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Sonntag, 30. April 2023

ZWISCHEN TSCHERNOBYL UND TSUNAMI






Am 26. April 1986 kam es im Atomkraftwerk von Tschernobyl zum bisher schwersten Unfall in der Geschichte der Kernenergie. Aufgrund von eklatanten Konstruktionsfehlern des Atomreaktors, unterlassenen Betriebssicherheitstests nach seiner Inbetriebnahme und grob fahrlässigen Bedienungsfehlern des Personals in der Schaltzentrale während eines Sicherheitstests wurde der Reaktor instabil, die Notabschaltung schlug fehl. Um 1.23 Uhr Lokalzeit kam es zu einer ersten Explosion, bei der Teile des Reaktors und des 64 Meter hohen Reaktorgebäudes zerstört wurden. Wenige Sekunden nach der ersten Explosion kam es zu einer zweiten Detonation. Beide zerstörten den Reaktorblock 4, es kam zu einer Kernschmelze; Zerstört wurde auch das Turbinenhaus. Durch diese Explosionen gerieten innerhalb des Reaktors 1500 Tonnen Graphit in Brand. Das Kraftwerk besaß keine Schutzhülle um das Reaktorgebäude, die möglicherweise das Austreten radioaktiven Materials hätte verhindern oder begrenzen können. Im Reaktorkern befanden sich etwa 190 t radioaktiven Materials. Ein regelrechter Feuersturm und Qualm gespeist durch den lodernden Brandherd riss radioaktive Materialien kilometerhoch in die Atmosphäre, wo sie von starken Winden erfasst wurden. Die radioaktive Wolke verteilte verseuchtes Material zunächst richtung Schweden und Finnlands, dann über weite Teile Europas.  Durch den massiven Auswurf radioaktiver Stoffe in die Umgebung und in die Atmosphäre wurde nicht nur die Umgebung durch den radioaktiven Niederschlag unbewohnbar.

Nach der gewaltigen Explosion brannte das schwer zu löschende Grafit. Dadurch wurde der havarierte Reaktor zu einem fauchenden Vulkan, der für zehn Tage radioaktive Stoffe in die Luft blies. Um das Ausmaß der Katastrophe einzudämmen, musste der Reaktor gelöscht werden. Noch in der Nacht des 26. April begannen die Feuerwehrleute damit, Kühlwasser in den Reaktorkern zu pumpen. Als das fehlschlug, wurden Militärhubschrauber eingesetzt, mit denen insgesamt rund 5000 Tonnen Material ins Feuer abgeworfen wurden. Bereits am 27. April wurde begonnen, den Reaktor von Block 4 mit Blei, Bor, Dolomit, Sand und Lehm zuzuschütten. Dies verringerte die Spaltproduktfreisetzung und deckte den brennenden Graphit im Kern ab. Insgesamt wurden ca. 40 t Borcarbid abgeworfen, um die Kettenreaktion zu unterbinden, ca. 800 t Dolomit, um den Graphitbrand zu unterdrücken und die Wärmeentwicklung zu verringern, ca. 2400 t Blei, um die Gammastrahlung zu verringern wie auch eine geschlossene Schicht über dem schmelzenden Kern zu bilden, und ca. 1800 t Sand und Lehm, um die radioaktiven Stoffe zu filtern. Rund 1800 Hubschrauberflüge waren hierfür nötig. Doch erst als der Reaktor – zehn Tage später – mit eingeblasenem Stickstoff gekühlt werden konnte, war der Brand unter Kontrolle.

Die entstanden radioaktiven Wolken verseuchten durch den Niederschlag auch große Teile Russlands, Weißrusslands; der Ukraine und zogen bis nach Nord-, Mittel und Westeuropa. Süddeutschland war dabei stärker von dem Fallout betroffen als der Norden. Bis zu 800.000 (manche Quellen sprechen von 600.000) sog. Liquidatoren (größtenteils zwangsverpflichtete Soldaten) waren daran beteiligt, die Katastrophenfolgen in den Griff zu bekommen. Liquidatoren hießen sie, weil sie die Folgen der Katastrophe liquidieren, also beseitigen sollten. Die meisten Ersthelfer und viele Liquidatoren starben innerhalb kurzer Zeit qualvoll an akuter Strahlenkrankheit oder später an Blutkrankheiten und Krebs. Eine halbe Million Menschen musste umgesiedelt werden. 

Auf der siebenstufigen internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse wurde die Tschernobyl-Nuklearkatastrophe als erstes Ereignis in die höchste Kategorie katastrophaler Unfall (INES 7) eingeordnet (Super GAU). Seit 1990 existiert diese Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse, die Störfälle und Atomunfälle genauer klassifiziert. Die Skala reicht von Stufe 0 bis Stufe 7. In die höchste Stufe wurden bisher nur zwei Unfälle eingruppiert: Die Zerstörung des Kernreaktors von Tschernobyl 1986 und die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011. Jahrelang versuchte man die Ursachen dieser verheerenden Katastrophe zu ergründen. Heute sind sie hinreichend bekannt. 

1. Gleich am Anfang stellte sich die Frage der Schuld für das Zustandekommen der Katastrophe und diese suchte man aus leicht nachvollziehbaren Gründen zunächst nicht in der evident fehlerhaften Konstruktion des Reaktors sondern bei seiner fehlerhaften Bedienung durch das Personal. Als Ursachen für den sogenannten Super-GAU gelten die Bauart des Reaktors, Mängel bei Sicherheitsstandards und Fehler in der Bedienung der Anlage durch das diensthabende Personal in der Schaltzentrale.

1.1 Atomreaktor

Um die Katastrophe besser verstehen zu können sind einige technische und physikalische Vorkenntnisse erforderlich. Als Kern- oder Atomreaktor wird eine Anlage bezeichnet, in der eine geregelte Kettenreaktion von Kernspaltungen zur Freisetzung von Energie genutzt wird. Den ersten Atomreaktor baute Prof. Enrico Fermi in Chicago 1942, um zu beweisen, dass man durch Kernspaltung gewaltige Mengen Energie gewinnen kann. Es war ein gewaltiger schwarzer Block zusammengesetzt aus 1350 Tonnen Graphit. In den aufgestapelten ziegelsteingroßen Graphitblöcken waren Bohrlöcher, angeordnet, wo sich im Innern des Reaktors Stücke eines sehr schweren Metalls, Urans, befanden, insgesamt 52 Tonnen. Und in anderen durchgehenden Langbohrungen steckten lange Stäbe aus Kadmium, sie führten von außen ins Innere. Am 2. Dezember 1942, nachdem Stück für Stück die Kadmiumstäbe herausgezogen wurden, begann die Temperatur des Blocks zu steigen, Uran und Graphit wurden immer heißer. Der Reaktor erreichte den kritischen Zustand. Dann wurden die Stäbe wieder zurückgeschoben und die Temperatur im Reaktorblock begann zu sinken. Durch dieses Experiment wurde bewiesen, dass Atomenergie kontrolliert in Wärme verwandelt und damit elektrischen Strom erzeugt werden kann.

Die Kernspaltung erfolgt mittels Neutronen, die - weil sie elektrisch neutral sind - in den Atomkern eindringen können und schwer genug sind, um den Atomkern zu spalten. Kommen jedoch die Neutronen von ihrer Quelle ungebremst, kommt es nicht zur Kernspaltung und es wird keine Kernenergie freigesetzt. Damit diese zustande kommt, sind zu diesem Zweck langsame/thermische Neutronen nötig, da die Wahrscheinlichkeit des Eindringens in den Atomkern mit ihrer abnehmenden Ausbreitungsgeschwindigkeit wächst. Diese Rolle übernimmt in Atomreaktoren der Moderator. Damit es innerhalb des Reaktorkerns zu einer kontrollierten Kettenreaktion kommen kann, benötigt man also einen so genannten Moderator, der die Neutronen abbremst, bevor sie Uran-Atome spalten.

1.2 RBMK-Reaktor

Die technischen Daten  des RBMK-1000 beinhalteten: Thermische Leistung 3200 MW, Elektrische Leistung 1000 MW, Dampfproduktionskapazität 5600 t/h, Kühlmitteldruck 6,5 MPa, Kühlmitteldurchsatz 37.440 t/h, Kühlmitteltemperatur 284 °C, Brennstoff 2 % angereichertes Uran 235U, Brennstoffgewicht des voll beladenen Reaktors 192 Tonnen, 12 Quellen schneller Neutronen, Anzahl der Brennelemente/Druckröhre ca.1600, Anzahl der Steuerstäbe  211, Anzahl langer manueller Steuerstäbe 167, Anzahl langer automatischer Steuerstäbe 12, Anzahl kurzer Steuerstäbe 32, Höhe des Reaktors 7 Meter, Durchmesser des Reaktors 12 Meter.

Die Katastrophe von Tschernobyl ereignete sich mit einem Reaktor des Typs RBMK-1000, dadurch wurde er weltweit unrühmlich bekannt. Zum Zeitpunkt des Unfalles war Block 4 der neueste Reaktor am Standort, und mit ihm wies das Kraftwerk eine Gesamtleistung von 4 GW auf. Das Kernkraftwerk war damit eines der jüngsten in der Sowjetunion. Es war ein graphitmoderierter, wassergekühlter Siedewasser-Druckröhrenreaktor sowjetischer Bauart. Die Technik wurde in der UdSSR selbst zum Vorzeigeprojekt der damals neuen Nukleartechnologie der Sowjetunion. Bis 1986 galt das Kernkraftwerk Tschernobyl, das größte der Ukraine, mit seinen vier RBMK-1000 als Musteranlage. Auch die deutsche Fachzeitschrift "Atomwirtschaft" schrieb im Dezember 1983: „Die Verlässlichkeit von Tschernobyl ist sehr hoch“. Es war eine glatte Lüge. Denn Kernkraftwerke des Typs RBMK wurden auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion nicht nur in Tschernobyl (4 Blöcke) errichtet, sondern auch in Leningrad, Kursk und Belojarsk. Und vor dem Super Gau kam es bereits im AKW Leningrad, Belojarsk und im Block 1 in Tschernobyl zu Beinah-Katastrophen. 

1974 Leningrad: Aufgrund siedenden Wassers ereignete sich ein Bruch des Wärmetauschers im Block 1 des AKW Leningrad. Drei Menschen starben. Hochradioaktives Wasser aus dem Primärkreislauf wurde zusammen mit radioaktivem Filterschlamm in die Umwelt freigesetzt. (INES: 4–5)

1975   Leningrad: Damals ereignete sich eine teilweise Zerstörung des Reaktorkerns in Block 1 des Leningrader AKW. Dabei wurden ca. 1,5 Megacurie an radioaktiven Substanzen an die Umwelt abgegeben. (INES: 4–5)

1977 Belojarsk: Bei einem Unfall schmolzen 50 % der Brennstoffkanäle des Blocks 2 vom Belojarsker AKW, einem Druckröhrenreaktor ähnlich dem RBMK. Das Personal wurde hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt. (INES: 5)

1978 Belojarsk: Im Turbinenhaus des Blocks 2 vom Belojarsker AKW stürzte eine Deckenplatte auf einen Turbinenöltank und verursachte einen Großbrand. 8 Personen erlitten hohe Strahlendosen, bei Improvisierung einer Reaktornotkühlung. (INES: 3–4)

1982 Tschernobyl: Im Block 1 des AKW Tschernobyl wurde durch Fehler des Personals ein Brennstoffkanal in der Mitte des Reaktors zerstört. Eine große Menge radioaktiver Substanzen wurden über den industriellen Bereich der Kernkraftanlage und die Stadt Prypjat verteilt. Das Personal, das mit der Liquidation der Konsequenzen dieses Unfalls beschäftigt war, erhielt hohe Strahlendosen. (INES: 5).

Also bereits vier Jahre zuvor war es im September 1982 im Block 1 des AKW Tschernobyl zu einem Unfall der Kategorie INES 5 gekommen, mit der gleichen Ursache wie die bekanntere Katastrophe im Jahr 1986. 

Nikolay Steinberg, der führend an der Untersuchung der Katastrophe beteiligt war, vertrat eine andere Meinung als Legassov, dass nämlich die Bauart des Reaktors ein Sicherheitsrisiko war. 

Zuverlässig funktionierende Einrichtungen zum Abschalten des Reaktors gehören zu der elementaren Sicherheitsvorkehrung. Doch sie funktionierten nicht. 

In den meisten westlichen Kernkraftwerken (auch in Deutschland) wurde und wird als Moderator Wasser verwendet. Im RBKM-Tschernobyl Reaktor diente jedoch Grafit als Moderator. Hier lag der entscheidende Nachteil: Grafit ist brennbar. Und es ist in Brand geraten. Dieser schwer löschbare Brand schleuderte dann die radioaktiven Partikeln in die Atmosphäre.  

Die Brennstäbe müssen stets mit Wasser gekühlt werden, doch in Tschernobyl wurde die Wasserzufuhr der Kühlung durch das Personal ausgeschaltet; die Steuerung des Reaktors hatte diese Möglichkeit vorgesehen, sie war fehlerhaft. Der Reaktorkern konnte nicht mehr gekühlt werden. So erhitzten sich die Brennstäbe innerhalb weniger Sekunden auf etwa 2000 Grad. Das Grafit fing an zu brennen.  

Da ein Atomreaktor laufend gekühlt werden muss, gehört zum GAU der Bruch einer Haup-Kühlmittel-Leitung. Das Vorhandensein einer zuverlässigen Notkühlung gehört somit zu einer weiteren elementaren Sicherheitsvorkehrung. 1979 kam es im amerikanischen Atomkraftwerk "Three Mile Island" in Pennsylvania zum ersten Mal zum GAU. Die Brennstäbe konnten nicht mehr gekühlt werden und es setzte die Kernschmelze ein. Bei der Kernschmelze erhitzen sich die Brennstäbe so stark, dass sie schmelzen und die Gefahr einer Explosion besteht. Diese trat im amerikanischen Kraftwerk zwar nicht ein und dadurch blieben die Gefahren durch austretende radioaktive Substanzen für die Bevölkerung relativ gering. Deshalb baute man seitdem um den Reaktor eine äußere Schutzhülle – eine große Umhüllung aus Eisenbeton, sie wurde zu einer weiteren gängigen Sicherheitsvorkehrung, die aber in Tschernobyl fehlte. Das Kraftwerk besaß keine Schutzhülle um das Reaktorgebäude, die möglicherweise das Austreten radioaktiven Materials hätte verhindern oder begrenzen können. Stattdessen riss ein regelrechter Feuersturm radioaktive Materialien kilometerhoch in die Atmosphäre, wo sie von starken Winden erfasst wurden. Die radioaktive Wolke verteilte verseuchtes Material über weite Teile Europas.

Von elementarer Bedeutung für die Betriebssicherheit eines Atomreaktors ist die sichere Steuerung seiner Reaktivität. Diese aber war nicht gegeben. Warum?

Die Steuerstäbe bestanden aus Borcarbid. Bis auf die Automatik-Steuerstäbe waren alle Steuerstäbe mit Graphitspitzen ausgestattet. Das Graphit an den Steuerstäben bewirkte, dass beim Herausziehen der leere Kanal sich nur teilweise mit Wasser füllte. Kohlenstoff absorbiert Neutronen viel schwächer als Wasser und hat als Moderator generell die Aufgabe, die Anzahl thermischer/langsamer Neutronen zu steigern um die Wahrscheinlichkeit der Kernspaltung zu erhöhen und somit die Kettenreaktion in Gang zu setzen, hebt daher den Neutronenfluss also die Reaktivität des Reaktors an. Auch beim Einfahren vollausgefahrener Steuerstäbe in die Wasserkanäle bewirkte dies durch Verdrängen von Wasser einen Reaktivitätszuwachs - sollte aber logischerweise den gegenteiligen Effekt bewirken also die Senkung der Reaktivität. Insgesamt hatten 179 der 211 Steuerstäbe an der Einfahrseite des Reaktors Graphitspitzen, welche das Kühlwasser verdrängten. 

Kennzeichnend für den Reaktortyp (graphit-moderiert) war ein stark positiver Void-Koeffizient. Der Dampfblasenkoeffizient (auch Kühlmittelverlustkoeffizient oder Voidkoeffizient genannt) ist ein Maß für die Veränderung der Reaktivität eines Kernreaktors bei Bildung von Dampfblasen im Kühlmittel. Eine steigende Reaktivitätsänderung, die nicht ausgeglichen wird, hat ihrerseits steigende Änderungen der Wärmeleistung des Reaktors zur Folge. Deshalb ist der Dampfblasenkoeffizient wichtig für die Sicherheit des Reaktors. Bilden sich im Kühlwasser Dampfblasen – zum Beispiel wegen einer lokalen Leistungssteigerung an einer Stelle im Reaktor oder wegen Druckverlusts im Reaktor nach dem Platzen eines Rohres –, steigen die Reaktivität im Reaktor und damit die Wärmeabgabe. Grund hierfür ist, dass sich die Neutronenabsorption des Kühlwassers entsprechend der Dampfblasenbildung reduziert, während zugleich die zur Kernspaltung nötige Moderationswirkung des im Reaktor verbauten Graphits erhalten bleibt. Bei den meisten anderen kommerziellen Reaktortypen ist hingegen der Void-Koeffizient negativ, weil dort das Kühlwasser zugleich als Moderator dient. Kommt es bei diesen zur Dampfblasenbildung, reduziert sich die Reaktivität und damit auch die Wärmeproduktion.

Zu den weiteren gravierenden Sicherheitsrisiken gehörten:

Eine Störung der Kühlung führte sofort zum Anstieg der Wärmeleistung. 

RBMK hatte einen deutlich erhöhten Inspektionsbedarf durch die Verwendung von Druckröhren, die viele Schweißverbindungen besaßen.

RBMK setzen während des Normalbetriebs verglichen mit anderen Konstruktionen wesentlich mehr Radioaktivität frei. Die Emissionen führen zu Äquivalentdosen von bis zu 2,0 mSv pro Jahr. Zum Vergleich: Ein durchschnittliches westliches Kernkraftwerk verursacht pro Jahr Dosen von 0,001 mSv bis 0,01 mSv in der Umgebung. Die Strahlenexposition aus natürlichen Quellen beträgt im Schnitt 2,4 mSv pro Jahr. Bei einer Computertomographie beträgt die Strahlendosis 2 mSv bis 10 mSv.

Der Reaktor hatte kein Containment (Druckbehälter), sondern stattdessen ein so genanntes Confinement, was das Risiko radioaktiver Verseuchung der Umgebung nach einem Störfall erhöht.

Das Notkühlsystem des Reaktors war komplex und störanfällig. 

Viele Sicherheitssysteme beim RBMK waren nicht oder mit zu geringer Redundanz vorhanden. Dies führte dazu, dass das Personal in der Schaltzentrale und im AKW nach der Katastrophe immer noch nicht wusste, in welchem Zustand sich der Reaktor befand und dass es zu einem Super GAU kam.

Der RBMK-Reaktor enthält viel Graphit. Graphit ist brennbar und bildet bei Kontakt mit Wasserdampf bei Temperaturen über 900 °C brennbare Gase.  Der entstandene Wasserstoff führte zu einer Explosion des Reaktors.

Es fehlte ein sicher funktionierendes Schnellabschaltsystem, da die Steuerstäbe im Ernstfall 12 bis 18 Sekunden brauchen, um vom voll ausgefahrenen zum voll eingefahrenen Zustand zu gelangen und damit die nukleare Kettenreaktion zu unterdrücken. Gerade in dieser Zeit kam es zu einem Wechsel in den überkritischen Reaktorzustand und führte aufgrund der sehr schnell steigenden Temperatur zu einer Kernschmelze.

Die große Abmessung des Reaktors begünstigte eine inhomogene Leistungsverteilung. Dies stellte besondere Anforderungen an die Regelung, insbesondere bei niedriger Leistung.

Die Steuerstäbe wurden elektrisch bewegt, was bei einem Stromausfall katastrophale Folgen haben konnte.

Für den Rückbau und die Endlagerung des radioaktiven Graphitkerns gibt es bisher keine Lösung.

1.3 Personal

Der sofort nach der Katastrophe nach Tschernobyl entsandte Akademiker Waleri Legassow vom Kurtschatow-Institut für Atomenergie in Moskau wurde zu einer Schlüsselfigur in der Regierungskommission, die die Gründe der Katastrophe untersuchen und einen Plan zur Beseitigung der Folgen entwickeln sollte. Vom 25. bis 29. August 1986 präsentierte er den Bericht der sowjetischen Delegation auf einem Sondertreffen der Internationalen Atomenergieorganisation in Wien (Bericht der IAEA veröffentlicht im November 1986). In diesem Bericht belastete Legassov das Personal schwer als verantwortlich für das Zustandekommen der Katastrophe. Nicht nur er und Moskau sondern auch die Justiz machten das Kraftwerkspersonal zu Sündenböcken und verschwiegen die massiven technischen Mängel des Reaktors und der dazugehörigen Sowjettechnik. Dennoch: Die Reaktoren derselben Typs waren auch im Block 2 und 3 des AKW Tschernobyl montiert und darüber hinaus im AKW Kursk, ohne Zwischenfälle. Darum war die logische Schlussfolgerung, dass das Versagen des Personals schließlich die Katastrophe auslöste.

Auslöser der Katastrophe war ein Experiment, bei dem der Reaktor auf eine niedrige Leistung heruntergefahren wurde. Wie gefährlich eine solche Operation für den russischen Reaktortyp war, wusste weder das Personal, noch war es in den Handbüchern verzeichnet. Spätere Untersuchungen bestätigten die Einschätzung des damaligen Vorsitzenden der Kiewer Atomaufsichtsbehörde Nikolay Steinberg:

„Die Gefahr einer Havarie war bei diesem Reaktortyp schon durch die Konstruktion vorgegeben. Man brauchte nur Bedingungen zu schaffen, unter denen sich ein entsprechender Zustand einstellt. Am 26. April wurden diese Bedingungen vom Personal geschaffen.“

Der Legassows Version des Katastrophenablaufes zufolge führten eine Reihe menschlicher Irrtümer zum Desaster. Die Techniker des Kraftwerkes legten am Tag des Unglücks für Testzwecke das automatische Steuerungssystem und die Notkühlung des Reaktors lahm. Wie zuvor in "Three Mile Island" kam es zur Kernschmelze. In Tschernobyl konnte die Situation aber nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden. Durch die folgenden Explosionen wurde der Reaktor zerstört und 1500 Tonnen Graphit innerhalb des Reaktors gerieten in Brand.

Zu den Grundlagen des sowjetischen Reaktorbaus gehörte es, dem menschlichen Operator mehr Kompetenzen zuzuweisen als der automatischen Steuerung, obwohl diese in der Regel weniger Fehler macht. Von der Gesamtanzahl der Steuerstäbe  (211) wurden die langen Steuerstäbe in der riesigen Zahl von 167 manuell gesteuert. Niemand kann behaupten, dass dies aufgrund menschlicher Unzulänglichkeiten sicher also zuverlässig möglich ist. Dies hatte fatale Folgen die zu dieser Nuklearkatastrophe führte. 

1.4 Sicherheitsstandards


Bei der Suche nach den Ursachen der Katastrophe ist auch Jahrzehnte nach dem Unglück nicht alles abschließend geklärt, was dort in Tschernobyl damals, davor und danach auch im politischen Umfeld sowjetischer AKWs und des Desasters wirklich geschah. Bei der Rekonstruktion des Unglücks und der Suche nach den Ursachen waren die Wissenschaftler vor allem auf Augenzeugenberichte angewiesen, manche von ihnen kamen aber sofort oder wenige Tage nach der Explosion ums Leben infolge der Strahlenkrankheit. Andererseits versuchten sie von den entstandenen Schäden Rückschlüsse auf die Ereignisse zu ziehen. Trotzdem ist aufgrund der Geheimhaltung von katastrophenrelevanten Informationen zwar klar, welche Ursachen mittelbar zu diesem Super-GAU führte, aber noch immer nicht alles klar, was letztendlich die Katastrophe unmittelbar auslöste. Zusammenfassend muss man sagen, dass nicht allein die unsichere und fehlerhafte Reaktortechnik sondern viele unterschiedliche menschliche Faktoren samt grob fahrlässig insuffizienter Organisation zu dem Super-GAU in Tschernobyl führten. 

2. Informationssperre und Vertuschung 

Sofort nach der Explosion des Reaktors in Tschernobyl kappte der KGB die Telefonleitungen von und nach Tschernobyl und der in Deutschland so beliebte und geschätzte und moralisch so hoch gehandelte Gorbatschow (und seine Clique vom Politbüro) eine Nachrichten- und Informationssperre. Die lokale Bevölkerung und die internationale Öffentlichkeit wurden Anfang Mai durch seine Fernsehansprache gezielt getäuscht und mit verharmlosenden Floskeln einer routinemäßigen Havarie in die Irre geführt, die nicht der Ernst der Lage entsprachen. Nicht einmal die am meisten von der Katastrophe betroffene und die ganze Zeit ahnungslose Bevölkerung der naheliegenden Stadt Pripjat wusste, was passiert war. In nur 100 km südlich von Tschernobyl entfernten Stadt Kiev feierte die ebenfalls ahnungslose Bevölkerung feierlich im Freien den 1. Mai und das internationale Radrennen des Friedens fand wie gewöhnlich statt. Obwohl den Verantwortlichen die Gefahren der Kontamination und radioaktiver Strahlung bewusst waren, kümmerten sie sich nicht darum, die Bevölkerung zu informieren und über diese Gefahren aufzuklären. Erst am 14. Mai gab Gorbatschow im Fernsehen überhaupt bekannt, dass es in Tschernobyl zu einem ernsthaften Unfall mit dramatischen Folgen kam, die es gilt mit allen Mitteln einzudämmen.

3. Ahnungslosigkeit und Evakuierung

Es vergingen anderthalb Tage, bevor die Gegend um den Reaktor von Tschernobyl evakuiert wurde. Allein in der nahe liegenden, 3 km vom AKW entfernten Stadt Prypjat lebten fast 50.000 Menschen, die überwiegend in dem Kraftwerk arbeiteten. Sie wussten nicht, dass sie tatsächlich auf einer tickenden Bombe lebten, die jederzeit explodieren konnte und sie wussten nicht einmal, wie bereits erwähnt, dass es sich gleich in ihrer Nähe eine nukleare Katastrophe ereignete. Der auf Samstag des 26. April geplante Volkslauf im Freien fand statt als ob nichts passiert wäre. Statt die Bevölkerung über die Lautsprecher, die überall in der Stadt installiert und hörbar waren, zu warnen und ihr anraten, zu Hause zu bleiben und Fenster zu schließen, kam es aus den Lautsprechern nur ein ohrenbetäubendes Schweigen. Auf diese Art und Weise wurden viele Menschen radioaktiv derart verstrahlt, dass sie entweder an den Folgen der Strahlenkrankheit starben oder infolge der Erbgutschädigung abnormale Kinder zur Welt brachten. Erst am 27. April 1986 wurde die Bevölkerung dann mit Bussen weggebracht. Am 2. Mai wurde entschieden in einem Radius von 30 km vom Tschernobyl eine Sperrzone einzurichten und Menschen aus dem Gebiet von ca. 3000 km² zu evakuieren. Diese Evakuierung wurde am 6. Mai abgeschlossen. Später wurde der Radius vergrößert und die Sperrzone bis auf 4300 km² erweitert.

4. Opfer und Folgen 

Auch außerhalb des 30-Kilometer-Radius' waren viele Gebiete hoch verstrahlt. Nach 1990 wurden teilweise so hohe Strahlendosen gemessen wie im direkten Umkreis des Reaktors. In der Nähe der weißrussischen Stadt Gomel wurde deswegen noch nachträglich eine Sperrzone eingerichtet. Fünf Jahre lang hatten die Menschen dort ahnungslos gelebt. Schwere Erkrankungen, vor allem der Schilddrüse, und eine Krebsrate, die 30-mal so hoch ist wie die vor der Katastrophe, machen das Ausmaß deutlich. Die sogenannte Strahlenkrankheit bedeutet, dass die Körperzellen und roten Blutkörperchen zerstört werden und sich die Schleimhäute auflösen. Die Haut wird durch extreme Strahlung zerstört. Auch die Niedrigstrahlenbelastung greift den Körper an: Fehlfunktionen der Schilddrüse sind in der Ukraine und in Weißrussland noch heute ein großes Problem. Genaue Zahlen, wie viele Menschen wirklich an den Folgen des Unglücks gestorben sind, sind schwer zu ermitteln. Die Krankenakten der Liquidatoren werden unter Verschluss gehalten. Strahlenmediziner gehen davon aus, dass mehr als 50.000 Liquidatoren an den Folgen gestorben sind.

Nach Schätzungen wurden 600.000 Menschen einer starken Strahlenbelastung ausgesetzt, unter den Bergungsmannschaften gab es rund 7000 Tote. 125.000 Helfer erkrankten nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) schwer. Ein Gebiet halb so groß wie die Bundesrepublik wurde in der Ukraine, Weißrussland und Russland radioaktiv verseucht und ist unbewohnbar. 500.000 Bewohner mussten umgesiedelt werden. So wurden Menschen entwurzelt, sie verloren nicht nur ihre Verwandten sondern auch ihre Heimat, ihre Lebensgrundlage, ihre Nachbarn, was traumatische Folgen auslöste. 3,5 Millionen Menschen sind allein in der Ukraine offiziell als Opfer des Unglücks registriert. Für Weißrussland wurde das Desaster zum nationalen Inferno. Der Großteil der Radioaktivität, die am 26. April 1986 und in den Tagen danach aus dem Reaktorblock vier entwich, ging über weißrussischem Gebiet nieder. Etwa zwei Millionen Menschen sind offiziell als Tschernobyl-Opfer anerkannt – jeder fünfte Weißrusse. Ein Ende der Katastrophe ist aber nicht abzusehen: Kinder, die erst nach dem Reaktorunfall geboren wurden, leiden unter Erbgutschäden und Missbildungen. Aus der regionalen Katastrophe wurde ein globales Problem, das mächtig am Image der Kernkraft kratzte. Nicht nur heute noch leiden die Menschen in den betroffenen Regionen in der Ukraine und in Weißrussland an den Folgen der radioaktiven Verseuchung. Denn noch bis heute sind die Folgen der Tschernobyl-Katastrophe in Deutschland messbar. Auch Deutschland war betroffen. Die "Tschernobyl-Wolken“ zogen auch über Deutschland. Deshalb wurden damals Spiel- und Sportplätze geschlossen. Es wurde davor gewarnt, Frischmilch zu trinken und Gemüse zu essen. Denn die gefährlichen Partikel haben viele Wiesen, Acker und Wälder verdorben. Verseuchte Lebensmittel wurden vernichtet. Viele Leute hatten große Angst. Radioaktivität ist für Menschen und Tiere sehr gefährlich. Sie zerstört die Zellen, aus denen wir bestehen. Da man Radioaktivität nicht fühlen, sehen oder riechen kann und man sich damals der Gefahr nicht sofort bewusst war, wurden viele Menschen und Tiere, die in der Nähe des Unfalls waren, radioaktiv verseucht und starben. Andere überlebten die Katastrophe, erkrankten später aber zum Beispiel an Krebs. Viele Menschen in der Umgebung von Tschernobyl leiden heute noch unter den Folgen des Unfalls, nicht nur an Krankheiten. Und auch in Deutschland gibt es noch belastete Böden. Zum Beispiel in Pilzen kann dort noch die gefährliche Strahlung gemessen werden. Das Desaster entwickelte sich somit zu einer andauernden Katastrophe. 

5. Wie BRD und DDR reagierten

Wie reagierte Deutschland auf den Super-GAU in Tschernobyl? – Irene Altenmüller recherchierte. 

Nach dem Reaktor-Unfall von Tschernobyl am 26. April 1986 zieht eine radioaktive Wolke nach Deutschland. Das Unglück trifft Bundesrepublik und DDR unvorbereitet. Notfallpläne gibt es keine. Regierungen sind auf Atom-Katastrophe unvorbereitet. Das Reaktorunglück trifft Ost und West gleichermaßen unvorbereitet. Auch in der Bundesrepublik gibt es keinen Notfallplan, keine gesetzlichen Vorgaben für Grenzwerte, keine offiziellen Empfehlungen, welche Maßnahmen zu treffen sind. Dass eine Katastrophe wie diese eintreten könnte, hatte man schlichtweg nicht für möglich gehalten - oder halten wollen.

26. April 1986, 1:23 Uhr Ortszeit: Im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl explodiert ein Reaktor. Radioaktive Stoffe werden in die Atmosphäre geschleudert. Das Unvorstellbare ist eingetreten: Der Super-GAU, der größte anzunehmende Unfall, der nicht mehr kontrollierbar ist. In den folgenden Tagen ziehen radioaktive Wolken über Europa hinweg. Auch Deutschland ist betroffen. 

Die sowjetischen Behörden vermelden den Unfall erst am 28. April, nachdem Schweden und Finnland stark erhöhte Strahlenwerte gemessen und öffentlich gemacht haben. Obwohl wenig über das Ausmaß des Unfalls bekannt wird, sehen BRD und DDR keine Gefahr, die Bundesregierung gibt sich gelassen: In einem Fernsehinterview mit der Tagesschau erklärt Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU), dass eine Gefährdung der deutschen Bevölkerung "absolut auszuschließen" sei. Es gebe keinen Anlass zu handeln. Eine Gefahr bestünde nur im Umkreis von 30 bis 50 Kilometern rund um den Reaktor. 

Die Bürger der DDR erfahren zunächst überhaupt nur aus den West-Medien von dem Unfall. Erst am 29. April erscheint eine erste kurze Meldung in der Zeitung. Mit Rücksicht auf den sozialistischen Bruderstaat versucht die DDR-Regierung, das Unglück und mögliche Gefahren herunterzuspielen. 

In den folgenden Tagen steigen die Strahlenwerte in manchen Regionen auf alarmierend hohe Werte. Besonders betroffen sind Teile Süddeutschlands - dort waschen heftige Regenfälle die radioaktiven Stoffe aus der Atmosphäre. Aber auch auf dem ostfriesischen Norderney liegen sie an den Messstationen um das Siebzehnfache höher als im langjährigen Durchschnitt, im emsländischen Lingen gar um das 48-fache. Noch immer kein Grund zur Besorgnis? Darüber sind sich Wissenschaftler, Politiker und Medien uneins. 

Radioaktivität: Viele Lebensmittel und Fahrzeuge strahlen

An der innerdeutschen Grenze wurden Fahrzeuge, die aus dem Osten kamen, auf ihre Strahlenbelastung getestet. Da es keine einheitlichen Empfehlungen gibt, legt jedes Bundesland eigene Strahlengrenzwerte für Lebensmittel fest. Denn über Gemüse oder auch Kuhmilch gelangt die Strahlung auch in den menschlichen Körper. Basierend auf den Empfehlungen der Strahlenschutzkommission gibt auch die Bundesregierung Empfehlungen zu Grenzwerten heraus, die sich allerdings teils stark von denen einzelner Länder unterscheiden. So empfiehlt die Bundesregierung für Kuhmilch einen Grenzwert von 500 Becquerel pro Liter, Schleswig-Holstein setzt dagegen nur 50 Becquerel pro Liter an. Schleswig-Holstein lässt auch alle aus Osteuropa kommenden Lastwagen, Autos und Schiffe auf Radioaktivität prüfen: Etwa jedes 20. bis 25. Fahrzeug strahlt so stark, dass es dekontaminiert werden muss. Schiffe werden bereits auf hoher See zur Reinigung aufgefordert. 

Verschiedene Empfehlungen nach Tschernobyl-Katastrophe

In West-Berlin wurden nach dem Reaktor-Unglück Spielplätze gesperrt. Doch weder im Osten der Stadt noch in der restlichen DDR gab es derartige Empfehlungen. Auch die Empfehlungen, wie sich die Bevölkerung angesichts der Strahlung verhalten soll, variieren. In den Medien wird vielfach das Einnehmen von Jod-Tabletten empfohlen, was dazu führt, dass diese innerhalb weniger Tage in den Apotheken ausverkauft sind. Die Stadt Hamburg rät ihren Bürgern, bei Regen nicht nach draußen zu gehen. Niedersachsen empfiehlt Kleingärtnern, die oberste Bodenschicht in ihren Beeten abzutragen. Bauern sollen ihre Kühe von der Weide holen und Blattgemüse unterpflügen. Behörden empfehlen, Kinder nach dem Spielen im Freien abzuduschen, Klassenfahrten in die DDR oder in Ostblockländer werden abgesagt. 

Die Bundesregierung dagegen erklärt mit Berufung auf die Strahlenschutzkommission, dass das Spielen und Sporttreiben im Freien unbedenklich sei. Eine Auffassung, die wiederum manche Politiker und Wissenschaftler als verharmlosend und fahrlässig kritisieren. Die vielen unterschiedlichen Empfehlungen und Anweisungen tragen maßgeblich dazu bei, die Bevölkerung zu verunsichern. 

Dosengemüse und H-Milch statt Frischprodukte, Bauern wurde empfohlen, ihr verstrahltes Gemüse unterzupflügen.

Auch die Berichterstattung in den Medien, die plötzlich voll ist mit Begriffen wie Becquerel, Millisievert, Caesium-137 und Jod-131, trägt zur Verunsicherung bei. So titelt die TAZ am 2. Mai 1986: "Misstraut den Offiziellen - auch wir können gefährdet sein". Auf die zunehmende Verwirrung reagiert die Bundesregierung mit einer Anordnung, nach der sich die Bundesländer an die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission zu halten hätten - woraufhin viele Bürger auf Frischmilch und -gemüse lieber ganz verzichten und stattdessen zu H-Milch und Dosengemüse greifen. 

DDR: "Keinerlei Gefährdung für die Gesundheit"

Während in der Bundesrepublik die Verunsicherung um sich greift, gibt sich die DDR-Regierung weiter gelassen: Die Strahlenwerte seien kurzfristig angestiegen und hätten sich auf "niedrigem Niveau" stabilisiert, lässt sie vermelden. Dass dieses Niveau teilweise hundertmal so hoch liegt wie vor der Katastrophe, wird dabei verschwiegen. Obwohl die DDR von der Sowjetunion genauso spärlich mir Informationen zu dem Unfall versorgt wird wie die westlichen Länder, hält man klar Kurs: "Es bestand und besteht keinerlei Gefährdung für die Gesundheit der Bürger unseres Staates und für die Natur", erklärt das "Neue Deutschland" am 2. Mai 1986. 

Warum die Kernenergie in der DDR als "sicher" galt

In der Bundesrepublik heizt Tschernobyl-Katastrophe 1986 die Proteste gegen Kernkraft an. Ganz anders in der DDR. Es rufe "Befremden und Unverständnis hervor, wenn die Havarie von Tschernobyl von Medien und gewissen politischen Kreisen und westlichen Ländern zum Anlass genommen wird, um mit Halbwahrheiten und Spekulationen die Bevölkerung in Unruhe zu versetzen". Alles spreche dafür, dass es sich um eine "gezielte Panikmache" handele, die "die Weltöffentlichkeit von den Abrüstungsinitiativen der Sowjetunion ablenken soll". 

Richt- statt Grenzwerte

Dabei haben die meisten DDR-Bürger aus den West-Medien längst andere Informationen bezogen, sind ebenso verunsichert wie die Menschen im Westen. Das reiche Angebot an Obst und Gemüse, das für den Export in die Bundesrepublik vorgesehen war und nun in den Supermarkt-Regalen der DDR landet, findet auch im Osten kaum Abnehmer. Statt Grenzwerten gibt die DDR-Regierung Richtwerte aus, bei deren Einhaltung laut Amt für Atomsicherheit "mit Sicherheit keine unmittelbaren gesundheitlichen Schäden" zu befürchten seien. Sie liegen bei Kuhmilch ebenfalls bei 500 Becquerel, bei Blattgemüse mit 1.000 Becquerel deutlich höher als in der Bundesrepublik (250 Becquerel). Empfehlungen, Kinder nicht im Freien spielen zu lassen oder Freizeitanlagen zu schließen, gibt es keine. 

Honecker: Kernkraft "nicht das letzte Wort"

Zwei Monate nach der Katastrophe, am 25. Juni, äußert sich Erich Honecker in einem Interview zu dem Unfall mit einem Ratschlag zum Schutz vor Strahlung: Seine Mutter habe zu Hause den Salat immer gewaschen. Allerdings fügt er auch noch hinzu: "Ich bin der Meinung, dass die Kernkraft nicht das letzte Wort ist." 

Die Konsequenzen von Tschernobyl in Deutschland

Nach dem Reaktor-Unglück nahm die Zahl der Atomkraftgegner in Deutschland sprunghaft zu. Bis heute gilt das Reaktorunglück von Tschernobyl als das Ereignis, das die Ablehnung der Atomkraft in Deutschland begünstigte wie kein anderes bis zur Fukushima-Katastrophe 2011. Die Zahl der vehementen Atomkraftgegner stieg in Deutschland von rund 13 auf 27 Prozent. Auf Fahnen bei Anti-Atomkraft-Demos und Aufklebern mit der Aufschrift "ATOMKRAFT? NEIN DANKE!" steht das Motto und die Kampfparole dieser Bewegung. Sie gibt der Partei der GRÜNEN einen neuen Auftrieb.

Als direkte politische Konsequenz wird in der Bundesrepublik bereits wenige Wochen später das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gegründet. Ein neues Strahlenschutzvorsorgegesetz wird ebenfalls noch 1986 verabschiedet. 

Die Böden in Deutschland haben sich bis heute nicht vollständig von der radioaktiven Belastung erholt. Caesium-137 etwa hat eine Halbwertzeit von 30 Jahren. Das bedeutet, dass sich die Belastung bis heute erst in etwa halbiert hat. Vor allem in Süddeutschland sind Wildtiere, Waldbeeren und Pilze in einigen Regionen noch immer teilweise relativ hoch belastet.

https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Atom-Katastrophe-in-Tschernobyl-Wie-Deutschland-reagiert-hat,tschernobyl230.html

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Vor 37 Jahren als in der ungefähr 1200 Kilometer von Berlin entfernten Stadt Tschernobyl zu dem schwersten Atomunfall der Geschichte kam, war ich an der Katastrophe weder beteiligt noch von den Katastrophenfolgen betroffen. An dem Tag - so wie an Tagen, Wochen und Monaten davor und danach - verbrachte ich die Zeit weit vom Ort des Geschehens entfernt in Italien, auf der sonnigen Insel Elba, wo ich als Segellehrer und Skipper arbeitete. Die radioaktiven Wolken kamen zwar Tage nach der Explosion auch über Korsika, Nord- und Mittelitalien, doch durch den fehlenden Niederschlag waren ihre Auswirkungen dort auf die Gesundheit nicht gravierend. Alles in allem war ich frei von Schmerzen, Sorgen und Angst all der Menschen, die von der Katastrophe getroffen wurden. 

Das änderte sich jedoch, als ich an einem anderen 26. Tag des Monats, am 26. Dezember 2004, 10.000 Kilometer von Deutschland entfernt, Zeuge und Opfer einer anderen Katastrophe wurde, der Tsunami-Katastrophe Weihnachten 2004, der schwersten Tsunami-Katastrophe der Geschichte, die 300.000 Menschenleben aus 55 Nationen kostete darunter allein unter den Deutschen über 550 Todesopfer. Weitere schwere Tsunami-Katastrophen und eine verheerende Tsunami-und-Nuklearkatastrophe in Japan folgten. Es ist an der Zeit hierzu Vergleiche zu ziehen.

1. Westliche Politiker und Medien haben schon immer in Zeiten des Kalten Krieges, der damals noch andauerte, das übliche Vorgehen des kommunistischen Gegners mit solchen Vokabeln wie: Nachrichtensperre, Vertuschung, Propagandalügen, Cover-up, staatliche politische Zensur, Verschleierung, gezielte Irreführung etc. beschrieben und als inhuman, amoralisch und unzivilisiert abqualifiziert. Doch das, was nach dem Tsunami-Desaster 2004 im Westen und insbesondere in Deutschland geschah, entsprach exakt dem Handlungsmuster des politischen Gegners und betraf alles, was mit dem Desaster, seinem Hergang sowie Schuld und Verantwortung politischer, zivil- und strafrechtlicher Natur für sein Zustandekommen ursächlich zusammenhing. Soziotechnische Propagandamethoden des Schurkenstaats Sowjetunion, der in dem Jahrhundert seiner Gründung durch verbrecherische Juden mehr als 66 Millionen Menschen ermordete, haben sich plötzlich im Westen als hoffähig erwiesen und als die gängige politische Praxis. Deutsche Tsunamiopfer-Liste, thailändischer Tsunami-Untersuchungsbericht, Echtzeit-Satellitenbilder der Katastrophe, fehlende und unterlassende Prävention und Interaktion zwischen den verantwortlichen Behörden und ihren Leitern und alle sonstigen harten Beweise des kriminellen menschlichen Versagens erklärte man gleich zur Verschlusssache und sie werden bis heute unter Verschluss gehalten, ganz besonders in dem verlogenen Schurken- und Trümmerstaat Deutschland.

2. In der BRD erlaubten die Besatzungsmächte erst ab 1955, dass sich Wissenschaftler wieder mit Atomphysik und Reaktortechnik beschäftigen. Das erste deutsche Atomkraftwerk wurde bei Gundremmingen an der oberen Donau in Betrieb genommen. Seine Leistung von 240 MW reichte aus, um eine Stadt von über 100000 Einwohnern mit elektrischem Strom zu versorgen. Seitdem wurden viele AKW in Deutschland und in seinen Nachbarländern gebaut.


Jerzy Chojnowski

Chairman-GTVRG e.V.

www.gtvrg.de


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