschwestern mit dem Virus. Auch in Dolo, wo es einen Corona-Fall gab, steckten sich ein Arzt, eine Krankenschwester und weiteres Personal an.
"Es gab Situationen, in denen wir die Symptome des Virus nicht sofort erkennen konnten", sagte Borrelli weiter und betonte, dass es nicht die "Schuld" der Ärzte sei, sondern die "Schwierigkeit", die Symptome zu erkennen und richtig einzuordnen. Der Virologe Fabrizio Pregliasco ergänzte: "Differentialdiagnosen zur Abgrenzung von anderen Krankheiten werden durchgeführt, wenn auf einem bestimmtem Erreger ein besonderes Augenmerk liegt." In Italien sei bis vor Kurzem aber kein Corona-Fall bekannt gewesen. 
Hinzu kommt: Im Krankenhaus befinden sich ohnehin oft immungeschwächte Menschen, die sich leichter mit einem Virus anstecken können als gesunde.
4. Premierminister Conte greift Krankenhäuser und Provinzregierung an
Der Umgang mit dem Coronavirus seitens der betroffenen Krankenhäuser sei fehlerhaft gewesen, sagte am Dienstag der italienische Premierminister Giuseppe Conte. "Es gab einen Hotspot und von dort hat sich das Virus ausgebreitet, teilweise aufgrund des Managements eines Krankenhauses, das nicht komplett nach den protokollierten Vorsichtsmaßnahmen gehandelt hat, die in diesen Fällen empfohlen werden", so Conte. Das habe "zur Ausbreitung beigetragen."
Der Gouverneur der Lombardei wies diese Vorwürfe scharf zurück: "Ich hoffe, das war ein Versprecher, der ihm unbewusst rausgerutscht ist", sagte Attilio Fondana dem Radiosender RAI. Andernfalls hieße das, "dass die Regierung langsam anfängt, außer Kontrolle zu geraten."
Contes Behauptungen seien "haltlos und inakzeptabel", sagte auch der Gesundheitsbeauftragte der Lombardei, Giulio Gallera. Conte sei eine "unwissende Person, weil er nicht weiß", wie die Protokolle, die das Institut für Gesundheit (ISS) aufgesetzt hätten, aussehen, so Gallera. "Wir sind den Entscheidungen des ISS und den Richtlinien des Ministeriums sklavenhaft gefolgt."
5. Weitere Infektionen in Italien
Unterdessen breitet sich das Virus vom bislang hauptsächlich betroffenen Norditalien in Richtung Süden aus. Auch aus der Toskana und Sizilien werden Infektionsfälle gemeldet: Der italienische Zivilschutz teilte mit, das neuartige Coronavirus sei inzwischen auch bei zwei Menschen in Florenz in Pistoia festgestellt worden. Auch eine Urlauberin aus der Lombardei in der sizilianischen Hauptstadt Palermo wurde demnach positiv getestet, das Ergebnis eines zweiten Tests stehe noch aus. Die Reisegruppe der Frau wurde vorerst unter Quarantäne gestellt, Hotelmitarbeiter isoliert.
Seit Montag wurden landesweit insgesamt mehr als 50 Neuinfektionen gemeldet, damit stieg die Zahl der Ansteckungen auf 283.
Erste Länder stellten bereits Flugverbindungen nach Italien ein, darunter Kuwait, Südkorea und Thailand. Premierminister Conte warnte ausländische Regierungen davor, die Reisefreiheit italienischer Staatsbürger einzuschränken: Das sei "inakzeptabel".
Quellen: "La Repubblica", "La Stampa", "Corriere della Sera", Nachrichtenagenturen DPA, AFP, ANSA

Italienische Kliniken im Visier der Staatsanwaltschaft

In Italien wird Kritik an Fehlern im Umgang mit der Corona-Krise in Krankenhäusern und Altersheimen lauter. In Heimen in der besonders betroffenen Lombardei scheint es zu einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus gekommen zu sein.
Allein in einer bekannten Geriatrie bei Mailand seien seit März 110 Menschen gestorben und Fälle verdeckt worden, berichtete unter anderem die Zeitung „Corriere della Sera“.
Die Staatsanwaltschaft in Mailand habe Ermittlungen zum Zustand in mehreren Heimen aufgenommen. Der Vizepräsident der Region, Fabrizio Sala, erklärte, es sei eine Kommission zur Aufklärung eingerichtet worden. Die Einrichtung äußerte sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen.
Am Mittwoch erklärte zudem die Staatsanwaltschaft laut Nachrichtenagentur Ansa, dass gegen unbekannt in einer Klinik in Alzano Lombardo bei Bergamo ermittelt werde.


Die Provinz ist das Epizentrum der Corona-Krise in Italien. Der Bürgermeister von Bergamo, Giorgio Gori, hatte gesagt, dass dort vermutlich Corona-Kranke nicht sofort erkannt worden seien.
Der Verband der Chirurgen und Zahnärzte in der Lombardei prangerte derweil in einem Brief an die Region mehrere Fehler im Krisenmanagement an – darunter mangelnde Tests auf das Virus. Diese werden derzeit nur bei denen gemacht, die ernsthafte Symptome zeigen.

Enorme moralische Verantwortungslosigkeit“

Auch mangele es an Schutzausrüstung für Ärzte und medizinisches Personal. Zudem gebe es keine Klarheit über die Ausbreitung des Virus in Altenheimen. In Italien sind im Zuge der Pandemie bisher mehr als 17.000 Infizierte gestorben.
Die Fünf-Sterne-Bewegung kritisierte die Entscheidung der Region, die Krankenhäuser zu entlasten, indem Covid-19-Patienten in Alterseinrichtungen geschickt worden seien. „Das bringt eine enorme moralische Verantwortungslosigkeit der Politik zum Vorschein“, erklärte die Europaabgeordnete Eleonora Evi.(8.4.2020, WELT)



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